mm OF THE : OF THE UNIVERSITY OF MATH.ST*; GESCHICHTE DER MATHEMATIK ALTERTUM UNO MITTELALTER VERLAG VON ANDR. FRED. HOST & SON IN KOPENHAGEN DIE LEHRE VON DEN KEGELSCHNITTEN IM ALTERTUM VON PROF. DR. H. G. ZEUTHEN PREIS 15 MARK iM ALTERTUM UND MITTELALTER VORLESUNGEN H. G.iZEUTHEN PROFESSOR AN DER UNIVERSITAT KOPENHAGEN KOPENHAGEN VERLAG VON ANDR. FRED. HOST & SON 1896 M*XJi - 4 s ALLE RECHTE VORBEHALTEN Kopenhagen. Granbes Buchdruckerei STAT* LIBRARY Vorrede zur danischen Ausgabe, In der hier vorliegenden Geschichte der Mathematik habe ich versucht namentlich dasjenige hervorzuheben, was fiir Studenten mid Lehrer der Mathematik zu wissen wichtig 1st. Fiir diese kommt es nicht so sehr darauf an viele historische Einzelheiten zu kennen, zu wissen, wer zuerst diese oder jene Wahrheit entdeckt oder dieses oder jenes Verfahren erfunden hat, sondern vielmehr darauf die Formen zu kennen, unter denen die verschie- denen Wahrheiten und Verfahrungsarten entstanden sind, sowie die Anwendungen, die man von ihnen gemacht hat. Die richtige Erkenntnis ihres Ursprunges wird zugleich die Bedingung sein fiir das Verstandnis der Entwickelung, die sie fernerhin durchgemacht haben, bis sie nach und nach der Mathematik ihre jetzige Gestalt gegeben haben. Indem ich namentlich hierauf Gewicht lege, befinde ich mich in guter Ubereinstimmung mit dem Programm fiir das Schulamtsexamen in Mathematik. Wenn darin namlich verlangt wird ein kurzer Abriss der Geschichte der Mathematik, im Anschluss an den der Kandidat sich direkt mit Euklids Elementen und Descartes Geometrie bekannt gemacht haben muss, so weist diese Forderung II darauf bin, dass ein solches Verstandnis der Geschichte der Mathematik verlangt wircl, wie es nur durch einige Bekanntschaft mit der Mathematik der entschwundenen Zeiten erreicht werden kann. In deui voiiiegenden Bande, der nur Alterturn und Mittelalter behandelt, habe ich es von den beiden genannten Scbriftstellern nur mit Euklid zu tbun. Indem ich unter ausdriicklichem Hinweise auf die einzelnen Siitze die Stellen anfiihre und erklare, aus denen namentlich etwas zu lernen ist, suche ich eine fruchtbare Bekanntschaft mit ihm zu vermitteln. Ferner suche ich im Anschluss hieran verstandlich zu machen, was ich von den iibrigen Schriftstellern mitzuteilen habe, von denen ich nicht erwarten kann, dass die Leser sie in die Hande bekommen. Unter anderem habe ich Eu- klids Elemente benutzt zur Erklarung der logischen For- men, die von den griechischen Mathematikern so strenge beobachtet werden. Ich habe mich dabei nicht nur an die Bedeutung gehalten, die diese Formen fiir die Griechen batten, sondern zugleich - - in Zusatzen mit kleinerem Druck - gepriift, welche Bedeutung ihnen an und fiir sich zukommt. Ich hoffe dadurch namentlich den Leh- rern Veranlassung gegeben zu haben unter ihnen zu wahlen und auszuscheiden, denn zu beiden Dingen ist Veranlas sung vorhanden. Wenn ich nun auch mit dem hier ausgesprochenen Zweck vor Augen keineswegs beabsichtige dem historischen Rahmen eine sehr grosse Ausdehnung zu geben, so muss dieser doch so gut und zuverlassig sein wie moglich. Das wird leicht erreicht durch Benutzung von Cantors Vor- lesungen uber die Geschichte der Mathematik , eines Wer kes, das alle faktischen Aufklarungen, die sich herbei- schaffen lassen, mit ungewohnlicher Vollstandigkeit und Zuverlassigkeit giebt. Von diesen Eigenschaften habe ich auch wahrend der Untersuchungen Nutzen ziehen konnen, Ill die nach dem Plane meines Buches zunachst meine eigene Arbeit ausmachen mussten. Allerdings musste das Material fur diese vorzugsweise dem Studium der bedeutendsten mathematischen. Schriftsteller aus den Zeiten, die ich be- handle, entnommen werden ; aber wahrend dieses Studiums gewahrten mir Cantors Ausziige gute Anleitung um das zu finden, was ich brauchte, selbst dann, wenn ich es nachher anders aufgefasst und benutzt habe als er. Zu- gleich wusste ich, dass ich mich auf seine Mitteihmgen Tiber den Inhalt der weniger bedeutenden Werke sicher veiiassen konnte, die mir nicht zuganglich waren oder mit denen mich direkt bekannt zu machen es mir an Gelegenheit fehlte. Ich habe jedoch nicht allein in rein thatsachlichen Fragen auf Cantor gebaut. An seine Be- urteilungen habe ich mich zum grossen Teil gehalten mit Bezug auf die Zeiten, wo die Mathematik entweder nur Ruckschritte machte oder doch keine von den wirklichen Fortschritten, deren Verfolgung meine Aufgabe war. Was ich bei spiels weise liber das Rechnen auf dem Abacus im Mittelalter und seinen Ursprung nritteile, sind die Resul- tate von Cantors sorgfaltigen und scharfsinnigen Unter- suchungen. 1m iibrlgen 1st es selbstverstandlich, dass, wahrend ich rnein Studium auf die iiberlieferten Werke der grossen Mathematiker, auf ihren Zusammenhang unter einander und mit den niathematischen Arbeiten und Resultaten, die nur aus Berichten bekannt sind, richtete, ich die Hiilfe benutzt habe, die in der heutigen reichen Littera- ttir iiber die Geschichte der Mathematik geboten war. Der didaktische Charakter des vorliegenden Buches hat mich jedoch davon abgehalten anzufiihren, was ich diesem oder jenem verdanke. Um das zu thun hatte ich nam- . lich nicht nur den Gedanken oder die Auffassung dar- stellen miissen, die ich dem betreffenden unmittelbar IV verdankte, sondern auch liber die Modifikationen berichten miissen, die solche Gedanken unter nieiner weiteren Bear- beitung erfahren batten und iiber die Griinde hierfiir. Dazu war kein Raum, vielmehr musste ich mich damit begniigen kurz die Griinde fur die Auffassungen anzu- fiihren, bei denen ich stehen geblieben war. An einem anderen Orte jedoch babe ich mich einer solchen ein- gehenden Diskussion, bei der ich auch Gelegenheit hatte auszusprechen, was ich jedem einzelnen Schriftsteller ver dankte, nicht entzogen, namlich in meiner Arbeit iiber die Lehre von den Kegelschnitten im Altertum (Kgl. Danske VidenskabernesSelskabsSkrifter, G.Rsekke, 3. Bind; deutsche Ausgabe von R. v. Fischer-Benzon, Kopenhagen, Andr. Fred. H0st & S0n, 1886). Allerdings wird hierin nur die hohere Geometrie des Altertums behandelt, aber diese hing selbstverstandlich so genau mit der elementaren Mathematik zusammen, dass ich auch wesentliche Seiten meiner Auffassung von dieser begriinden musste, und diese Auffassung steht wieder in genauem Zusammen- hange mit fast allem, was ferner in diesem Bande er- wahnt wird. Deshalb begniige ich mich im wesentlichen damit an dieser Stelle die Manner anzufiihren, deren Arbeiten iiber die Geschichte der Mathematik Einfluss verschiedener Art auf meine eigenen Studien und dadurch auf die vor- liegende Arbeit gehabt haben: Chasles, Brettschneider, Hankel, Cantor, P. Tannery, Heiberg, Allmann 1 , und als Herausgeber, tJbersetzer und Kommentatoren wieder Heiberg, Hultsch, Wertheim, Colebrooke, Woepcke, Boncompagni. Von Einzelheiten muss ich jedoch hinzufiigen, dass ich ausser vielem anderen, was 1 Soria s umfassendes Werk, Le Sciense esatte nell antica Grecia 72, lag damals noch nicht vor. zumteil in der Lehre von den Kegelschniiten im Altertum erwahnt 1st, die Erklarung (S. 33) des Berichtes liber die Geometrie des Thales P. Tannery (Geometric grecque S. 89 ff.) verdanke, ebenso wie die Erklarung (S. 64, 65) von Pythagoras Satz, dass die Dinge Zahlen sind (Geom. gr. S. 124). Ferner muss ich noch anfiihren, dass des- selben Verfassers griindliches und geistreiches Werk, Re- cherches sur I astronomie ancienne, Paris 1893, allerdings erst in meine Hande gelangte, nachdem der Druck rneines Buches begonnen war, dass es mich aber dennoch ver- anlasste die damals noch ungedruckten Abschnitte iiber die berechnende und spharische Geometrie der Griechen umzuarbeiten. In einem Buche wie dem vorliegenden konnte ich jedoch nur mit einiger Vorsicht das benutzen, was er selbst ausdriicklich als Hypothesen bezeichnet, wie natiirlich auch die Erklarung scheinen mag, die diese Hypothesen von Verhaltnissen geben, iiber deren genauen Zusammenhang in der iiberlieferten Litteratur keine hin- reichenden Angaben vorliegen. Kopenhagen, im September 1893. Vorrede zur deutschen Ausgabe, Wie aus der obenstehenden Vorrede zur danischen Ausgabe hervorgeht, ist das vorliegende Buch urspriing- lich dazu bestimmt, von Studenten an unserer danischen Universitat benutzt zu werden. In tlbereinstimmung mit dem Programm fur das Schulamtsexamen an dieser treten recht bedeutende Abschnitte nahezu als Komrnentare zu Euklids Elementen auf, und es ist vorausgesetzt, dass der VI Leser selbst imstande 1st die angefiihrten Stellen in diesen nachzusehen. Das wird jedoch kaum ein Hindernis da- fur sein, mein Buch auch ausserhalb Danemarks zu be- nutzen; denn um das rechte Verstandnis fur die Ent- wickelung der Mathematik iiberhaupt zu gewinnen, muss man aus eigener Anschauung wenigstens das Werk kennen, das wahrend dieser ganzen Entwickelung die Hauptrolle gespieli hat. Grosseres Bedenken sollte es vielleicht in mir hervor- rufen, dass ich versuche einem historischen Buche, das in historischer Beziehung auf den Arbeiten von Zeitgenossen aufgebaut ist, ausserhalb der Kreise, fur die es zuerst be- stimmt war, Verbreitung zu verschafEen. Indessen ist dies Buch zugleich eine Frucht selbstandiger und personlicher Arbeit, aber von mehr mathematischer Art, namlich eines eingehenden Studiums der grossen Schriftsteller aus den Zeiten, die erwahnt werden. Dieses Studium, bei dem ich mich nicht mit solchen Thatsachen begniigen wollte, wie dass dieser oder jener Schriftsteller diesen oder jenen Satz kannte, auch nicht damit, dass er ihn auf diese oder jene Weise beweist, sondern auch versucht habe zu verstehen, weshalb Satz und Beweis unter damaligen Ver- haltnissen gerade in dieser oder jener Gestalt auftreten mussten, hat mir selbst so viel Zeit und Nachdenken ge- kostet, dass ich es fur nutzlich halten darf, die gewonnene Ausbeute fiir solche darzustellen, die nicht in der Lage sind die erforderliche Zeit und Arbeit auf ein solches Studium zu verwenden. Da die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, in man- chem mit derjenigen zusammenfallt, die Hankel in sei- nem Buche Zur Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter, Leipzig 1874, behandelt hat, so beeile ich mich zu bemerken, dass gerade dieses geistreiche Werk in mir den Geschmack an solchen Studien hervor- VII gerufen hat. Dass meine Arbeit dennoch nicht iiberfliissig sein werde, hoffe ich teils deshalb, well Hankels friiher Tod die Behandlung mehrerer der wichtigsten Abschnitte verhindert hat, teils deshalb, weil ich, der ich auf neuere historische Untersuchungen habe fussen konnen, in man- cher Beziehung zu anderen Ergebnissen gelangt bin. Unter den Schriftstellern der Gegenwart ist Paul Tannery der- jenige, dessen Auffassung ich am haufigsten geglaubt habe mir aneignen zu miissen. Die wichtigste von den Ande- rungen, die in der vorliegenden Ausgabe vorgenommen worden sind, besteht darin, dass ich mich jetzt an die neuesten Ermittelungen liber Heros Lebenszeit habe halten konnen, Ermittelungen, die so vortrefflich zu dem Ein- druck stimmen, den die iiberlieferten Werke dieses Schrift- stellers in uns hervorrufen. Ausserdem habe ich jetzt etwas mehr Riicksicht auf Tannerys Recherches sur I a- stronomie ancienne nehmen konnen als in der danischen Ausgabe. Schliesslich mochte ich meine Freude dariiber zum Ausdruck bringen, auch diese Ubersetzung von Professor v. Fischer -Benzons kundiger und sorgfaltiger Hand ausgefiihrt zu sehen. Kopenhagen, im Juli 1895. H. G. Zeuthen. E1NLEITUNG. 1. Vorgeschichte der Mathematik, Bei einer historischen Vorlesung erhebt sich immer die Frage, wo man zu beginnen habe. Man kann dort anfangen, von wo an zuverlassige positive Angaben vor- liegen, die unmittelbar ein zuverlassiges positives Wissen gewahren, und es ist dann Aufgabe des Historikers hierin den richtigen Zusammenhang herzustellen ; oder man kann mit der Vorgeschichte anfangen, und diese ist dann ab- zuleiten durch Kombinieren einer Menge ausserst ver- schiedener Nachrichten und Thatsachen, die, einzeln ge- nommen, nicht als historische Quellen betrachtet werden konnen. Unter diesen kommen die Traditionen und Sagen iiber Sitten und Begebenheiten in noch alteren Zeiten, die sich in den altesten wirklichen Uberlieferungen vorfinden, wirklicher Geschichte am nachsten. Die Erklarung dieser Sagen muss sich stiitzen auf solche aufgefundene Gegen- stande, die in jenen alten Zeiten hervorgebracht und ge- braucht worden sind. Die Bedeutung solcher Funde ist ins Licht zu setzen durch ihr gegenseitiges Verhaltniss in Bezug auf Zeit und Ort. Umgekehrt tragen sie wieder dazu bei die Verbindungen klar zu legen, die zwischen den Fundstellen bestanden haben, und die zeitliche Auf- einanderfolge der Geschlechter zu bestimmen, die sie be- 1 2 Einleitung: nutzt haben. Was sich in diesen verschiedenen Be- ziehungen fiber aufbewahrte aussere Dinge sagen lasst, das gilt auch fur diejenigen Worte der Sprache, deren Alter aus ihrem Vorkommen in verschiedenen bekannten lebenden und toten Sprachen hervorgeht. Diese zeugen von alter Bekanntschaft mit entsprechenden Begriffen. Bei der Behandlung des auf solche Weise gewonnenen Stoffes muss man wieder zu anderen Hiilfsquellen seine Zu- fiucht nehmen. Um sich eine Meinung dariiber zu bilden, wie ein Gegenstand hervorgebracht und gebraucht, wie ein Be- griff entstanden und mit anderen in Verbindung gesetzt worden ist, muss man zuerst wissen, wie derartiges uber- haupt geschehen kann und wie es mit den Hiilfsmitteln und der Auffassung der Dinge, die man als damals iiblich an- nehmen darf, hat geschehen konnen. Oft ist es schwierig hieriiber zu urteilen, namentlich fiir einen Kulturmenschen der Gegenwart, der gewohnt ist sich einer Menge jetzt existierender, korperlicher und geistiger Hiilfsniittel oder angeeigneter Fertigkeiten zu bedienen, ohne selbst recht zu wissen, welchen Nutzen sie ihm gewahren, oder welche von ihnen leicht und welche schwierig durch andere ersetzt werden konnten. Um dariiber etwas zu erfahren, sind wir darauf angewiesen teils unsere eigenen Kinder zu beobachten, teils uncivilisierte Volkerschaften oder auch nur Volkerschaften, die eine andere Civilisation haben als wir. Dafiir wird dasjenige, was durch die Vorgeschichte klargelegt wird, uns helfen die Entwicklung des Erkennt- nisvermogens bei Kindern und die Sitten und Gebrauche der verschiedenen Volkerschaften verstehen zu lernen. Man sieht also, dass sowohl Historiker und Archa- ologen von Fach, sowohl Naturforscher, die die Funde, als Sprachforscher, die die Worte ihrem Alter und ihrem Zusammenhange nach bestimmen, dass sowohl Padagogen ja selbst Psychologen und Erkenntnistheoretiker, wie auch 1. Vorgeschichte der Mathematik. Ethnographer! ihren Beitrag zu einen Studium der Vor geschichte liefern miissen. Bezieht sich diese auf ein be- stimmtes Fach, so muss der betreffende Fachmann selbst hinzutreten, um die innere Verbindung zwischen den zu- sammengebrachten Thatsachen herzustellen ; alle oben genannten Forscher aber werden aus den vorhistorischen Studien Ausbeute fiir ihr eigenes Fach gewinnen. Auch die Mathematik hat ihre Vorgeschichte, und diese gehort keineswegs zu den am wenigsten bedeutungs- vollen. Bei der Beschrankung auf einen eng begrenzten und selbstandig auftretenden Stofl kann sie zu verhaltnis- massig sichren und klaren Ergebnissen fiihren. Was man dabei iiber die Art und Weise erfahrt, wie friihere Volker- schaften Grossen durch Zahlen und raumliche Darstellung behandelten, das liefert uns einen wesentlichen Beitrag zum Verstandnisse ihres Vermogens, sich die Erde unter- thanig zu machen, und macht es uns dadurch leichter die iibrigen Zeugnisse iiber ihr Leben und Treiben zu verwerten. Durch Klarstellung der Grundlage, auf der das Menschengeschlecht spater eine besser geordnete Be- handlung der Mathematik aufgebaut hat, liefert sie auch einen schatzenswerten Beitrag zur scharferen Erfassung der erkenntnistheoretischen Grundlage fiir die ersten und wichtigsten Begriffe dieser Wissenschaft. Um die Vorgeschichte der Mathematik ans Licht zu ziehen, muss man bei den Sprachforschern Belehrung suchen iiber das Alter der Benennungen fiir die ein- fachsten Zahlen und iiber die in verschiedenen Sprachen angewandten Mittel, um Zahlen zu benennen, die nach Zehnern, Zwanzigern u. s. w, zusammengesetzt sind oder auf irgend eine andere Art, wie sie fiir Einteilung von Maassen oder Miinzen (Zwolfersystem, Sechzehnersystem u. s. w.) benutzt sein konnte. Man muss auf Inschriften oder in alten Schriftdenkmalern erst die Bezeichnungen fiir 4 Einleitung: einfache Zahlen suchen, die in fniheren Zeiten meist in einer Marke oder einem Zeichen fiir jeden Einer bestehen, und darauf die mehr entwickelten Zeichen fur zusammen- gesetzte Zahlen, die z. B. durch Wiederholung eines Zeichen s fiir jede decimale Einheit, wie bei den Romern, gebildet sein konnen. Man muss die Spuren der Anwendung dieser Zeichen oder auch mechanischer Hiilfsmittel zur Ausfiihrung einfacher Rechnungen auf suchen. Moglicher- weise kann man dann auch in der Bilderschrift alter Zeiten Operationszeichen finden, wie wenn in agyptischen Papyrushandschriften ein Vogelfuss durch die Seite, nach der er sich wendet, auf sehr deutliche Weise angiebt, ob eine Zahl zu oder ab zu zahlen ist, also eine ahn- liche Rolle spielt wie unsere Zeichen + und . Was nun die raumliche Anschauung betrifft, so ist die erste Abbildung, auf welche man trifft, ein Zeugnis fiir eine Vorsteilung von Figuren, von denen die eine im Kleineren das ist, was die anderen im Grosseren, arlso von ahnlichen Figuren. Das Zeugnis ist um so beweisender, als die Perspektive damals nicht bekannt sein konnte, der Darsteller also, wenn auch oft nur mit wenig Gliick, eine wirkliche Ahnlichkeit anstrebte. Dieses Streben muss bewusst gewesen sein, wenn die Abbildung dieselbe Anzahl von Dimensionen hat wie der darzustellende Gegenstand, wenn sie also entweder eine Skulptur ist, oder wenn ein durch seine Umrisse in der Ebene dargestellter Gegenstand selbst eben ist oder als eben betrachtet werden kann. Besonders gilt dies, wenn die Darstellung pich als ein Modell auffassen lasst, als eine Karte oder als den Grundriss eines Gebaudes, und um so mehr, wenn man sie als den Versuch zu einer geometrischen Figur betrachten kann. Da es klar ist, dass es bei der ersten Benutzung solcher Figuren, sei es bei der Entwicklung des Menschengeschlechts oder bei dem Unterricht unserer Kinder, gleichgiiltig bleibt, 1. Vorgeschichte der Mathematik. 5 ob die Figur etwas kleiner oder etwas grosser gezeichnet wird, so wird hier, lange bevor eine klare Definition von ahnlichen Figuren gegeben werden kann, eine bewusste Anwendung von solchen geraacht. Eine altagyptische Grabkammer, cleren Dekoration unvollendet ist, zeigt wie diese Vorstellung sogar zu einer planmassigen Hervorbringung von Ahnlichkeit gefuhrt hat. In dieser sieht man namlich, dass man, um ein Bild nach einem neuen Maassstabe auf die Wand zu ubertragen, diese Wand und das Bild durch zwei Systeme von Parallelen in Quadrate geteilt und darauf in jedes Qua drat der Wand das eingetragen hat, was sich auf dem entsprechenden Quadrat der Vorlage befindet. Das an- gewandte Hiilfsmittel besteht in Wirklichkeit in einer Anwendung rechtwinkeliger Koordinaten, die in ganzen Zahlen durch die benutzte Quadratseite als Einheit aus- gedriickt sind; entsprechende Punkte werden als solche bestimmt, deren beide Koordinaten, jede fur sich, in einem gegebenen Verhaltnis stehen. Bei der weiteren Durchforschung aufgefundener Ab- bildungen oder Dekorationen muss man besonders nach solchen Figuren suchen, die Bekanntschaft mit einigen einfachen geometrischen Konstruktionen verraten konnen oder wenigstens von einer geometrischen Auffassung der Figuren zeugen. Das Bestreben Senkrechten oder Parallelen zu zeichnen findet man sicher auf den kindlichsten Stand- punkten; bei mehr entwickelten Volkern hat man solche Linien gewiss mechanisch konstruiert, anfangs vielleicht durch ebenso einfache Mittel wie wir sie benutzen, wenn wir gerade Linien, Parallelen oder Senkrechten durch ge- spannte Schniire, durch Falten von Papier etc. herstellen. Eine vollkommenere Konstruktion diirfte wohl benutzt worden sein, wenn man solche Linien zu der oben er- wahnten Ubertragung eines Bildes in einem neuen Maass- (5 Einleitung: stabe angewandt hat. Verzierungen, die auf irgend eine Weise regelmassige Sechsecke benutzen, beweisen die Be- kanntschaft mil der einfachen Kortstruktion dieser Figur, zu deren Herstellung kein von einem Mechaniker her- gestellter Zirkel notwendig ist. Dagegen wird man selbst bei ziemlich hoch entwickelten Volkerschaften vergebens nach der Benutzung regelmassiger Funf- oder Zehnecke suchen. Diese sind aber auch erst durch ein ziemlich kompliciertes Verfahren herzustellen ; nicht einmal auf den alten agyptischen Monumenten hat man derartige Vielecke gefunden. Eine keineswegs geringere Bedeutung als iiberlieferte Zeichnungen haben die erhaltenen Reste von Gebauden. Sogar auf den friihesten Entwicklungsstufen wird man das Be.streben finden, dem Grundriss der Gebaude eine bestimmte Figur, wie Rechteck oder Kreis, zu geben, und bei den vollkommeneren Bauten, wie den agyptischen Tempeln und Pyramiden, miissen die rechten Winkel durch Konstruktion hergestellt sein. Hieran kann man um so weniger zweifeln, als die Gebaude genau nach den Himmelsgegenden orientiert sind, so dass man auch ver- standen haben muss die hochste Stellung der Sonne durch Konstruktion zu benutzen. Die Pyramiden bauten zeugen von der Bekanntschaft mit bestimmten geometrischen Figuren, und eine umsichtige Konstruktion ist erforder- lich gewesen, um zu erreichen, dass die Pyramiden wirk- lich gerade standen und gegenseitig dieselbe Gestalt er- hielten. Gleichgewicht hervorzubringen in so gewaltigen Bauten, wie die agyptischen Tempel es sind, so dass sie bis auf die Gegenwart haben stehen konnen, und Obelisken zu transportiren und aufzurichten, hat auch eine recht bedeutende mechanische Einsicht verlangt. Ich habe mich bestrebt hier klar zu legen, was man unter Vorgeschichte der Mathematik zu verstehen habe, 1. Vorgeschichte der Mathematik. 7 und einige von den Mitteln anzugeben, wodurch man sie kennen lernen kann. Ich hoffe zugleich dadurch an- gedeutet zu haben, von welcher Bedeutung es sein kann sie zu studieren, aber die Zeit erlaubt es mir nicht, in diesen Vorlesungen genauer auf diese Untersuchungen einzugehnn. Ich muss nicht nur die vorhistorische Mathematik iibergehen, sondern zum grossten Teile auch die vorwissenschaftliche Mathematik 1 ). Darunter ver- stehe ich diejenige, die nur in der Zusammenfassung solcher Regeln besteht, die sich aus Versuchen oder durch zu- fallige Erfahrungen haben ergeben konnen - - das letzte kann z. B. mit der Sechsteilung des Kreises der Fall ge- wesen sein oder vielleicht auch in alteren Zeiten durch mehr exakte Untersuchungen, die nun verloren, also vor- historisch sind. Von der vorwissenschaftlichen Mathema tik werde ich nur soviel mitteilen, dass man dadurch eine Vorstellung gewinnen kann von dem im voraus be- kannten Material, aus dem die wissenschaftliche Mathema tik aufgefiihrt ist. Als Einleitung in die griechische Geometric muss ich deshalb das anfiihren, was die Griechen, wie wir annehmen diirfen, von den Agyptern und Baby- 1 onier n gelernt haben. Das Zahlenrechnen der Griechen werde ich dagegen im wesentlichen nur behandeln konnen als vorwissenschaftliche Einleitung zu der Rechenkunst, die entstand, als die Inder die nun gebrauchliche Schreibung der Zahlen durch Ziffern mit Positionswert erfanden. Denn einmal stand das Zahlenrechnen der Griechen auf alle In Betreff der vorhistorischen sowohl als der vorwissenschaft lichen Mathematik kann ich auf P. la Gour, Historisk Mathe matik, Et indledende Kursus, Kj0benhavn 1888, verweisen. Nach dem Plane dieses Werks, welches zur Einfiihrung in die ersten Elemente der Mathematik die Wege ihrer Ent- stehung benutzt, machen die beiden genannten Disciplinen einen wesentlichen Teil desselben aus. 8 Einleitung: Falle weit zuriick hinter ihrem sonstigen roathematischen Vermogen, und zweitens konnen wir durch Anwendung ihrer Zahlzeichen und ihrer Hiilfsmittel fiir das Rechnen, wenn sie auch von ihren eigenen grossen Mathematikern mit Erfolg haben benutzt werden konnen, nichts hervor- bringen, was dasjenige iiberragt, was wir sonst zur vor- wissenschaftlichen Mathematik rechnen. Indessen moge das doch mit dem Vorbehalt gesagt sein, dass diese Hiilfsmittel des Rechnens sich vielleicht bei genauerer Untersuchung besser erweisen konnen, als sie uns zu- nachst vorkommen 1 ); denn giebt es einen Fehler, der Schaden verursachen kann und verursacht hat nicht nur bei derartigen historischen, sondern auch bei ahnlichen ethnographischen Untersuchungen, so ist es der, den Wert des Gefundenen nur nach seiner grosseren und geringeren Ahnlichkeit mit dem zu messen, was ein Kulturmensch jetzt gebraucht, und das geringe zu achten, was der Kultur mensch, nur weil er es nicht kennt oder nicht versteht, nicht glaubt gebrauchen zu konnen. 2, Agypter und Babylonier, Was diese beiden Volkerschaften betrifft, so wollen wir, wie schon oben angegeben, nur kurz die mathematischen Kenntnisse und Fertigkeiten erwahnen, die sie besessen haben, als sie mit den Griechen in Beriihrung kamen, und die die Griechen von ihnen ubernommen haben Die sachverstandigste Autoritat auf dem hier beriihrten Ge- biete, Paul Tannery, hat erklart, dass er bei einem Ver- suche, sich praktisch in der Benutzung der griechischen Zahl zeichen zu iiben, diese viel zweckmassiger gefunden habe als sie uns erscheinen, die wir von Kindheit an in der Be nutzung eines anderen Zeichensystemes geiibt sind. 2. Agypter und Babylonier. konnen. Um zunachst mit den Agyptern zu beginnen, so weisen griechische Schriftsteller durchweg darauf bin, class ihre eigenen altesten Forscher die Agypter zu Lehr- meistern gehabt haben, und bericbten davon, wie ihnen die Gelehrsamkeit der agyptischen Priesterkaste zuganglich gemacht worden sei. Als Veranlassung zu der Beschafti- gung der Agypter mit Geometric wird hingewiesen auf die Uberschwemmungen des Nils und die damit ver- bundenen Bestrebungen, jedermann hinterher den ihm gehorigen Grund und Boden genau wieder zukommen zu lassen. In jedem Falle ist es klar, dass der sebr bohe Wert der schmalen fruchtbaren Landstreifen zwischen der Wiiste und dem Flusse zu einer genauen Landmessung auffordern musste. Wie grosse Bedeu^ung die agyptischen .Regeln Fur das Landmessen gehabt haben, geht auch dar- aus hervor, dass, nachdem die Griechen die Geometrie so hoch entwickelt batten, es dennoch im wesentlichen die agyptischen Regeln waren, die von den romischen Landmessern (Agrimensoren) benutzt wurden, denn diese verstanden die griechischen Begriindungen sicher nur in sehr geringem Maasse. Als ein in manchen Beziehungen geschaftlich tiichtiges Kulturvolk und als ein bauendes Volk wie wir bereits beriihrt haben haben die Agypter auch eine gewisse Rechenfertigkeit und andere geometrische Kentnisse notig gehabt als diejenigen sind, die beim Landmessen gebraucht werden. Ein anderes Zeugnis fiir eine gewisse mathematische Einsicht ist ihre Astronomie, die an Bedeutung jedoch kaum der baby-, lonischen gleichkam. Was nun die Agypter in spateren Zeiten wussten, das ergiebt sich teils aus dem, was die Griechen und spater die Romer von ihnen erhalten haben, teils aus ein- zelnen direkt iiberlieferten Aufzeichnungen. Das scheint indessen nur sehr wenig von dem abgewichen zu haben, 10 Einleitung: was man nach einer uralten Papyrushandschrift, dem so- genannten Rechenbuche des Konigs Ahmes, bereits 1700 2000 Jahre vor Christ! Geburt wusste. Deshalb 1st diese Sammlung von Aufgaben nebst ihren Losungen die beste Quelle, urn agyptische Mathematik und Rechen- kunst kennen zu lernen. Indem wir nun diese und andere Quellen benutzen, wollen wir hier unserem Plane gemass nicht darauf ein- gehen, wie die Agypter ganze Zahlen dargestellt und mit ihnen gerechnet haben. Ausser diesen kannten sie Briiche und rechneten mit ihnen. Briiche werden gewohnlich in Stammbniche zerlegt, dass heist in solche mit dem Zahler 1. Das Rechenbuch des Ahmes enthalt eine Tabelle iiber eine derartige Zerlegung von Quotienten mit dem Divi- denden 2 und mit Divisoren von 3 bis 99; diese Tabelle schliesst mit fa = -fa -f~ T ^ B . Eine solche Zerlegung ist spater auch von den Griechen benutzt worden, und wie wenig praktisch sie auch dem Anschein nach gewesen sein mag, so hat ihre Anwendung doch Einblick in die verschiedene Zusammensetzung ganzer Zahlen gewahrt. Die Agypter verstanden in der sogenannten Hau-Rech- nung soche Aufgaben zu losen, die in unserer mathe- matischen Sprache durch Gleichungen ersten Grades mit einer Unbekannten ausgedriickt werden: ax f- bx -f- ex -\- . . . = d, wo a, b, c ... d aus ganzen Zahlen und Briicher bestehen, die aus Stammbriiehen zusammengesetzt sind; ferner be- handelten sie solche Aufgaben, die unter die Gesellschafts- rechnung gehoren, ja einzelne, die zu ihrer Losung ein- fache arithmetische und geometrische Reihen erfordern. Bei der Losung von Aufgaben, die, wenn man sie auf die Form einer Gleichung gebracht haben wurde, von Gleichungen der oben stehenden Form abhangen wiirden, treffen wir zum ersten Male eine Anwendung der Methode 2. Agypter und Babylonier. des falschen Ansatzes, der sogenannten Regula falsi, auf die wir spater an vielen Stellen treffen werden. Sie besteht darin, dass man x einen Versuchswert x-^ beilegt; liefert dieser durch Einsetzen d l statt d, so 1st d * = *!-[-. In der Geometrie musste nach dem Gesagten die Bestimmung von Flacheninhalten zu den Hauptsachen gehoren. Bei den Agyptern wie bei mehreren anderen Volkern war es nicht ungewohnlich, den Flacheninhalt eines Vierecks mit den Seiten a, b, c und d nach der unrichtigen Formel a -|- c b + d 2 2 zu berechnen, und den Inhalt eines Dreiecks mit den Seiten a, a und b nach der darin enthaltenen Grenzformel b a -; aber diese Formeln liefern keine iible Annaherung, sobald die Winkel des Vierecks oder die Winkel an der Drei- ecksseite b sich nur wenig von einem Rechten unter- scheiden. Der Ausdruck fiir den Inhalt liefert dann nur einen Fehler, den wir von zweiter Ordnung nennen. Wenn auch die Aufstellung dieser Formeln zur Anwendung auf andere Falle hat verleiten konnen, so haben doch die Agypter - - so weit man aus der Grosse der Seiten in den vorgefundenen Beispielen mit einiger Sicherkeit schliess^i kann -- sie vorzugsweise da angewandt, wo sie eine gute Annaherung geben. Dje Nachahmer der Agypter, die romischen Landmesser, kamen dagegen auf die Idee, sie auf gleichBeitige Dreiecke anzuwenden, obgleich sie bessere Berechnungsmethoden fiir diese besassen. Den Inhalt eines Kreises mit dem Durchmesser d berechneten 12 Einleitung: / 8 \ 2 die Agypter nach der Formel ( d j , was desselbe 1st, als wenn man jz = ( j , also gleich 3,16 setzt. Die benutzten Formeln zeigen, dass die Agypter ebenso wie wir als Flacheneinheit das Quadrat mit der Langenein- heit als Seite benutzt haben. Die Konstruktion von rech- ten Winkeln im Felde scheinl durch Konstruktion eines Dreiecks mit den Seiten 3, 4 und 5 geschehen zu sein. Bei der Konstruktion der Pyramiden, oder wenigstens bei der Bestimmuiig ihrer Dimensionen scheint man die Grosse des Verhaltnisses zwischen der halben Diagonale der Grundflache und einer Seitenkante benutzt zu haben, also das, was wir den co sinus des Winkels nennen, den die Seitenkante mit der Grundflache bildet. Wenn ubri- gens noch Demokrit zu einer Zeit, wo die griechische Geometric eine keineswegs geringe Entwickelung erfahren hatte, als Zeichen fur seine eigene Fertigkeit in geometri- schen Konstruktionen anfiihren kann, dass er darin nicht einrnal iibertroffen werde von den agyptischen Harpedo- napten (Seilspannern), d. h. von den Mannern, die unter Beobachtung feierlicher Gebrauche dafiir zu sorgen hatten, dass die Grundrisse der Tempel richtig zur Sonne lagen, so kann die Tiichtigkeit dieser Manner sich nicht auf die Anwendung so einfacher Konstruktionen, wie die von uns genannten es sind, beschrankt haben. Wahrend die Griechen namentlich von den Agyptern Impulse erhielten zur Bildung der Geometric, desjenigen Teiles der Mathematik, den sie zur grossten Vollkommen- heit entwickelten, so waren die Babylonier ihre Lehr- meister in Astronomic und in der Ausfiihrung der dazu gehorigen Berechnungen. Von daher schreibt sich die noch heute gebrauchliche Teilung des Kreises in Grade, Minuten und Sekunden nach dem Sexagesimalsystem. 2. Agypter und Babylonier. 13 Die Teilung in 360 (= 2 3 . 3 2 . 5) hangt vielleicht damit zusammen, dass das Jahr ehemals zu 360 Tagen ange- nommen wurde. Die weitere sexagesimale Teilung kann teils hiervon abhangig sein, teils kann sie auf der Er- kenntnis der Vorteile beruhen, die ein Zahlensystem ge- wahren muss, in dem die Grundzahl 2 2 . 3 . 5, wegen ihrer Zusammensetzung aus den niedrigsten Primzahlen, einen sehr grossen Teil der niedrigeren Zahlen als Fak- toren enthalt. Zeugnisse fiir die konsequente Benutzung dieses Zahlensystemes hat man in Inschriften gefunden, die Tabellen enthalten iiber die Quadratzahlen bis 60 2 und die Kubikzahlen bis 32 3 , geschrieben nach diesem System. Diese Inschriften sind einige Tausend Jahre alt. Es ist auch wahrscheinlich, dass verschiedene von den Zahlenspekulationen , die mehrere Untersuchungen der Griechen iiber ganze Zahlen nach sich gezogen haben, urspriinglich der Zahlenmystik der Chaldaer und Baby lonier ihren Ursprung verdanken. Die griechische Mathematik. 1. Historischer Oberblick, Da wir bei unserer Besprechung der griechischen Mathematik oft die Behandlung einzelner Gegenstande durch lange Zeitraume hindurch verfolgen rniissen, so wird es niitzlich sein, im voraus einen historischen tJber- blick zu geben, in dem wir teils die zeitliche Reihenfolge, in der die einzelnen Entwickelungsstufen hervortreten und die verschiedenen Mathematiker thatig waren, auseinander- setzen, teils die Verbal tnisse beleuchten, unter denen die Mathematiker ihre Wirksamkeit iibten. Ein Mittelpunkt in der griechischen Mathematik wird von Euklid gebildet, der etwa 300 Jahre v. Chr. lebte. In seinen sogenannten Elementen besitzen wir ein Lehrbuch der Geometric, das noch an einzelnen Stellen als solches benutzt wird, und das das elementar-geo- metrische Lehrgebaude enthalt, dessen Hauptprincipien iiberall unter verschiedenen Formen dem Unterrichte noch heutigen Tages zu Grande gelegt werden. In diesem Werke mussen wir auf der einen Seite Aufklarung iiber die zerstreuten Angaben suchen, die wir iiber die altere griechische Mathematik besitzen ; denn diese beziehen sich im wesentlichen auf die Entstehung der euklidischen Geometrie. Auf der anderen Seite muss dieses Werk die 1. Historischer Uberblick. 15 Grundlage fur unser Verstandnis der spateren Schriftsteller bilden; denn es war die Grundlage, auf der diese selber welter bauten. Auch in ausserer historischer Beziehung bildet Euklid einen Mittelpunkt. Er war namlich der erste grosse Mathematiker der sogenannten alexandrini- schen Schule, und wirkte unter ganz anderen Umstanden als seine Vorganger. Die voreuklidische EntwickelungderMathematik erstreckt sich liber die drei vorhergehenden Jahrhunderte mid hat in jedem von diesen einen etwas verschiedenen Charakter. Der erste griechische Mathematiker war Thales von Mi let, der die Sonnenfinsternis vom 28sten Mai 585 vorhersagte. Hierzu muss er Regeln benutzt haben, die direkt von den Agyptern herriihrten und sich auf lang- jahrige Beobachtungen dieser stiitzen. Von den Agyptern stammen gewiss auch die meisten seiner mathematischen Kentnisse. Die Hauptsache ist jedoch, dass die Griechen init ihm und der von ihm gestifteten philosophischen Schule, der sogenannten jonischen, anfingen nicht nur das mathematische Wissen zu sammeln, was sie von den Agyptern erhalten konnten, sondern auch dies Wissen nach verschiedenen Richtungen hin zu erweitern. Diese Arbeit des sechsten Jahrhunderts nahm ihren Anfang auf der kleinasiatischen Kiiste, aber durch die lebhaften Handelsverbindungen der Griechen wurde sie auch nach anderen Gegenden, wo die Griechen ansassig waren, ver- pflanzt. Wir sehen deshalb auch an einem ganz anderen Orte, namlich in Siiditalien, den Hauptheerd fur die Ent- wickelung der Mathematik im fiinften Jahrhundert. In diesem hatte man erkannt, dass die nach und nach gesammelten und gefundenen mathematischen Wahrheiten auf sicheren Grand lagen aufzubauen seien, und gleich- 16 Die griechische Mathematik: zeitig mit der Entwickelung dieser benutzte man die mittler- weile sicher gestellten Resultate als Ausgangspunkte fur neue und wichtige Erweiterungen. Der Mann, dem wenigstens die Tradition den grossten Einfluss auf diese Arbeit zuschreibt, ist Pythagoras von Sam os, den wir deshalb beim fiinften Jahrhundert be- sprechen, wenn auch seine eigene Wirksamkeit wohl zum Teil vor das Jahr 500 fallt. In Grossgriechenland>;, wie die damals reich bliihenden griechischen Kolonien in Suditalien genannt wurden, stiftete er eine philosophische Schule, die sich stark nach aussen hin abschloss und sich, wie es scheint, durch mystische Ceremonien und Geheimhaltung ihrer Lehren in dieser Abgeschlossenheit zu erhalten suchte. Diese aristokratische Schule suchte sich auch politisch gel tend zu machen, erregte aber den Unwillen aussen stehender und wurde gesprengt, als die Demokraten in Grossgriechenland die Gewalt an sich rissen. Da in weit spaterer Zeit die sogenannten Neu- pythagoreer meinten, dass ihre Lehren, die zum Teil von religios-ethischer Art waren, auf Pythagoras zuriick- zufiihren seien, so umgaben sie diesen ihren vermeint- lichen geistigen Vater mit so vielen legendenhaften Er- zahlungen, dass es schwierig ist, den wahren Kern darin zu finden. Was von diesen Erzahlungen Interesse fiir uns haben kann, das sind die Berichte iiber seine Reisen nach Agypten, wo er recht wohl gewesen sein kann, ebenso wie spater Plato und Eudoxus, und der Bericht iiber eine sehr zweifelhafte Reise nach Babylon. Von Bedeutung fiir die Entwicklung der Mathematik ist die grosse Abgeschlossenheit dieser Schule gewesen, denn diese veranlasste das wirksame Zusammenarbeiten von Mannern, die sich gegenseitig verstanden, tragt aber auch andererseits die Schuld dafur, das wir so wenig dariiber wissen, was dem Meister gehort, und was den Schiilern. 1. Historischer Uberblick. 17 Die Sprengung der Schule war die Veranlassung, dass wenigstens ihre mathematischen Lehren spater iiber die verschiedenen Gegenden ausgebreitet warden, in denen das griechische Volk sich niedergelassen hatte. An anderen Orten haben diese Lehren sich aber gewiss vereinigt mit den Friichten der Arbeit, die von anderen auf philosophischem oder mathematischem Gebiete ausgefiihrt worden war. Es ist deshalb nicht leicht zu entscheiden, wie viel oder wie wenig von seiner Mathe- matik ein so selbstandiger Denker wie der Philosoph Demokrit von Abdera (um 460 v. Chr.) von den Py- thagoreern gelernt hat. Der etwas altere Hippok rates von Chios, der sich, nachdem er Kaufmann gewesen war mid sein Vermogen verloren hatte, in Athen aufhielt und dort Unterricht in der Mathematik erteilte, kann vielleicht verschiedenes von den Pythagoreern gelernt haben, gehorte aber keinenfalls ihrer Schule an. Er erhalt eine besondere Bedeutung dadurch, dass wir ihm ein zusammenhangendes Stiick Geometric verclanken, die einzige derartige Probe, die aus dem 5ten Jahrhundert erhalten geblieben ist, und ferner dadurch, dass er in Athen wirkte, derjenigen Stadt, die schon damals im Begriffe stand der Mittel- punkt zu werden fiir das griechische Geistesleben, fiir griechische Kunst und Wissenschaft, und fiir den Kampf zwischen Sophisten - unter denen z. B. Hippias von Elis ein tiichtiger Mathematiker war und Philosophen, und die im folgenden Jahrhundert auch der Hauptsitz fiir die mathematische Entwickelung wurde. In Siiditalien nahm unterdessen die Entwickelung pythagoreischer Leh ren ihren Fortgang, und ein bedeutender Mathematiker, Archytas von Tarent, den wir dort gerade am Schlusse des 5ten Jahrhunderts antreffen, wird ausdrucklich als der letzte bedeutende Pythagoreer bezeichnet; er lebte in 2 18 Die griechische Mathematik: seiner Geburtsstadt, wo er sowohl als Staatsmann, wie als Heerfiihrer und Mathematiker angesehen Avar. Durch Archytas 1st die durch die alte pythagoreische Schule und ihre nachsten Nachfolger gewonnene Ent- wickelung weiter getragen zu denjenigen, die namentlich die mathematische Arbeit des 4ten Jahrhunderts leiten sollten, namlich zu Plato von Athen und Eudoxus von Knidos, denn beide wurden auf ihren Studienreisen nach Suditalien mit Archytas bekannt und wurden von ihm beeinflusst. Bevor ich auf diese bei den Manner und ihre Schulen genauer eingehe, will ich, im Anschluss an meine Bemerkungen uber die beiden vorhergehenden Jahrhunderte, im allgemeinen iiber das 4te Jahrhundert bemerken, dass es damals klar geworden war, dass voile Genauigkeit erst erreicht werden konne durch Bildung eines zusammenhangenden Systems. Teils durch wieder- holte Versuche solche Systeme zu bilden, teils durch Ent- wickelung der notwendigen Methoden und durch Erweite- rung und Verbesserung des Stoffes brachte man die ele- mentare Geometric auf den Standpunkt, den wir bei Euklid finden. Gleichzeitig hatte man begonnen eine hohere Geometric zu entwickeln, in der die Lehre von den Kegel- schnitten zur grossten Bedeutung gelangte. Plato (429 348) ist der bekannte grosse Philosoph, der Schiller des Sok rates und Stifter der Schule, die nach der Stelle in Athen, wo sie sich um Plato schaarte, die Akademie genannt wurde. Plato s Interesse fur die Mathematik schreibt sich nicht von Sokrates her, denn dieser wollte die Mathematik auf praktische Anwendungen beschrankt wissen. Aber Sokrates war auch nicht sein einziger Lehrer, und nach dessen Tode fand er Gelegen- heit erst in Kyrene und dann in Siiditalien sich in die Mathematik und Philosophic der Pythagoreer hineinzu- versetzen. In Kyrene studierte er Mathematik bei dem- 1. Historischer Uberblick. 19 selben Lehrer wie ein anderer Athener, der bedeutende Mathematiker Theatet, nach dem er einen seiner Dia- loge benannt hat; vielleicht waren er und Theatet gleich- zeitig in Kyrene. In Sicilien schlo&s er Freundschaft mit Archytas; auch Agypten besuchte er. Wenn wir das richtig erfassen wollen, worin Plato s Einfluss auf die Entwickelung der Mathematik bestanden hat, so begegnen wir denselben Schwierigkeiten wie bei Pythagoras. Wie die Neu-Pythagoreer dem Pytha goras, so haben die Neu-Akademiker dem Plato in ihren Berichten gern die Ehre fiir das denkbar mogliche zuerteilen wollen. Selbst diese schreiben ihm jedoch nicht personliche mathematische Untersuchungen von weiterer Bedeutung zu, sondern zeigen sich vielmehr geneigt ihm die Ehre fiir die Methoden, die zu seiner Zeit in Gebrauch kamen, zuzuerkennen, und ihn den Ratgeber derjenigen sein zu lassen, die die eigentlichen mathematischen Fort- schritte machten. Haben diese Angaben auch nicht viel Wahrscheinlichkeit fiir sich, so war es doch auf alle Falle von der grossten Bedeutung fiir den Fortschritt der Mathematik, dass derjenige von denSchiilern desSokrates, der vor alien andern Trager der geistigen Entwickelung wurde und lernbegierige Menschen aus den Landern und Rolonien der Griechen nach Athen zog, dass dieser grosses Interesse fiir die Mathematik und ihre weitere Entwicke lung besass. 1st es auch nur eine Legende, dass er liber den Eingang zur Akademie schreiben Hess: jurjdels ayeo- juTQr)Tos elohco, d. h. Keiner, der nicht Geometric kann, trete ein!, so geht doch aus semen eigenen Arbeiten hervor, dass er eine gewisse geometrische Vorbildung als Voraussetzung fiir das Eindringen in die Philosophic betrachtete. So ist der Gebrauch, der in einem seiner Dialoge von den fiinf regelmassigen Korpern gemacht 20 Die griechische Mathematik: wird, die Ursache gewesen, dass diese den Namen pla- tonische K6rper erhalten haben. Auch der nachste grosse Philosoph, Aristoteles, der sich viel mit Naturwissenschaften beschaftigt hat, legt Interesse fiir Mathematik an den Tag, ohne jedoch an irgend einer Stelle eine besonders hervortretende mathe- matische Einsicht zu verraten. Die Stellung beider Manner zu diesem Fache war derartig, dass die Mathematiker Platz iinden konnten in den wissenschaftlichen Gesell- schaften der damaligen Zeit, der akademischen Schule Plato s und der peripatetischen des Aristoteles, dass sie in diesen mit andern Forschern zusammen arbeiten und bei ihnen Verstandnis finden konnten, und dass Mathematik und Philosophic gegenseitig Impulse geben und empfangen konnten, sowohl durch friedliche Ver- handlungen, als auch durch Zwistigkeiten. Teils wurde die Mathematik dadurch ein Glied in der hoheren grie- chischen Bildung, teils lasst die Gestalt, die sie eben in dieser Zeit gewann, aufs deutlichste erkennen, dass sie sich ausgebildet hat in Kreisen fein gebildeter und mit Riicksicht auf die Korrektheit des Ausdrucks anspruehs- voller Denker. Von mehr direkter Becleutung fiir die Entwickelung der Mathematik als diese beriihmten philosophischen Schulen war jedoch eine mathematisch-naturwissenschaft- liche Schule, die sich zu Plato s Zeit in der bliihenden Handelsstadt Kyzikos am Marmorameere urn den als Arzt, Astronom und Mathematiker hoch angesehenen Eudoxus von Knidos sammelte. Als junger Mann hatte er sowohl Suditalien als Agypten besucht. An der letzten Stelle war zu damaliger Zeit fiir eineii griechischen Mathe matiker kaum noch ( twas in der Geometrie zu lemcn. Dagegen sind dem Eudoxus als Astronomen die uralten Beobachtungen der A<iy])ter selir zu Statten gekommen. 1. Historischer Uberblick. 21 >iese hat er denn anch zu benutzen verstanden ; ihm ge- ihrt namlich das Verdienst, die Astronomie allein auf iobachtungen und geometrische Untersuchungen gegriindet haben mit Ausschluss der Sterndeuterei und leerer )ekulationen. In Siiditalien studierte er Medicin und reometrie, die letzte namentlich bei Archytas. Die Verbindung beider Stifter mit den Pythagoreern 1st gewiss eine gute Vorbedingung gewesen fiir das Zu- sammenarbeiten der Schulen, die sich an Plato und Eudoxus anschlossen, ein Zusammenarbeiten, dass ge- legentlich auch die Form von Streitigkeiten annabm. Der Verkehr zwischen den beideii Schulen in Athen und Kyzikos wurde nicht nur hergestellt auf den zufalligen Wegen, zu denen der lebhafte Handel zwischen den beiden Stadten Veranlassung geben konnte, sondern Eudoxus hat Athen besucht zusammen mit seinen Schiilern, die dann Platos Vortrage gehort haben; mehrere von ihnen sollen sich in der Philosophic an Plato angeschlossen haben. Die am meisten bekannten Schiiler von Eudoxus waren die Briider Menachmus und Diiio stratus. Von diesen soil Menachmus in philosophischem Anschluss an Plato tiber den Staat geschrieben haben. Welche Resultate nun in den drei hier besprochenen Jahrhunderten erreicht waren, und welche Formen sich fur Beweise und Darstellung entwickelt batten, das lasst sich recht gut erkennen aus dem, was beim Beginn der nun folgenden alexandrinischen Schule vorhanden war, ferner aus den Satzen, die Plato in seinen Dialogen be- nutzt, und aus der Betrachtung der von Ar is to teles aufgestellten logischen Formen. Das Material, worauf diese letzteren sich in der einfachsten und genauesten Weise haben anwenden lassen, ist namlich die Mathematik selber. Sie haben sich dann sicher auch eben durch den Gebrauch entwickelt, den die Mathematiker davon machten, 22 Die griechische Mathematik: uncl sie haben omen Teil der Ausbeute enthalten, die die Philosophic aus dem bier geschilderten Zusammenarbeiten niit der Mathematik davongetragen hat. Wenn wir im Folgenden den Standpunkt, der erreicht worden war, nicht nur als vollendete Thatsache schildern, sondern zugleich auch dariiber Recbenschaft ablegen, was den Einzelnen zu verdanken 1st und wie sich die Ideen nach und nach niit einander verkiipft haben, so stiitzen wir uns dabei teils auf die bei den spateren Schriftstellern zerstreuten Ausserungen hieriiber, teils auf einen Geschichtsschreiber der Mathematik aus dem Schlusse der hier erwahnten Periode, den Peripatetiker Eudemus von Rhodus. Wir besitzen allerdings auch sein Werk nicht, wohl sind aber einzelne wichtige Ausziige daraus bei spateren Schrift stellern aufbewahrt worden. Durch ihn, also durch dritte Hand, sind wir niit dem oben erwahnteri Bruckstiicke des Hippok rates von Chios bekannt gew^orden. Es ist ein etwas unruhiges Bild, das die Betrachtung der verflossenen drei Jahrhundert in uns hervorgerufen hat. Die Mathematik nimmt ihren Anfang an der Kiiste Kleinasiens. Darauf lenkt ihre Entwickelung in Siid- italien besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich. Dann zieht Athen durch seine ganze geistige Uberlegenheit auch die Mathematiker an sich. Sicher ist auch dauernd an anderen Orten gearbeitet worden, wie in Siiditalien, wo anderthalb Jahrhunderte nach Archytas den Griechen ihr grosster Mathematiker in Archimedes erstehen sollte; aber aus der ganzen geistigen Oberherrschaft Athens folgte auch, dass die Arbeiten der in Athen lebenden Mathe matiker am wenigsten vergessen wurden. Die grosse Ver- breitung des mathematischen Stadiums wahrend der hier erwahnten Zeit hat ihren Grand teils in den lebhaften Handelsverbindungen, die zwischen den zerstreuten Grie chen bestanden, teils in den vielen Kriegen und politischen 1. Historischer Dberblick. 23 Jnruhen, durch die hervorragende Manner von einem Ort zum andern getrieben wurden. Unter ahnlichen Un- ruhen haben auch die gewirkt, die an derselben Stelle haben bleiben konnen, wie namentlich in Athen. Gleich- zeitig werden die Mathematiker allerlei geistige Kampfe zu bestehen gehabt haben, sowohl unter sich als auch mit Sophisten und Philosophen. Unter solchen Umstanden gewann die Mathematik nicht nur so grosse Verbreitung iiber manche Gegenden und zu alien wissenschaftlichen Forschern, sondern sie um- gab sich auch mit dem sicheren Riistzeug in Beweisfuh- rung und Darstellungsform, das wir heute noch so hoch bewundern. Ja in der Beweisfiihrung konnen wir in der Regel nichts besseres thun als sie nachzuahmen ; mit Bezug auf die Darstellungsform miissen wir jedoch sagen, dass die Sicherheit in dem Grade auf Kosten der Zuganglichkeit gewonnen war, dass sie spaterhin mit Schuld daran wurde, dass der erreichte hohe Standpunkt nicht bewahrt werden konnte, als die miindliche Tradition verloren ging, und dass das voile Verstandnis fiir den Tiefsinn der griechischen Mathematiker erst in der neueren Zeit hat wiedererworben werden konnen, wo die Mathematik, wenn auch immer in etwas von der griechischen Mathematik beeinflusst, sich allmahlich wieder auf den von den Griechen be- handelten Gebieten zu derselben Hohe erhoben hat. Der erwahnte Niedergang der Mathematik begann jedoch keineswegs, wie es mit der Dichtkunst, der Be- redsamkeit und anderen Kiinsten, sowie mit der Philo sophic der Fall gewesen war, damals, als die ausseren Verhaltnisse sich so wesentlich nach Alexanders der Grossen Tode anderten, im Gegenteil, damals trat die reichste Bliite der Mathematik ein. Wie bekannt iiber- nahrn bei der Teilung des Reiches Ptolemaus, der Sohn des Lagus, Agypten mit der neu angelegten Stadt Alex- 24 Die griechische Mathematik: andria, und er und seine Nachfolger machten diese nicht nur zu dem wichtigsten Handelscentrum, sondern auch zu einem wissenschaftlichen Mittelpunkte ersten Ranges. Unter ihm und seinen nachsten Nachfolgern, die auch den Narnen Ptolemaus fiihrten, wurde das Museum gegnindet, in dem gelehrte Manner ohne Sorge fur ihren Unterhalt der Wissenschaft leben konnten. Die Ptoleniaer griindeten und vermehrten die alexandrinische Bibliothek, in der nach und nach Abschriften von alien bedeutenden griechischen Arbeiten, die sich auftreiben liessen, gesammelt wurden. Wie an einer modernen Uni- versitat versammelten sich die wissbegierigen griechischen Jiinglinge in Alexandria und nahmen Unterricht bei den dortigen Forschern, namentlich in Grammatik und Mathe matik. Diese Verhaltnisse konnten nur niitzlich sein fiir die Mathematik, die der Ruhe bedurfte, teils urn die vielen gewonnenen aber zerstreuten Resultate in festen System en zu vereinigen, teils urn die bereits gewonnenen frucht- baren Methoden der Betrachtung dazu zu benutzen, sich auf noch grossere Hohen zu erheben als bisher erreicht waren. Ruhe war erforderlich fur den fortgesetzten miindlichen Unterricht, denn ohne diesen wiirde die Form, wodurch die Zuverlassigkeit gewahrleistet wurde, grossere schriftliche Darstellungen nur wenig zuganglich gemacht haben. Da die Mathematik nunmehr zu einer selbstan- digen Wissenschaft herangewachsen war, so bedurfte man ferner Mathematiker von Fach, die nicht notig batten bestandig mit den Philosophen liber ihr Fach zu ver- handeln und selbst Philosophic zu treiben. Eine der- artige Verteilung der Facher bei den alexandrinischen Gelehrten verhinderte jedoch nicht, dass ein und der- selbe Mann in mehreren Fachern thatig war. Das war z. B. der Fall mit Eratosthenes von Kyrene, der in 1. Historischer Uberblick. 25 der letzten Halfte des 3ten Jahrhunderts wirkte und eine Zeitlang der alexandrinischen Bibliothek vorstand. Ausser mit Philosophic und Sprachwissenschaft beschaftigte er sich mit Geographic - - ja mit hoherer Geodasie, in so- fern er die erste Gradmessung vornahm - - sowie mit Chronologie und Mathematik. Die Ruhe, die den Mathe- matikern in Alexandria gegonnt wurde, mochte jedoch auch ihre Gefahren mit sich bringen, z. B. was Selbst- vergotterung und Kameraderien betraf, und man darf es deshalb nicht beklagen, dass Archimedes, der grosste Mathematiker der alexandrinischen Zeit, nicht in Alex andria lebte, sondern in Syrakus. Von da aus sandte er nach und nach sowohl seine fertigen Arbeiten wie vorlaufige Resultate nach Alexandria, und da gewisse hier lebende Mathematiker sich einige der letzteren dadurch aneignen wollten, dass sie sie hinterher bewiesen, so fiihrte er sie einmal dadurch an, dass er ihnen einige unrichtige Resultate iibersandte - - denn auch diese be wiesen sie. Archimedes Aufenthalt ausserhalb Alex andria hat iibrigens clen fiir unsere Kenntnis seiner Werke niitzlichen Umstand im Gefolge gehabt, dass er vieles schriftlich hat abfassen rniissen, wahrend er sich in Alex andria damit begniigt haben wiirde, es seinen Umgangs- genossen und Schulern mlindlich mitzuteilen, oder es doch nur auf eine fiir diese bestimmte Form zu bringen. Diejenigen Mathematiker aus dieser Periode, die uns bedeutende rein mathematische (geometrische) Werke hinterlassen haben, und die sicher auch die librigen tuch- tigen Mathematiker der damaligen Zeit bedeutend iiber- ragten, sind Euklid, etwa 800 v. Chr., Archimedes, t 212, und Apollonius, etwa 200 v. Chr. Von Euklid, von dessen personlichem Leben in Alexandria man nicht viel weiss, besitzen wir ausser seinen bereits genannten Elementen auch eine andere elementare 26 Die griechische Mathematik: Schrift, die gewohnlich mit dem lateinischen Namt>n Data bezeichnet wird. Teilweise wcnigstens kennt man eine Schrift iiber die Teilung der Figure n, eine astro- nomische Schrift, Phaenomena, und eine Optik, die die alloresten Elemente der Perspektive behandelt. Verloren sind seine vier Biicher iiber Kegelschnitte und seine zwei Biicher iiber Oberflachenorter, ferner die Schrift iiber Por ism en und eine Schrift liber false he Schliisse. Auf den Inhalt dieser Schriften kann man schliessen aus spateren Sammlungen von Hiilfssatzen und aus Kommen- taren. So haben die Por is men mehrere von den Satzen iiber Transversalen und Punktreihen enthalten, die jetzt in der projektivischen Geometric behandelt werden. Archimedes lebte in Syrakus, wo er ein sehr angesehener Mann war, ein Freund des Konigs Hiero. Bei der Einnahme von Syrakus durch die Romer fand er seinen Tod, nachdem er sein mechanisches Wissen auf verschiedene Weise bei Verteidigung der Stadt angewandt hatte. Sicherlich hat er seinerzeit Alexandria besucht und Verbindungen mit den Mannern angeknupft, clenen er spater seine Schriften sandte. Von diesen sind fol- gende erhalten: Uber Kugel und Cylinder; Messung des Kreises; Uber Konoide und Sphaeroide; Uber Spiralen; Uber das Gleichgewicht ebener Figuren; Sandrechnung; Quadratur der Parabel und Uber Korper, die auf einer Fliissigkeit schwimmen, die letzte jedoch nur in lateinischer tlbersetzung. Durch spatere griechische Schriftsteller und durch arabische Uberlieferung besitzen wir ferner einige Bruchstiicke, von denen wir eine Arbeit iiber halbregelmassige Korper und eine Reihe geometrischer Satze, Die Archimedischen Hiilfs- satze, nennen wollen. Die Hiilfssiitze sind vielleicht jedoch zum Teil neueren Ursprungs. Apollo n ius von Perga ist sicher in Alexandria 1. Historischer Uberblick. 27 Ithatig gewesen. Von ihm sind sieben von den acht Bii- chern erhalten, die er iiber die Kegelschnitte geschrieben hat; die vier ersten hat man auf griechisch, die drei folgenden kennt man durch eine arabische Ubersetzung. Auf dieselbe Weise ist uns eine Schrift iiber den Ver- haltnisschnitt erhalten, wahrend wir nur durch spatere Mitteilungen Kenntnis haben von den Schriften iiber den bestimmten Schnitt, den Flachenschnitt, iiber Be- riihrungen und Einschiebungen. Apollonius scheint auch wesentlich zur Anwendung der Mathematik auf die Astronomie beigetragen zu haben. Unter der Zeitgenossen, den nachsten Vorgangern und Nachfolgern der drei grossen Mathematiker wollen wir erwahnen: Aristaus, der etwas alter als Euklid war und verloren gegangene Arbeiten iiber raumliche Orter und regulare Polyeder geschrieben hat, ferner den schon erwahnten Eratosthenes, Nikomedes, der zwi- schen Archimedes und Apollonius lebte, sowie Dio- kles, Perseus und Hypsikles. Der letzte hat ein Buch iiber regulare Polyeder geschrieben, das in die ge- wohnlichen Ausgaben des Euklid als 14tes Buch auf- genommen zu sein pflegt. Was die iibrigen betrifft, so kennen wir von ihnen nur durch Erwahnung bei spateren Schiftstellern einige verlorene Schriften oder einzelne Re- sultate. Auch nach der hier geschilderten Zeit treifen wir auf bedeutungsvolle Fortschritte in einzelnen Richtungen der griechischen Mathematik, und zwar zunachst in solchen, die Anwendung auf die Astronomie finden. Obgleich wir uns nicht auf eine Geschichte der Astronomie ein- lassen konnen, so wollen wir hier doch einen Uberblick geben iiber diejenigen astronomischen Schriftsteller aus verschiedenen Zeiten des griechischen Altertums, deren 28 Die griechische Mathematik: Arbeiten eine solche Bedeutung fiir die Mathematik er- halten haben, dass wir sie genauer erwahnen miissen. Wir haben bereits gesagt, dass Eudoxus, dem die Mathematik die tiefsinnigsten Methoden verdankt, auch eine griechische, wissenschaftliche Astronomie begriindete. Diese erfuhr jedoch bald eine Beeinflussung von aussen her, denn der Eroberungszug Alexanders des Grossen machte die Griechen mit der alten chaldaischen Astrono mie bekannt. Die grossen alexandrinischen Mathematiker waren, wie schon erwahnt, zugleich Astronomen. Zwischen diese, und zwar zwischen Euklid und Eratosthenes, haben wir A ri starch von Samos (etwa 270 v. Chr.) ein- zuschieben, der bereits diejenige Hypothese iiber das Welt- system aufgestellt hatte, die anderthalb Jahrtausende spater von Koppernikus bewiesen wurde. Die Arbeiten des Eratosthenes in der mathematischen Geographic mussten sich unter anderem als niUzlich erweisen fiir die Reduk- tion der Beobachtungen, die von chaldaischen Astronomen an anderen Orten ausgefiihrt worden waren. Apollonius verdankt man gewiss nicht wenige der geometrischen Vor- aussetzungen, die den Fortschritten in Beobachtung und Berechnung zu Grunde lagen, die in der nachfolgenden Zeit von den griechischen Astronomen welter entwickelt wurden. Seine nachsten Nachfolger waren wohl noch in Alexandria thatig, aber der Mann, der die hochste Stelle unter den griechischen Astronomen eingenommen hat, Hipparch von Nikaa (etwa 150 v. Chr.), beobachtete auf Rhodus. Er benutzte unter anderem die uralten chaldaischen Beobachtungen in erschopfender Weise, und ungefahr von seiner Zeit an hat sich morgenlandischer Einfluss auch ausserlich gezeigt durch Teilung des Kreises in 360 und durch allgemeine Benutzung des Sexagesimal- systemes bei astronomischen und trigono.metrischen Be- rechnungen. Unter den spateren Astronomen ist in der 1. Historischer Uberblick. 29 Geschichte der Mathematik Menelaus von Alexandria aus der letzten Halfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. zu nennen, und namentlich der ein halbes Jahrhundert jiingere Ptolemaus, durch dessen Grosse Zusammen- stellung (jueydty avvta&g), am bekanntesten unter dem entstellten arabischen Namen Almagest, wir die griechi- sche Astronomic (mit dem sogenannten ptolemaischen Weltsystem) nnd die da mit verbundene Trigonometrie am vollstandigsten kennen. Das meiste von dem, was sich bei ihm findet, riihrt namlich von alteren Astronomen her, besonders von Hipp arch, von dem keine Schrift erhalten geblieben 1st. Wahrend die Anwendung auf Astronomic auch nach der Zeit der grossen Mathematiker eine fordernde Riick- wirkung auf die eigene fernere Entwickelung der Mathe matik ausgeiibt hat, so ist das nicht in irgendwie hervor- tretender Weise mit der Anwendung auf Landmessung und praktische Mechanik der Fall gewesen. Die theo- retische Grundlage fur das Landmessen war bereits in der griechischen Geometric vorhanden, und das, was von theoretischer Mechanik aus dem Altertum herruhrt, ist am klarsten und vollstandigsten von Archimedes ent- wickelt worden. Dass dieser und seine Zeitgenossen zu- gleich bedeutende praktische Anwendung von der Mecha nik gemacht haben, wissen wir aus spateren Berichten, und dass die griechische Geometric von Anfang an An wendung auf das Landmessen gefunden hat, das geht sowohl aus ihrem agyptischen Ursprunge wie aus ihrem Namen hervor. Dieser bedeutet namlich geradezu Land messung, wenn auch das praktische Landmessen bereits zu Aristoteles Zeiten den besonderen Namen Geodasie fiihrte. Zugleich wurde das Landmessen sowohl wie die Logistik oder Rechenkunst von den eigentlichen Geo- metern als un wissen schaftlich bei Seite gelassen. Des- 30 Die griechische Mathematik. halb wird in Euklids Elementen ebenso wenig Riicksicht genommen auf das Landmessen wie auf andere Anwen- dungen der Mathematik, die zu numerischen Bestimmungen fuhren. Eine bedauerliche Folge hiervon ist die, dass wir keine direkte Kenntnis davon haben, wie man es in den besten Tagen der griechischen Mathematik verstand, die Ausbeute dieser Wissenschaft praktisch zu verwerten. Auskunft hieriiber miissen wir, ausser bei den astronomi- schen, bei noch spateren Schriftstellern suchen. Unter diesen ist besonders Hero von Alexandrien zu nennen, dessen Lebenszeit man bis jetzt kurz nach der besten alexandrinischen Zeit gesetzt hatte, der aber nach den neuesten Forschungen fruhestens im 2ten Jahrhundert n. Chr. gelebt zu haben scheint. Seine Arbeiten, in denen rich- tige griechische Methoden und Formeln neben agyptischen Naherungsformeln von verschiedenem Werte vorkommen, haben eine wichtige Rolle gespielt als Anleitung zum Feldrnessen und zu anderen praktischen Anwendungen der Geometrie wahrend der langen Zeitraume, wo man nicht verstand in die exakte griechische Geometrie ein- zudringen oder sie iiberhaupt nicht kannte. Was sie da- fur namentlich geschickt macht, ist der Umstand, dass sie zahlreiche numerische Aufgaben behandeln. Eben hierauf beruht auch Hero s Bedeutung fur die Geschichte der Mathematik, da er uns doch zu einer leidlichen Vor- stellung davon verhilft, w 7 ie weit und auf welche Weise die Zahlenrechnungen, zu denen die wissenschaftlichen Resultate der griechischen Geometrie fiihren miissen, wirk- lich ausgefiihrt worden sind. Schade nur, dass man so wenig dariiber weiss, in welchem Umfange die bei Hero vorgefundenen Methoden des Rechnens in Gebrauch ge- wesen sind, als die griechische Geometrie sich auf ihrer hochsten Hohe befand, und in welchem Umfange sie erst 1. Historischer Uberblick. 31 durch die auch nach jener Zeit dauernd von ihnen ge- machte Anwendung entwickelt worden sind. Die Entwickelung derjenigen Seiten der griechischen Mathematik, denen sie ihre eigentliche Grosse verdankt, war indessen schon vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zum Stillstand gekommen. Um die Grande hierfur zu verstehen, die in der eigenen Beschaffenheit der griechischen Mathematik lagen, miissen wir diese selbst zuerst kennen lernen. Hier konnen wir nur hervorheben, dass die giin- stigen ausseren Verhaltnisse, unter denen im ersten Teile der alexandrinischen Periode gearbeitet worden war, auf- gehort batten. Die Gelehrten waren bereits weniger gut gestellt unter einzelnen der spateren Ptolemaer als unter den ersten Konigen dieses Namens; aber die giinstigen Verhaltnisse horten ganz auf, als die Homer in der Mitte des letzten Jahrhunderts v. Chr. Herren in Alexandria wurden, wie sie es an den meisten anderen Orten ge- worden waren, wo Griechen ansassig waren. In der Mathematik zeigten sie sich namlich keineswegs als lern- begierige Schiller der Uberwundenen. Im Laufe der Zeiten erlitt die alexandrinische Bibliothek, die dazu bestimmt gewesen war die gewonnene wissenschaftliche Ausbeute aufzubewahren, verschiedene Feuersbriinste. Wenn Alex andria nichtsdestoweniger fortfuhr der Ort zu sein, wo das Verstandnis der alten Mathematik sich am besten erhielt, gelegentlich auch starker aufleuchtete, so hangt das sicher- lich damit zusammen, dass dies immer noch der Ort war, wo die meisten Arbeiten aufbewahrt wurden. So lebte dort Pappus am Ende des 3ten Jahrhunderts n. Chr.; er war gewiss kein grosser Mathematiker im Vergleich mit denen, die zu den Zeiten der Ptolemaer an derselben Stelle thatig gewesen waren, aber seine mathematischen Sammlungen sind von unschatzbarer Bedeutung gewor- den durch die Aufklarungen, die sie uns direkt oder 32 Die griechische Mathematik : indirekt durch Reihen von Hiilfssatzen iiber jetzt verlorene Werke der grossen griechischen Mathematiker gebracht haben. In einem einzelnen Zweige der Mathematik ist jedoch noch zu Pappus Zeit etwas Neues hervor gebracht wor- den, namlich in der Arithmetik. Aus der Zeit zwischen den grossen Mathematikern nnd Pappus besitzen wir Arbeiten von mehreren arithmetischen Schriftstellern, unter denen namentlich Nikomachus (etwa 100 n. Chr.) grossen Ansehen genoss. Er hat eine erhaltene Ein- fiihrung in die Arithmetik geschrieben. Dass er und einige andere arithmetische Schriftsteller uns etwas Neues haben bringen konnen, hat seinen Grund zunachst wohl darin, dass weitergehende arithmetische Untersuchungen nicht in den Rahmen der Arbeiten hineinpassten, die uns aus der besten Zeit aufbewahrt sind. Dagegen nehmen die Arbeiten, welche wir von Pappus Zeitgenossen Dio- phant besitzen, eine derartige Sonderstellung ein, dass wir darin eine wirkliche Erweiterung der griechischen Mathe matik erblicken mussen. Von seiner Hand ist uns das Meiste von einem grossen Werke iiber arithmetische Dinge erhalten ; ob eine kleine Schrift iiber Polygonalzahlen einen Teil dieser grosseren ausgemacht hat, wissen wir nicht. 2, Die pythagoreische Mathematik, Wenn wir uns nun dem mathematisclien Inhalt der griechischen Geometrie zuwenden und mit der altesU ii Zeit beginnen, so erfahren wir iiber das Bte Jahrhundert nur ausserordentlich wenig. Allerdings schreibt Eudemus dem Thales verschiedene Satze zu. Unter diesen kann er recht wohl den gekannt haben, dass der Peripherie- winkel auf dem Halbkrcise ein Rechter ist, einerlei ob 2. Die pythagoreische Mathematik. 33 er ihn selbst gefunden oder von den Agyptern erhalten hat; denn der Satz ergiebt sich ohne weiteres aus der leicht erkennbaren Thatsache, dass sich um ein Rechteck ein Kreis beschreiben lasst. Dagegen 1st es schwierig irgend welchen Sinn darin zu finden, werm Eudemus dem Thales den Satz zuschreibt, dass ein Kreis von einem Durchmesser halbiert wird, denn man kann kaum damit begonnen haben etwas so in die Augen fallendes zu beweisen. Eudemus kann jedoch gemeint haben, dass Thales notwendigerweise denselben Satz gekannt haben miisse, der zu Eudemus eigenen Zeiten fur not- wendig angesehen wurde, um den Satz iiber Peripherie- winkel im Halbkreise zu beweisen. Auf ahnliche Weise kann es sich mit den gleichfalls von Eudemus genann- ten Satzen verhalten, dass Scheitehvinkel oder Winkel an der Grundlinie eines gleichschenkeligen Dreiecks gleich gross sind, oder dass ein Dreieck durch eine Seite und die beiden anliegenden Winkel bestimmt 1st. Der letzte Satz namentlich erhalt erst seine Bedeutung als theoretischer Satz, wenn er in seiner naturlichen Verbindung mit ande- ren ahnlichen erscheint. Da iiber Thales Bekanntschaft mit solchen nichts mitgeteilt wird, so hangt die Sache vielleicht damit zusammen, dass die Tradition dem Tha les gewisse praktische Operationen beigelegt hat, zu deren theoretischer Begriindung dieser Satz notwendig ist. Hier- bei kann man denken an die dem Thales zugeschriebene Bestimmung des Abstandes von unzuganglichen Punkten oder Hohenmessung durch Schatten. Der Satz wurde zu- nachst darauf hindeuten, dass diese Messungen mit Hiilfe kongruenter Dreiecke ausgefiihrt worden sind. Die von den Agyptern vorgenommene Bestimmung der Neigung einer Pyramidenkante deutet darauf hin, dass sie dazu ahnliche Dreiecke zu benutzen verstanden, also welter waren als Thales; diesem fallt aber doch die Ehre zu, 3 34 Die griechische Mathematik: zuerst unter den Griechen mathematische Untersuchungen aufgenommen zu haben. Wieweit man ausserdem im (Hen Jahrhundert gekommen war, das sieht man am besten aus dem, worauf man im nachsten Jahrhundert weiter bauen konnte. Wenn die Pythagoreer beispielsweise die 5 regularen Polyeder entdeckten, so hat das jeden- falls mehr als unbedeutende, von ihren Vorgangern ent- Avickelte, geometrische Voraussetzungen erfordert. Weit mehr befriedigende Mitteilungen liegen vor uber die Mathematik der Pythagoreer. Sind diese auch nicht nur unzuverliissig mit Bezug auf das, was dem Meister an- gehort und was den Schiilern, sondern auch vielleicht geneigt den Pythagoreern vieles zuzuerkennen, was nur zu ihrer Zeit bekannt wurde, so geben sie doch demjenigen, der mit der spateren griechischen Mathematik vertraut ist, ein so zusamrnenhangendes, deutliches und verstand- liches Bild von ihrer ersten Entwicklungsstufe, von den Bestrebungen, die friih rege waren und spater so deutliche Spuren in der griechischen, ja in der spatern Mathematik iiberhaupt, hinterlassen haben, dass sie es verdienen zu- sammengestellt zu werden. Dadurch wird man die Grund- lage fiir die folgenden Arbeiten am Schlusse desselben Jahrhunderts erhalten und zugleich erreichen, deren Zweck richtig zu verstehen, und dabei wird auch die Gestalt, die man, narnentlich im folgenden Jahrhundert, der Mathe matik gab, ihre Erklarung finden. Nach dem Bericht des Eudemus haben die Pytha goreer zunachst die Geometric zu einer wirklichen \Vissenschaft erhoben, indem Pythagoras ihre Grund- lage von einem hoheren Gesichtspunkte aus betrachtete und ihre Lehrsatze rnehr immateriell und intellektuell er- forschte. Er hat ferner die irrationalen Grossen entdeckt und die Konstruktion der kosmischen Figuren (der regu laren Polyeder). Zu den specielleren Nachrichten, die 2. Die pythagoreische Mathematik. 35 r ir anderen Schriftstellern verdanken, gehort - - ausser jinigen mehr philosophischen als mathematischen Defini- tionen von Punkt, Linie, Flache und Korper - - auch die, dass die Pythagoreer die VVinkelsumme des Dreiecks kannten und die Einteilung der Ebene in (wahrscheinlich regulare) Polygone, von denen um einen Punkt herum 6 Dreiecke oder 4 Vierecke oder 3 Sechsecke liegen konn- ten. Sie sollen die sogenannte Flachenanlegung er- funden haben, worunter man, wie wir sehen werden, die Auflosung quadratischer Gleichungen in geometrischer Form verstand, und die bekannte Konstruktion eines Polygons, das einem gegebenen gleich und einem anderen ahnlich ist. Von einem Pythagoreer wird erzahlt, dass er sich des Verbrechens gegen die Schule schuldig machte, den Satz von 12 Funfecken in einer Kugel zu verraten. Endlich kann angefuhrt werden, dass als pythagoreisches Zeichen das sogenannte Pentagramm angegeben wird, ein regelmassiges Sternfiinfeck, dessen Seiten in dem umbe- schriebenen Kreise Sehnen zu Bogen von der Grosse o sind. Wahrend einzelne Falle des Satzes, der noch heu- tigen Tages der pythagoreische genannt wird, gewiss schon friiher bekannt gewesen sind, wird der allgemeine Satz den Pythagoreern zugeschrieben ; ferner eine von den Re- geln, nach denen man rationale Zahlen fiir die Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks bilden kann, namlich die Zahlen a, - und ~~ , worin a eine ungerade Zahl ( a \2 /\ 2 - J 1 und f 1 + li worin a eine geradeZahl bedeutet, dem Plato zugeschrieben werden. Es wird berichtet, dass die Pythagoreer die drei Proportionen kannten, namlieh die arithmetische , die geometrische und die harmonische, ferner die Dreiecks- 3* 36 Die griechische Mathematik: zahlen, d. h. die Summen der ersten Zahlen der natur- lichen Zahlenreihe, und dass sie sich iiberhaupt mit Diffe- renzreihen beschaftigten. Endlich wird berichtet, dass Pythagoras die Zahl zum Princip aller Dinge gemaeht habe, und dass die Pythagoreer sich mit Untersuchungen liber gewisse ganze Zahlen beschaftigt haben, wie < be- freundete Zahlen , von denen die eine gleich der Summe der Faktoren der anderen ist, und vollkommene Zahlen , die gleich der Summe ihrer eigenen Faktoren sind (wie 6 = 1 + 2+- 3). Endlich soil Pythagoras Arithmetik und Musik mit der Geometric in Verbindung gebracht haben. Wir werden ausfiihiiicher tiber mehrere von diesen Gegenstanden und ihre Bedeutung fur die griechische Mathematik sprechen, wollen aber erst kurz den Zusam- menhang zwischen ihnen nachweisen und die gute Uber- einstimmung zwischen den Angaben, die aus Quellen von verschiedenem Werte stammen. Zunachst sei auf das Bestreben hingewiesen, die Be- griffe Punkt, Lime u. s. w. klar von einander zu schei- den. Es ergiebt sich auch, dass man bereits im Besitze des Winkelbegriffs war. Hiervon hat man Anwendung gemaeht sowohl bei der Teilung der Ebene als bei der Untersuchung dariiber, welche regular en Polyeder iiber haupt moglich waren. Sicherlich war viel Arbeit zu lei- sten, bevor man zu einer so vollkommenen Bestimmung und Konstruktion auch vom Dodekaeder und Ikosaeder gelangte wie die ist, die wir bei Euklid finden; aber der erste Schritt hierzu, die Konstruktion des regelmassigen Fiinfecks, war gemaeht, und man war sichtlich stolz dar- auf, soweit gekommen zu sein. In der Konstruktion der Fiinfecks- oder Zehnecksseite haben wir bereits dasjenige Beispiel fur die geometrische Auflosung einer Glei- chung zweiten Grades, welches die grosste Rolle bei 2. Die pythagoreische Mathematik. 37 Iuklid spielt. Dass die Pythagoreer indessen bei esem einen Falle nicht stehen geblieben sind, geht nicht ir aus der allgemeinen Erwahnung der Flachenanlegung jrvor, sondern auch aus der besonderen Erwahnung des fur diese Untersuchungen, wie wir sehen vverden, so be- deutungvollen pythagoreischen Lehrsatzes und einer dafur eben so wichtigen Konstruktion. Daran hat sich denn auch die Entdeckung angeschlossen, dass Gleichun- gen zweiten Grades Veranlassung gaben zu inkommen- surablen, numerische Gleichungen zu irrationalen Gros- sen (worunter wir bestandig solche verstehen wollen, die mit der gebrauchten Einheit inkommensurabel sind). Wenn auch ein Teil ihrer zahlentheoretischen Untersu chungen eine Fortsetzung der Zahlenmystik der Babylonier gewesen sein mag, so ging doch ein anderer Teil darauf aus solche quadratische Gleichungen zu bilden, bei denen die Irrationalitat vermieden wird. Bei allgemeinen Untersuchungen lassen sich irratio- nale Grossen nun einmal nicht vermeiden. Dadurch wurden aber die bis dahin benutzten mathematischen Be- grundungen unzuverlassig, und es 1st das grosse Verdienst der Pythagoreer hierauf aufmerksam geworden zu sein. Man kannte namlich wohl Proportionen und hat sie wahrscheinlich in der einen oder anderen Form schon friih angewandt; aber vor Eudoxus Zeit konnte hierbei nur die Rede sein von Gleichheit der Verhaltnisse zwischen ganzen Zahlen, oder von der Gleichheit solcher Verhalt nisse mit den Verbal tnissen zwischen geometrischen Grossen, die folglich kommensurabel sein mussten. Man benutzte die einfachen Rechnungsarten, z. B. die Multiplikation, und wusste edenso wie die Agypter, dass z. B. ein Recht- eck, wenn die Flacheneinheit das Quadrat iiber der Langeneinheit ist, gleich dem Produkte der Seiten wird ; wenn aber die Seiten inkommensurabel sind, so wird nicht 38 - Die griechische Mathematik: nur der Beweis durch Einteilung in Quadrate unbrauch- bar, sondern der Satz selbst wird sinnlos, da es dem beim gewohnlichen Rechnen gebildeten Begriffe eines Pro- duktes widerstreitet, wenn die Faktoren irrationale Zah- len sind. Diese Schwierigkeit war es, die die Pythagoreer und mit ihnen die folgenden griechischen Mathematiker iiber- wanden durch geometrische Darstellung der all- gemeinen Grosse. 1m ersten Augenblick kann es aller- dings so aussehen, als ob hiermit nur wenig gewonnen sei, da eine beliebig gezeichnete Strecke ebensowohl eine bestimmte Grosse hat wie eine beliebig gewahlte Zahl. Die gezeichnete Figur dient jedoch nur dazu die Figur festzuhalten, die beschrieben wird, und in dieser konnen die Grossen alle die Werte annehmen, die zu der Beschrei- bung stimmen. Die Darstellung einer Grosse durch die Lange einer Strecke kann dadurch, ebenso wie die in der Algebra gebrauchliche Darstellung durch einen Buchstaben, auf kontinuierlich variierende Grossen angewandt werden. Die Griechen wussten allerdings ebensowenig etwas von negativen wie von imaginaren Grossen; aber das Bediirf- nis nach den ersteren wird dadurch etwas verringert, dass die Variationen der Figur teilweise dieselben Verallgemeine- rungen darbieten konnen, die wir nun durch Benutzung negativer Grossen erreichen. Aus diesen Bemerkungen lasst sich erkennen, dass die Operationen mit den geometrisch dargestellten Grossm eine ahnliche Rolle spielen wie unsere algebraischen Ope rationen. Wir wollen deshalb die Lehre von diesen geo- metrischen Operationen die geometrische Algebra nennen. Diese soil hier so dargestellt werden, wie wir sie kennen teils aus dem zweiten Buche von Euklids Elementen, teils aus der Anwendung, die iiberall von ihr in der griechischen Mathematik gemacht wird, namentlich 2. Die pythagoreische Mathematik. 39 i, wo man jetzt Gleichungen zweiten Grades benutzt. Sowohl bei Euklid als auch bei anderen liegt die geo metrische Algebra so vielen Dingen zu Grunde, dass sich auch hieraus ein Beweis ergiebt fur das hohe Alter, das wir ihr in Ubereinstimmung mit dem Bericht iiber die Bekanntschaft der Pythagoreer mit der Flaclienanlegung beilegen. Ihre Anwendbarkeit auf beliebige Grossen, irra- tionale sowohl wie rationale, und ihre hieraus folgende abstrakte Natur stimmt gut zu der Ausserung des Eude- mus iiber Pythagoras immaterielle Behandlung der Geometric. Es ist jedoch wohl moglich, dass diese abstrakte Natur nicht von vornherein so bewusst und ausgepragt gewesen ist, wie sie es zu Eudemus Zeit geworden war und bei Euklid ist. Irn Gegenteil ist es natiiiiich und wohl ubereiiistimmend mit den Berichten iiber die Ver- kniipfung von Geometrie und Arithmetik durch die Py thagoreer, wenn man annimmt, dass die entsprechende geometrische Behandlung ganzer Zahlen, die bei Euklid zum Teil als eine Anwendung der allgemeineren geometri- schen Algebra auftritt, vorangegangen ist. In den nahe- liegenden geometrischen Darstellungen von Eigenschaften ganzer Zahlen, mit denen man begonnen hat, hat man dann eine Darstellungsform gehabt, die von selbst ebenso leicht auf allgemeine kontinuierliche Grossen anwendbar war. Dessen ist man sich jedoch nur erst ganz allmah- lich bewusst geworden. A us diesem Grunde wollen wir zuerst reden iiber die geometrische Arithmetik der Griechen als Einleitung zu ihrer geometrischen Algebra. 40 Die griechische Mathematik: 3, Die geometrische Arithmetik, In unseren Lehrbiichern findet man durchgehends einen geometrischen Beweis fiir den Satz, dass in einem Produkte von ganzen Zahlen die Reihenfolge der Faktoren beliebig ist. Dieser besteht darin, dass man die Einheiten oder die Punkte, die diese darstellen, in Form eines Rechtecks hinschreibt. Jede horizontale Reihe enthalt die Einheiten des Multiplikanden, und die Anzahl der Reihen ist der Multiplikator. Die Vertauschung der hori- zontalen Reihen mit den vertikalen ergiebt dann die Ver- tauschbarkeit der Faktoren. Benutzt man statt der Ein heiten kleine Quadrate mit der Seite 1, so hat man gleich- zeitig den geometrisohen Satz bewiesen, dass die Grosse eines Rechtecks durch das Produkt der Seiten ausgedruckt wird. Unterlasst man dagegen eine bestimmte Einheit zu wahlen, so erhalt man, wenn die Seiten kommensu- rabel sind, den Satz, dass zwei Rechtecke sich wie die Produkte ihrer Seiten verbal ten. Von dieser Darstellung riihrt die bei den Griechen allgemein gebrauchliche Benennung ebene Zahlen her fiir solehe, die aus zwei Faktoren zusammengesetzt sind, also eine rechteckige Flache bilden, und die noch jetzt gebrauchliche Quadratzahl. Ebene Zahlen heissen iihn- lich, wenn ihre Faktoren proportional sind; sie verhalten sich dann wie zwei Quadratzahlen. Aus dem Quadrat, das eine gewisse Quadratzahl (rc 2 ) darstellt, erhalt man die nachste (rc-|-l) 2 , indem man langs den beiden Seiten 2 n neue kleine Quadrate legt und noch eins in den dadurch entstehenden einspringen- den Winkel. Diese gauze Erganzungsfigur, sowie im all- gemeinen eine Figur, die die Differenz zwischen zwei per- spektivisch ahnlichen Figuren mit einem Eckpunkt als 3. Die geometrische Arithmetik. 41 Jmlichkeitspunkt darstellt, heisst ein Gnomon. Im vor- liegenden Falle ist dieser 2n-\-l. Man findet auf diese r eise, dass die Quadratzahlen sich als Summen der ersten mgeraden Zahlen bilden lassen. Lasst man 2n-\- 1 selbst dne Quadratzahl sein, so erhalt man diejenige Bestim- mng der rationale!) Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks, ler diejenige Losung der unbestimmten Gleichung ganzen Zahlen, die(S. 3 5) dem Pythagoras zugeschrieben irde. Diejenige, welche Plato zugeschrieben wurde, er- alt man dadurch, dass man dern Gnomon die Breite 2 giebt. Wenn man dem Gnomon eine beliebige Breite giebt, erhalt man die allgemeinste Losung der eben genann- m Gleichung in ganzen Zahlen. Um dies zu erreichen, mutzt Euklid im Isten Hiilfssatze zu Satz 28 des lOten Juches eine Umformung, die in unserer algebraischen jprache am nachsten einer Einfuhrung der neuen Unbe- innten z-\-x = u, z x=-=v (d.h. Breite des Gnomons p) entsprechen wur- le;Mpinussdanngleich A_ einem Quadrat^ 2 sein. Um uns enger an Eu- kli^d anzuschliessen, der sich in diesem Falle auf die in sei- nem 2 ten Buche ent- B D M wickelte geometrische Algebra stiitzen kann, wollen wir aus dieser bereits hier den 6ten Satz des 2ten Buches, zu dem wir bald gelangen werden, anfiihren. Dieser sagt aus (vergl. im Folgenden S. 48), dass, wenn C Mittelpunkt der Strecke A B, D ein Punkt ihrer Verlangerung ist, (d. h. mit den oben benutzten Zeichen: a? 2 ). Die griechische Matheraatik. - -len hier alle .Strecken gauze Zahlen darstelle: miissen zunachst AD(=u) und BD(=c] beide entweder gerade oder beide ungerade Zahlen sein, damit A B = 1 (oder u v = 2 x) gerade werden kann. Die notwendige und ausreichende Bedingung dafiir, dass der Gnomon AD . BD eine Quadratzahl wird, ist demnachst die, A D und BD ahnliche Zahlen darstellen, oder in un~ he, dass AD = am*, BD=an 2 1 also m 2 - n- ; = L D = a -, x = L B= a , y = a Aus einer sole-hen Darstellung von Zahlen durch Rechtecke und Quadrate hat sich, wie wir sehen werden, die Grundlage fur die geometrische Algebra entwickelt: aber die geometrische Arithmetik hat auch andere Figuren benutzt. Wir haben gesehen, dass den Pythagoreern die Kenntnis der Dreieckszahlen zugeschrieben wurde. Unter diesen versteht man Surnmen der ersten Zahlen der natiirlichen Zahlenreihe, und zwar setzt man die Einer der einzelnen Zahlen als Reihen von Punkten unter- einander, so dass sie ein Dreieck bilden. Man sieht leicht, wie diese Darstellung sich zu einer wirklichen Berechnung hat benutzen las.ren. Man brauchte namlich nur ein zweites kongruentes, aus Punkten gebildetes Dreiecv an das erste zu legen, dass beide zusammen ein Parallelo gram bildeten. Da nun in jeder Reihe gleich viele Pi; liegen (n -f- 1 bei n Reihen von Zahlen), so wird die zahl aller Punkte des Parallel ogramms, also das Dop] der Dreieckszahl, n n 1;. U dieses Ver- fahren ganz dasselbe 1st wie das algebraische, bei dem man die arithmetische Reihe in umgekehrter Ordnung zu sich selbst addiert. Da die Einheit, die in dieser Reihe die Differei;/ willkiirlich gewahlt werden kann, und da ein konstanter 3. Die geometrische Arithmetik. 43 iddend in jedem Gliede nur ein Produkt giebt, das zur Summe hinzugefugt werden soil, so hat man nun leicht eine beliebige arithrnetische Reihe summieren konnen. Ubrigens kann man die | | _ i H Differenz auch wie in der neben- stehenden Figur als eine Strecke , H | \ i abtragen, die unmittelbar eine be liebige Grosse bezeichnet. Aus einer " weitergehenden Untersuchung von arithmetischen Reihen, die Archimedes in seiner Schrift iiber die Spiralen vor- mmrnt, ergiebt sich, dass die Summation auf die an- gedeutete Weise vorgenommen worden ist. Indera wir uns zuriickwenden zur Darstellung der Einer durch Punkte, wollen wir noch ein, namentlich durch Nikomachus bekanntes, Mittel erwahnen zur geo- metrischen Darstellung arithmetischer Reihen mit dem Anfangsglied 1 und einer beliebigen ganzen Zahl (n 2) als Differenz. Dieses besteht in der Anwendung der so- genannten Potygonalzahlen (/i-eckszahlen). Man tragt das zweite Glied (n 1) durch Punkte ab, die mit einem festen Punkte ein n-eck bilden. Fiir den festen Punkt als Ahnlichkeitspunkt wird dieses Vieleck zu einer Reihe ahnlicher ra-ecke erganzt durch eine Reihe von Gnomonen, von denen jeder ein Glied der Reihe darstellt. Ftir n = 4 erhalt man die Viereckszahlen, oder, da die Gestalt des Vierecks gleichgiiltig ist, die oben genannten Quadrat- zahlen. Die hier erwahnte geometrische Arithmetik hat man auch auf den Raum ausgedehnt. Raumliche Zahlen sind solche, die durch ein Parallelepipedon dargestellt werden, also Produkte aus 3 Faktoren. Sind diese gleich gross, so erhalt man Kubikzahlen. Bei zwei ahnlichen raumlichen Zahlen sind die Faktoren proportional; ihr Verhaltnis ist also gleich dem zwischen zwei Kubikzahlen. 44 Die griechische Mathematik: Eine Pyramidalzahl 1st die Summe einer Reihe von n-eckszahlen, anfangend rait 1. Die Vielecke denkt man sich iiber einander gelegt, so dass sie eine Pyramide (einen Kugelhaufen) bilden. 4, Die geometrische Algebra. Eine allgemeine, rationale oder irrationale Grosse lasst sich erstens durch die Lange einer (geradlinigen) Strecke darstellen. Addition und Subtraktion der in dieser Weise dargestellten Grossen findet statt durch Abtragen der einen Strecke auf der anderen oder auf ihrer Ver- langerung. Ein Beispiel fiir die wirkliche Benutzung dieser Darstellung haben wir soeben gehabt in der Summation arithrnetischer Reihen, die wir bei Archimedes kennen lernten. Sie lasst sich iiberhaupt benutzen zur Veran- schaulichung von Gleichungen ersten Grades mit ganzen Koefficienten oder nur mit rationalen, da sich diese zu ganzen machen lassen. Multiplikation von zwei allgem einen Grossen hat nach ihrer unmittelbaren Bedeutung keinen Sinn. Man half sich indessen dadurch, dass man die geometrische Darstellung eines Produktes von zwei ganzen Zahlen, die wir bereits kennen gelernt haben, auf allgemeine Grossen ubertrug. Jedoch erweiterte man nicht, wie in der mo- dernen Mathematik, die arithmetischen Begriffe Multipli kation und Produkt, sondern statt von einem Pro- dukte der allgemeinen Grossen sprach man von dem Rechteck aus den beiden Strecken, die die Faktoren dar stellen, und mit diesem Rechteck nahm man die Opera- tionen vor. Als Anleitung fiir die Behandlung konnte man indessen, wegen der hiermit gleichartigen Darstellung von wirklichen Produkten ganzer Zahlen, bestandig die 4. Die geometrische Algebra. 45 ithmetische Behandlung dieser benutzen. Es kann des- ilb nicht irrefiihrend sein, wenn ich im Folgenden mit und a 2 das Rechteck aus a und b und das Quadrat iber a bezeichne. Auf diese Weise hat man erne zweite geometrische Darstellung von Grossen erhalten, namlich als Flachen, vorlaufig von Rechtecken und Quadraten. Um sie addieren t und subtrahieren zu konnen, musste man ihnen eine ge- meinschaftliche Seite verschaffen, und zwar musste dies ohne Benutzung der Lehre von den Proportionen geschehen, denn diejenige, die man im 5ten Jahrhundert besass, war auf den ausschliesslichen Gebrauch von kommensurablen Grossen gegriindet. Die Einfiihrung einer neuen Seite in ein Rechteck wurde mit Hiilfe des folgenden Satzes vor- genommen. Ein Rechteck wird durch Parallelen zu den Seiten, die durch einen Punkt derselnen Diagonale gehen, in vier Rechtecke geteilt, von denen die beiden, durch welche die Diagonale nicht geht, gleich sind (vergl. im Folgenden die Figuren auf S. 46 48, wo man sich dann im gegenwartigen Zusammenhange die Quadrate mit Recht ecken vertauscht denken muss). 1st das eine von diesen das gegebene, so ist es leicht, dem anderen eine gegebene Seite zu geben. Diese Konstruktion, welche der Division entspricht, ebenso wie die Konstruktion eines Rechtecks aus gegebenen Seiten der Multiplikation, hat den beson- deren Namen Flachenanlegung (naQa^oXrj] erhalten, oder einfache Flachenanlegung im Gegensatze zu der spater folgenden elliptischen und hyperbolischen Flachenanlegung. Die hierfur benutzte Figur findet, wie wir bald sehen wer den, auch andere wichtige Anwendungen. Derjenige Teil der Figur, der aus den beiden gleich grossen Rechtecken und einem der beiden anderen besteht (z. B. C BEM in der Figur auf S. 47) heisst hier wie in der geometrischen Arithmetik Gnomon. 46 Die griechische Mathematik: Der hier angefiihrte Satz findet sich, und zwar auf die angegebene Weise angewandt, bei Euklid I, 43 44, wo er jedoch in einer etwas allgemeineren Form auftritt, insofern die Rechtecke mit Parallelogrammen von gleich grossen Winkeln vertauscht sind. In Euklids 2 tern Buche wird dagegen mit Rechtecken operiert. Eine Auf- klarung liber den Gebrauch, den man, gem ass den Mit- teilungen liber die Bekanntschaft der Pythagoreer mit Flachenanlegung, von den Satzen dieses Buches lange vor Euklid gemacht haben muss, miissen wir indessen in seinem 6 ten Buche suchen, wo die Anwendungen jedoch in einer verallgemeinerten Form vorkommen, die erst von Euklid oder semen nachsten Vorgangern heriihrt 1 . Ein Rechteck, dessen Seiten selbst Summen sind, wird die Summe aller der Rechtecke, die ein Glied in jeder der gegebenen Summen zu Seiten haben. An Stelle der modernen Formel trat die nebenstehende Figur (Euklid II, 4): a/ / ab 1 Die Bedeutung der Verallgemeinerung wird in unserem 16ten Abschnitte erklart werden. 4. Die geometrische Algebra. 47 Die Aufgabe, die man jetzt durch die Gleichung ax x *--^b < * (1) larstellen wiirde, driickten die Alten f olgendermassen aus : n eine gegebene Strecke AB (= a) em Rechteck M gleich einem gegebenen Quadrat (b 2 ) so an- zulegen, dass das (am Rechteck a x liber A B] feh- lende Flachensttick ein Quadrat (BJ/=a? 2 )wird. DieseKonstruktion, welche die elliptischeFlachen- N anlegung (von der Mangel, das Auslassen) genannt wird, ergiebt sich, wenn man die Figur, durch welche die Aufgabe gelost wird, auf die vorhergehende zuriickfuhrt. 1st namlich C die Mitte von A B, und legt man das Rechteck C K an die Seite D B (als D E\ so sieht man, dass das Recht eck A M gleich einem Gnomon wird, namlich gleich der Differenz der Quadrate iiber B C und C Z), oder in der Sprache unserer Algebra, dass ax Da nun b und CB - bekannt sind, so kann man 2 CD = x durch den pythagoreischen Lehrsatz finden, und dadurch x. Dass man die Aufgabe etwa in dieser Weise gelost hat, lasst sich aus Euklid VI, 28 schliessen, wo sie je- doch in einer allgemeineren Form vorkommt. Die hier benutzte Umformung ist aber schon bewiesen in Euklid 48 Die griechische Mathematik: II, 5, wo gesagt wird, dass, wenn C die Mitte und D einen anderen Punkt von A B bedeutet, ist. Dieser Satz giebt unmittelbar die Losung derselben, aber in anderer Form ausgedriickten, Aufgabe, namlich: Teile eine gegebene Strecke A B in zwei Al>- schnitte, die ein Rechteck von gegebenem Inlialt bilden (diesen Inhalt miissen wir uns jedoch vorlaufig, um den pythagoreischen Lehrsatz anwenden zu konnen, in Form eines Quadrates b 2 gegeben denken). Aus Eu- klids Data 85 konnen wir sehen, dass die Alten die Aufgabe auch in dieser Gestalt gekannt haben, in der sie die geometrische Form fiir die Aufgabe ist, zwei Grossen zu bestimmen, deren Summe und Produkt ge geben ist. Der tfbelstand, der mit der zuerst angefuhrten Darstellung der Aufgabe in Form einer elliptischen Fla- chenanlegung verbunden war, dass namlich die Alten ge- wohnlich nur die eine Losung der Gleichung (1) mitteilen, fiel hierbei von selbst fort. Auf ganz dieselbe Weise giebt Euklid in II, 6 eine (in VI, 29 einbegriffene) Losung der Gleichung ax + x 2 =b 2 , (2) die die Alten folgendermassen ausdriicken: An eine gegebene Strecke A f B D AB(= a) ein Recht eck A M gleich einem gegebenen Quadrat(6 2 )so anzu- legen,dassdas (liber das Rechteck ax iiber A B) iiberschies- q sende Fliicli en- stuck BM ein Quadrat (b 2 ) wird. Diese Konstruktion 4. Die geometrische Algebra. 49 heisst die hyperbolische Flachenanlegung (von vneg- /3ohr}, Uberschuss). 1st die Aufgabe gelost, und bedeutet C die Mitte von A B, so wird das Rechteck A M dadurch in einen Gnomon verwandelt, dass das Rechteck iiber A C in die Lage G M gebracht wird. Man findet hier, wo D ein Punkt der Verlangerung von A B 1st, dass AD.BD=CD* CB 2 . Diese geometrische Umformung stimmt iiberein mit der algebraischen, durch die man jetzt die Gleichung (2) lost, namlich CD(= -\- xj lasst sich dann mit Hiilfe des pythago- reischen Lehrsatzes bestimmen. Euklids Satz II, 6 enthalt unmittelbar die Losung derselben Aufgabe in einer anderen Form, namlich der- jenigen, zwei Strecken (A D und BD) zu bestimmen, deren Differenz und deren Rechteck (gleich dem Quadrat 6 2 ) gegeben sind, und diese ist wieder die geometrische Form fur folgende: zwei Grossen zu bestim men, deren Differenz und Produkt gegeben ist. Da die Aufgabe auch in dieser zweiten Form bei den Alten vor- kam (vergl. Euklids Data 84), so ist es ohne Bedeutung, dass sich bei ihnen keine Form findet, deren Wortlaut ebenso unmittelbar die Gleichung xtax^bt (3) wiedergiebt, wie die Flachenanlegungen die Gleichungen (1) und (2). Ob wir in unserer algebraischen Sprache die Gleichung (2) oder (3) erhalten, beruht namlich nur 4 50 Die griechische Mathematik: darauf, ob wir in unserer modernen Umschreibung von Euklid II, 6 BD = x oder AD = x setzen. Wir sehen also, dass die Alien alle Formen der Gleichung zweiten Grades behandelt haben, die positive Wurzeln ergeben, und von anderen konnte nicht die Rede sein, da negative Grossen ein unbekannter Begriff waren (sonst batten sich II, 5 und II, 6 zu einem Satze vereinigen lassen). Wegen der bier mitgeteilten geometriscben Lo- sung setzten wir jedoch -voraus, dass das gegebene Glied, das der Homogenitat wegen in jedem Falle eine Flache sein musste, in Form eines Quadrates gegeben ware, und die Losung wurde dann durch den sogenannten pytha- goreischen Lehrsatz bewerkstelligt. Dieser, von welchem wenigstens spezielle Falle den Agyptern bereits bekannt waren, wird dem Pythagoras zugescbrieben, ohne dass man jedoch etwas dariiber weiss, wie er ihn bewiesen hat. Der Beweis kanri moglicherweise durch Benutzung ahnlicher Dreiecke gefiihrt worden sein. kann also mit der damals bekannten Lehre von den Proportionen nur exakt gew r esen sein, wenn die Seiten kommensurabel waren; derm die Einfuhrung der allgemein giiltigen geometrischen Begriindungen hatte damals soeben begonnen, und der allgemein gultige Beweis bei Euklid (I, 47) soil, wie ausdriicklich bemerkt wird, von ihm selbst herruhren. Da Euklid beweist, dass das Quadrat iiber einer Kathete gleich dem Rechteck aus ihrer Projektion auf die Hypote nuse und der ganzen Hypotenuse 1st, so liegt es nicht fern anzunehmen, dass fur den alteren Beweis, den er ersetzen will, die ihm entsprechenden Satze iiber mittlere Proportionalen benutzt worden sind. Was dennachst die Verwandlung einer Figur in ein Quadrat betrifft, die entweder benutzt worden sein muss, 4. Die geometrische Algebra. 51 den Gleichungen die hier angenommene Form zu geben, oder um ohne Benutzung des pythagoreischen Lehrsatzes die Grosse zu konstruieren, die bei der mo- dernen Losung durch eine Quadratwurzel dargestellt wird, so wird den Pythagoreern ausdriicklich die Kenntnis der IAufgabe zugeschrieben : eine Figur zu konstruieren, die einer gegebenen gleich und einer zweiten ahnlich ist. Jedenfalls kann hierbei nur von geradlinigen Figuren die Rede gewesen sein, und in dem speciellen Falle, mit dem wir hier zu thun haben, ist die zweite Figur ein Quadrat. Die allgemeinere Form der Aufgabe ist diejenige, welche bei Euklid VI, 25 vorkommt, wo sie fur Euklids ver- allgemeinerte Flachenanlegung benutzt werden soil. Wenn nun ein spaterer Berichterstatter den Pythagoreern die Losung der Aufgabe in dieser Form zugeschrieben hat, so hat er damit zu erkennen geben wollen, dass sie im Besitze der fiir Flachenanlegung notwendigen Voraus- setzungen waren; fiir die einfache Flachenanlegung ist aber nur die Verwandlung in ein Quadrat erforderlich. Die Verwandlung einer geradlinigen Figur in ein Rechteck hat keine besonderen Beschwerden verursacht. Wie man clemnachst ein Rechteck hat in ein Quadrat verwandeln konnen ohne sich durch Benutzung des Be- griffes mittlere Proportionale auf die vor Eudoxus un- vollstandige Lehre von den Proportionen zu stiitzen, das ersieht man aus Euklid, der sich in II, 14 nur auf die geometrische Algebra stiizt. Die Konstruktion beruht namlich auf dem eben erwahnten Satze II, 5 (oder (>), nach dem ein Rechteck dargestellt wird als Differenz zwischen zwei Quadraten; danach lasst sich die Seite des dem Rechteck gleichen Quadrates mit Hiilfe des pytha goreischen Lehrsatzes konstruieren. Die Umformung ent- spricht der Gleichung 52 Die griechische Mathematik: Diese Umformung enthalt die Losung der rein quadra- tischen Gleichung. Eine bestimmte geometrische Anwendung der Flachen- anlegung wird den Pylhagoreern zugeschrieben, namlich die Konstruktion der Seite des regelmassigen Fiinfecks (und Zehnecks). Diese hangt bekanntlich ab von der Gleichung x 2 = a (a a?), die sicli umformen lasst in a 2 =a? 2 -f- ax; diese Gleichung wird durch hyperbolische Flachenanlegung gelost. In II, 11 benutzt Euklid genau dieselbe Um formung der Gleichung in geometrischer Form fiir die Losung der genannten Aufgabe. Die Satze II, 5 und 6 werden nicht ausschliesslich i iir die Auflosung von Gleichungen zweiten Grades benutzt. Wir haben bereits (S. 41) eine arithmetische Anwendung erwahnt, die Euklid davon im lOten Buche macht, und s;oel)en haben wir besprochen, wie sich die Benutzung der mittleren Proportionale auf diesem Wege vermeiden lasst. Elin anderes Beispiel dafiir, dass die geometrische Algebra die Benutzung von Proportionen iiberflussig macht, findet sich in Euklids Beweisen in III, 35 37 fiir die Satze iiber die Potenz eines Punktes mit Bezug auf einen Kreis. Die Satze II, 5 und 6 sagten aus (vergl. die Figuren S. 47, 48), unter der Voraussetzung dass C die Mitte von A B und D ein Punkt auf A B oder ihrer Verlangerung ist, dass AD.DB = (CB* CD 2 ). Die geometrische Algebra. 53 Sind nun A und B die Schnittpunkte mit einem Kreise, dessen Mittelpunkt 0, so erhalt man durch den pytha- goreischen Lehrsatz, dass CB 2 C/) 2 = OB* OD 2 , und damit sind die Potenzsatze bewiesen. Die Elemente der geometrischen Algebra, die hier dargestellt sind, umfassen indessen namentlich die Behand- lung der Gleichungen zweiten Grades, also gerade das Gebiet, auf dem sich wegen des Auftretens der irrationalen Grossen die Notwendigkeit einer anderen Darstellung als durch Zahlen fiihlbar gemacht hatte. Bei dieser Behand- lung konnte man sich mit der Benutzung von Rechtecken und Quadraten begniigen, sofern nicht bereits eine schon gegebene Grosse durch die Flache einer anderen Figur dargestellt war. Wahrend der weiteren Entwickelung der geometrischen Algebra und ihrer Anwendung - - nament lich auf die Lehre von den Kegelschnitten wurde sie jedoch so erweitert, dass auch andere Figuren zur Dar stellung derjenigen Grossen dienten, mit denen operiert wurde. Es ist indessen klar, dass die geometrische Alge bra ausschliesslich in ihrer Anwendung auf Rechtecke und - - da man in der geometrischen Algebra niemals bestimmte Einheiten einfuhrt, also mit homogenen Glei chungen operiert - Parallelogramme die geometrische Arithnietik mit einbegreift; denn nur dann konnen die Punkte, die in der Arithnietik die Einer darstellen, mit Quadraten von gleicher Grosse oder mit kongruenten Parallelogram men vertauscht werden. Die Dreieckszahlen z. B. haben nichts mit dem Fliicheninhalt des Dreiecks zu thun, ein Missverstandnis, das spater die romischen Landmesser dahin gebracht hat, die Formel zvir Berechnung des Inhaltes eines gleichseitigen Dreiecks mit der Seite a zu benutzen. 54 Die griechische Mathematik: 5, Numerische quadratische Gleichungen; Ausziehen der Quadratwurzel, Aus der tTbereinstimmung zwischen der geometrischen Algebra und der geometrischen Arithmetik, angewandt auf Rechtecke, geht hervor, dass es von vornherein sehr nahe gelegen hat, die gefundene allgemeine Losung der quadratischen Gleichungen auf das Gebiet numerisch ge- gebener Gleichungen zu iibertragen. Hier begegnete man indessen dem Ubelstand, dass die Wurzeln im allgemeinen irrational wurden. Dass man nach Beispielen gesucht hat, bei denen dies vermieden wurde, ergiebt sich aus den Bestrebungen solche unbestimmte Gleichungen wie x<i ~\~ */ 2 = % 2 zu losen. In den Aufgaben, welche die Geometric oder andere Anwendungen darboten, musste man dagegen die Grossen so nehmen wie sie waren. Wenn man nun eine rationale Losung, also eine solche, die sich durch Zahlen genau ausdriicken lasst, nicht fin- den konnte, so waren zwei Dinge zu thun. Einmal musste bewiesen werden, dass die gesuchten Grossen wirklich nicht rational wurden, und wenn man zu Glei chungen iiberging, bei denen die gegebenen Grossen be- reits irrational waren, so gait es ferner die verschiedenen irrationalen Grossen, die vorkommen konnten, zu klassifi- cieren; zwei tens musste man der Anwendungen wegen auch die irrationalen Grossen mit moglichst grosser An- naherung ausrechnen. Am weitesten brachten die alten Griechen es in der ersten der beiden genannten Richtungen. Ein Beispiel fiir eine hierher gehorende Untersuchung haben wir be n-its angefiihrt, namlich Euklids Losung der Gleichung x * -f- r y 2: =^ 2 , und da er diese vollstandig loste, so fand er nicht nur die ausreichenden sondern auch die not- 5. Num. quadr. Gleichungen; Quadratwurzel. 55 rendigen Bedingungen dafiir, dass "V/a? 2 + # 2 und }/x 2 z/ 2 itional werden. Er land also, dass sie irrational sind, ,-enn die Bedingungen nicht erfiillt werden. Von ein- jherer Beschaffenheit ist ein wahrscheinlich sehr alter lachweis dafiir, dass \/2 irrational ist; dieser hat - wenn auch mit Unrecht einen Platz am Ende des lOten Baches in einigen Ausgaben von Euklid erhalten. Abgesehen von der geometrischen Darstellung lasst er sich etwa folgendermassen ausdriicken. Soil V 2 = sein, wo n der Bruch --so viel wie moglich verkurzt ist, so muss n man m 2 = 2 n 2 haben. Hieraus folgt, dass m 2 eine ge- rade Zahl ist, also auch m. Da - - unverkiirzbar ist, n muss n also ungerade sein. Wenn aber m gerade ist, so folgt daraus, dass m 2 teilbar sein muss durch 4, mit- hin n 2 durch 2, folglich dass n gerade ist. Da nun n nicht zugleich gerade und ungerade sein kann, so kann y 2 nicht ein unverkiirzbarer Bruch sein. Ein ahnliches Verfahren lasst sich wie bekannt im allgemeinen benutzen um nachzuweisen, dass eine Wurzel aus einer ganzen Zahl kein Bruch sein kann. Mehrere Satze im 8 ten Buche Euklids mogen urspriinglich mit diesem Ziel vor Augen entwickelt und in alterer Zeit auch dafiir benutzt worden sein. Das gilt z. B. vom 6ten Satz, der - - wenn auch in einer anderen Form ausdriickt, dass eine Potenz eines unverkiirzbaren Bruches selbst ein unverkiirzbarer Bruch sein muss. Indessen giebt es noch ein allgemeines Mittel, das Euklid im lOten Buche giebt um die Rationalitat einer Grosse zu priifen oder, was dasselbe ist, die Kommensurabilitat zweier Grossen. Dieses besteht in der Anwendung derselben Operation, die zur Bestimmung des grossten gemeinschaftlichen Maasses der 56 Die griechische Mathematik: beiden Grossen dient. Sind die Grossen durch Strecken dargestellt, so muss man die kleinere b auf der grosseren so oft abtragen, dass der Rest c kleiner wird als b, dar- auf c auf b u. s. w. Lasst diese Operation sich bis ins Unendliche fortsetzten, so sind die Grossen inkommensu- rabel. Auf diese Weise findet man leicht, dass eine Strecke durch stetige Teilung in Abschnitte geteilt wird, die in- kommensurabel mil sich und der Strecke selbst sind. Heisst namlich die Strecke a und die Abschnitte x und y, so hat man a x y x y x y Die Operation, die zum grossten gemeinschaftlichen Maass fiihren soil, wird also eine fortgesetzte Teilung der neuen Abschnitte, so dass sie sich offenbar nicht zu Ende fiih ren lasst. Da nun solche Wurzeln von Gleichungen zweiten Grades, die mit den gegebenen Grossen inkommensurabel werden, sich nicht durch diese und durch Zahlen aus- driicken lassen, so ist es begreiflich, dass die Griechen bei exakten Untersuchungen keine Naherungswerte ein- fuhrten, sondern welter operierten mit den gefundenen Grossen, die dargestellt wurden durch die Strecken, die sich aus der, der Losung der Gleichung entsprechenden, Konstruktion ergaben. Es ist das ganz ebenso, wie wenn wir Wurzeln nicht ausrechnen, sondern uns damit begnligen diese durch Quadratwurzelzeichen und andere algebraische Zeichen auszudriicken. Da indessen eine Strecke wie die andere aussieht, so erhielt man dadurch nicht denselben Uberblick, den die Zeichensprache uns gewahrt. Deshalb wurde es notwendig eine Klassifikation der irrationalen Grossen vorzunehmen, die sich durch successive Losung von Gleichungen zweiten Grades ergeben batten. Eine 5. Num. quadr. Gleichungen; Quadratwurzeln. 57 solche Klassifikation wurde zu Platos Zeit von Theatet vorgenommen, und seine Arbeit ist von Euklid fort- gesetzt und ins lOte Buch der Elemente aufgenommen worden. Bei Besprechung dieses Buches werden wir dar- auf zuriickkommen und wollen hier nur bemerken, dass diese Arbeit auch eine Priifung der Falle enthalten musste, in denen eine Grosse, die scheinbar einer Klasse an- gehort, sich in Wirklichkeit auf eine andere zuruckiiihren lasst, also die Aufhebung doppelter Irrationalitat. Die Anwendungen dieser Klassifikation finden wir da, wo eine exakte Bestimmung von Grossen gewiinscht wird, die von Quadratwurzeln abhangen oder iiberhaupt bei Gleichungen zweiten Grades gefunden werden. In der elementaren Geometrie gilt dieses von den Seiten regu- larer Poly gone oder den Kanten regularer Polyeder. Mit dieser letzten Anwendung hat Theatet sich besonders beschaftigt und sie spielt eine Hauptrolle in Euklids Elementen. In diesem Werk vermisst man dagegen jede genaherte numerische Berechnung. Das findet vielleicht seine Er- klarung darin, dass man durch eine solche Berechnung die absolut exakte Bestimmung bei Seite lassen wurde, die in der Geometrie beabsichtigt war; aber andererseits diirfte es auch damit zusammenhangen, dass den Griechen sowohl das Vermogen wie gute Hulfsmittel zu jeder wirk- lichen Berechnung fehlten, ein Mangel, der in verstarkter Weise hervortritt, wenn man liber die vier einfachen Rech- nungsarten hinausgehen muss, also schon bei der Berech nung der Quadratwurzel. Indem wir uns vorlaufig an das allgemeine Hiilfs mittel halten, so wird sich die griechische Zahlbezeich- nung (von der wir spater Gelegenheit finden werden rnehr zu sagen) doch wohl, wenn man sie so einiibte, wie wir in unserer Kindheit in .der unsrigen geiibt werden, weit 58 Die griechische Mathematik: brauchbarer erweisen, als man sich von vornherein vor- stellt. Bei Berechnungen hat man wohl auch solche me- chanische Mittel wie eingeteilte Rechenbretter zu Hiilfe genommen. Dass die Zahlbezeichnung nicht ausreichte, wenn es sich urn die Darstellung grosser Zahlen handelte, sieht man jedoch daraus, dass damals, als die griechische Mathematik auf ihrer grossten Hohe stand, Archimedes und Apollo n ius Manner, in deren Schriften em wohl unterrichteter Mathematiker der Gegenwart ihm unbekannte Satze und Beweise finden kann - - besondere Systeme haben bilden miissen, um Zahlen von unbegrenzter Grosse bezeichnen zu konnen. Archimedes thut das in seiner Schrift iiber Sandrechnung, in der er eine Vorstellung von der Unendlichkeit der Zahlenreihe geben will und besonders berechnet, wie viele Sandkorner es in der ganzen Welt geben kann, wenn man dieser und den Sandkornern gewisse Grossen beilegt. Es spricht auch keineswegs zu Gunsten der den Griechen selbst eigentiimlichen Mittel der Zahlenberechnung, dass die griechischen Astronomen diese fur nicht hinreichend entwickelt hielten, sondern zugleich mit der babylonischen Astronomic das Sexagesi- malsystem der Babylonier fiir astronomische Rechnungen aufnahmen. Was nun die Berechnung der Quadratwurzel bei den Griechen betrifft, so wollen wir zuerst eine besondere Bestimmung von V 2 erwahnen, die man allerdings zunachst von einem spaten arithrnetischen Schriftsteller kennt, die sich aber viel weiter zuriickfuhren lasst, und deren Be- grundung sich bei Euklid II, 9 (und 10) findet. Diese Begriindung ist zugleich ein Beispiel dafur, wie die geo- metrische Algebra angewandt wurde. Ist C die Mitte und D ein anderer Punkt der Strecke AB, so sagt Sat/ V a us, class AD 2 + DB* = 1 2A C 2 + 2 CD 2 . 5. Num. quadr. Gleichungen; Quadratwurzeln. 59 Dieser Satz hatte durch Umlegungen von Rechtecken jwiesen werden konnen, aber bei Euklid 1st er bewiesen dt Hiilfe des pythagoreischen Lehrsatzes, angewandt auf gleichschenkelige rechtwinkelige Dreiecke. Das diirfte da- mit in Verbindung stehen, dass y 2 eben als Hypotenuse AB ernes solchen Dreiecks AEB dargestellt wird. 1st nun Z der Punkt, in dem die Senkrechte auf A B in D die Kathete EB schneidet, so wird DB = DZ und AD* Um die Anwendung der gefundenen Gleichung deut licher zu zeigen, wollen wir setzen, wodurch Bezeichnet man die letzten beiden Grossen mit y l und a? if so hat man Die gefundene Gleichung dient dazu, aus einer Losung von einer der beiden unbestimmten Gleichungen 2 a? 2 1/ 2 =1 60 Die griechische Mathematik: in ganzen Zahlen eine Losung der anderen in den grosseren Zahlen Xl =xy und y l = 2 x + y abzuleiten. Fahrt man auf diese Weise fort, so werden die Werte a x, u. s. w., die abwechselnd zu klein und zu gross sind, sich /2 immer mehr nahern. Man kann ausgehen von a *|f" 1. Auf ahnliche Weise kann man in anderen speciellen Fallen das Ausziehen der Quadratwurzel vorgenommen haben. Das hat dann in Verbindung mit den unbestimm- ten Gleichungen (wie x 2 -\- y 2 = 3 2 ), mit deren Hiilfe man Zahlenbeispiele bildete, bei denen das Ausziehen der Quadratwurzel vermieden wurde, dazu beigetragen bei den Griechen die Fertigkeit in der Behandlung gewisser un- bestimmter Gleichungen zweiten Grades zu entwickeln, von der in einer viel spateren Zeit die Schriften des Dio- phant Proben enthalten. Dass man zu solchen speciellen Methoden seine Zuflucht genommen hat, zeugt dagegen nicht von einer irgendwie allgemeinen Fertigkeit im Aus ziehen der Quadratwurzel. Von allgemeinen Hiilfsmitteln hatte man jedoch erstens dasselbe zur Verfiigung, das wir benutzen, namlich den Ausdruck fiir (a-\-b) 2 , dessen geometrische Form den Anwendungen kaum ferner lag als unsere algebraische. Zweitens fiihrte eben das Ver- fahren, durch das man, wie wir gesehen haben, priifte, ob eine Grosse irrational sei, geradeswegs zu einer Me- thode der Berechnung, die ungefahr mit einer Entwicke- lung in Kettenbriiche zusammenfallt. Wie man aber verfahren ist, das lasst sich unrnittel- bar aus den Schriftstellern, bei denen sich genaherte Aus- driicke fiir Quadratwurzeln finden, nicht ersehen, da sie nur die Resultate anfiihren; aber man erhalt doch eine Vorstellung da von, wie sehr oder richtiger wie wenig ent- 5. Num. qnadr. Gleichungen; Quadratwurzeln. (>1 Ickelt die Methoden waren. Sehr bezeichnend 1st es, ,ss erst Archimedes eine Bestimmung von 71, als zwischen den Grenzen 3^ und 3^ liegend, durchgefiihrt hat. Aus dem Folgenden wird man namlich erkennen, dass man vor ihm ohne grosse Miihe im Stande gewesen sein muss, die geometrischen Schwierigkeiten zu iiber- winden. Es ist also die numerische Berechnung und namentlich wohl die in dieser vorkommende Ausziehung von Quadratwurzeln, vor der man vor Archimedes zu- riickgeschreckt ist. Unvermeidlich waren die entsprechenden Berechnun- gen, wenn man praktische Anwendung von Quadratwur zeln machen wollte. Es ist deshalb natiirlich, dass man die meisten von diesen bei Hero findet, der mit prak- tischen Anwendungen vor Augen schrieb. Man findet so viele, dass es cleutlich wird, dass er im Besitze einer wirklichen Methode gewesen ist. In seinen Bestimmungen ist der Grad der Genauigkeit jedoch nicht sehr gross im Verhaltnis zu der allgemeinen theoretischen Einsicht, in deren Besitz man damals schon seit Jahrhunderten ge wesen war. Der Um stand, dass er wirklich Quadratwur zeln auszieht, steht in Verbindung damit, dass wir zum ersten Male bei ihm Beispiele fur eine durchgefuhrte Be- handlung numerischer Gleichungen vom zweiten Grade fin den. So sehen wir, dass, wenn das Glied a? 2 einen Zahlenkoefncienten a hat, er dieses in a 2 x 2 verwandelte durch Multiplikation der Gleichung mit a, und demnachst a x als Unbekannte betrachtete. Euklid hatte allerdings, wie wir sehen werden, auch derartige Gleichungen behandelt und iiberdies auf eine allgemein giiltige Weise, die auch anwendbar bleibt, wenn der Koefficient a irrational ist; aber gerade diese allgemein giiltige Form der Behandlung zeigt nicht deutlich, wie man sich bei der praktischen Berechnung verhalten hat. 62 Die griechische Mathematik: Indem wir ganz zu Hero hinuntergegangen sind, haben wir jedoch die Berechnungen ausser Acht gelassen, die bereits vor seiner Zeit ausgefiihrt worden waren bei der Ausarbeitung der Sehnentafeln der astronomischcn Schriftsteller. Diese waren in dem, in der Zwischen/cit von den Chaldaern eingefiihrten, Sexagesimalsystem aus gefiihrt. Da Hero hiervon keinen Gebrauch nmcht, so diirfen wir annehmen, dass sein Verfahren im wesent- lichen das urspriinglich griechische war, das darnals nur mehr entwickelt gewesen ist als zu der Zeit, mit der wir uns jetzt zunachst beschaftigen. Die Quadratwurzeln, die sich beiPtolemaus finden, sind dagegen in sexagesimalen Einheiten etwa auf dieselbe Weise ausgerechnet, wie man jetzt Wurzeln in Decimalbriichen berechnet. Es \\iirdc vorhin beriihrt, dass die Griechen friiher schon die theo- retische Grundlage fur eine solche Berechnung nach der Formel fur (a -[- &) 2 besassen; diese konnte sie also natur- gemass bei dem grosseren Bediirfnis der Astronomic nach numerischer Genauigkeit zu einer wirklichen Ausiuhrung solcher Rechnungen fiihren. Die schon erwahnten alten Tafeln iiber Quadrat- und Kubikzahlen im Sexigesimal- system (S. 13) konnten jedoch wohl darauf hindeuten, dass das Wurzelausziehen in den babylonischen Landern lange bekannt gewesen sein mag, und dass die Griechen auch in dieser Beziehung etwas von den ostlichen Volkern haben lernen konnen, als das Sexagesimalsystem bei ih- nen eingefiihrt wurde. Wir werden kaum fehl gehen, wenn wir in der Ent- deckung und der spateren Behandlung der irrationalen Grossen den Ausgangspunkt sehen fiir das, was sowohl die Hauptstarke, als auch die allerschwachste Seite der griechi- schen Mathematik ausmachte. Unter der bestiindig fort- geeetzten Bemiihung jeden Beweis auch auf diejenigen Grossen 5. Num. quadr. Gleichungen; Quadratwurzeln. I endbar zu machen, die sich nur naherungsweise durch len ausdrticken lassen mid bei denen deshalb Zahlen- eise ungeniigend sein wiirden, entwickelten . sich die strengen Anspriiche an die Unfehlbarkeit der Schliisse und die Genauigkeit des Ausdrucks, durch deren Erfiil- lung die Mathematik die exakte Wissenschaft gewor- den ist, und die Worte mathematische Gewissheit und absolute Gewissheit identisch geworden sind. Die Griechen haben dadurch den Grund gelegt, der erforderlich war um den hochragenden Gedankenbau des Archimedes und Apollonius zu tragen. Zu derselben Grundmauer hat die moderne Mathematik zuriickkehren miissen, als sie nach langem Zwischenraurne wieder ihre wissenschaft- liche Bedeutung aufrichten sollte; ja zu den von den ( Jriechen entwickelten und hochgehaltenen logischen Grund- satzen nimmt sie sogar in unseren Tagen ihre Zuflucht, um aufs neue der, jetzt auf arithmetischem Wege auf- gefiihrten, Mathematik dieselbe Sicherheit zu geben wie die war, die die Griechen unter geometrischer Form er- reichten, oder um die Infinitesirnalrechnung unanfechtbar zu machen. Eine so grossartige Leistung hatte keineswegs Gleich- giiltigkeit zu zeigen brauchen gegeniiber den Versuchen dasjenige naherungsweise zu berechnen, was sich mit voller Genauigkeit nicht geben lasst. Archimedes zeigte, dass man auch die Resultate einer solchen Rechnung auf un- anfechtbarer Weise aufstellen und beweisen kann, namlich durch Angabe der Grenzen, zwischen denen die gesuch- ten Grossen liegen miissen, aber sein Beispiel wurde in den iibrigen streng mathematischen Werken nicht befolgt. So kam es, dass die praktische Berechnung als etwas Untergeordnetes betrachtet wurde und nicht die verdiente Aufrnerksamkeit bei den eigentlichen Mathematikern fand, die doch am besten imstande gewesen waren die dahin 64 Die griechische Mathematik: gehorenden Methoden zu verbessern. Zu wie grossem Schaden es der Mathematik selbst gereichen sollte, sich in dieser Weise von den Anwendungen fern zu halten, das werden wir spater kennen lernen. 6. Das Unendliche, Es ist bekannt, dass Pythagoras die Zahl /inn Princip aller Dinge machte, indem er sagte: die Dinge sind Zahlen. Da Zahl bei den Griechen gauze Zahlen, die Zahlen der natiirlichen Zahlenreihe bedeutet, so stimmt dieser Ausspruch wohl ganz im allgemeinen zu den friiher erwahnten Studien der Pythagoreer iiber die Lehre von den ganzen Zahlen und zu der mystischen Bedeutung, die sie gewissen Zahlen verbindungen beigelegt haben. Schwierig bleibt es jedoch, eine zu der Mathematik der Pythagoreer stimmende, gariz unmittelbare Bedeutung in den Wortlaut dieses Ausspruchs hineinzulegen. Eine solche Bedeutung miisste namlich den spateren, mehr idealistischen Aus- legungen vorangegangen sein. So wie sie da stehen, kon- nen die Worte kaum etwas anderes bedeuten, als dass alle Dinge sich durch Zahlen bestimmen lassen. Da hier- bei nicht wohl von etwas anderem die Rede sein kann als von der Grosse der Dinge, so wird gesagt, dass diese sich durch Zahlen ausdriicken lasse. Das ist auch in der That der Fall mit kommensurablen Grossen, wenn man eine hinreichend kleine Einheit wahlt. Es wiirde deshalb nicht welter erstaunlich sein diesem Ausspruche zu begegnen wenn nicht gerade die Pythagoreer ent- deckt batten, dass Grossen derselben Art nicht immer kommensurabel sind, dass also der angefiihrte Ausspruch seinem Wortlaute nach falsch ist. 6. Das Unendliche. 65 Deswegen braucht die hier versuchte Erklarung, die gewiss die einzige ist, die zu dem griechischen Gebrauche des Wortes Zahl stimmt, doch nicht unrichtig zu sein. Der Ausspruch kann alter sein als die Entdeckung der inkommensurablen Grossen, ja gerade das Bestreben, seine Anwendbarkeit zu zeigen, kann zur Entdeckung der in kommensurablen Grossen gefiihrt haben. Eine philoso- phische Formel, an die man schon viele Betrachtungen angekniipft hat, giebt man indessen nicht so leicht auf, selbst dann nicht, wenn sie sich in ihrer urspriinglichen Bedeutung als unrichtig erweist. Man modificiert diese Bedeutung derartig, dass sie fortdauernd anwendbar bleibt. Eine solche Modification konnte im gegenwartigen Fall nicht so fern liegen. Wenn man die Inkommensurabili- tat von Grossen dadurch fand, dass die Rechnungen, die zur Bestimmung des grossten gerneinschaftlichen Maasses dienten, sich ins Unendliche fortsetzten, so lag es nahe zu behaupten, dass das grosste gemeinschaftliche Maass dann unendlich klein und unendlich viele Male in den Grossen enthalten sei. In diesem Falle wurden die Dinge bestimmt durch Unendliche Zahlen oder durch unendliche Annahe- rungen, hervorgebracht durch Verhaltnisse zwischen immer grosseren Zahlen. Es wurde jedoch kaum statthaft sein diese Erklarung aufzustellen, wenn es sich nicht nachweisen liesse, dass pythagoreische und andere Mathematiker zu ihrer Zeit wirklich auf ahnliche Weise Grossen durch unendliche Annaherung bestimmt batten. Wir besitzen allerdings koine direkten Mitteilungen iiber solche Bestimmungen, aber ihre Existenz geht aus dem Kampf hervor, der gegen ihre Berechtigung gefiihrt wurde, namentlich von Seiten einer anderen philosophischen Schule, namlich der elea- tischen. Ich meine hiermit die beriihmten Sophismen, die von ihrem Stifter Zeno von Elea um die Mitte des 5 6(5 Die griechische Mathematik: Jahrhunderts aufgestellt wurden. Diese gehen iiberhaupt darauf aus die Ungereimtheiten zu zeigen, zu denen man gelangt, wenn man annimmt, dass die kontinuierlichen Grossen aus unendlich vielen unendlich kleinen Teilchen zusammengesetzt sind. In zwei von den Sophismen wird bewiesen, dass Be- wegung unmoglich sei. Der erste Beweis lautet folgender- massen. Um von einem Orte zum anderen zu gelangen muss man, bevor er erreicht wird, zuerst die Halfte des Weges zuriicklegen, dann die Halfte von der Halfte u. s. w. bis ins Unendliche. Die Bewegung verlangt also, dass unendlich viele Stiieke des Weges durchlaufen werden, 1st also - - sagt Zeno unmoglich. Auch nicht sagt Zeno in dem zweiten Sophisma - kann der schnellfiissige Achilles die langsame Schildkrote einholen; denn er muss erst die Stelle erreichen, die die Schildkrote jetzt einnimmt, darauf den Weg durchlaufen, den die Schildkrote mittlerweile gekrochen ist u. s. w. bis ins Unendliche ; aber auch diese Unendlichkeit zu erreichen ist unmoglich. Da nun Zeno gewiss nicht die Realitat der Bewegung bezweifelte, so ist seine Absicht eine andere gewesen, namlich die, es als unmoglich hinzustellen, die kontinuier- liche Bewegung durch eine solche Zerlegung in einzelne diskrete Momente zu beschreiben. Das, was er bekampfen will, muss indessen von seinen Gegnern geltend gemacht worden sein. Was ist das nun? In seinem ersten So phisma ist es die Richtigkeit der Behauptung, dass 1 = J + (-i) 2 + (4)3 + . . . bis ins Unendliche. Im zweiten Sophisma ist es, t wenn wir annehmen, dass Achilles sich n-mal so schnell bewegt wie die Schild krote, die Behauptung, dass 1 + : r + ... bis ins Unendliche 6. Das Unendliche. 67 einen endlichen Wert habe. Da man zu jener Zeit sicher- lich auszurechnen verstand, wie lange Zeit Achilles wirk- lich gebrauchte um die Schildkrote zu erreichen, so haben Zen os Gegner auch gewusst, dass der endliche Wert der vorliegenden Summe von unendlich vielen Gliedern - Avar. Diese positiven Resultate liegen so unmittelbar in den Betrachtungen, die Zen o als absurd angesehen haben will, dass man, wenn die Gegner nicht, wie ich annehme, vorher diese oder ahnliche aufgestellt haben, beinahe ihn selbst als ihren Entdecker ansehen miisste. Ohne mathe- matischen Sinn und ohne solche Einsicht verfallt man namlich uberhaupt nicht darauf, diese in mathematischer Hinsicht fruchtbaren Zerlegungen vorzunehmen. Wir sehen also, dass man in der Mitte des funften Jahrhunderts der Frage nach der Summation einer unendlichen Quo- tientenreihe nicht fremd gegeniiberstand, einer Summation, von der wir s pater Archimedes eine Anwendung unter grossere Sicherheit gewahrenden Formen werden machen sehen. Von einem streng logischen Standpunkt aus hat Zeno jedoch recht. Es kann namlich nicht gestattet werden, unendliche Grossen zum Beweise positiver Resul tate zu benutzen, solange das Unendliche nur durch sei- nen Namen erklart ist, denn in diesem liegt nur das rein Negative, dass es unerreichbar ist. Innerhalb der griechi- schen Mathematik pflichtete man auch dem Zeno bei, und zwar in dem Grade, dass der Unendlichkeitsbegriff als positives Beweismittel im nachsten Jahrhundert ganz verdrangt oder auf eine Weise umgangen wurde, die gegen ahnliche Angriffe Sicherheit gewahrte. Sofort geschah das jedoch nicht. Die atomistische Schule, die die physischen Korper als aus unteilbaren Partikeln zusammengesetzt betrachtete, hat sich gewiss auch 5* 68 Die griechische Mathematik: auf erne infinitesimale Untersuchung der geonietrischen Zusarnmensetzung dieser Korper eingelassen, ja wahrschein- lich mit ihr begonnen. Das 1st namentlich mit Demo- krit, dem bedeutendsten Manne dieser Schule, der Fall jrcwesen. Es wird berichtet, dass er die Frage behandelt babe, ob zwei unendlich nahe liegende parallele ebene Schnitte eines Kegels als gleich oder ungleich gross be- trachtet werden diirfen. Im letzteren Falle wiirde der Kegel treppenformig aufgebaut sein, im ersteren wiirde er em Cylinder sein. Diese Frage kann sich ganz natiirlich erhoben haben, wenn man -- wie in unseren elementaren Lebrbiichern bei Gelegenheit der Pyramide - - durch ein integrationsartiges Verfahren das Volumen eines Kegels zu berechnen oder auch nur Satze liber die Gleichheit von Kegeln zu beweisen versucbte. Auf die Bescliiiftigung mit infinitesimalen Fragen deuten vielleicht auch die Titel von mehreren seiner Scbriften, die alle verloren sind, bin, namlich Uber inkommensurable Strecken und Korper , fiber die Zahlen, und vielleicht auch der Titel Uber Beriihrung zwischen dem Kreise und der Kugel. Im iibrigen weiss man nichts von seiner mathematischen Thatigkeit, vielleicht well in der folgenden Zeit die Mathe matik namentlich durch Platos Schule oder doch in Ver- bindung mit ihr gefordert wurde, und diese die Philosophic des Demokrit vollstandig verwarf. Hat nun auch die Thatigkeit des Demokrit den Begriff des Unendlichen soweit vertieft, dass die darauf gebauten Begriindungen an Zuverliissigkeit gewannen, und hat sie vielleicht ferner dessen Verwendbarkeit fiir wirk- liche mathematische Untersuchungen wie iiber den Inhalt des Kegels gezeigt, so hat dieser sich dadurch doch nicht ids iinerkanntes mathematisches Beweismittel zu behaupten vermocht. Mehr als Zenos Dialektik, die von einem iiberlegenem Gesirhtspunkto darauf ausging das Unzurei- 6. Das Unendliche. 69 chende des Unendlichkeitsbegriffes nachzuweisen fiir die Begriindung von Resultaten, die an und fiir sich nicht zweifelhaft sein konnten, haben dazu die mehr unfreiwil- ligen Schliisse beigetragen, zu denen er sich gebrauchen liess. Als Beispiel hierfiir lasst sich der Beweis des So- phisten Antiphon anfiihren, der darthun sollte, dass der Kreis sich quadrieren lasst, das heisst, dass man ein Qua drat konstruieren kann, das eben so gross 1st wie ein gegebener Kreis. Dieser Beweis lasst sich - - wenn wir uns im iibrigen auf die Berichte seiner Gegner verlassen diirfen kurz folgendermassen wiedergeben: In den Kreis lasst sich ein gleichseitiges Dreieck beschreiben und demnachst durch Halbieren der Bogen regulare Polygone von zunehmender Seitenzahl. Durch Fortsetzung bis ins Unendliche fallt das Polygon mil dem Kreise zusammen. Nun lassen sich alle diese Polygone quadrieren, folglich auch der Kreis. Durch solche Missbrauche wurde das Vertrauen zu infinitesimalen Betrachtungen in dem Grade erschiittert, dass, als endlich Eudoxus den Weg t and, auf dem sich die Richtigkeit hierher gehoriger Schliisse vollstandig be- weisen lasst, dieser nicht mehr zur Aufstellung des Un- endlichkeitsbegriffes benutzt wurde; vielmehr wurde dieser in dem sogenannten Exhaustionsbeweise umgangen. tiber diesen, der zu der Zeit, die uns jetzt beschaftigt, noch nicht zur Verfiigung stand werde ich mich je- doch erst auslassen, wenn wir seine Anwendungen bei Euklid kennen lernen. Ebenso werde ich damit warten, die mit dem Exhaustionsbeweise nahe verwandte Propor- tionslehre des Eudoxus zu erklaren, bis wir sie im 5ten Buche des Euklid antreffen. Hier will ich nur bemerken, dass diese unmittelbar auf inkommensurable Grossen ebenso anwendbar ist wie auf kommensurable, 7Q Die griechische Mathematik: so dass Proportionen zwischen inkommensurablen Grossen nach der Zeit des Eudoxus dieselbe Giiltigkeit haben wie Proportionen zwischen kommensurablen Grossen. 7, Die Quadratur des Kreises. Von diesen mathematischen Principienfragen wenden wir uns nun zu einzelnen bestimmten Untersuchungen, die gleichfalls im 5ten Jahrhundert begonnen sind und die Mathematiker in der ganzen voreuklidischen Zeit, ja iiber diese hinaus, beschaftigt haben. Wir haben soeben die Quadratur des Kreises beriihrt. Hierbei kann man sowohl an die Aufgabe denken, mit passender Annaherung Inhalt und Umfang des Kreises zu berechnen, als auch an die andere, ein Quadrat zu konstruieren, das gleich der Flache des Kreises ist, und damit zugleich eine Strecke, die gleich seinem Umfange ist. Nach dem Vorangegan- genen wird man verstehen, dass die Losung der letzten Aufgabe durch ihren exakten Charakter und dadurch, dass sie hinterher zur Berechnung benutzt werden konnte, als das erstrebenswerte Ziel erscheinen musste, dem gegen- iil)er man bis zu Archimedes die beschwerlichen Rech- nungen, die doch nur ein ungenaues Resultat lieferten, unterliess. Die Scheu vor solchen Rechnungen war es, die den Antiphon, wie wir bereits gesehen haben, da- hinbrachte, die einbeschriebenen Polygone, die ein vor- treffliches Mittel fur die Berechnung abgeben wiirden, zu einer unhaltbaren Behauptung iiber die Losung der Auf gabe durch Konstruktion zu missbrauchen. Das Mittel inn rim- nhere Grenze fur den Flacheninhalt zu berech nen, kannte man auch, namlich umbeschriebene Polygone; aber di-cs wurde auch zu Sophismen missbraucht, wie /u dem eiries gewissen Bryson, der wie erzahlt wird 7. Die Quadratur des Kreises. 71 behauptete, class man, um den Kreis zu quadrieren, nur notig habe den Umfang eines neuen Polygons zwischen die Umfange eines einbeschriebenen und des dazu geho- rigen umbeschriebenen Polygons hineinzuzeichnen. Das neue Polygon wiirde namlich ebenso wie der Kreis grosser als das einbeschriebene und kleiner als das umbeschriebene werden folglich(l) gleich dem Kreise sein. Neben Antiphons Behauptnng beweist dieses So- phisma jedoch, dass man zu jener Zeit ein Auge dafur hatte, auf welchem Wege man in der That angenaherte Bestimmungen des Kreises erreichen und kontrolieren konnte. Ein ahnliches Verdienst kann man nicht solchen Losungen zuerkennen, die darin bestanden eine Zahl zu finden, die zugleich Quadratzahl und eine sogenannte cyklische Zahl war, d. h. eine solche, deren Quadrat mit denselben Ziffern endigt wie die Zahl selbst. Man erkennt aus diesem groben Sophisma, dass der von Zeno eroff- nete Kampf gegen die von den Mathematikern aufgestell- ten unrichtigen oder unvollstandigen Ausdrucke fiir rich- tige Gedanken nicht nur die Mathematiker zwang, der exakten Form grossere Sorgfalt zuzuwenden, sondern um- gekehrt auch die Sophisten, die nicht Mathematiker waren, lehrte die mathematischen Formen zu gebrauchen um Ungereimtheiten aufzustellen. Wenn dagegen Aristoteles und seine Kommentatoren, durch die wir diese Beispiele kennen, einen Mathematiker wie Hippok rates von Chios beschuldigen, dass er auf Grund eines ahnlichen Fehl- schlusses behauptet habe den Kreis quadriert zu haben, so muss hier wohl eine Verwechslung stattgefunden haben zwischen dem, was Hippokrates erstrebt, und dem, was er wirklich erreicht zu haben behauptet hat. Diese Be- schuldigung ist indessen die Veranlassung dazu gewesen, dass wir noch seine Untersuchungen kennen ; diese haben 7~_> Die griechische Mathematik: nicht nur zu einem hiibschen Ergebnis gefiihrt, narnlich zu den ersten Quadraturen von Flachen, die von krummen Linien begrenzt sind, sondern sie sind zuglejtfh ein vor- treffliches Beispiel fiir das, was einem tiichtigen Geometer des 5ten Jahrhunderts zur Verfiigung stand und wie er es zu gebrauchen wusste. Namentlich aus diesem Grunde wollen wir hier einen Auszug aus dem Bericht des Eu- demus iiber seine Arbeiten geben. Wie berichtet wird beweist Hippok rates zuerst, dass ahnliche Kreisabschnitte sich wie die Quadrate iiber den Durchmessern verhalten, und zwar soil er dies mit Hiilfe des entsprechenden Satzes iiber zwei Kreise gemacht haben. Der bewiesene Satz wird demniichst benutzt um das M6ndchen zu quadrieren, das von einem Halbkreise und einem Bogen von 90 iiber dessen Durchmesser be grenzt wird. Es wird bewiesen, dass dies Mondchen gleich dem gleichschenkeligen rechtwinkeligen Dreieck 1st, das sich in den Halbkreis beschreiben lasst. Darauf wird auf folgende Weise ein Mondchen konstruiert, dessen grosserer Bogen grosser als ein Halbkreis ist. Es wird zuerst ein Trapez konstruiert, von dem 3 Seiten jede gleich a und die vierte gleich a}/ 3 ist (in der Potenz dreimal so gross als die anderen, d. h. ihr Quadrat ist dreimal so gross als jedes der anderen); um dieses wird ein Kreis beschrieben, und das Mondchen wird abgeschnit- ten zwischen dem grosseren Bogen der Sehne ay3 und einem Bogen iiber derselben Sehne, der demjenigen iiber der Seite a ahnlich ist. Es wird gezeigt, dass das Mond chen dem Trapeze gleich ist. Hippokrates hat noch ein drittes Mondchen kon struiert, das sich quadrieren lasst. In dem Bericht iiber dieses werde ich, abgesehen von einzelnen modernen Um- schreibungen (wie r\/|), mit einer direkten Wiedergabe 7. Die Quadratur des Kreises. 73 des Referates von Eudemus beginnen 1 ). Ein Kreis mit dem Durchmesser A B (= 2 r) und dem Mittelpunkt K 1st gegeben. Die CD steht senkrecht auf der Mitte von KB. Zwischen diese Senkrechte und die Kreisperipherie wird eine Strecke E Z von der Lange r \ -| eingeschoben, deren Verlangerung durch B geht. EH wird parallel A B gezogen. Man zieht K E und K Z, von denen die letzte in ihrer Verlangerung die ED in H schneidet. Endlich ziehe lan BH und die Verlangerung BZ von E Z. B H wird leich EK sein, und urn das Trapez EK BH lasst sich in Kreis beschreiben. Gleichfalls wird ein Kreisbogen durch E, Z und H gezogen. [Jeder von den beiden Ab- schnitten fiber den Strecken E Z und ZH wird den Ab- schnitten iiber den Strecken EK, KB und BH gleich 3m]. Das hier gebildete Mondchen (E K B H Z} wird gleich ler Figur sein, die man aus den drei Dreiecken (das ist r iereck EKBHZ] bildet ... Das wird dadurch gezeigt, lass jeder der beiden Abschnitte iiber E Z und ZH nach : ) So wie P. Tannery es in den Memoir cs de la Socic.te le Bordeaux t. V. (2. Reihe, 2. Heft) in einer von den Zusatzen les Simplicius befreiten Gestalt wiederzugeben versucht hat. ie eckigen Klammern bezeichnen eine von Tannery ausgefiillte ikune. 74 Die griechische Mathematik: der Konstruktion das anderthalbtfache von jedem der drei Abschnitte liber EK, KB und BH ist. Hippokrates zeigt noch, dass der aussere Bogen E K BH dieses Mondchens kleiner als ein Halbkreis 1st, da der in das Segment EKH einbeschriebene Winkel stumpf ist. Sein Beweis dafur lasst sich mit unseren Zeichen folgendermassen wiedergeben: EZ* =| r 2 = EK* + Ir 2 2t Dass KB 2 grosser als 2 KZ 2 ist, muss Hippo krates daraus schliessen, dass der Winkel KZB stumpf ist; aber es ist nicht gesagt, wie er dies findet. Er kann es daraus geschlossen haben, dass sein Nebenwinkel EZK, der E K, die kleiner als EZ ist, gegeniiberliegt, spitz sein muss. In dem erhaltenen Schriftstiick wird noch ein ge- wisses Mondchen konstruiert, das, zu einem gewissen Kreise hinzugefiigt, eine Flache liefert, die sich quadrieren lasst. Dieses Mondchen ist es, dessen Quadratur zur Quadratur des Kreises gefuhrt haben wiirde. Dass dieses nicht identisch mit einem der vorher quadrierten ist, muss Hippokrates, der selbst imstande war diese Mond chen so herzustellen, dass sie sich quadrieren liessen, ebenso gut gesehen haben wie wir. Um nun durch die citierten Untersuchungen in der That einen Einblick in die damaligen Leistungen der Mathematik zu gewahren, will ich zunachst darauf hin- weisen, dass iiber eine Konstruktion, wie die eines Tra pezes aus seinen Seiten, kein Wort verloren wird, dass die Benutzung der Grossen der Dreiecksseiten fur die Tntersuchung, ob ein Winkel im Dreieck spitz, recht oder stumpf ist, als wohl bekannt betrachtet wird, ebenso 7. Die Quadratur des Kreises. 75 wie der Satz, dass Kreisflachen sich vvie die Quadrate iiber den Durchmessern verhalten. Den euklidischen Be- weis des letzten Satzes kann man jedoch noch nicht ge- kannt haben, iiberhaupt keinen, der den spateren griechi- schen Mathematikern geniigt haben wurde. Ausgangspunkte fiir einen faktisch richtigen Beweis kann man indessen in solchen Betrachtungen, wie die von Antiphon gemiss- brauchten waren, gehabt haben. Eine Strecke wie ryf hat man leicht konstruieren konnen, sei es nun durch die in der geometrischen Algebra erwahnte Methode, ein Rechteck mit den Seiten r und f r in ein Quadrat zu verwandeln, oder sei es durch Anwendung des pythago reischen Lehrsatzes. Die Einschiebung der Strecke EZ=r^\ zwischen CD und die Kreislinie, so dass ihre Verlangerung durch B geht, ist abhangig von einer Gleichung zweiten Grades, die man, wie wir als ganz bestimmt annehmen, damals durch geometrische Kon- struktion losen konnte. Indessen ist es, wie wir bald erortern werden, doch moglich, dass diese Konstruktion auf andere Weise ausgefiihrt worden ist. Die verschiedenen Versuche, den Kreis mit Hiilfe von Zirkel und Lineal zu quadrieren, misslangen, und in der neuesten Zeit hat man bewiesen, dass sie misslingen mussten. Das Verlangen nach einer exakten Losung, die nach den Forderungen der damaligen Zeit durch Kon struktion zu einer geometrischen Darstellung liihren sollte, konnte deshalb nur erfiillt werden durch Einfuhrung an- derer Kurven als Gerade und Kreis. Hierbei kam es nicht sonderlich darauf an, ob derartige Kurven sich me- chanisch darstellen liessen, und noch weniger darauf, sie durch eine diskrete Reihe von Punkten darzustellen, denn diese wiirden ja nur eine Annaherung gestatten. Die Hauptsache war dagegen, hier wie in anderen ahnlichen 76 Die griechische Mathematik: Fallen, in einer exakten Definition eine mathematisch si dire, theoretische Grundlage fur die Bestimmung zu geben, eine Grundlage, auf der sich eventuell weitergehende Untersuchungen, in denen die konstruierte Grb sse ver- wendet wurde, aufbauen liessen. Man verfuhr in dieser Beziehung ebenso, wie wenn man in der Gegenwart neue Funktionen einfuhrt fur die exakte Bestimmung von sol- chen Grossen, die sich durch die bis dahin bekannten nur mit Annaherung darstellen lassen. Am besten war es natiirlich, wenn eine und dieselbe Kurve sich auf ver- schiedene Konstruktionen an wen den liess, so dass die ge- meinsame Theorie der Kurven alien Konstruktionen zu Gute kommen konnte. Eben dies war der Fall mit einer Kurve, die fur die Quadratur des Kreises benutzt wurde und deshalb den Namen Quadratrix erhielt. Sie soil urspriinglich von Hippias aus Elis erdacht sein, um fiir die Dreiteilung des Winkels benutzt zu werden. Die Eigenschaft, durch welche die Alten sie in Worten definierten, konnen wir, wenn wir mit y die Ordinate eines ihrer Punkte in einem rechtwinkeligen Koordinatens) 7 stem bezeichnen, und durch $ den Winkel, den der Radius vector desselben Punktes mit der Abscissenaxe bildet, darstellen durch die Gleichung y___$ b ~ Q wo wir durch Q einen rechten Winkel bezeichnen, und durch b den $ = @ entsprechenden Wert von y. Die Winkel werden durch die Bogen gemessen, die sie als Centriwinkel auf einem Kreise mit dem Radius b abschnei- den. Mit der jetzt gebrauchlichen Bezeichnung n ist also Da y und $ proportional sind, so ist die Verwend- barkeit der Kurve fiir die Teilung eines Winkels in gleiche 7. Die Quadratur des Kreises. 77 Teile oder in solche Teile, die in einem gegebenen Ver- haltnis stehen, ohne weiteres erkennbar. Ihre Verwend- barkeit fur die Quadratur des Kreises wurde jedoch zuerst von Dinostratus entdeckt oder streiige bewiesen, da er bewies, dass die Abscisse ihres Schnittpuriktes mit der Abscissenaxe gleich oder sei ; denn der Quotient Q n Q kann weder grosser noch kleiner sein als die genannte Abscisse. Ware er grosser, so musste es, da die Radien- vectoren der Kurve mit ft wachsen, einen Punkt der Kurve b 2 geben, dessen Radiusvector gleich - - ware. Man musste Q also (wenn wir der Ubersichtlichkeit wegen unsere trigono- metrischen Zeichen und Gleichungen da benutzen, wo Dinostratus Proportionen gebrauchte) haben b 2 .#.*,.. - . 8in&=y = b = - -, Q Q Q b b 2 oder der dem Radius -- entsprechende Sinus musste dem 6 demselben Radius entsprechenden Bogen gleich sein. Ware er kleiner, so musste es einen Punkt geben, dessen Ab- b 2 scisse - - ware, fur den also Q b 2 b 2 ft b 2 oder die dem Radius - - entsprechende Tangente musste dem demselben Radius entsprechenden Bogen gleich sein. Beide-Dinge sind unmoglich. Was nun den Inhalt dieses Beweises betrifft, so sieht man, dass Dinostratus sich nicht mit einer Bemerkung begniigt wie diejenige ist, die wir durch Urn. - = 1 78 Die griechische Mathematik: oder durch Urn. -- = 1 ausdriicken wiirden ; vielmehr i umgeht er ganz die Frage nach unendlicher Annaherung dadurch, dass er nur die Ungleichheiten sinz<.z <.t(f z benutzt, die ja im librigen auch beide notwendig sind t iir cine exakte Bestimmung jeder der beiden Grenzwerte. Die Art, wie die Grenzbestimnmngen umgangen werden, stimmt im wesentlichen mit der Art und Weise iiberein, wie dies im Exhaiistionsbeweise geschieht; aber Dino- stratus war auch ein Schiiler von dessen Erfinder Eu- doxus. Wir werden spater sehen, dass die Abhangigkeit zwi- schen Variationen von Kreisbogen und Strecken, die durch die Quadratrix dargestellt werden, einzelnen numerischen Bestimmungen zu Grunde gelegt wurde. Auch Archimedes dessen wirkliche Berechnung von Kreisen wir spater erwahnen werden - - hat Kurven untersucht, die sich etwa wie die Quadratix anwenden lassen, namlich die sogenannten archimedischen Spi- ralen (r=a$). Ihre Verwendbarkeit fiir Winkelteilung ist ohne weiteres erkennbar, und Archimedes schliesst sowohl die Bestimmung von Tangenten wie diejenige von Flacheninhalten an die Quadratur des Kreises an. Nach moderner Auffassung verwendet er wohl zunachst die Quadratur des Kreises oder die Zahl n fur diese Bestim mungen; aber der Vergleich mit der Benutzung der Qua dratrix lasst erkennen, dass man ebensoviel Wert darauf gelegt hat auf diesem Wege, namentlich durch Bestim mung der Tangente, wenn auch nicht eine Konstruktion, so doch in Worten eine gute geometrische Bestimmung einer Strecke zu erhalten, die gleich der Peripherie des Kreises ist. Die Kurve selbst veranschaulicht auf die deutlichste Weise das periodische Wachsen von dem, was wir jetzt circulate Funktionen (Kreisfunktionen) nennen. 8. Dreiteilung des Winkels; Einschiebungen. 79 8. Dreiteilung des Winkels; Einschiebungen, Wir haben soeben die Anwendung der Quadratrix und der archimedischen Spirale auf die Dreiteilung des Winkels beruhrt. Ausser diesen beiden will ich noch zwei andere Losungen dieser Aufgabe anfiihren, die fruhzeitig die Mathematiker beschaftigt haben. Die eine, deren Alter sich nicht bestimmen lasst, kann sehr wohl aus dem 5ten Jahrhundert herstammen, wahrend die andere unter den von den Arabern aufbewahrten so- genannten archimedischen Hiilfssatzen enthalten ist, viel- leicht also von Archimedes herriihrt. In beiden wird die Losung auf eine sogenannte Einschiebung zunickgefuhrt. 1) Ist ABC der Win- A kel, der in drei gleiche Teile geteilt werden soil, so zieht man zu- erst A C senkrecht auf BC t und A # parallel ~* c B C, und dann wird zwischen A C und A E die Strecke D E = 2 A B so eingeschoben, dass ihre Verlangerung durch B geht. 1st dann namlich F die Mitte von D JE, so ist > mithin 2) Ist A B C der Win- kel, der in drei gleiche Teile geteilt werden soil, und schneidet ein Kreis urn B die beiden Schen- kel und die Verlangerung von A B iiber B hinaus in A, C und Z), so wird zwischen die Verlangerung von BD und die Kreisperi- 80 Die griechische Mathematik: pherie eine Strecke EF=BC so eingeschoben, dass ihre Ycrliingerung durch C geht. Dann 1st 2_ DEF= \ L- BFC ^ Z_ FCB = J z_ A C. Was nun die beiden hier verlangten Einschiebun- irt ii angeht, so sind sie wie die gestellte Aufgabe selbst von Gleichungen dritten Grades abhangig, lassen sich also nicht mit Hiilfe von Gerade und Kreis losen. indessen sei hier bemerkt, dass die Zuruckfiihrung einer Konstruk- tion auf eine Einschiebung ohne genauere Angabe dar- iiber, wie diese auszufiihren sei, sehr oft in der griechi- schen Geometric vorkommt. So haben wir eine solche in dem angefiilirten Bruchstiick von Hippokrates getrof- fen, und Archimedes fiihrt in seiner Schrift iiber Spi- ralen andere Aufgaben auf dieselbe Einschiebung zuruck, durch welche die ihm hier beigelegte Dreiteilung des Winkels ausgefiihrt wurde. Das kann darauf deuten, dass es eine Zeit gegeben hat, wo man die Einschie bung als ein Konstruktionsmittel anerkannte, das un- mittelbar bei geometrischen Konstruktionen neben Zirkel und Lineal angewandt werden durfte. Unter einer Ein schiebung wird dann im allgemeinen die Konstruktion einer Strecke verstanden, deren Endpunkte auf gegebenen Linien liegen, und die selbst oder in ihrer Verlangerung durch eincn gegebenen Punkt geht. Sie lasst sich einiger- 11 iassen leicht mechanisch ausfiihren durch ein Lineal (oder ein gefaltetes Stuck Papier), auf das man zwei Mar- ken im Abstande der gegebenen Strecke abgetragen hat. Dieses Lineal dreht man um den festen Punkt, indem man es gleichzeitig so verschiebt, dass die eine Marke der einen gegebenen Linie folgt, und mit einer solchen Bewegung fahrt man solange fort, bis die andere Marke sich auf der zweiten gegebenen Linie befindet. Wegen des theoretischen Zieles, das die Griechen 11 lit ihren Konstruktionen verfolgten, begniigten sie sich 8. Dreiteilung des Winkels; Einschiebungen. 81 jedoch nicht lange rnit dieser mechanischen Leichtigkeit. Da man iiberdies, um auf moglichst wenigen Vorausset- zungen bauen zu konnen, auch so wenige anerkannte Konstruktionsmittel haben musste wie nur moglich war, so wurde die unmittelbare Ausfiihrung der Einschiebungen bald iiberall dort verdrangt, wo sie sich durch Zirkel und Lineal, die einzigen Konstruktionsmittel, die in Euklids Elementen Biirgerrecht erhalten, ausfiihren liessen. Mog- licherweise sind altere Anwendungen die Ursache, dass Apollonius zwei Biicher liber Einschiebungen geschrieben hat, die, wie wir wissen, iiber die Ausfiihrung dieser rnit Hiilfe von Zirkel und Lineal gehandelt haben. Er kann dadurch dem Mangel in alteren Werken haben abhelfen wollen, dass Aufgaben auf Einschiebungen zuruckgefiihrt sind, ohne dass eine solche Ausfiihrung angegeben wird. Bei Einschiebungen, die sich nicht durch Zirkel und Lineal, sondern durch Benutzung von Kegelschnitten aus fiihren lassen, ist es auch von einem gewissen Zeitpunkt an obligatorisch geworden diese Kurven anzuwenden, sich also nicht mit der mechanischen Ausfiihrung zu begniigen. Dass dies erst nach Archimedes geschehen sein sollte, kann man keineswegs mit voller Sicherheit daraus schlies- sen, dass er sich damit begniigt, Aufgaben auf Einschie bungen zuriickzufiihren ; derm der Umstand, dass man sich friiher mit einer mechanischen Ausfiihrung begniigte, wird fur ihre Ausfiihrung durch Kegelschnitte feste Re- geln hervorgerufen haben, die Archimedes als bekannt betrachten konnte. Wie die Einschiebungen des Archi medes sich durch Kegelschnitte ausfiihren lassen, ist spater von Pappus angegeben worden. Wo man die Einschiebungen nicht auf die Benutzung dieser anderen Konstruktionsmittel zuriickgefiihrt hat, ja nicht hat zuriickfuhren konnen, da ist eine theoretische Untersuchung der Einschiebung selbst erforderlich gewesen. 6 82 Die griechische Mathematik: Am besten hat dies geschehen konnen durch Aut stellung einer Definition und eine darauf gegriindete Untersuchung derjenigen Kurve, die bei der oben beschriebenen mecha- nischen Konstruktion von dem einen Endpunkt der ge- gebenen Strecke durchlaufen wird, namlich von dem, der nicht an die eine gegebene Linie gebunden ist. Durch die Schnittpunkte dieser Kurve mit der zweiten gegebenen Linie wird dann die Einschiebungsaufgabe gelost. Eine solche Untersuchung ist auch, sogar nach Archimedes Zeit, von Nikomedes in dem Falle vorgenommen worden, wo die erste der gegebenen Linien eine Gerade ist. Die erzeugte Kurve wird dann eine Konchoide genannt. Nikomedes hat zugleich einen Apparat erdacht um diese Kurve mechanisch zu erzeugen. Die Benutzung dieses Apparates deckt sich ungefahr mit der oben beschriebenen mechanischen Ausfuhrung einer Einschiebung. Wie nun auch die Einschiebung ausget iihrt worden sein mag, so hat doch diejenige Zuruckfuhrung der Drei- teilung des Winkels, die wir - - mit allem moglichen Vor- behalt dem Archimedes beigelegt haben, eine grosse Bedeutung in der spateren Geschichte der Mathematik erhalten. Namentlich liegt sie der Losung zu Grunde, die Vieta fur Gleichungen 3 ten Grades im sogenannten irreduciblen Fall gegeben hat. 9, Verdoppelung des Wiirfels, Von den Aufgaben, die in ihrer algebraischen Form von Gleichungen 3ten Grades abhangig sind und spater im Altertum durch Kegelschnitte gelost wurden, war die Dreiteilung des Winkels nicht die einzige, die man bereits im 5ten Jahrhundert in Angriff genommen hatte. Von noch grosserer Bedeutung war die Aufgabe, die die geo- 9. Verdoppelung des Wiirfels. 83 metrische Form der reinen kubischen Gleichung darstellt, namlich die Verdoppelung oder Multiplikation des Wiirfels. Diese Aufgabe heisst das delische Problem in Ver- anlassung eines Orakelspruches, wonach ein wurfelformiger Altar auf der Insel Delos doppelt so gross gemacht wer- den sollte ohne seine Form zu verandern; man darf in- dessen wohl annehmen, dass Pythia bei dieser Gelegenheit durch die Mathematiker inspiriert worden sei. Wie be- reits erwahnt hatte man in der geometrischen Algebra Produkte von zwei allgemeinen Faktoren und Operationen mit den daraus zusammengesetzten Ausdriicken zweiten Grades umgeformt in Rechtecke und in Operationen mit Flachen, und in Verbindung damit das Ausziehen der Quadratwurzel vertauscht mit der Verwandlung eines Recht- ecks in ein Quadrat, eine Aufgabe, die von den Pytha- goreern gelost worden sein soil. Da lag es denn nahe von diesen ebenen Aufgaben zu den entsprechenden raumlichen iiberzugehen. Man musste dann ein Pro- dukt von 3 Grossen durch ein Parallelepipedon darstellen, nd Operationen mit Ausdriicken vom 3ten Grade als iperationen mit Raumgebilden. Nachst so einfachen ingen wie Einfiihrung einer neuen Kante oder Grund- flache in ein Parallelepipedon und Anwendung davon auf Addition und Subtraktion, oder Verwandlung eines Paral- lelepipedons mit recbteckiger Grundflache in ein solches mit quadratiscber, musste die Aufgabe, ein Parallelepipe don in einen Kubus zu verwandeln, sicb mit derselben Macht geltend machen, wie sicb nach den Quadra twurzeln die Frage nach Kubikwurzeln demjenigen aufdrangt, der die Algebra in ihrer gegenwartigen Gestalt aufbauen sieht. Wie \/2 die nachstliegende irrationale Kubikwurzel ist, wurde die Verdoppelung des Wiirfels das nachstliegende 6* 84 Die griechische Mathematik: Beispiel fur Aufgaben der hier bezeichneten Art. Als polche und durch die neuen Schwierigkeiten, die sie dar- bot, erweckte sie grosses Interesse bei den Mathematikern. Der erste Beitrag zur Losung dieser Aufgabe, den wir erwahnt finden, wird dem Hippokrates zugeschrie- Ix-n. Ebenso wie die Verwandlung eines Rechtecks in em Quadrat auf der Konstruktion einer mittleren Propor- tionale beruht, soil er die Aufgabe von der Verdoppelung des Wiirfels, also vermutlich auch die etwas allgemeinere Aufgabe von der Verwandlung des Parallelepipedons in einen Kubus, auf die andere zuruckgefiihrt haben, zwei mittlere Proportionalen zu bestimmen. 1st namlich das Parallelepipedon bereits in ein solches a 2 b mit der qua- dratischen Grundflache a 2 und der Hohe b verwandelt, und soil dieses wieder in den Wiirfel a? 3 verwandelt wer- den, so lasst sich x bestimmen aus den Proportionen a:x = x:y== y.b. Ob nun diese Umformung dem Hippokrates zuzu- schreiben ist oder nicht, nach ihm erscheint das Delische Problem gewohnlich miter der Form der Aufgabe: zwei mittlere Proportionalen x und y zu bestimmen zu den gegebenen Strecken a und b. Die erste von den vielen Losungen, die diese Auf gabe im Alterturn erfahren hat, verdankt man dem Ar- chytas. Um diese Losung recht zu ver- stehen, muss man fest- halten, dass er darauf ausgeht eine Figur zu konstruieren, die aus zwei Geraden O Y A und OBX besteht, /wischen denen die gebrochene Linie A X YB so gezeichnet soil, dass XFsenkrecht auf der ersten, A X und 9. Verdoppelung des Wiirfels. 85 YB senkrecht auf der zweiten stehen, wahrend OA und OB von gegebener Lange sind. Dann sind namlich offen- bar X und Y die beiden mittleren Proportionalen zwischen OA und OB. Man kennt also den Durch- messer OA eines Kreises, auf dem X liegen soil, aber nicht den Durchmesser O Y eines Kreises, auf dem B liegen soil. Archytas sucht diesen letzten Kreis einzu- fiihren als Schnittkreis der Kugel iiber OA als Durch messer. Da O B gegeben ist, so \vird der Punkt B auf einem Schnittkreis dieser Kugelflache liegen, die Linie OB und dadurch der Punkt X auf dem Umdrehungs- kegel, der diesen bekannten Schnittkreis zur Leitlinie hat. Wenn man nun versucht die verlangte Stellung zu errei- chen durch eine Drehung der Figur um die in ihrer Ebene in O auf A errichtete Senkrechte O C, so wird die Projektion Y des Punktes X auf die von OA durch- laufene Ebene einen grossten Kreis beschreiben, die Linie X Y also eine Cylinderflache, auf der der Punkt X auch liegen muss. Da nun X ferner wahrend der Umdrehung dauernd auf dem Kreise iiber OA als Durchmesser liegen soil, so muss er auf der Kurve liegen, die dieser Kreis wah rend seiner Bewegung auf der Cylinderflache aufzeichnet, d. h. in Wirklichkeit auf der Schnittlinie der Cylinder flache mit dem durch die Umdrehung des Kreises um seine Tangente in O erzeugten Wulst. Der Punkt X wird dann bestimmt durch den Durchschnitt zwischen dieser cylindrischen Raumkurve und der obengenannten Kegel- flache, und durch seine Bestimmung ist die Aufgabe gelost. Diese Losung wird kaum zu einer wirklich durch- gefuhrten praktischen Bestimmung angewandt worden sein. Hierauf deutet unter anderem der Umstand, dass die wirkliche Erzeugung der Raumkurve nicht genannt wird, denn der hierzu dienende Wulst ist nur eine von uns sr. Die griechische Mathematik: eingeschobene Erklarung. Archytas hat sicher erkennen k<>nnen, dass man durch success! ves Probieren leichtere und genauere Bestimmungen von A X und A Y erhalt. Das was hier beabsichtigt war, war also eine theoretische Bestimmung, die bei weitergehenden Untersuchungen, bei denen Kubikwurzeln vorkommen, benutzt werden konnte. Damit diese in dieser Beziehung wirklich befriedigend hatte sein konnen, miisste man jedoch dem Archytas eine Bekanntschaft mit der benutzten Raumkurve oder doch mit Hiilfsmitteln um ihre Eigenschaften anzugeben beilegen, die er schwerlich besessen haben wird. Seine Losung erhalt dagegen grossen Wert fur uns als ein unmittelbares Zeugnis fiir das, was er zu leisten vermochte. Er ist auf seine Aufgabe losgegangen mit dem Gedanken an die Anwendung des Kreises zur Losung der entsprechenden ebenen Aufgabe. Er versucht, ob die Kugel sich nicht auf entsprechende Weise fur die Losung der vorliegenden raumlichen Aufgabe sollte verwenden lassen, und er fuhrt diesen Versuch durch mit klarer Erfassung der raumlichen Verbal tnisse, die sich dabei darbieten, ja er schreckt nicht zuriick vor der Einfiihrung einer Kurve, die ein gewisser Kreis wahrend seiner Be- wegung auf einem Cylinder aufzeichnet. Ausser von einem sicheren Gedankengang bei ihm selbst zeugt seine Kon- struktion von einem Vertrautsein mit der Anwendung geometrischer Orter zur Bestimmung von Punkten, die hinreichend entwickelt war, um ihre Erweiterung auf den Raum vornehmen zu konnen. Wir diirfen daraus schliessen, dass die Geometric des Raumes und die Anwendung geometrischer Orter wenigstens in der P]bene zu seiner Zeit bereits zu einer recht bedeutenden Entwickelung ge- Inngt war. Es wird berichtct, dass An-hylas Schiiler Eudoxus zur Losung derselben Aufgabe einige andere Kurven be- 9. Verdoppelung des Wurfels. 87 nutzt habe. Man hat geraten auf Projektionen der Schnitt- kurven zwischen den 3 Flachen, die in Wirklichkeit bei der Konstruktion des Archytas benutzt werden. Eu- doxus Schiller Menachmus verfiel dagegen darauf das Hiilfsmittel zu benutzen, das spater im griechischen Alter- tnm auf diese und viele andere Aufgaben angewandt wurde, namlich die Kegelschnitte. Nach den Berichten spaterer Schriftsteller soil er die beiden mittleren Propor- tionalen zwischen a und b bestimmt haben als die Koor- dinaten x und ij der Schnittpunkte zwischen den durch zwei von den Gleichungen ay~x 2 , bx = y 2 , xy = ab bestimmten Kurven, und zugleich soil er gezeigt haben, wie diese Kurven, die ja Parabeln und eine Hyperbel werden, sich stereometrisch als Schnitte an Umdrehungs- kegeln darstellen lassen. Zu diesen Bestimmungen werden wir zuriickkehren, sobald wir, nachdem wir in unserer allgemeinen Untersuchung weiter fortgeschritten sein wer den, die Entwickelung der Lehre von den Kegelschnitten im Zusammenhange behandeln. Hier ist dagegen der Ort um noch solche Anwen- dungen anderer Hiilfsmittel zu beriihren, die man noch weithin in der folgenden Zeit fortfuhr fiir die Konstruk tion der beiden mittleren Proportionalen ausfindig zu machen. Man erfand verschiedene mechanische Werk- zeuge fiir die Konstruktion einer Figur, die wie die Figur auf S. 84 ahnliche Dreiecke enthalten, durch die sich unmittelbar die verlangte Verbindung ergiebt. Eines von diesen wird Plato zugeschrieben, ein zweites riihrt von Eratosthenes her. Da sich indessen ergiebt, dass keiner von diesen Apparaten eine wirkliche Bedeutung fiir die Entwickelung der Mathematik gehabt hat, so wollen wir uns eine Beschreibung von ihnen und ihrem Gebrauch ersparen und uns damit begniigen zu bemerken, dass 88 Die griechische Mathematik: diese Apparate Descartes veranlasst haben gleichfalls einen zu erdenken, den er in seiner Geometric beschreibt. Die Konstruktion der beiden mittleren Proportionalen ist auch von Nikomedes auf eine Einschiebung zuriick- gefiihrt worden. Die hierzu dienende Konstruktion ist jedoch keineswegs so einfach wie diejenigen sind, die fiir die Dreiteilung des Winkels benutzt werden. 10, Theoreme und Probleme; Bedeutung der geometrischen Konstruktion. Wir haben teils liber die Hauptanschauungen und die sich daran schliessenden Operationsmethoden gespro- chen, die im 5 ten Jahrhundert ihren Anfang nahmen und sich in der folgenden griechischen Mathematik weiter entwickelten, teils durch Erwahnung einzelner Untersu- chungen Proben von dem damaligen reellen Inhalt dieser Mathematik gegeben. In dem Maasse wie man fortschritt bedurfte man fester und zuverlassiger For men, die zu diesen Anschauungen stimmten und sie dadurch in noch ho herein Grade sicher stellten, und die dem stets wach- senden Inhalt in sich Raum gewahrten. Die hierzu fiih- rende Arbeit wurde in Plato s philosophischer und Eu- doxus mathematischer Schule und durch Verhandlungen zwischen beiden ausgefiihrt. Als Beispiel fiir eine solche Verhandlung konnen wir einen Streit dariiber anfuhren, in wie weit die rnathe- inatischen Wahrheiten als Theoreme (Lehrsatze) oder als Probleme (Aufgaben) auftreten diirfen. Das erste wurde von den Platonikern geltend gemacht, die sich darauf stiitzten, dass die Losung einer Aufgabe nur etwas zustande bringe, was schon im voraus vorhanden sei: gleichseitige Dreiecke existieren unabhangig davon, ob 10. Theorems und Probleme. 89 man sie konstruiert, und man kann ein solches nur des- halb konstruieren, well der Begriff gleichseitiges Dreieck eine Realitat hat, bevor man es konstruiert. Fur die Schiller des Eudoxus, die bei dieser Gelegenheit nament- lich von Menachmus reprasentiert wurden, war die mathe- matische Hervorbringung durch Konstruktion oder doch durch Untersuchung der Figur die Hauptsache. In ausserer Hinsicht scheint keine der Parteien die andere besiegt zu haben, da Theoreme und Probleme neben einander in Euklids Elementen vorkommen. Von grosserer Bedeutung ist die Priifung dessen gewesen, was ausser der rein ausseren. Form Theoreme und Probleme charakterisiert. Das hat man wenigstens spater etwa folgendermassen ausgedrtickt : im Theoreme wird das ein- zig mogliche ausgesagt, im Probleme wird das verlangt, was anders sein konnte. Nach diesen Kennzeichen muss man entscheiden, ob eine Wahrheit in der einen oder anderen Form mitgeteilt werden soil. Beispielsweise wiirde es unrichtig sein als Problem zu stellen: Einen rechten Peripheriewinkel zu konstruieren, der auf einem Halbkreise steht. Wichtiger als solche Bestimmungen in Worten ist es jedoch die Rolle kennen zu lernen, die Theoreme und namentlich Probleme bei den uns erhaltenen Schriftstel- lern spielen, namentlich in Euklids Elementen. Vielleicht begreift man dadurch auch besser die von Menachmus verfochtene Ansicht als durch die iiberlieferte Mitteilung. Diese lasst die Platoniker geltend machen, dass das gleich- seitige Dreieck existiert, bevor es konstruiert wird. Im Gegensatz hierzu kann Menachmus behauptet haben, dass man erst erfahrt, dass es wirklich existiert, wenn man es konstruiert und damit den Beweis verbindet, dass diese Konstruktion wirklich zurn Ziele fiihrt. So verfahrt Euklid, indem er sich nicht damit begniigt gleichseitige 90 Die griechische Mathematik: Dreiecke zu definieren, sondern, bevor er weiteren Gebrauch von ihnen macht, sich ihrer Existenz dadurch versichert, dass er im ersten Satze des ersten Buches die Aufgabe lost ein solches zu konstruieren imd die Richtigkeit der Konstruktion beweist. Die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens macht sich insofern von selbst gel tend, als gleichseitige Dreiecke demnachst bei neuen Konstruktionen benutzt werden sollen ; aber es ist beachtenswert, dass Euklid auf dieselbe Weise mit solchen Dingen verfahrt, die in der Folge nur im Beweise fiir einen Lehrsatz benutzt werden sollen. Bevor er in I, 16 die Mitte einer geradlinigen Strecke benutzen darf, muss er in I, 10 durch Konstruktion dieses Punktes bewiesen haben, dass er wirklich existiert. Etwas ahn- liches gilt fiir alle ahnlichen Falle. Die wesentliche Be- deutung der geometrischen Konstruktion liegt darin, dass sie zum Beweise dafiir dienen soil, dass dasjenige, auf dessen Darstellung die Konstruktion ausgeht, wirklich existiert. Mag nun auch Menachmus zuerst diese Bedeutung der geometrischen Probleme, die durch Konstruktion ge- lost werden, zu vollem Bewusstsein gebracht haben, so hat diese sich doch auch schon fruher geltend gemacht. Das hangt namlich auf das genaueste zusammen mit der geometrischen Algebra. Als man gefunden hatte, dass keine Zahl oder kein Zahlenverhaltnis (Bruch) existiert, die mit sich selbst multipliciert 2 ergeben, und als man, statt eine solche Zahl zu verlangen, eine Strecke ver- langte, welche die Seite eines Quadrates ist von doppelter Grosse wie das Quadrat iiber einer gegebenen Strecke, so musste man die Existenz einer solchen Strecke beweisen. Das geschieht dadurch, dass man sie als Diagonale des Quadrates iiber der gegebenen Strecke darstellt. Eine ahnliche Bedeutung erhiilt die Losung allgemeiner Glei- 10. Theoreme und Probleme. 91 chungen 2ten Grades durch eine Konstruktion. Erst mit dieser allgemeinen Auffassung vor Augen begreift man vollkommen den Wunsch nach einer konstruktiven Losung von der Quadratur des Kreises, der Dreiteilung des Win- kels, der Verdoppelung des Wiirfels und der Bestimmung der beiden mittleren Proportionalen. Ohne sie kann man namlich durchaus nicht begreifen, dass die zum technischen Gebrauch ungeeigneten Losungen, wie die von der Qua dratur des Kreises durch die Quadratrix und wie die Be stimmung der mittleren Proportionalen durch Archytas, iiberhaupt irgendwelche Befriedigung gewahren konnten. Dieselbe Auffassung wird auch den Schliissel zum Ver- standnisse anderer Verhaltnisse in der griechischen Mathe- matik abgeben. In gewissen Fallen wird iibrigens diese Benutzung der Konstruktionen auch uns nicht fern liegen. Das gilt namentlich, wenn eine ganz allgemein gestellte Aufgabe nicht immer moglich ist, sondern gewisse Bedingungen fiir ihre Moglichkeit verlangt. In solchen Fallen beginnen die griechischen Schriftsteller damit, die Notwendigkeit dieser Bedingungen nachzuweisen. Das geschieht durch den Beweis fiir ein Theorem, das ausspricht, dass die betreffende Figur immer die Eigenschaften besitzt, die die Bedingungen fiir die Moglichkeit verlangen. Dass diese Bedingungen ausreichend sind, wird demnachst in einem Probleme bewiesen, indem angegeben wird, wie die Figur zu konstruieren ist, wenn sie erfiillt sind, und bewiesen wird, dass die Figur dann wirklich zustande gebracht ist. Das erste Beispiel hierfiir besitzen wir in Euklid I, 20 und 22. Der erste Satz enthalt den Lehrsatz, dass jede Seite eines Dreiecks kleiner ist als die Summe der beiden anderen, der zweite das Problem ein Dreieck zu kon struieren, dessen Seiten gegeben sind, wenn alle drei dieser Bedingung geniigen. 92 Die griechische Mathematik: 11. Die analytische Methode; die analytisch-synthetische Darstellungsform, Der wichtigste Beitrag, den die Schulen von Plato und Eudoxus geliefert haben uni der Mathematik die aussere Form zu geben, in der sie bei Euklid und den folgenden griechischen Mathematikern erscheint, ist gewiss die Ausgestaltung der sogenannten apagogischen oder analytischen Methode und der Formen Analyse und Syn these, clurch die man sich sowohl zuverlassige Kr- gebnisse ihrer Anwendung als auch eine unanfechtbare Darstellung dieser Ergebnisse sicherte. Die analytische Methode findet zu allernachst Anwen dung bei der Losung von Aufgaben, und deshalb wollen wir zuerst von ihr red en. Wir glauben indessen, dass die logische Bedeutung der Regeln, die aufgestellt wurden urn die Losung zu finden und darzustellen, sich am best en verstehen lasst, wenn wir fiir einen Augenblick das Gebiet der griechischen Mathematik verlassen und von der ana lytischen Losung von Aufgaben ganz im allgemei- nen sprechen und zum Teil ihre Anwendung durch Bei- spiele klar machen, die anderen Aufgaben und anderen Hiilfsmitteln, als den Griechen zu Gebote standen, ent- nommen sind. Ich beabsichtige dadurch auf einen zu dem urspriinglichen stimmenden konsequenten Gebrauch hinzuweisen, der sich in der Mathematik von den Worten Analyse und Synthese, analytisch und synthetisch machen lasst, und der Platz greifen miisste statt der Ver- wirrung, zu der in der neueren Zeit die ausschliessliche Anwendung des Wortes Analyse auf die algebraische Ana lysis den ersten Anstoss gegeben hat. Eine mathematische Aufgabe geht darauf aus Grossen oder Figuren zu finden, die gewissen Forderungen geniigen. 11. Die analytische Methode. 93 Bei ihrer Losung kann ein Erraten, dass sich auf Ahn- lichkeiten mit anderen Aufgaben griindet, oft wohl eine Rolle spielen, und es soil nicht geleugnet werden, dass wichtige mathematische Resultate zuerst auf diesem Wege erreicht sein konnen; aber ein solches Erraten liegt ausser- halb jeder eigentlichen Methode. Bei jeder methodischen Behandlung wird es darauf ankommen, die gestellten Forderungen zu analysieren. Man muss sie zuerst klar in Gedanken festhalten, was nur dadurch geschehen kann, dass man sie sich erfiillt, die Auf gab e also ge- 16s t denkt. Demnachst kommt es darauf an, auf irgend eine Weise, nach Regeln, die von derartigen Aufgaben her bekannt sind, oder nach neu gefundenen Regeln, die Forderungen in neue umzuformen, die notwendigerweise erfiillt sind, wenn die ersten es sind, und diese Umfor- miing fortzusetzen, bis man zuletzt zu Forderungen gelangt, die man zu erfiillen imstande ist. Bei dieser Analyse findet man, wie die Aufgabe gelost werden muss, wenn sie sich iiberhaupt losen lasst. Die Syn these besteht dann zuerst in der wirklichen Ausfiihrung dieser Losung: in einer solchen Bestimmung der gesuchten Grossen und Figuren, dass die umgeformten Forderungen befriedigt sind. Danach wird noch ein Be- weis dafiir verlangt, dass dann auch die urspriinglich gestellten Forderungen befriedigt sind. Dieser Beweis lasst sich, wenn sich keine einfacheren Wege darbieten, in der Regel fiihren durch eine Umformung der Forde rungen in der entgegengesetzen Reihenfolge wie diejenige war, die bei der Analyse benutzt wurde, so dass man damit schliesst, dass die Erfullung der neuen Forderungen, die man an die Stelle der ursprlinglichen gesetzt hat, auch notwendigerweise die Erfullung dieser mit sich fiihrt. Der B.eweis kann fortgelassen werden oder ist bereits in der Analyse gefiihrt, wenn man in dieser 94 Die griechische Mathematik: nur solche Umformungen benutzt hat, die sich umkehren lassen, so dass die neuen Forderungen nicht nur die not- wendigen, sondern auch die ausreichenden Bedingungen fiir die alten sind, aber sonst nicht. Als Beispiel wollen wir die Losung von Aufgaben durch algebraische Gleichungen nehmen. Indem man Benennungen fiir die unbekannten Grossen einfiihrt und diese auf ganz dieselbe Weise wie die Bezeichnungen fiir bekannte Grossen in die Gleichungen eintreten lasst, die die gegebenen Forderungen ausdriicken, denkt man sich diese Gleichungen befriedigt, also die Aufgabe gelost. Die vorhin erwahnte Umformung der Forderungen wird dargestellt durch die Umformung der Gleichungen, bis man zu solchen Gleichungen gelangt, die die Losung er- geben. Das kann z. B. in der analytischen Geometric 1 geschehen durch Herstellung der Gleichungen fiir solche geometrischen Orter, durch welche die Aufgabe gelost wird. Wird die Analyse auf Aufgaben angewendet, die darauf ausgehen die Werte von Unbekannten zu finden, so werden die umgeformten Gleichungen diejenigen sein, in denen die Unbekannten isoliert sind. Wenn wir uns nur an diesen letzten Fall halten, so besteht die auf die Analyse folgende Synthese 1) in der wirklichen Aus- rechnung der durch die gefundenen Ausdriicke gegebenen Grossen, ihre Umformung nach bestimmten Regeln, z. B. ihre Verkiirzung, Reduktion auf einfache Irrationalitat etc. mil einbegriffen, 2) in einer Priifung dieser Grossen. 1 Die Bezeichnung analytische Geometrie wollen wir in der gewohnlichen Bedeutung benutzen, ohne Riicksicht darauf, dass auch andere Geometric analytisch sein kann, und dass man auch synthetisch mil den HiilfsmitteJn operieren kann, die nun einmal den Anspruch erworben haben analytische Geometric genannt zu werden. 11. Die analytische Methode. 95 Diese wird wohl in der Regel durch direktes Einsetzen vorgenommen, lasst sich aber auch in tJbereinstimmung mil dem, was oben liber die Bildung des synthetischen Beweises gesagt wurde, dadurch ausfiihren, dass man Schritt fiir Schritt durch die benutzten Gleichungen in umgekehrter Ordnung zuriickgeht. Dass ein solcher Be- weis nicht an und fiir sich durch die vorangehende Ana lyse liberfliissig gemacht wird, weiss man aus solchen Fallen, in denen man durch Potenzieren einen Wurzel- ausdruck fortgeschafft hat. War dieser einer von den Werten der Wurzel, z. B. der positive Wert einer Quadrat- wurzel, so weiss man, dass man dann fremde Losungen einfiihren kann. Statt eines Beweises fiir die Richtigkeit liefert die Probe dann einen Beweis fiir die Unrichtigkeit dieser letzten Wurzeln. Die Analyse allein lasst also die Moglichkeit fiir fremde Losungen off en. 1st die Losung im voraus bekannt, so kann sie und ihr Beweis allein synthetisch mitgeteilt werden, aber damit ist ein anderer Ubel stand verbunden. Ist die Aufgabe beispielsweise die Gleichung x 2 ax -f 6 = 0, oder eine Aufgabe, die, auf eine Gleichung gebracht, so ausgedriickt werden wiirde, so kann man synthetisch mit- teilen, dass x = -t- und unter dem Quadratwurzelzeichen die positive Quadrat- wurzel verstehen. Die Probe oder der synthetische Beweis ergiebt, dass diese Losung richtig ist; man sieht aber nicht, ob sie die einzige richtige ist. Was hier von der algebraischen Losung nachgewiesen ist, gilt allgemein : Die Analyse allein kann zu viele Losungen geben, die Synthese allein zu wenige. 96 Die griechische Mathematik: Noch wollen wir untersuchen, auf welchem Punkte der vollstandigen Behandlung sich die Bedingungen fur die Moglichkeit darbieten. Man pflegt sie heut zu Tage an die vollstandige Beendigung der formellen Auflosung anzuscbliessen, die man dann diskutiert. In dem eben- genannten Beispiele wird aus dem gefundenen Ausdruck geschlossen, dass, damit x reell sein kann, f 1 >b sein muss. Eine solche Diskussion wird jedoch nur dadurch moglich, dass man durcb Einfiihrung der Benennungen negative und imaginare Grossen auch solche Grossen anerkennt, die man urspriinglich nicht als Losungen er- wartet hatte. Ohne diese neuen Arten von Grossen wiirde man schon an einem friiheren Punkte der Analyse auf die Bedingung fiir die Moglichkeit getroffen sein. Wenn man beispielsweise aus der obenstehenden Gleichung ab- geleitet hat, dass so kann man daraus nur (--- /a\ 2 ableiten, wenn ( J > ft, da die rechte Seite sonst keinen Sinn giebt. Die Bedingungen fiir die Moglichkeit werden also aus der Analyse ebenso abgeleitet wie die Auflosung, lassen sich aber ebenso wie diese in einer rein syntheti- schen Darstellung mitteilen. Das Gebiet, auf welches die Griechen die hier ge- schilderte Methode zur Losung von Aufgaben an wand ten, sind die geometrischen Aufgaben, deren Endziel, wie wir gesehen haben, im allgemeinen eine Konstruktion ist, ontweder eine wirkliche mit Hiilfe von Zirkel und 11. Die analytische Methode. 97 Lineal, oder eine formelle. Solange man methodise h die Losung solcher Aufgaben gesucht hat, muss man nach unseren allgemeinen Bemerkungen analytisch zu Werke gegangen sein. Eine solche Behandlungsweise muss ge- wiss bereits gebraucht worden sein bei der geometrischen Losung der Gleichungen zweiten Grades durch die Pytha- goreer. Die Methode kann indes mehr oder minder be- wusst angewandt worden sein, denn, wie es sich oft in der Geschichte der Mathematik gezeigt hat, ist faktisch eine Methode zu benutzen nicht dasselbe wie sie sich so klar zu machen, dass man sie jedesmal zur Verfiigung hat, wenn Rich der Bedarf danach herausstellt, geschweige denn sie so aufzustellen, dass sie auch anderen zur Ver fiigung steht. Eine Konstruktion, die in ausgepragter Weise zeigt, dass sie durch Anwendung der analytischen Methode ge- funden worden ist, ist Archytas Bestimmung von zwei inittleren Proportionalen. Er konnte namlich unmoglich die Anwendung der ihm im voraus unbekannten cylin- drischen Kurve erraten haben, und deshalb muss es aus- schliesslich die von ihm angewandte Analyse gewesen sein, die ihn zu ihrer Einfiihrung gezwungen hat, ganz wie wenn in einer modernen analytisch-geometrischen Unter- suchung ein geometrischer Ort, der bei der Losung der Aufgabe zur Verwendung kommt, sich als eine Kurve herausstellt, von der man vorher nichts wusste, die aber durch die aus der Analyse hervorgehende Gleichung defi- niert wird. Wahrend wir hierdurch eine, bereits benutzte, Andeutung dariiber erhalten, dass die Zuruckfuhrung der Aufgaben auf die Benutzung geometrischer Orter und die Bestimmung dieser Orter zu den Seiten der analyti schen Methode gehorte, die bereits eine gewisse Entwicke- lung bei den Pythagoreern gefunden hatten, erfuhr die Methode durch die von Archytas Nachfolgern Plato 7 98 Die griechische Mathematik: und Eudoxus gestifteten Schulen die formelle Entwicke- lung, die danach bei den griechischen Mathematikern in dauerndem Gebrauche blieb. Die Anwendung der Methode und die Darstellung der durch sie gewonnenen Resultate bestand in einer Reihe von Gliedern, deren Beschreibung wir am leichte- sten an die elliptische Flachenanlegung (S. 47) als Bei- spiel ankniipfen konnen. Indessen wollen wir die einzel- nen Glieder etwas kiirzer ausdrticken, als die Alten es gethan haben wiirden. 1) Die Aufgabe wird gestellt in der sogenannten Protase (ngoraoig) : an eine gegebene Strecke eine gegebene Flache (Quadrat) so anzulegen, dass ein Quadrat fehlt. 2) Die Aufgabe wird ausgesprochen mit Bezug auf eine bestimmte, gezeichnete Figur in der Ekthese 4 C D b M C / N f / das (gezeichnete) Quadrat q soil als Rechteck an die Strecke AB so angelegt werden, dass ein Quadrat fehlt. 3) Man denkt sich die Aufgabe gelost (durch das Rechteck A M, das das Quadrat B M fehlen lasst) und fiihrt sie in der Apagoge, der Transformation (anaycoyrf), zuriick auf eine bekannte Aufgabe: 1st C die Mitte von A B, so wird das Rechteck K C hin auf D B gelegt (als D E). Dadurch wird das Rechteck A M verwandelt in einen Gnomon oder in die Differenz zwischen den Quadraten C B 2 und CD 2 . Die Strecke CD muss also 11. Die analytische Methode. 99 so bestimmt werden, class dieser Gnomon dem Quadrate q gleich wird. 4) In der Resolution, wie man sie genannt hat, wird demnachst auseinandergesetzt, wie weit man nun wirklich alles besitzt, was notwendig 1st um die gestellte Aufgabe zu losen. Im vorliegenden Falle findet das nur statt, wenn q, das eben so gross sein soil wie ein von dem Quadrat C B 2 abgeschnittener Gnomon, kleiner als dieses Quadrat ist. Wenn man dies bemerkt hat, so hat sich dadurch allerdings ein Mangel an der gestellten Auf gabe herausgestellt. Es ist namlich, wenigstens in der iiberlieferten Litteratur, Regel, dass die Aufgaben mit einer solchen Begrenzung gestellt werden, dass sie gelost werden konnen. Dadurch erhalt man statt der Aufgabe, die wir hier zu stellen versucht haben, teils ein Theo rem, teils ein enger begrenztes Problem. Das Theorem (das sich in einer etwas allgemeineren Form in Euklid VI, 27 findet) muss darauf hinaus laufen, dass ein Recht- eck, so an eine Strecke angelegt, dass ein Quadrat fehlt, kleiner ist als das Quadrat liber der halben Strecke, oder, wenn man will, dass ein Rechteck kleiner ist als ein Quadrat von demselben Perimeter. Das Problem (das in allgemeinerer Form in Euklid VI, 28 behandelt wird) wird dasselbe wie dasjenige, dessen Losung hier versucht ist, nur mit dem Zusatz, dass das gegebene Quadrat kleiner sein muss als das Quadrat iiber der Halite der gegebeneii Strecke. Dieser Zusatz zur Protase wird der Diorismus (dioQiojuog) oder die Abgrenzung der Aufgabe genannt. In der Ekthese muss ferner von den Figuren, die man annimmt, ausgesprochen werden, dass sie die Bedingung (g<C? 2 ) erfullen. Durch die Abgrenzung, die wir uns nun also in die Protase und Ekthese eingefiihrt denken, wird, wie wir sehen werden, die Resolution ganz iiber- flussig; denn nun wird der Versuch, ob die Aufgabe sich 100 Die griechische Mathematik: durch das Vorliegende losen lasst, gelingen, und die Re solution wird dann mit der in der Synthese folgenden Angabe, wie sie zu losen 1st, ganz zusammenf alien. Sehen wir dagegen nicht auf die uberlieferten Mitteilungen iiber Resultate von zn Ende gefiihrten Untersuchungen, sondern auf die Anwendung der Methode auf neue Untersuchungen, so muss die Resolution erne wichtige Rolle gespielt haben. Wiihrend der Analyse hat man namlich bestandig priifen miissen, ob die Apagoge weit genug gefuhrt sei um die Aufgabe losen zu konnen; ausserdem ist aber die Resolu tion ein Mittel gewesen um das zu erreichen, was wir bereits (S. 92) als ein Hauptziel fur die Behandlung von Aufgaben genannt haben, namlich die urspningliche Auf gabe in das Theorem und in das Problem zu zerlegen, durch die man sich versichert, dass die Bedingungen fur die Existenz der verlangten Figur beziehungsweise notwendig und ausreichend sind. Sowohl in dem angefiihrten Bei- spiel wie im allgemeinen ist das, was man durch diese Methode erreicht hat, die Bestimmung ernes Maximums oder eines Minimum s. Was die Resolution auch liefern sollte, das ist die Zahl der Auflosungen. So ist im vorliegenden Falle zu bemerken, dass es, wenn CD 2 die richtige Grosse erhalt, gleichgiiltig ist, ob D auf die eine oder die andere Seite von C fallt, ein Umstand, auf den man gleichzeitig mit der Entdeckung des Maximalwertes von q hat aufmerksam werden konnen. Indessen legten die Griechen, die sich durch die Konstruktion namentlich davon uberzeugen wollten, dass die Figur iiberhaupt existierte, darauf kein sonderliches Gewicht. Da in anderen Fallen die Mehr- deutigkeit einer Aufgabe auf der Mehrdeutigkeit derjenigen beruht, auf die sie zunickgefuhrt wird, so wird sie, wenn sie bei den letzteren unbeachtet geblieben ist, auch nicht bei der Analyse der ersteren bemerkt worden sein. Wegen 11. Die analytische Methode. 101 dieser Unterlassung mussten Falle, bei denen die Mehr- deutigkeit den Griechen von einiger Wichtigkeit zu sein schien, zum Gegenstande besonderer Untersuchung gemacht werden. Die Transformation und Resolution machen die Ana lyse aus, durch welche die Auflosung gefunden wird. Darauf wird die gefundene Losung in der Synthese dargestellt. Diese enthalt: 5) Die Konstruktion (xaraoxsvYJ], in der das Ge- suchte mit Hiilfe der anerkannten Konstruktion smittel zustande gebracht wird. Es ist jedoch keine Rede davon alle Einzelheiten namhaft zu machen, sondern nur davon, die von friiher her bekannten Konstruktionen anzugeben, aus denen die verlangte sich zusammensetzen lasst: in unserem Beispiel die Bestimmung von CD durch den pythagoreischen Lehrsatz u. s. w. Die Konstruktion wird also nur mit einer kleinen Formveranderung eine Wieder- holung dessen, was in der Resolution gesagt ist. 6) Darauf wird der Beweis (ajiodsi^ig) dafiir gefuhrt, dass die Konstruktion wirklich die verlangte Figur zustande gebracht hat. Dieser wird in der Regel durch Anwendung derselben Schliisse gefuhrt, die in der Transformation in umgekehrter Reihenfolge benutzt worden sind. So wird im Beispiel das Rechteck A M aus der Gnomonfigur da- durch gebildet, dass das Rechteck D E auf A C gelegt wird. 7) Endlich legt man sich in der Konklusion (ovp,- nQao[jLa) Rechenschaft dariiber ab, dass man wirklich das verlangte Ziel erreicht hat. Das geschieht durch eine Wiederholung der Protase, eingeleitet durch also ist u. s. w. und abgeschlossen durch was zu thun war. Wahrend die Analyse, die in 3 und 4, der Trans formation und Resolution, enthalten ist, namentlich me- thodische Bedeutung fur das Finden der Auflosung gehabt 102 Die griechische Mathematik: hat, 1st sie nicht notwendig, wenn es nur darauf ankommt das Gefundene auf eine unanfechtbare Weise dar- zustellen, und das war stets der Hauptzweck bei den schriftlichen Mitteilungen der Griechen. Sie wird deshalb sehr oft ausgelassen, so dass die Darstellung nur noch aus den Abschnitten besteht, die wir hier mit 1, 2, 5, 6, 7 bezeichnet haben; dadurch gelangt man zu einer Darstel- lungsform, die wir synthetisch nennen wiirden. Diese synthetische Darstellungsform wird namentlich benutzt bei der systematischen Behandlung einer ganzen Theorie, deren einzelne Konstruktionen den Verfassern im voraus mehr oder weniger bekannt gewesen oder in weiterem Zu- sammenhange gefunden sind, wie in Euklids Elementen und in dem grossten Teile von Apollo nius Lehre von den Kegelschnitten. tlbrigens erfahrt man eigentlich auch nicht mehr an den Stellen, wo die Analyse mitgeteilt wird ; denn erstens lasst sich nach dem Gesagten die Trans formation durch Umkehrung aller Schliisse des Beweises bilden, und die Resolution fallt dann mit der Konstruk- tion zusammen; und zweitens ist die Analyse, die mit geteilt wird, nur die Analyse der durch den Diorismus abgegrenzten Aufgabe und nicht - - wie in unserem ur- sprunglichen Beispiele - - diejenige, die zur Abgrenzung gefiihrt hat. Nachdem wir so ausfuhrlich iiber die Analyse und die damit verbundene synthetische Darstellung von Pro- blemen gesprochen haben, konnen wir rascher iiber die Anwendung dieser Methode und der entsprechenden Forrneii auf Theoreme hinweggehen. Die synthetische Dar stellungsform besteht hier zunachst aus ganz denselben Gliedern oder kann jedenfalls daraus bestehen; nur mu^s man in diesen iiberall Theorem an die Stelle von Problem setzen. Die Konstruktion besteht hier nur in der Kon- struktion der zum Beweise erforderlichen Hiilfslinien, und 11. Die analytische Methode. 103 fehlt, wenn solche nicht notig sind, und die Konklusion schliesst hier mit den Worten was zu beweisen war. Diese selben Glieder, die, wie man sieht, auch Mr die Theoreme logisch ausreichend sind, findet man deshalb, sowohl was Probleme als was Theoreme betrifit, iiberall bei Euklid. Indessen kann auch mit Bezug auf Theoreme von einer eigentlich analytischen Methode die Rede sein. Diese lasst sich benutzen, wenn man priifen will, ob ein Theorem, das von anderen mitgeteilt ist, oder dessen Auf- stellung vielleicht durch Erraten geschehen ist, richtig ist oder nicht. Man beginnt damit, die Richtigkeit des Theo- remes, das wir A nennen wollen, vorauszusetzen ; dann formt man dieses, ganz wie in der bei den Problemen angewandten Apagoge oder Transformation durch eine Reihe von Schliissen um, bis man sieht, dass es zu einem neuen Resultate K fiihrt, von dem man weiss, dass es richtig ist oder falsch. Im ersten Falle ist noch nur eine Moglichkeit dafiir vorhanden, dass A richtig ist, aber keinerlei Gewissheit. K kann aus einer Schlussreihe her- vorgegangen sein, in der nur scheinbar Gebrauch von A gemacht ist ; auch wenn man moderne algebraische Hiilf s- mittel benutzt, kann das geschehen, z. B. wenn man auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens ohne es zu merken mit einer zusammengeseszten Grosse multipliciert hat, die in Wirklichkeit Null wird. Wenn man aus A das rich- tige Resultat K abgeleitet hat, so muss die Richtigkeit von A dadurch gepriift werden, dass man womoglich die in der Aufgabe durchlaufene Schlussreihe zuriick ver- folgt, so dass also die Richtigkeit von K diejenige von A mit sich fiihrt. Ist das der Fall, so liefert diese um- gekehrte Schlussreihe den Beweis fur die Richtigkeit von A, und man begniigt sich damit, diesen Beweis in der 104 Die griechische Mathematik: oben erwahnten synthetischen Darstellung mitzuteilen mit Auslassung der Analyse, die dazu gefiihrt hat. In dem Falle, wo das aus der Annahme A abgelei- tete Resultat falsch 1st, kann man dagegen unmittelbar schliessen, dass auch A falsch 1st. Dies, oder, wenn A und B zwei Behauptungen sind, von welchen notwendig die eine richtig sein muss, die Behauptung, dass B rich- tig ist, kann man also als Theorem auistellen und den Beweis dadurch fiihren, dass die Annahme, B unrichtig oder A richtig, zu dem unrichtigen Resultat K fiihren wiirde. Ein solcher antithetischer Beweis ist apagogisch, also eigentlich analytisch. Da er indessen voile Sicher- heit dafiir gewahrt, dass die Behauptung B richtig ist, so wircl er vielfach in Schrif ten gebraucht, in denen die Dar stellung sonst synthetisch ist, haufig z. B. in Euklids Elementen. Die antithetische Beweisform "wurde auch von Dinostratus auf die Quadratrix angewandt (S. 77) und wird, wie wir sehen werden, immer im Exhaustions- beweise benutzt. Ein Beispiel dafiir, dass ein Theorem nicht aus einer Analyse des versuchsweise aufgestellten Theoremes selbst oder dessen Umkehrung hervorzugehen braucht, sondern aus der Analyse eines damit verbundenen Problemes, hatten wir dagegen in dem Theorem, das ausgeschaltet wurde, als wir oben versuchten die elliptische Fliichen- anlegung in zu grosser Allgemeinheit aufzustellen, dass namlich ein Rechteck, das so an eine Strecke angelegt wird, dass ein Quadrat t ehlt, nicht grosser ist als das Quadrat liber der halben Strecke. Der synthetische Be weis fur den etwas allgemeineren Satz bei Euklid VI, 27 wird in Ubereinstimmung mit jener Analyse (S. 99) gefiihrt. 12. Elemente ; analytische Hiilfsmittel. 105 Elements ; analytische Hiilfsmittel, Ob man die Analyse benutzt um die Losung einer Aufgabe oder den Beweis fur einen Lehrsatz zu finden, oder ob man die Synthese benutzt um das gefuiidene darzustellen, immer ist die Losung aus Losungen von einfacheren Aufgaben zusammengesetzt und der Beweis auf der Richtigkeit von einfacheren Satzen aufgebaut. Es wird also vorausgesetzt, dass man im voraus im Be- sitze von solchen ist. Um sich auf den hier beschriebenen Wegen vorwarts zu arbeiten, muss man im voraus eine Sammlung einfacherer Losungen von Aufgaben und ein- facherer Lehrsatze haben, die man als Ausgangspunkt benutzen kann. Die Werke, welche solche Sammlungen enthalten, heissen Element e. Die ersten Elemente, von denen berichtet wird, waren von Hippo k rates geschrieben; aber leider kennen wir nicht dies aus so friiher Zeit stammende Werk des erfin- dungsreichen und, wie es scheint, von den philosophischen Schulen ziemlich unabhangigen Geometers. Die reellen und formellen Fortschritte, die mittlerweile in den Schulen gemacht wurden, wurden spater in neue Elemente auf- genommen. Einer von diesen Fortschritten, die Abgren- zungen oder Diorismen, werden dem nachsten Verfasser von Elementen, Leon, zugeschrieben, der sie also wohl mit in seine Elemente aufnahm. Seine und andere spatere Elemente sind verloren gegangen, nachdem diejenigen von Euklid die Alleinherrschaft gewonnen hatten, die sie wah- rend mehr als 2000 Jahren iiberall da behalten sollten, wohin die griechische Mathematik vorgedrungen war. Mit diesem Hauptwerk wollen wir uns recht ausfuhr- lich beschaftigen. Es wird sich dann auch beim Studium dieses Werkes zeigen, wie solide es aus synthetisch dar- 10(5 Die griechische Mathematik: gestellten Problemen und Theoremen zusammengesetzt 1st, und eine wie sichere Grundmauer es abgeben musste fiir die mathematischen Gebaude, die darauf aufgefiihrt wurden. Bei den hierzu fiihrenden weitergehenden Untersuchungen konnte sich jedoch neben den durch und durch auf lo- gische Sicherheit berechneten Elementen das Bediirfnis nach Hiilfsmitteln geltend machen, die eine fiir die ana- lytische Arbeit bequemere Form besassen. Beispiele fur darauf hinzielende Arbeiten lassen sich auch aus der Zeit vor und nach Euklid und ebenso von ihm selbst anfuhren. So soil Hermotimus, ein Nachfolger von Eudoxus, iiber geometrische Orter geschrieben haben, vermutlich liber die sogenannten ebenen Orter, d. h. solche, die durch Gerade und Kreis dargestellt werden. t)ber denselben Gegen- stand hat der grosse Geometer Apollo nius spater zwei Biicher geschrieben, iiber deren Inhalt Referate vorliegen, die in der neueren Zeit einen nicht geringen Einfluss auf die Bildung der analytischen Geometric erhalten haben. Als ein Hiilfsmittel bei der Anwendung der analytischen Methode haben wir ferner Euklids Data zu erwahnen. Dieses Werk geht, was semen Inhalt betrifft, nicht iiber die Elemente hinaus, sondern teilt deren Inhalt in anderer Form mit. Die Satze desselben gehen namlich samtlich darauf hinaus, dass, wenn gewisse Grossen oder Stiicke einer Figur gegeben sind, gewisse andere es auch sind, d. h. durch die ersten bestimmt sind. Die ersten Satze des Buches sagen aus, dass gegebene Grossen ein gegebenes Verhaltnis, eine gegebene Summe u. s. w. haben, ein spaterer, dass gegebene Geraden sich in einem gegebenen Punkte schneiden; andere stellen die Bedin- gungen dafiir fest, dass ein Dreieck der Art nach gegeben i.-t, d. h. einem gegebenen ahnlich wird; noch andere teilen mit, dass zwei Grossen, deren Summe oder Differenz und deren Rechteck gegeben ist, selbst gegeben sind u. ,s. \\ 12. Elemente; analytische Hulfsmittel. 107 Die Bedeutung dieses Buches als analytisches Hulfs mittel ist einleuchtend. Es kam zunachst in der Trans formation darauf an, aus der, eventuell mit Hiilfslinien versehenen, Figur solche bekannte Stiicke herauszufinden, die unbekannte Stiicke bestimmen. Wenn man dann in der . Resolution Auskunft dariiber geben soil, dass man wirklich im Besitze des fur die Losung der Aufgabe Er- forderlichen ist, so kann das dadurch allein geschehen, dass man die Satze in der Form anfiihrt, in der sie sich in den Data finden. Die einzelnen Satze in Euklids Data gewahren uns zugleich einen Einblick in einige der specielleren analy- tischen Methoden, die man zur Verfiigung hatte. So ist in den Data nicht nur die Rede davon, welche Stiicke ein Dreieck bestimmen konnen, sondern auch davon, welche nur seine Gestalt bestimmen. Es liegt nahe hier- aus zu schliessen, dass man nicht nur Aufgaben dadurch loste, dass man in der Figur Dreiecke aufsuchte, mit deren vollstandiger Konstruktion die Aufgabe beginnen konnte, sondern auch dadurch, dass man solche suchte, deren Gestalt allein bestimmt war. Die Konstruktion eines Drei- ecks von dieser Gestalt konnte im allgemeinen nur der Ausgangspunkt sein fur die vorlaufige K6nstruktion einer Figur, die der gesuchten ahnlich war; hinter- her wiirde dann die wirkliche Grosse einer oder der anderen Strecke einzufiihren sein. In der griechischen Mathematik liegen in der That Aufgaben vor, die auf diesem Wege gelost sind. Die Zuriickfiihrung einer Aufgabe auf die Bestimmung zweier Grossen durch ihr Produkt (Rechteck) und ihre Summe oder Differenz, also auf die geometrische Losung von Gleichungen zweiten Grades, wird durch die zuletzt angefiihrten Satze aus den Data als eine brauchbare Me- thode hervorgehoben. Sie ist von den griechischen Ma the- 108 Die griechische Mathematik: matikern vielfach angewandt worden. Wir werden spater sehen, dass anclere Satze der Data eine ahnliche Bekannt- schaft mit verwickelteren Gleichungen verraten, die durch Proportionen und geometrische Algebra ausgedriickt sind. 13, Oberblick iiber Euklids Elemente; synthetisches Lehrgebaude, Euklids Elemente bestehen aus 13 Biichern, zu denen man in den meisten Ausgaben eine Arbeit von Hypsiklesals 14tes, und eine jiingere und unbedeutendere Arbeit als 15tes Buch hinzugefiigt hat. Das erste Buch enthalt die wichtigsten Satze iiber Seiten und Winkel in Dreiecken, iiber Konstruktion von diesen, iiber senkrechte und parallele Geraden, iiber Pa- rallelogramme und iiber ihren und der Dreiecke Flachen- inhalt. Das 2te Buch enthalt die bereits benutzte Grund- lage fur die geometrische Algebra, das 3te die Lehre vom Kreise und von Linien und Winkeln im Kreise, auch den Potenzsatz. Das 4te Buch handelt von ein- und um- beschriebenen Vielecken, clarunter namentlich von der Konstruktion des regelmassigen Dreiecks, Vierecks, Fiinf- ecks, Sechsecks und Fiinfzehnecks. Euklids personliche Arbeit an diesen Biichern ist wohl besonders darauf ausgegangen, diesen bekannten Stoff genauer als bisher geschehen darzustellen in t)ber- einstimmung mit den mittlerweile gestellten strengeren t ormellen Anspriichen. Eine eigentliche mathematische Arbeit kann indessen auch damit verbunden gewesen sein. Die Proportionen warden namlich, wie wir bereits gesehen haben, in der Geometric angewendet, auch bevor die exakte Proportionslehre des Eudoxus entstanden war. Wenn man dann in vielen Fallen gleichwohl seine Zu- 13. Uberblick iiber Euklids Elemente. 109 flucht zu einer Proportionslebre nehmen musste, die nur auf der Lehre von rationalen Grossen aufgebaut war, so kam es nicht sonderlich darauf an, ob sie etwas friiher oder spater benutzt wurde. Euklid dagegen kannte Eu- doxus Lehre von den Proportioned Diese war indessen zu neu, als dass sie ihren Platz am Anfange des Systemes hatte bekommen konnen, und musste deshalb bis zum 5ten Buch aufgeschoben werden. Vorher musste also jede, offene oder versteckte, Benutzung der Proportionen und der Ahnlichkeit absolut vermieden werden. Es liegt z. B. nahe anzunehmen, dass es gerade diese Riicksicht war, die Euklid wie friiher beriihrt - - dazu zwang, den Beweis fur den pythagoreischen Lehrsatz zu erdenken, der sich am Schlusse seines ersten Buches findet. Um es verstandlich zu machen, dass es iiberhaupt moglich war so weit ohne Proportionen zu gelangen, will ich daran erinnern, dass mit Hiilfe der geometrischen Algebra die Satze iiber die Potenz eines Punktes mit Bezug auf e.inen Kreis (III, 35 37) bewiesen. worden waren. Diese Satze werden benutzt um ein gleichschenkeliges Dreieck zu kon- struieren, in dem der Winkel an der Spitze halb so gross ist wie ein Winkel an der Grundlinie (IV, 10); die Grund- linie ist dann Seite eines regelmassigen Fiinfecks, das denselben umbeschriebenen Kreis hat wie dieses Dreieck (IV, 11). Im 5ten Buch wird dann die Proportionslehre des Eudoxus dargestellt, und im 6ten Buch deren Anwen- dungen nicht nur auf die Geometrie, sondern, wie wir sehen werden, auch auf die Erweiterung der geometrischen Algebra. Die Konstruktion der mittleren Proportionale und die stetige Teilung einer Strecke, die im 2ten Buche in einer anderen Form mit Hiilfe der geometrischen Alge bra erhalteii waren, kommen hier wieder vor, aber dies- mal mit Hiilfe der Proportionen abgeleitet, namlich in 110 Die griechische Mathematik: VI, 13 und 30. Wie viele von den einzelnen Satzen uncl Beweisen in diesen Buchern von Eudoxus herriihren, und wie viele Miner mit einer weniger entwickelten Lehre von den Proportionen verkntipft waren, wissen wir nicht. Euklid gebiihrt sicher die Ehre dafiir, alles zu einem systematischen Ganzen verarbeitet zu haben. In dieses Ganze hat er jedoch nicht die specielle Lehre von ration alen Grossen und den ganzen Zahlen, durch deren Verhaltnisse sie ausgedriickt werden, hinein- gearbeitet. Diese wird im 7ten bis 9ten Buch dargestellt, folgt also wohl auf die allgemeine Lehre von den Pro portionen, ist aber nicht auf diese aufgebaut. Die Beweise sind wahrscheinlich dieselben, die man vor Eudoxus Zeit benutzt hat, und von denen die Resultate damals auch auf irrationale Grossen iibertragen wurden. Die irrationalen Grossen selbst werden im lOten Buch behandelt. Hier findet sich diejenige Klassifikation von ihnen, die Theatet begonnen hatte (vergl. S. 57), die aber von Euklid vollendet worden sein soil. Hier und bei der Anwendung der Klassifikation auf die Bestimmung der Stiicke der regularen Polyeder findet sich wohl Eiv klids bedeutendste personliche Arbeit. Vor dieser Anwendung ist es jedoch notig die ele- mentare Stereometric zu entwickeln. Das geschieht im llten Buch. Die Berechnung des Volumens der Pyramide verlangt infinites imale Grenzbestimmungen ; diese gewinnt man, wenn sie auch formell umgangen werden, durch den Exhaustionsbeweis von Eudoxus, der dafiir im 12ten Buch verwandt wird, nachdem er zuerst zu der zweiten in der elementaren Geometric notwendigen Grenz- bestimmung benutzt worden ist: zu dem Beweise dafiir, <lass zwei Kreise sich wie die Quadrate iiber ihren Durch- messern verhalten. Erst im I3ten Buch kommt die Be stimmung der Stiicke der regularen Polyeder. 13. Uberblick iiber Euklids Elemente. HI Wie man sieht sind bis zu einem gewissen Grade gleichartige Stoffe, wie die Lehre von den irrationalen Grossen, und gleichartige Methoden, wie die Anwendungen des Exhaustionsbeweises, zusarnmengestellt. Zum Teil ist diese Zusammenstellung jedoch auf Rechnung der friiheren historischen Entwickelung zu stellen, Euklid kann jeden- falls erst in zweiter Linie Riicksicht darauf nehmen. Mit Rucksicht auf die in der vorhergehenden Zeit entwickelten strengen logischen Principien, zu deren weiterer Verschar- fung Euklid durch seine Schrift iiber Fehlschliisse beigetragen hatte, war die logische Unanfechtbarkeit die Hauptsache. Wahrend diese fiir das einzelne Problem oder Theorem, wie wir gesehen haben, durch die synthe- tische Darstellung verbiirgt wurde, kam es darauf an, so- wohl innerhalb jedes einzelnen Buches wie im ganzen Werke, die einzelnen Probleme und Theoreme so zu ord- nen, dass die Grundlage, auf der, und das Material, aus clem jedes neue aufgefuhrt werden sollte, bereits durch die vorhergehenden hergestellt war. Mit Bezug hierauf haben wir angefiihrt, dass nicht einmal der Mittelpunkt einer Strecke in einem Beweis benutzt werden durfte, be- vor nicht seine Existenz durch Konstruktion bewiesen worden war. Eine solche Zusammenfiigung von Satzen, in der man, wie in einem synthetischen Beweise fiir einen ein zelnen Satz, von dem Bekannten zu dem Unbekannten iibergeht, sich also vom Einfachen und Einzelnen zum Zusammengesetzteren und Allgemeineren erhebt, wollen wir ein synthetisches Lehrgebaude nennen ohne dass jedoch aus dem Altertum eine unmittelbare Berechti- ing fiir diese Bezeichnung vorliegt. In einem solchen .ehrgebaude ist der Ausgangspunkt und der Schluss von besonderer Bedeutung. 112 Die griechische Mathematik: Was den Ausgangspunkt betrifft, so 1st es klar, da~> den Problemen, deren Losungen aus solchen zusammen- gesetzt sind, die durch friihere Probleme gegeben wurden, und den Theoremen, deren Beweise auf friihere Theorems und Probleme aufgebaut sind, gewisse ersteKonstruktionen vorangehen mussen, deren Ausfiihrung ohne weiteres als bekannt betrachtet wird, und gewisse erste Behauptungen, deren Richtigkeit als uninittelbar einleuchtend angesehen wird. Die ersteren heissen bei Euklid Postulate oder Forderungen (amy^ara), die letzteren allgemeine An- nahmen (xoival evvoicu); statt des letzteren Wortes wird jt-doch gewohnlich das bei anderen, namentlich philoso- pliisrhcn Schriftstellern vorkommende Axiom e (at-KojuciTa) genommen. Vor diesen beiden Arten von Voraussetzungen miissen die Begriffe aufgestellt werden, von denen diese Voraussetzungen gelten. Das geschieht in den Defini- tionen (OQOI). Mit den Begriffen und Voraussetzungen, die in dieser Weise von Euklid aufgestellt werden, wollen \vir 11 ns demnachst beschaftigen. Dadurch lernen wir denn auch die Anspriiche kennen, die die Alten im ganzen an ilire Voraussetzungen stellten. Ausser den Voraussetzungen zieht bei einem syntlu-- tischen Lehrgebaude auch der Schluss eine gewisse Auf- nicrksamkcit auf sich, da es bei der ganzen Anordnunu den Anschein erhalt, als ob alles Vorhergehende als Grund- lage fiir diesen Schluss mitgenommen ist. Wie bereits erwahnt schliessen Euklids Elemente mit der Bestimmung der Stiicke der regularen Polyeder und der daraus fol- L"iidrn Konstruktion der Polyeder. Dies ist ganz gewis- nicht Euklids einziges Ziel gewesen, denn im Verlauf Beinei Arlu-it nimmt er vidcs mit, was weder direkt noch indin-kt fiir dirsc rx stimmunjr lu-nutzt wird; er hat also < inc all.Livmeine Grundla^i t iir wcitcrp lu-nde mathema- tisclu- Qntersuchungen iMM^cstellt und sicherlicli auch 13. Uberblick iiber Euklids Elemente. 113 herstellen wollen. Die grouse Bedeutung, die der Kon- struktion der regularen Polyeder als Schlussstein seiner Arbeit zukommt, ist jedoeh die Veranlassung gewesen, dass Arbeiten anderer Sehriftsteller iiber diese Polyedi-r bereits in sehr alte Ausgaben des Euklid als 14tes und lotes Buoh aufgenommen sind. In bestimmterer Weise geht die Behandlung im er st en B no lie, fur sioh allein genommen, darauf aus, gerade das mitzubekonimen, was logiseh notwendig ist. urn die erforderliehe Grundlage fill- die im naehsten Buehe ent- wickelte geometrische Algebra zu erreiehen. Diese wird der Schlussstein des ersten Buches, namlich der Satz vom Gnomon, I, 43, und der pythagoreisehe Lehrsatz, I, 47. Aueh hier wird jedoeh ein vorlanriges Ziel niitgenommen, das mitten im Buehe in Verbindung mit der fur das Hauptziel notwendigen Parallelentheorie erreieht wird, namlich der Satz V 8 2^ iiber die Winkelsumme eines Drei- ecks. Im iibrigen enthiilt das Buoh Satze iiber die Lage gerader Linien gegen einander, iiber senkreehte und pa- rallele Geraden mit zugehorigen Konstruktionen, iiber Kongruenz und Konstruktion von Dreieeken, und iiber die Abhiingigkeit zwisehen Gleiehheit und Ungleiehheit von Seiten und Winkeln in einer Vermengung, die nur wenig iibersichtlieh ist, die aber eine Folge ist von der logiseh wohl gesieherten Methode, nach der die Satze all- mahlich auf einander aufgebaut sind. Beispielsweise wollen wir anfiihren, dass die Satze iiber Kongruenz der Dreieeke sich in 4, S und 20 rinden, und dass Euklid keine Ver anlassung nimmt die Kongruenz von Dreieeken zu unter- suehen, die in einem Winkel, einer anliegenden und einer gegeniiberliegenden Seite iibereinstimrnen. Fiir Satze hier- iiber hat er namlich keine Verwendung; dagegen l^ehandelt er im in en Buehe, wo er S-itze iiber die Ahnliehkeit der Dreieeke zusammenstellt , auch den hierher gehorigen 8 114 Die griechische Mathematik: Fall. Am Schlusse des Buches sind die Satze iiber Fla- chengleichheit mehr zusarornengeruckt. Da wir hier den Begriff synthetisches Lehrgebaude auf- gestellt haben, so wollen wir des Gegensatzes wegen und da wir auch, abgesehen von der Anwendung auf die Schriften der Alten, wiinschen zu voller Klarheit iiber die Begriffe Analyse und Synthese zu gelangen beriihren, was wir unter einem analyti- schen Lehrgebaude verstehen wiirden. Wahrend man sich in dem synthetischen Lehrgebaude erst allmahlich zu der Betrachtung von zusammengesetzteren und allgemeineren Verhaltnissen erhebt, nimmt man im analytischen Lehrgebaude em allgemeines Princip, dass gerade durch seine Allgemeinheit eine gewisse Ein- fachheit besitzen kann, zum Ausgangspunkt und entwickelt von diesem aus die Verhaltnisse, die in den verschiedenen einzelnen Fallen zur Geltung gelangen mussen. Eine Behandlung der Geo metric, bei der man mit der geraden Linie und dem Kreise anfangt und sich demnachst durch die Kegelschnitte zu Kurven hoheren Grades erhebt, ist ihrer ganzen Anlage nach synthetisch, selbst wenn die Einzelheiten analytisch behandelt werden; eine Behand lung aber, bei der man sofort die Eigenschaften allgemeiner Kurven untersucht und daraus im besonderen Satze iiber die Gerade oder die Kegelschnitte ableitet, ist ihrer Anlage nach analytisch. Ein ausgepragtes Beispiel fur eine analytische Behandlungsweise besitzen wir in der analytischen Mechanik von Lagrange, in der alles aus dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten abgeleitet wird. Ware dies Princip selbst nur als eine Hypothese aufgefasst, die durch ihre Anwendungen oder Konsequenzen bewiesen werden sollte, so wiirde das Verfahren ganz iibereinstimmen mit der bereits erwahnten Anwendung der analytischen Methode auf einzelne Satze. Ist das Princip dagegen wie bei Lagrange im voraus sicher gestellt, so ist das angewandte Verfahren dennoch wesentlich dasselbe, und wenn man es analytisch nennt, so stimmt das immer noch zu der friiher gebrauchten Anwendung dieses Wortes. Im iibrigen wird in der Regel durch ein synthetisches Fortschreiten vom Specielleren zum Allgemeineren der allgemeine Gesichtspunkt gewonnen werden, der der Ausgangspunkt fur ein analytisches Lehrgebaude ist. 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. H5 14, Euklids geometrische Voraussetzungen. Die Voraussetzungen, auf denen Euklid die Geometric aufbaut, muss man in den Definitionen, Postulaten und Axiomen suchen, die an der Spitze seiner verschiedenen Biicher stehen. Besonderes Interesse haben diejenigen, die zum ersten Buche gehoren, da sie und die nach und nach darauf aufgebauten Resultate auch den folgenden zu Grande liegen. Bei diesen wollen wir deshalb hier namentlich verweilen, sie jedoch sofort durch einige der in andere Biicher eingefiihrten neuen Voraussetzungen er- ganzen. Diejenigen, die in Verbindung mit besonderen Theorien, wie mit der Lehre von den Proportionen, stehen, wollen wir jedoch erst in Verbindung mit diesen Theo rien besprechen. Bei dem ersten Durchlesen von Euklids Definitionen, Postulaten und Axiomen wird man gewiss finden, dass sie keineswegs auf gleicher Hohe mit den formellen und logischen Anspriichen stehen, die die Alten nach unserer Aussage erhoben haben. Beispielsweise wird man sehen, dass verschiedene von den Definitionen gar nichts von dem sagen, was definiert werden soil, und keine Sicher- heit dafiir gewahren, dass wirklich etwas existiert, was den Definitionen entspricht. Die Definition der geraden Linie sagt nichts mehr, als wenn man gesagt hatte: es giebt eine gewisse Art von Linien, die gerade heissen. Was es fur Linien sind - - also die Eigenschaften der Linien, die man in unseren Tagen fur die Definition be- nutzen wiirde das wird erst in den Postulaten aus- gesagt, die also sagen: wir wollen davon ausgehen, dass die gerade Linie die und die Eigenschaften hat. Auch die Postulate und Axiome sind zum Teil mit einer Kiirze ausgedriickt, die sie ratselhaft erscheinen lassen kann und einen starken Gegensatz zu der vorsichtigen Ausfiihr- 8* Die griechische Mathematik; lichkeit bildet, niit der alles in den eigentlichen rnathe- niatischen Satzen und ihren Beweisen behandelt wird. Die Sache 1st die, dass in die Definitionen, Postulate und Axiome alles das verwiesen wird, zu dessen Voraus- setzung im Lehrgebaude der Mathernatiker berechtigt sein will, ohne weder eine Erklarung oder Beschreibung vorn wie, oder eine Begrundung vom weshalb zu geben. Es ist seine Sache im voraus ein genaues Ver- zeichnis von dem zu geben, was er voraussetzen will, und dieses muss so deutlich sein, dass es, sobald er es benutzen soil, klare Auskunft giebt, so dass es dann klar wird, dass er weder mehr noch weniger gebraucht als das, wozu er sich das Recht ausbedungen hat; die Abstraktionen aber, die dazu gefiihrt haben die Begriffe aufzustellen und ihnen in Postulaten und Axiomen gerade diese bestimmten Eigenschaften beizulegen, ja selbst ein vorlaufiger Nachweis dariiber, dass er wirklich die Forde- rung erfiillt habe, ihnen weder zu viele noch zu wenige Eigenschaften beizulegen, gehen ihn nichts an. Er ist als Mathernatiker nur verantwortlich dafiir, dass derjenige, der ihm alle diese Dinge einraumt, hinterher durch seine sicheren Schliisse gezwungen werden muss alles das einzuraumen, was er daraus ableitet. Dabei muss es sich praktisch zeigen, dass er eine hinreichende Anzahl von Voraussetzungen gemacht hat. Dass er nicht zu viele gemacht hat, lasst sich wohl kaum so unmittelbar nach- weisen; aber wenn er es gethan hatte, so wiirde er sich dem aussetzen, dass andere ihm nachweisen konnten, dass er es gethan hatte, namlich dadurch, dass einige von den Voraussetzungen in Widerstreit mit ein an der waren oder aus einander abgeleitet werden konnten. Wenn man die von den Alten, namentlich von Eu- klid, ausdriicklich aufgestellten geometrischen Voraus setzungen richtig wiirdigen will, so muss man mehr dar- 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. H7 auf sehen, welches diese Voraussetzungen sind, als darauf, dass Angaben dariiber fehlen, woher sie stammen, oder auf die Form, unter der sie auftreten. Dann wird sich zeigen, dass es dieselben sind wie diejenigen, auf denen wir noch heutigen Tages die Geometric auffiihren, und dass sie mit einer Sicherheit und Vollstandigkeit vorgefuhrt werden, die dauernd auch denen zum Muster dienen muss, die Veranlassung zu einzelnen Erganzungen oder Modifikationen finden konnten. Um sie ganz zu verstehen, miissen wir jedoch dann and wann auch die, wenigstens fur eine moderne Auffassung, mangelhaften Formen be- ruhren, in denen mehrere von ihnen auftreten. Wir wollen damit beginnen diejenigen Definitionen hervorzuziehen, die uns Veranlassung zu einigen Bemer- kungen geben konnen. Der Punkt wird durch seine Unteilbarkeit definiert (I, Def. 1.). Von da aus geht es weiter zu der Linie als Lange ohne Breite (I, 2), zu der Flache mit Lange und Breite (I, 5) und im llten Buche zum K or per mit Lange, Breite und Dicke (XI, 1). Diese Definitionen geben keine Aufklarung dariiber, wie man zu den Begriffen Punkt, Linie, Flache und Korper gelangen soil, nennen also als eine Voraussetzung, auf der man bauen soil, dass man bereits im Besitze dieser Begriffe ist und versteht, was es heissen soil, dass der Punkt Dimensionen hat, die Linie 1 u. s. w. ; hierin liegt wieder, dass eine Linie als ein geometrischer Ort fur Punkte, Flache und Korper als solche fur Linien und Flachen aufgefasst werden. Um wirklich in den Besitz der Be griffe zu gelangen, wird man in der Regel nicht diesen synthetischen Weg von Punkt zu Linie, Flache und Korper gehen, sondern den umgekehrten analytischen, indem man also vom Korper als etwas unmittelbar gegebenem ausgeht, die Flache als eine Grenze fur den Korper be- trachtet u. s. w. Dass dieser Weg zu den Begriffen zu Die griechische Mathematik: gelangen den Alt-en nicht unbekannt war, sieht man aus einer anderen Reihe von Definitionen, namlich XI, 2, I, 6 und I, 3, die indessen bei Euklid nicht neue Defi nitionen von Flache, Linie und Punkt sind, sender n nur Angaben dariiber, wie Korper, Flache und Linie begreiizt werden. Dass man nicht in den Definitionen, sondern erst in den Postulaten in Verbindung mit einem der Axiome Aufklarung dariiber suchen muss, was einegerade Linie ist, habe ich bereits beruhrt. Auch die Existenz der Kreislinie wircl erst sichergestellt in den Postulaten, wogegen ihre Definition (I, 15) eher zu viel als zu wenig zu sagen scheint. Diese berichtet namlich nicht nur, dass alle Punkte der Kreislinie dieselbe Entfernung vom Cen trum haben sollen, sondern giebt zugleich an, dass der Kreis selbst eine Figur ist, also ein durch die Rreislinie abgegrenzter Teil der Ebene, und dass das Centrum inner- halb dieser Linie liegt. Wenn nicht gesagt ist, dass die Kreislinie alle Punkte von der zuerst angefuhrten Eigen- schaft enthalten soil, so wird die erste der angefuhrten Angaben immerhin kein iiberflussiges Unterscheidungsmerk- mal zwischen der ganzen Kreislinie und dem Kreisbogen. Dadurch kann sie ihren Platz zwischen den Definitionen behaupten. Im ubrigen werden wir sehen, dass diese Angaben, wenn sie ihren Platz nicht hier erhalten batten, in einer oder der anderen Form unter die Postulate auf- genommen werden mussten. Die Definition eines Durchmessers im Kreise (I, 17) enthalt dagegen einen Zusatz, der siclier iiberflussig ist, nicht nur fur die Definition, sondern uberhaupt unter den Voraussetzungen. Es wird niimlich nicht nur gesagt, dass der Durchmesser durchs Centrum geht, sondern auch, dass er den Kreis halbiert. Dies letztere ist ein Satz, der sich durch die Kongruenz der beiden Teile, in die 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. 119 der Kreis geteilt wird, beweisen lasst. Vielleicht hat ein spaterer Herausgeber ihn in die Definition hineingeschoben, weil er sich in der That in keinem Lehrsatz bei Euklid findet. Euklids Definition eines Winkels ist an sich bei- nahe ebenso leer wie die Definition der geraden Linie. Dem wird jedoch abgeholfen durch die Axiome, in denen allgemeine Kennzeichen dafiir aufgestellt werden, ob eine geometrische Grosse grosser, gleich, oder kleiner ist als eine andere derselben Art. Diese Kennzeichen lassen sich namlich auch auf Winkel anwenden, und da es sich zu- gleich zeigt, dass Winkel addiert werden konnen, so er- halten sie dadurch wohl definierte Grossen (vergl. im Folgenden S. 127). Im iibrigen sei bemerkt, dass die urspriingliche Definition des Winkels auch anwendbar ist auf Winkel zwischen krummen Linien. Benutzt wird dieser Begrifr 1 in III, 16, wo gezeigt wird, dass die Senk- rechte auf dem Durchmesser in einem Punkte der Kreis- peripherie einen kleineren Winkel mit dem Kreise bildet oder ihm naher kommt als jede andere gerade Linie. Die Postulate, die Euklid im ersten Buche auf- stellt, sind nach der neuesten und zuverlassigsten Text- revision 1 folgende: 1. Eine gerade Linie von einem Punkte bis zu einem anderen zu ziehen. 2. Eine begrenzte gerade Linie unbegrenzt zu ver- langern. 3. Einen Kreis mit gegebenem Mittelpunkt und ge- gebenein Radius zu beschreiben. 4. Alle rechten Winkel sind unter sich gleich. 1 Euclidis Elementa; edidit et latine interpretatus est J. L. Heiberg. Lipsiae 188388, 8. 120 Die griechische Mathematik: 5. Wenn eine gerade Linie, die zwei andere gerade Linien schneidet, auf derselben Seite innere Winkel bildet, die zusammen kleiner als zwei Rechte sind, so werden die letzgenannten beiden Linien bei der Verlangerung bis ins Unendliche sich auf der Seite schneiclen, wo die Winkel- summe kleiner als zwei Rechte ist. Die Konstruktionen, aus denen sich alle iibrigen nach diesen Postulaten sollen zusammensetzen lassen, sind die- jenigen, die praktisch durch Zirkel mid Lineal ausgefiihrt werden. Indessen wiirde es irrefiihrend sein, nur dies einseitig festhalten zu wollen. Das zeigt sich unter ande- rem dadurch, dass dann kein rechter Platz mehr bleiben wiirde fiir die beiden letzten Postulate, weshalb denn auch bereits sehr friihe Herausgeber sich haben verleiten lassen diese unter die Axiome zu versetzen. Wie man sieht, werden Lineal und Zirkel gar nicht genannt. Durch ihre Benutzung wiirde man ja auch nur ein unvollstandiges Bild von der mathematischen geraden Linie und dem mathematischen Kreise geben. Selbst die drei ersten Postulaten geben, wie wir bereits iiber Euklids Voraussetzungen iiberhaupt gesagt haben, gar keine Auf- klarung dariiber, von wo aus oder durch welche Mittel man das zustande bringt, was man vorausgesetzt haben will. In tibereinstimmung damit, dass die Probleme der Alten im wesentlichen Satze iiber die Existenz, und ihre Losungen Beweise fiir die Existenz des Behandelten oder Gesuchten sind, sind die Postulate Behauptungen iiber dessen Existenz, deren Anerkennung ohne Beweis oder Nachweis verlangt wird. Die Behauptungen, die in den drei ersten Postulaten enthalten sind, wollen dann nur sagen, dass es eine gerade Linie durch zwei beliebige ge- gebene Punkte giebt, dass diese ohne Grenze verlangert werden kann, und dass es einen Kreis giebt mit einem beliebigen gegebenen Mittelpunkt und einem beliebigen 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. 121 gegebenen, von diesern ausgehenden Radius, oder mit anderen Worten einen Kreis, der einen gegebenen Mittel- punkt hat und durch einen gegebenen Punkt geht. Dass das dritte Postulat wirklich so zu verstehen ist und nicht etwa verlangt, dass die Existenz eines Kreises mit gegebe- nem Mittelpunkt und einem an einer Stelle der Ebene gegebenen Radius ohne Beweis eingeraumt werde, ergiebt sich sofort daraus, dass Euklid im 2ten Satze zeigt, dass die Bestimmung eines solchen Kreises mit Hulfe der im ersten Satze mitgeteilten Konstruktion eines gleichseitigen Dreiecks sich aus den postulierten Konstruktionen zu- sammensetzen lasst. Da dies sich wirklich thun lasst, so hat Euklid durch die angefuhrte Einschrankung des 3ten Postulates nur die bereits genannte Pflicht erfiillt nicht zuviel vorauszusetzen. Ware dagegen nur die Rede von der praktischen Ausfiihrung mittels des Zirkels, so ware die Lage des gegebenen Radius gleichgultig ge- wesen, und man darf wohl sagen, dass der im 2ten Satze angegebene Weg nicht fur die praktische Ausfiihrung von Zeichnungen bestimmt gewesen ist. Bei dieser Auffassung von der Bedeutung der Postu late ist es offenbar, dass es nicht geniigt, die Existenz der auf die einfachste Weise bestimmten geraden Linien und Kreise zu postulieren. Die geometrischen Konstruk tionen werden dadurch ausgefiihrt, dass man mittels des Durchschnittes verschiedener Linien Punkte bestimmt, die wieder zur Bestimmung von neuen Linien benutzt werden konnen. Dann muss die Existenz der Schnittpunkte eben- sowohl wie diejenige der Linien postuliert werden, denn sie kann unmoglich eine Folge dieser letzteren sein. Im 5ten Postulat wircl es deshalb ausdrucklich als eine neue Voraussetzung aufgestellt, dass zwei gerade Linien sich schneiden, wobei jedoch die Einschrankung gemacht wer den muss, die notwendig ist, damit die Behauptung wirk- 122 Die griechische Mathematik: lidi \\abr werden kann, eine Kinsdirankung, die bier ganz dieselbe Rolle spielt, wie der Diori-mus zu din-in Problem. Wenn nicht die Kxisten/ des Sohnittpunktes iin "(ten I nstulat verlanirt worden ware, so wiirden die Ln.-Miniren. der Probleme, bci denen Selmhtpunkte /wisdn-n den Linien benutzt werden, im Alliremeinen durchaus nidit diejVuiij-en Beweise t iir die Existenz der konstruier- ten Figuren geben, die die wesentliche Ausbeute der Kon- struktinnen sein solllcn. 1st dicse Betrachtung rich tig, BO wird man Postulate ^ermissen, die aul iilmlidie Weise die Kxisten/ von Sdmiit- lunktcn /wisdien der nvradcn Linie and dem Krdse nder zwischen zwei Krdsen anerkcnnen. Allenlin^s muss die vollstiindi.nc Ab^renzung der Falle, in denen das l)urdi- sdineiden \virklidi stattlimlet, ben-its die iMitwiekdun^; von nielireren Siit/en vei lan^en, uiul vielleicht bat d-r Umstaud, dass Euklid desbalb nidit sofort diese Ab- invn/un<j; in voller Allgomoinlieit Licbeii kann, ilm abgehalten die liier/u (liciieinlen Korderuii^ssiit/e aut/ustdleii. I m iibci-liaupt den Kreis bei Konsti-uktionen benut/en VA\ kii- nen, sind jedodi w^nigstens einige Voraussetzungen fiber srin Sdmeiden mil der --ei aden Linie und init auderen Kreisen notwcndi-. Welche Euklid benutzt, das muss man in den A 1 1 \vendungen suchen, die er macht. Da sidit man demi in Sat/ I, !_!, dass er um sidier /u scin, dass ein Kivis mil ^e-vbenem Mittdpunkt cine gewisse gerade Linie scbneidet, dicsen Kreis durch einen I unkt --dicii liisst, der auf der dem Mittelpunkt eiil-v.ut i!- geset/Len Seite der Geraden lie.ut, und das> cr efl in Sat/ 1 als dnleuditend betrachtet, dass /wei Kreise, jeder mit dem Mittelpunkt aul der IVripbcrie des anderen, sicb in zwei I liukten sdindden, und in Sat/. "2 2, <lass aucb ein Kreis, der snwobl durdi eim-u 1 unkt innerbalb als durdi eincn Punkt ausserbalb der IVripberie eines anderen Ivrei>- 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. 123 geht, diesen anderen Kreis schneidet. Dass er sich auf diese Voraussetzungen stiitzt, geht aus den betreffenden Sldlen hervor, und an anderen Stellen wird nichts iiber da> Durchschneiden zwischen Kreis und gerader Linie oder Kreis vorausgesetzt, bevor das dazu eri onlerlicln; bowiesen ist. Enthalten die von Euklid ausdrucklich aufgestellten Voraussetzungen denn gar nichts iilx-r di<:se faktiselien Voraussetzungen, deren Euklid sich an den angefiihrten Stellen, namentlich in Satz 12, vollkommen bewusst istV Die Postulate thun es jedenfalls nicht, aber, wie wir ge- ,s<-li(jn haben, sind die Unterschiede zwischen Postulaten und Definitionen nicht so ausgepragt, dass man allein zwischen den ersten zu suchon braucht. Dann i;~: klar, dass Euklid die Berechtigung zur Benutzung di< Voraussetzungen darin suchen kann, dass cr in den De finitionen gcsagt hat, ein Kreis sei erne Figur, die den Mittelpunkt enthalt, woraus dann folgen muss, dass eine Krcislinic cine hinreichend verlangerte gerade Linio in zwoi Punkten .sclun-id<-n muss, wenn sie ihren Mittelpunkt auf der einen Seite von dieser Linie hat und duivb <-in<-n Punkt auf der anderen Seite geht, und ebenso eine andere Kreislinie, wenn sie einen ausserhalb liegenden Punkt mit einem inneren verbindet. Im iibrigen sei bemerkt, dass man auf ahnliche Weise in gewissen Fallen das Durch- echneiden gerader Linien ohne Benutzung des 5ten Postu lates boweisen kann, wenn man beriicksichtigt, dass die Umfange von Polygonen auch Flachen abgrenzen, die keine unendliche Ausdehnung haben. Davon macht Euklid in I, 21 Gebrauch. Noch fehlt uns eine Erklarung dafiir, wie die Be- liaiiptung, dass alle rechten Winkel gleich gross sind, iliron Platz unter den Postulaten erhalten kann. Aus den Axiornen gel it hervor, dass alle Winkel gleich gross sind, wenn sie kongruent sind, sonst nicht, und die Behauptung ist al.-<- 124 Die griechische Mathematik: genau dieselbe wie die andere, dass alle rechten Winkel kongruent sind. Da ein rechter Winkel (in Def. 10) als solcher definiert wird, der seinem Nebenwinkel gleich ist, so lauft das Postulat darauf hinaus, dass der Winkel, den wir jetzt einen gestreckten nennen, eine bestimmte Grosse hat, oder dass die Verlangerung einer gegebenen geraden Linie iiber den einen Endpunkt hinaus eindeutig bestimmt ist. Eine voile Bestatigung daflir, dass dies ge- meint ist, erhalt man, wenn man sieht, dass das Postulat gerade auf diese Weise faktisch angewandt wird; das ge- schieht im Beweise fiir den Satz I, 14. Das 4te Postulat wird also ein Zusatz zum 2 ten, dass namlich die in diesem enthaltene Bestimmung der Ver langerung einer geraden Linie eindeutig ist, und es hat wohl zunachst deswegen seinen Platz unter den Postulaten und nicht unter den Axiomen erhalten. Das Postulat wurde nicht vermisst werden von einem modernen Leser, der gewohnt ist, dass auf die Anzahl der Losungen Riick- sicht genommen wird, und sich deshalb zunachst denken wiirde, dass die Eindeutigkeit bereits im 2ten Postulat mit unterverstanden ist. Wenn es nun doch einmal da- steht, so vermisst man ein anderes Postulat, welches aus- driickt, dass auch die in dem ersten Postulat gegebene Bestimmung einer geraden Linie eindeutig ist. Von dieser Eindeutigkeit macht Euklid ausdriicklich Gebrauch in Satz I, 4, wo er in seiner Beweisfiihrung das Argument gebraucht, dass zwei gerade Linien keinen Flachenraum einschliessen konnen ; aber diese Behauptung, die durch- aus zusammenfallt mit derjenigen, dass das erste Postulat eindeutig ist, findet sich nicht unter den aufgestellten Voraussetzungen. Hier liegt unzweifelhaft eine Inkonse- quenz vor. Auf diese ist man schon im Altertum auf- merksam geworden und sie hat die Herausgeber veranlasst, die in I, 4 ausdriicklich benutzte Voraussetzung entweder 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. 125 und wahrscheinlich am friihesten - - unter die Postu late aufzunehmen, wohin sie mit demselben Recht gehort wie das Postulat I, 4, oder unter die Axiome. Dieses neue Postulat driickt zugleich aus, dass die Bestimmung eines Punktes mittels des 5ten Postulates als Schnittpunkt zwischen zwei Geraden eindeutig ist. Die Eindeutigkeit des 3 ten Postulates iiber die Be stimmung eines Kreises durch Mittelpunkt und Radius braucht man dagegen nicht vorauszusetzen. Man kann hier namlich wieder davon Gebrauch machen, dass der Kreis bereits in den Definitionen vollstandiger bestimmt ist als die gerade Linie. Dadurch ist Euklid imstande in den Satzen III, 5 und 6 zu beweisen, dass koncentrische Kreise sich nicht schneiden oder beruhren konnen, dass also der vollstandige geometrische Ort fur die Punkte, die denselben Abstand von einern gegebenen Punkte haben wie ein anderer Punkt, nur aus einer geschlossenen Kurve besteht, mit anderen Worten, dass das 3te Postulat nur ein en Kreis giebt. Euklids Istes, 2tes, 4tes und 5tes Postulat, erganzt durch die in Salz I, 4 benutzte Voraussetzung, dass das erste Postulat eine eindeutige Bestimmung geben soil, und, wie wir sehen werden, durch eine im 7ten Axiome ent- haltene Voraussetzung, drucken alle Eigenschaften einer geraden Linie aus, welche ihrer Verwendung in der Geo metric zu Grande liegen. Unvermerkt, ja, wie wir sehen werden, ohne es selbst gewahr worden zu sein, hat Eu klid damit indes gleichzeitig die Grundeigenschaften der Ebene aufgestellt erhalten. Die ausdriicklich aufgestellte Definition der Ebene (I, 7) ist an sich ebenso nichtssagend wie diejenige der geraden Linie. Die Ebene wird noch in den Definitionen I, 8 und 15 genannt, wo ausgespro- chen wird, dass die Schenkel eines Winkels in derselben Ebene liegen miissen, und dass der Kreis eine ebene 126 Die griechische Mathematik : Figur 1st. Von grosserer Bedeutung 1st es, dass in den aufgestellten Postulaten stillschweigend vorausgesetzt wird, dass die verschiedenen Bestimmungen innerhalb einer und derselben Ebene stattfinden. Ohne dieses wiirde das 5te Postulat geradezu sinnlos sein. Die Eigenschaft, die nament- lich durch das erste mid zweite Axiom einer Ebene bei- gelegt wird, wird nun die, dass sie jede gerade Lime, die durch zwei ihrer Punkte geht, nebst ihren Verlangerungen bis ins Unendliche ganz enthalt. Hatte Euklid selbst dies ausdriicklich festgestellt, so hatte er darin eine wirk- liche Grundlage erhalten konnen fur die drei ersten Satze des llten Buches, die aussagen, dass eine gerade Linie, die teilweise in einer Ebene liegt, nicht aus dieser heraus- gehen kann, dass zwei gerade Linien, die sich schneiden, in einer Ebene liegen (und sie bestimmen), und dass die Durchschnittslinie zweier Ebenen gerade ist. Nun stellt er einige andere Beweise auf, von denen der fiir XI, 1 die Richtigkeit von XI, 2 voraussetzen muss, xier um- gekehrt wieder auf XI, 1 aufgebaut ist. In logischer Be- ziehung, sowohl principiell wie formell, steht Euklid s Behandlung der Stereometrie im ganzen hinter seiner ebenen Geometrie zuriick, wofur wir ein noch wichtigeres Beispiel bei der Besprechung seiner Axiome sehen werden. Indessen wird sich zeigen, dass die griechischen Mathe- matiker trotz dieses Mangels die stereometrischen Satze und Operationen dennoch in einem recht bedeutenden Umfange kannten. Wahrend wir bei Definitionen und Postulaten, um genaue Auskunft liber die Voraussetzungen zu erhal ten, die sie ausdriicken sollen, zum Teil unsere Zuflucht zu den Anwendungen haben nehmen miissen, die Euklid in seinen Satzen faktisch von ihnen gemacht hat, so geben diejenigen Axiome des ersten Buches, deren Achtheit fiir 14 Euklids geometrische Voraussetzungen. 127 unzweifelhaft angesehen wird und mit denen wir uns deshalb ausschliesslich beschaftigen wollen, namlich 1 3 und 7 8 1 , eine ebenso kurze wie klare Auskunft iiber die Grundlage fiir die Anwendung der Begriffe Gleichheit ind Ungleichheit auf Grossen im allgenieinen, und auf letrische Grossen im besonderen. Der erste Beitrag Begriffe Gleichheit wird im Axiom 1 gegeben: Grossen, lie einer und derselben Grosse gleich sind, sind unter sich gleich. Der Umstand, dass das Wort gleich in der Erklarung des Begriffes Gleichheit vorkommt, macht diese Erklarung nicht wertlos, was unter anderem daraus ersichtlich ist, dass man nicht in der im Axiome ent- haltenen Erklarung ungleich an die Stelle von gleich setzen kann. Sie ist indessen nicht ausreichend um einen anwendbaren Grossenbegriff geben zu konnen. Es muss hinzugenommen werden, dass eine Grosse nicht verandert wird durch Teilung und eine darauf folgende Zusammen- setzung aus alien Teilen. Dies ist in den Axiomen 2 und 3 enthalten, die aussagen, dass Gleiches, um Glei- ches vermehrt oder vermindert, Gleiches giebt. Ferner muss, wenn man auch die Ungleichheit berucksichtigen will, hinzugenommen werden, dass man etwas Kleineres erhalt, wenn man nicht alle Teile mitnimmt; das wird im Axiom 8 ausgesagt: das Ganze ist grosser als ein Teil. Hierdurch ist auch eine Erklarung von Addition und Subtraktion allgemeiner Grossen gegeben, und zu- gleich ist darin enthalten, dass die Reihenfolge der Sum- manden gleichgultig ist. Wenn der Grossenbegriff: in einer modernen Arithmetik 2 so definiert wird, dass von den- jenigen Eigenschaften der Gegenstande, die sich nicht 1 Euclidis Elementa ed. Heiberg, Lipsiae 188388. 2 Julius Petersen, Arithmetik og Algebra til Skolebrug, Kjebenhavn 1879, S. 3. 128 Die griechische Mathematik: verandern, wenn ihre Teile in verschiedener Reihenfolge zusammengesetzt werden, sich aber verandern, wenn einige der Teile fortgenommen werden, gesagt wird, sie besassen Grosse , so stimmt diese Definition durchaus zu den an- gefiihrten Axiomen, die sogar den Vorzug haben etwas direkter zu erklaren, was gleich, grosser oder kleiner ist. Dieser allgemeine Grossenbegriff muss durch beson- dere Kenuzeichen erganzt werden, die seine Anwendung ermoglichen sowohl auf bestimmte Arten von Grossen, wie geometrische Grossen, Gewichte u. s. w., als auch auf rein abstrakte Zahlengrossen. Euklid, fiir den die geometrische Grosse zur abstrakten Grosse wird, da sie in der geometrischen Algebra zur Darstellung von Grossen jeder Art, auch von Zahlen, dient, muss zuallererst Kenn- zeichen fiir die Gleichheit geometrischer Grossen geben; das geschieht im 7ten Axiom zum ersten Buch, von dem wir jetzt gleich reden wollen. Erst im 5ten Buche wird eine unmittelbare Darstellung abstrakter Grossen als Verhaltnisse gegeben und ausserdem Kennzeichen fiir ihre Gleichheit und Ungleichheit. Die Verhaltnisse zur Einheit sind Zahlen in der modernen und allgemei- nen Bedeutung dieses Wortes. Die Einheit wird jedoch erst im 7ten Buch eingefiihrt und dann nur als Maass fiir damit kornmensurable Grossen angewandt. Die dazu dienenden Voraussetzungen werden wir im Zusamrnenhang mit dem iibrigen Inhalt dieser Biicher besprechen. Im 7ten Axiom des ersten Buches, zu dem wir nun- mehr nach diesem Ausblick auf andere Grossenbestim- mungen als die geometrische zuriickkehren, wird aus- gesprochen, dass kongruente Grossen oder solche, die sich zur Deckung bringen lassen, gleich sind. Dieses Kenn zeichen fiir geometrische Gleichheit geht ganz natiirlich dem im 8ten Axiome enthaltenen Kennzeichen fiir Un gleichheit voran, das keine besondere Erganzung mit Bezug 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. 129 auf die geometrischen Grossen bedarf. Euklid weist im 7ten Axiom mit grosser Sicherheit auf das bin, was immer der erste Ausgangspunkt 1 iir jede Untersuchung von Gros sen in der Geometric sein muss. Die Kongruenz ist es bereits beim praktischen Messen, das darin besteht, nach und nach von dem, was gemessen werden soil, eine Reihe von Teilen aufzuzahlen, die dem Maasse kongruent sind. Sie ist es ferner sowohl in Euklids eigenem Lehrgebaude wie in alien folgenden, die geometrische Grosseri behan- deln: man geht davon aus, dass gewisse Grossen gleich sind, weil sie kongruent sind, und ungleich, weil die eine selbst ein Teil der anderen ist oder einem Teile der an- deren kongruent ist. Eben dieses Verfahren wendet Eu klid im ersten Buche an um zu zeigen, wie Gleichheit und Ungleichheit von Seiten oder Winkeln desselben Dreiecks oder verschiedener Dreiecke sich gegenseitig be- dingen. Die Resultate hiervon kombiniert er dann mit den allgemeinen Voraussetzungen iiber Grossen. Ja er ist sogar bestrebt das specifisch geometrische Princip der Kongruenz so wenig wie moglich anzuwenden. So be- nutzt er in I, 26 nicht unmittelbar die Kongruenz um zu beweisen, dass Dreiecke, die in einer Seite und den anliegenden Winkeln ubereinstimmen, es auch in den iibrigen Stiicken thun, sondern er schliesst dies antithetisch aus den friiheren Kongruenzfallen. Fiir gerade Linien und Winkel fallt Gleichheit zu- sammen mit Kongruenz. Fiir gebrochene Linien, Flachen- und Rauminhalte kann man dagegen erst, nachdem man Gleichheit durch Kongruenz nachgewiesen hat, Gleichheit ohne Kongruenz nachweisen durch Zusammensetzung nach den allgemeinen Voraussetzungen iiber Grossen, wie es beispielsweise in I, 35 geschieht, wo bewiesen wird, dass Parallelogramme von derselben Grundlinie und Hohe gleich sind. Zu der Grosse krummer Linien und der 130 Die griechische Mathematik: Flachen, die von solchen begrenzt werden, sowie zu der ( Jr< "sse der meisten Rauminhalte kann man nur durch Grenziibergange gelangen, die von den Alien durch den Kxhaustionsbeweis ausgefiihrt wurden, und die zum Teil zugleich die Aufstellung neuer Voraussetzungen verlangen. Das werden wir sehen, wenn wir dazu gelangen Euklids 12tes Buch, sowie die Arbeiten von Archimedes zu be- sprechen. Dagegen mussen wir sogleich erwahnen, dass die Art und Weise, wie Euklid in der Stereometric das im 7ten Axiom aufgestellte Kongruenzaxiom benutzt, mit einem sehr wesentlichen Mangel behaftet ist. Dieser hangt damit zusammen, dass man in seiner Stereometric jedes Unterscheiden zwischen Kongruenz und Symmetric vermisst, lasst aber doch erkennen, dass er symmetrische Figuren nicht fur kongment halt. Denn in solchem Falle wiirde er gemeint haben im 7ten Axiom cine ausreichende Grundlage fiir Volumenbestimmungen zu besitzen. Statt dessen stellt er eine neue Vorausset- zung auf, die sowohl auf kongruente wie auf symmetrische Figuren passen kann. In der lOten Definition des llten Buchs werden gleiche und ahnliche Raumfiguren als solche definiert, die von gleichvielen gleichen und ahn- lichen (d. h. kongruenten) ebenen Figuren eingeschlossen wi-rden. Diese Definition enthalt ausser einer Namen- gebung zugleich eine geometrische Voraussetzung, also ein Axiom, dass namlich diese Figuren auch gleich an Raui inhalt sein sollen 1 . Das wird in XI, 29 benutzt, bewiesen wird, dass Parallelepipeda von derselben Gram flache und Hohe gleich sind, und ausserdem wird daraus in XI, 28 geschlossen, dass die beiden dreiseitigen Prismen, 1 Gauchy hat bewiesen, dass derartige Figuren wirklich immer kongruent oder symmetrisch sind. 14. Euklids geometrische Voraussetzungen. 131 atis denen ein Parallelepipedon besteht, gleich sind. Nun weiss man, dass die Prismen, die in dem ersten Beweise umgelegt werden, kongruent sind, und dass die dreiseiti- gen Prismen des letzten Satzes durch Umlegen der Teile in kongruente Prismen verwandelt werden konnen. Das kann Euklid nicht bemerkt haben; denn dann wiirde die Einfiihrung eines neuen Princips fiir die Gleichheit von Korpern uberfliissig und deshalb seinem gewohnlichen Verfahren widerstreitend gewesen sein. Das 7te Axiom ist in der hier nachgewiesenen Be- nutzung nur ein Kennzeichen fiir geometrische Gleich heit gewesen oder, wenn man will, eine Definition davon; jedenfalls aber steckt darin eine wirkliche geometrische Voraussetzung oder ein Axiom von sehr wesentlicher Be- deutung. Dieses driickt aus, dass iiberhaupt von kon- gruenten Figuren die Rede sein kann, also von der Ver- legung von Figuren an andere Stellen des Raumes. Nach Euklids Axiom bestimmen die geometrischen Grossen alles dasjenige, was wahrend einer solchen Ver- legung unverandert bleibt. Worin diese Verlegung be- stehen soil, wird jedoch gar nicht charakterisiert, ja sie wird nicht einmal im Axiom erwahnt, aber die Anwen- dungen zeigen, dass an die empirische Verlegung gedacht wird, die von den physischen, sogenannten unverander- lichen Korpern her bekannt ist. Wenn wir friiher beriihrt haben, dass das Axiom 1, 7 notwendig ist urn eine gerade Linie vollstandig zu charakterisieren, so dachten wir eben daran, dass Euklid, z. B. in den Beweisen fiir die Kongruenzsatze, bestimmt die Voraussetzung benutzt, dass eine gerade Linie sich durch Verlegung nicht verandert. 132 Die griechische Mathematik: 15, Anmerkung tiber die Voraussetzungen der Geometrie, Wenn man die zuletztgenannte Eigenschaft der geraden Linie mil denjenigen kombiniert, die bereits in den Postulaten ausgedriickt sind, die Eindeutigkeit der Bestimmung durch zwei Punkte mit- einbegriffen, so wird die gerade Linie als solche definiert, die ihrer ganzen Ausdehnung nach mit einer anderen geraden Linie zusam- menfallt, wenn sie so verlegt wird, dass zwei ihrer Punkte mit zweien der anderen Geraden zusammenfallen. Dass diese Defini tion keinen Kreisschluss enthalt, obgleich die gerade Linie durch Zusammenlegen mit einer anderen geraden Linie bestimmt wird, erkennt man daraus, dass keine andere Linie diese Eigenschaft besitzt. Dagegen ist das Axiom von der Moglichkeit einer Ver- legung vorausgesetzt. Nach der Definition erhalt man die gerade Linie als geometrischen Ort fur die festen Punkte eines Korpers, der sich dreht, wahrend zwei Punkte fest liegen. Die Konstruktion gerader Linien durch ein Lineal, also durch eine bewegliche gerade Linie, folgt gleichfalls aus der Definition. Diese Definition findet sich nun allerdings nicht bei Euklid, sondern sie ist eine Zusammenfassung der Eigenschaften, die er faktisch benutzt, und die er nach und nach in Postulaten und Axiomen aufstellt. Diese bestimmen demnachst die Ebene als eine Flache, die jede Gerade, die durch zwei von ihren Punkten geht, ganz enthalt. Diese Bestimmung enthalt indessen mehr. als eine gute Definition enthalten darf, da sie die Ebene weder als geome trischen Ort fur eine einfach unendliche Anzahl gerader Linien, noch fur eine doppelt unendliche Anzahl von Punkten bestimmt. Man kann jedoch die Bestimmung in eine Definition und in ein Axiom oder Postulat zerlegen. Die Ebene muss dann zuerst definiert werden als der Ort fur die Geraden, die einen festen Punkt mit den Punkten einer festen Geraden verbinden, und demnachst muss als unbeweisbare, aber fur das geometrische Lehrgebaude notwen- dige Voraussetzung hinzugefiigt werden, dass diese Flache dann die oben erwahnte allgemeine Eigenschaft hat. Uber diese Schwierigkeit kommt man dadurch nicht hinweg, dass man, wie es auch wohl geschehen ist, die Ebene definiert als geometrischen Ort fur die Punkte, die gleichen Abstand von zwei festen Punkten haben. Es gelingt dann wohl in der Stereometric 15. Anmerkung iiber die Voraussetzungen der Geometrie. 133 zu beweisen, dass die so defmierte Ebene in der That jede Gerade enthalt, von der sie zwei Punkte enthalt, aber es gelingt das nur auf der Grundlage der ebenen Geometrie, in der man bereits diese Voraussetzung iiber die Ebene, die alle behandelten Figuren ent halt, gemacht hat. Mit Bezug auf die Ebene wird noch eine Voraussetzung ge macht, die sich nicht aus der hier aufgestellten Definition ableiten lasst, namlich die, welche im 5ten Postulat enthalten ist, dass abgesehen von einem genauer bezeichneten Fall zwei Geraden derselben Ebene sich schneiden. Wie wir erwahnt haben, macht Euklid, wenn er es auch nicht so deutlich hervorhebt, noch eine geometrische Voraussetzung, die auch geradlinige Figuren betrifft, namlich die, dass eine in sich selbst zuriicklaufende (gebrochene oder krumme) Linie der Ebene einen endlichen Flachenraum einschliesst, und dass sie von jeder geraden oder in sich selbst zuriicklaufenden Linie, die einen ausser- halb und einen innerhalb liegenden Punkt verbindet, in wenigstens zwei Punkten geschnitten wird Ahnliche Voraussetzungen schlies- sen sich an die geschlossenen Flachen an; sie spielen aber erst eine Rolle, wenn man weiter geht als Euklid. Die geometrischen Voraussetzungen, die Euklid benutzt, sind also folgende: 1) das Verlegungsaxiom, 2) und 3) die beiden an- gefuhrten Voraussetzungen iiber eine Ebene, 4) die Voraussetzung (S. 123) iiber geschlossene Konturen (und Oberflachen). In den wesentlichsten Punkten beriihrt er diese in seinen Definitionen, Postulaten und Axiomen, die ausserdem Erklarungen der gebrauch- ten Benennungen, und endlich in den Axiomen 1 3 und 8 klar ausgesprochene Voraussetzungen iiber die allgemeine Grossenlehre enthalten. Diese letzteren geben nicht nur Worterklarungen, sondern sprechen zugleich die fur den Aufbau einer wirklichen Grossenlehre notwendige Voraussetzung aus iiber Unveranderlichkeit und Ver- anderlichkeit der Grossen durch Teilung, auf die eine Zusammen- setzung aus alien oder aus einigen Teilen folgt. Die deutliche Weise, in der die wichtigsten geometrischen Voraussetzungen also bei Euklid hervortreten, hat die in seinen Elementen aufgestellte Grundlage der Geometrie zu einem guten Ausgangspunkt gemacht fur die Untersuchungen der neueren Zeit iiber den Bereich der einzelnen Voraussetzungen und iiber ihre gegenseitige Unabhangigkeit. Insofern sie wirk- lich unter einander unabhangig sind, muss man namlich einige von 134 Die griechische Mathematik: ihnen festhalten und aus ihnen allein Konsequenzen ziehen kon- nen, wahrend man andere unbeachtet lasst. Dadurch erhalt man eine Verallgemeinerung der Geometrie; denn die Satze, welche man dann beweist, gelten sowohl fur den Raum, der zugleich den iibrigen Voraussetzungen geniigt, als auch fur solche Raume, die es nicht thun. Sie konnen auch in dem durch Euklids Voraus setzungen definierten Raum eine derartige weitergehende Anwendung finden, dass beispielsweise gerade Linien mil Kurven vertauscht werden, die durch einige Eigenschaften der gewohnlichen geraden Linie charakterisiert werden, so dass ausser dieser auch andere Linien darin einbegriffen sind. Die wichtigste dieser Verallgemeinerungen, die projekti- vische Geometrie, ist jedoch nicht eigentlich durch Spekula- tionen iiber die Axiome entstanden. Ihre meisten Satze sind aus Verallgemeinerungen hervorgegangen. die sich innerhalb der auf alien Voraussetzungen Euklids aufgebauten Geometrie als zweck- massig erwiesen haben. In Wirklichkeit setzt sie sich jedoch iiber einige von diesen Voraussetzungen hinweg, und deshalb kann sie auch von Anfang an ohne diese aufgefiihrt werden. Dasjenige, von dem man in der projektivischen Geometrie absieht, ist das Verlegungsaxiom und die darauf gegriindete Lehre von geome- trischen Grossen, und dadurch kommt man auch nicht dazu - wenigstens so lange die projektivische Geometrie sich nicht selbst einen neuen Begriff von Verlegung und dadurch einen neuen Grossenbegriff bildet die durch Euklids iibrigen Axiome fest- gelegten allgemeinen Grossenbegriffe zu benutzen. Berucksichtigt werden dagegen die in den Postulaten enthaltenen Voraus setzungen, wobei jedoch von den Entlehnungen abzusehen ist, die auch darin aus der Grossenlehre gemacht sind. Dadurch fallt einmal das dritte Postulat iiber die Bestimmung des Kreises ganz fort, da der Kreis im voraus dadurch definiert ist, dass sein Radius eine unveranderliche Grosse haben soil, und zweitens fallen die Einschrankungen beim 5ten Postulat fort, so dass dieses folgenden Wortlaut enthalt: zwei Geraden derselben Ebene schneiden sich immer in einem Punkte. Den direkten Widerspruch mit derjenigen Geometrie, in der alle euklidischen Voraussetzungen benutzt werden, oder mit der euklidischen Geometrie vermeidet man da durch, dass man den parallelen Geraden der letzteren unendlich feme Schnittpunkte beilegt. Dadurch dass sie iiberhaupt nicht fragt, in wieweit Schnittpunkte unendlich fern sind oder nicht, ge- 15. Anmerkung uber die Voraussetzungen der Geometrie. 135 langt die projektivische Geometrie dahin, sowohl die euklidische als auch die im Folgenden erwahnte nicht-euklidische Geometrie in sich zu begreifen. Die gerade Linie erhalt in der projektivischen Geometrie die- selben Eigenschaften wie in der euklidischen mit Ausnahme der Verlegung, durch die eine gerade Linie zum Zusammenfallen mit einer anderen gebracht wird, und die Eigenschaften der Ebene werden ebenso wie bei Euklid an diejenigen der Geraden an- geschlossen. Die beiden Voraussetzungen, die sich an die Bestim- mung der Ebene kniipften, werden beibehalten. Da man nun nur auf diesen und nicht mehr auf dem Verlegungsaxiom weiter bauen darf, so ist ersichtlich, dass die projektivische Geometrie, wenn sie selbstandig entwickelt wird und man nicht die euklidische Geome trie als im voraus bekannt betrachtet, erst einen wirklichen Inhalt bekommt, wenn man aus einer einzelnen Ebene herausgeht und dadurch dahin gelangen kann diese Voraussetzungen zu benutzen. Was die euklidische Voraussetzung uber geschlossene Kurven be- trifft, so zeigt es sich namlich, dass diese nicht in der Weise von den fortgefallenen Voraussetzungen unabhangig ist, dass sie in der projektivischen Geometrie beibehalten werden kann; im Gegenteil erhalt man in dieser zwei Arten geschlossener Linien in der Ebene, von denen die eine eine Gerade in einer geraden Anzahl von Punkten (oder in keinem) schneidet, die andere in einer ungeraden. Im Gegensatze zu der projektivischen Geometrie ist die so- genannte nicht-euklidische Geometrie gerade durch Spekula- tionen iiber die von Euklid aufgestellten Voraussetzungen ent- standen, namentlich iiber eine einzelne von ihnen, namlich diejenige, die wir im 5ten Postulat getroffen haben. Diese Spekulationen versteht man vielleicht am besten, wenn wir daran erinnern, dass dieses Postulat in den meisten Ausgaben seinen Platz unter den Axiomen gefunden hat, wo es durch Einschiebung von anderen weniger echten Axiomen den Namen Euklids lltes Axiom erhalten hat. Wahrend die Bestimmung eines Punktes als Schnitt- punktes zweier Geraden unter den Postulaten ein natiirliches Gegen- stuck zu der Bestimmung einer Geraden durch zwei Punkte bildete, so musste die daran gekniipfte Begrenzung besondere Aufmerksam- ceit erwecken, wenn man dieselbe Voraussetzung unter den den .ehrsatzen entsprechenden Axiomen traf. Das Axiom, dass zwei Jeraden, deren innere Winkel auf derselben Seite einer schneiden- len dritten eine Snmme kleiner als 2 Rechte bilden, sich auf 136 Die griechische Mathematik: dieser Seite schneiden, wurde dann ein Gegenstuck zu dem Lehr- satz, dass die Geraden parallel sind, wenn die Summe 2 Rechte betragt. Diesen letzten Satz beweist Euklid in I, 27 und 16 mit Hiilfe der iibrigen Voraussetzungen; lasst sich dann das lite Axiom und der davon abhangige wichtige Satz iiber die Winkelsumme eines Dreiecks nicht auch beweisen? Diese Frage hat im Laufe der Zeiten unzahlige Versuche zu Beweisen hervorgerufen. Einige von diesen mogen eine gewisse Berechtigung gehabt haben, insofern sie solche an der e Voraus setzungen, deren Richtigkeit man ebenso bereitwillig von vornherein einraumen wiirde, an die Stelle derjenigen von Euklid setzten. Nur hat man nicht immer, so wie Euklid es thut, selbst aus- gesprochen und eingeraumt, dass man eine Voraussetzung machte. Wir wollen beispielsweise fur das hier erwahnte euklidische Axiom oder fur die damit verbundenen Satze, dass eine gerade Linie eindeutig bestimmt ist, wenn sie durch einen Punkt geht und einer gegebenen Geraden parallel ist, oder dass die Summe der Dreieckswinkel gleich 2 Rechten ist, diejenigen Beweise anfuhren, die den Weg in gute Lehrbiicher aus unserer und der nachst vor- hergehenden Zeit gefunden haben. Von diesen verdankt man die jenigen, die wir unter 2 und 3 auffiihren, dem franzosischen Mathe- matiker Legendre. 1) Man begniigt sich damit das Axiom zu veranschaulichen und so die Leser zu iiberreden es ebenso anzunehmen, wie sie friiher die iibrigen geometrischen Voraussetzungen angenommen haben. 2) Man kann den Satz, dass zwei Winkel eines Dreiecks den dritten bestimmen, an die Bestimmung eines Dreiecks aus einer Seite und den beiden anliegenden Winkeln anschliessen. Die Grosse einer einzelnen Seite kann namlich nur den Maassstab fur die ge- zeichnete Figur bestimmen, also keinen Einfluss haben auf die Ge- stalt des Dreiecks, mithin auch nicht auf die Winkel. Die beiden gegebenen Winkel bestimmen also den dritten. Wie man sieht wird der Beweis dadurch gefuhrt, dass man die Vorstellung von Ahnlichkeit oder von einer vom Maassstab unabhangigen Gestalt als geometrische Voraussetzung festsetzt, auf der man bauen will. Das, was hier gethan wird, entspricht ganz dem, was Euklid selbst gethan hat, als er im Verlegungsaxiom die Kongruenz als geornetrisches Grossenprincip festsetzte. 3) Andere begniigen sich nicht wie Euklid damit, die Grosse eines Winkels mit Hiilfe des Verlegungsprincips zu bestimmen, 15. Anmerkung iiber die Voraussetzungen der Geometrie. 137 sondern sie lassen die Grosse eines Winkels das Verhaltnis sein zwischen dem von den Schenkeln des Winkels eingeschlossenen unendlichen Flachenstuck und der Flache der ganzen Ebene. Wenn man nun durch einen Punkt zwei Parallelen zu einer gegebenen Geraden ziehen konnte, so wiirde die eine ganze von der letzten Geraden abgeschnittene Halbebene, die ja gleich zwei Rechten ist, nur einen Teil ausmachen von einem der vier von den beiden ersten Geraden gebildeten Winkel deren jeder kleiner ist als zwei Rechte. Man sieht leicht, dass die neue Voraussetzung hier in der Winkeldefinition liegt und darauf hinaus lauft, dass das in dieser aufgestellte Verhaltnis zwischen zwei unendlichen Grossen einen bestimmten Wert hat. 4) Noch andere beweisen, dass die Summe der Aussenwinkel eines Polygons gleich 4 Rechten ist, indem sie eine Gerade sich allmahlich um die Scheitelpunkte der Winkel von der einen anlie- genden Seite bis auf die andere drehen lassen Wenn diese in ihre urspriingliche Lage zuriickkehrt, so soil sie sich im Ganzen um denselben Betrag gedreht haben, wie wenn sie bei der Drehung um einen festen Punkt in ihre urspriingliche Lage zuruckgekehrt ware. Auch hier ist man nicht bei der in Euklids Verlegungs- princip liegenden Charakterisierung des Winkels als Grosse stehen geblieben, sondern der Winkel ist vielmehr als Teil einer ganzen Umdrehung defmiert worden; hierin liegt aber die Voraussetzung, dass dieser Teil eine Grosse von solcher Beschaffenheit hat, dass es gleichgiiltig bleibt, ob man eine ganze Umdrehung um einen einzelnen Punkt vornimmt oder ob man diese Umdrehung in Um- drehungen um verschiedene Punkte zerlegt. Dass hier wirklich eine Voraussetzung gemacht wird, die ebenso wie Euklids eigenes Axiom speciell fur die Ebene gelten soil, das sieht man, wenn man die Ebene mit einer Kugelflache, die Geraden mit Bogen grosster Kreise vertauscht. Dann hort die Voraussetzung namlich auf rich tig zu sein. 5) Von grosserer Bedeutung mit Bezug auf das Verhaltnis ron Euklids Axiom zu seinem eigenen Lehrgebaude ist jedoch ein Versuch von Legendre, der sich wirklich an Euklids ubrige Voraussetzungen halt. Auf der Grundlage von diesen kann er allerdings nicht den allgemeinen Satz iiber die Winkelsumme eines Dreiecks beweisen, aber es gelingt ihm doch darzuthun, dass die Inkelsumme nicht grosser ist als zwei Rechte. Einer ron den Wegen, auf denen er dies Resultat erreicht, folgt sehr 138 Die griechiscbe Mathematik: genau einem von Euklids eigenen Beweisen, namlich dem in I, 16. Hier beweist Euklid, dass der Nebenwinkel eines Winkels C in einem Dreieck ABC grosser ist als jeder von den beiden anderen Winkeln, z. B. als A. Das wird dargethan, indem man die Mitte D von A C mit B verbindet und darauf D A l = B D abtragt. Das Dreieck A BC erhalt dann dieselbeWinkelsumme wie ABC und enthalt einen Winkel CA l5 der gleich der Summe der Winkel A und C des urspriinglichen Dreiecks ist; daraus folgt A -f- C< 2 R, oder dass A kleiner ist als der Nebenwinkel von C. Die bier an- gewandte Operation wiederholt Legendre, indem er jedesmal dafiir sorgt, dass der Winkel, der bier B genannt ist, der kleinste Winkel des Dreiecks ist, das welter umgewandelt wird. Das neue Dreieck, zu dem er gelangt, hat dann be- standig dieselbe Winkelsumme und enthalt einen Winkel, B oder A, der gleich oder kleiner ist als die Halfte des vorhergehenden kleinsten Winkels. Nach einem Princip, das Euklid spater in Verbindung mit dem Exhaustionsbeweise aufstellt, kann man auf diesem Wege zuletzt zu einem Dreieck gelangen, in dem ein Winkel kleiner ist als eine beliebige gegebene Grenze. Euklids eigener Satz zeigt, dass die Summe der beiden anderen Winkel kleiner als zwei Rechte ist. Man kann dann leicht, wenn man will mit dem Exhaustionsbeweise, nachweisen, dass die Summe aller drei Win kel, die unverandert dieselbe wie in dem ersten gegebenen Dreieck ABC geblieben ist, nicht grosser als zwei Rechte ist. War man so weit gekommen ohne das lite Axiom (das ote Postulat) zu benutzen, so lag darin die Aufforderung weiter zu gehen. Man musste sich daran halten, dass die Summe der Dreiecks- winkel gleich 2 Rechten oder kleiner sein konnte. Wenn das letz- tere der Fall war, so konnte man beweisen, dass die Winkelsumme abnahm, wenn die Flache des Dreiecks zunahm. Als Ausgangs- punkt fur die (Jntersuchung dariiber, ob gerade Linien sich schnei- den, hatte man nun nur den, den wir die Voraussetzung iiber ge- schlossene Konturen genannt haben, aber man gelangte doch dahin zu beweisen, dass das Schneiden zwischen einer gegebenen Geraden und einer Geraden durch einen gegebenen Punkt stattfindet, wenn diese Gerade in das eine Paar Scheitelwinkel fallt, die von zwei 15. Anmerkung iiber die Voraussetzungen der Geometrie. 139 stimmten, durch den gegebenen Punkt gehenden, geraden Linien ibildet werden. Andere Satze dieser sogenannten nicht-eukli- ischen Geometrie, die von Lobatschewsky und Bolyai ent- rickelt ist, stimmen raehr mit denen der gewb hnlichen euklidischen reometrie iiberein. Noch konnen wir eine Art von Geometrie anfiihren, die von luklids Voraussetzungen ausschliesslich diejenige iiber geschlossene ^onturen und die entsprechenden raumlichen Voraussetzungen be- nutzt; diese nennt man Analysis situs. Mit den hier angedeuteten geometrischen Untersuchungen iiber die Voraussetzungen der Geometrie hat man in unseren Tagen auch erkenntnistheoretische Fragen danach, woher wir sie haben, verbunden. Sind die Voraussetzungen vollkommen willkiirlich? oder sind sie auf angeborenen Vorstellungen aufgebaut? oder ent- halten sie Wahrheiten, die man durch Erfahrung kennen gelernt hat? Im letzteren Falle darf man nicht sagen, dass die in den Voraussetzungen enthaltenen Behauptungen absolut richtig sind, sondern nur, dass die Abweichungen zu klein gewesen sind um wahrgenommen zu werden. Auf solche Fragen giebt Euklid, nach dem von uns bereits Gesagten, durchaus keine Antwort. Ihm geniigt es, Voraussetzungen aufzustellen, und zu beweisen, dass, wenn sie giiltig sind, alles, was daraus abgeleitet wird, es auch ist. Es wird dann Sache desjenigen, der seine Resultate benutzen will, mit sich dariiber ins Reine zu kommen, wie weit er die Vor aussetzungen anerkennen will. 16, Die allgemeine Lehre von den Proportionen ; Euklids 5tes und 6tes Buch, Wir haben im Vorhergehenden verschiedentlich Ge- 3genheit gehabt auf diejenigen Stellen in Euklids ersten ichern aufmerksam zu machen, in denen die Behand- mg von der jetzt gebrauchlichen abweicht. Diese Ab weichungen beruhten, soweit sie nicht von rein formeller iatur waren, im wesentlichen darauf, dass Euklid sich diesen ersten Biichern den Gebrauch der Proportionen rersagen muss und deshalb Beweise liefert, die auf der 140 Die griechische Mathematik: geometrischen Algebra aufgebaut sind. Der Grund hier- fiir war wie schon erwahnt der, dass man langst ein- gesehen hatte, dass die altere Lehre von den Proportionen streng genommen nur auf kommensurable Grossen an- wendbar war. Diesem Ubelstande hatte Eudoxus durch eine neue und wahrhaft allgemeine Lehre von den Pro portionen abgeholfen, aber an die Entwickelung dieser macht Euklid sich erst im 5ten Buehe. Bei diesem Buche wollen wir ausfiihrlicher verweilen um die Propor- tionslehre genauer kennen zu lernen, die nicht nur ein Hauptfundament fur die nachfolgende an tike Mathematik wurde, sondern zugleich die Grundlage fiir die allgemeine Grossenlehre kommender Zeiten enthall. Die grosse sachliche Bedeutung dieses Buches werden wir am besten ans Licht ziehen konnen, wenn wir von Euklids vielen Benennungen fiir Proportionen, die auf verschiedene Weise aus anderen gebildet werden, absehen und diese Bildungen in der modernen algebrai- schen Zeichensprache wiedergeben. Zu dem Zweck w r ollen wir mit den ersten Buchstaben a, &, c . . . des Alphabetes allgemeine Grossen bezeichnen, die Euklid durch Strecken darstellt, und durch m, n, p . . . ganze Zahlen, denen Euklid in den Figuren je nach den Beispielen passende kleine Werte erteilt. Aus seinem Buche wird hervorgehen, dass auch diese geometrische Darstellung einen recht guten Uberblick gewahrt. Von den zahlreichen Defini- tionen haben wir dann nur Verwendung fur die folgen- den drei. In Def. 4 wird gesagt, dass zwei Grossen ein Ver- haltnis bilden, wenn Vielfache jeder einzelnen von ihnen dahin gebracht werden konnen die andere zu iibertreffen. Hiertnit wird nicht nur gesagt, dass die Grossen von der- selben Art sein sollen, so dass sie iiberhaupt verglichen werden konnen, sondern es wird zugleich eine weiter- 16. Die allgemeine Lehre von den Proportionen. 141 jhende Forderung ausgesprochen, die sich als unentbehr- lich erweisen wird sowohl bei der Ausdehnung der Pro- )rtionslehre auf inkommensurable Grossen, als spaterhin ji den infinitesimalen Untersuchungen, die sich bei Eu- lid und Archimedes mittels des auch von Eudoxus rfundenen Exhaustionsbeweises ausgefiihrt finden. In Def. 5 wird gesagt, dass a : b = c : d, wenn ma = nb mit sich bringt, dass mc = nd, und in Def. 7, dass a : b >> c : c?, wenn es solche Werte von m und n giebt, dass m a > n b, aber mc<nd. Allerdings wird in 5 nicht das Wort gleich fur die beiden Verhaltnisse gebraucht; da aber spater in den Satzen 11 und 13 bewiesen wird, dass a:b = c:d und ^e:f es mit sich bringen, dass a:b^e:f, so ist ?ben von Gleichheit die Rede. Die Bedeutung dieser Definitionen von der Grosse eines Verhaltnisses wird klar, wenn man beachtet, dass sie in Wirklichkeit identisch sind mit der modernen Bestimmung einer irrationalen reinen Zahl durch rationale Naherungswerte. Erstens ist namlich eine reine Zahl das Verhaltnis einer Grosse zu einer Einheit derselben Art. Zweitens laufen Euklids Vergleiche eben hinaus auf Vergleiche von Verhaltnissen lit ration alen Naherunsrswerten . m Nun wollen wir sehen, wie diese Definitionen einer exakten Lehre von Verhaltnissen und Proportionen zu Grunde gelegt werden. 142 Die griechische Mathematik : In den Satzen 1 3 und 5 6 werden folgende Hiilfs- satze vorausgeschickt : (1 und 5) (2 und 6) (3) m a Hh n a = (m +_ n) a, n . m a = n m . a. Unsere Wiedergabe der letzten drei Satze 1st jedoch insofern etwas frei, als beispielsweise in 2 gesagt wird, dass ma-\ na dasselbe Vielfache von a ist wie m b -f- n b von b\ aber sowohl die Beweise durch Zerlegung der ganzen Zahlen in ihre Einer wie die Anwendungen stimmen durchaus zu unserer Angabe der Bedeutungen. Diese Hulfssatze und die Definition 4 werden benutzt, um folgende Satze zu einfachen Folgen der Definitionen 5 und 7 zu machen: Wenn a : b = c : d, so ist m a : n b = m c : n d ; (4) wenn a>b, so ist a : c 5> b : c, aber c : a <; c : b ; (7 und 8) wenn a:b = c:d und c:d = e:f, so ist a:b = e:f, (11) und aus solchen gleichen Verhaltnissen lasst sich em neues ebenso grosses bilden, namlich (a + c + e):(b + d+f); (12) wenn aber a : b = c : d und c : d > e :/, so ist a : b > e :/. (13) Als Beispiel fur die Beweisfiihrung wollen wir Satz 8 betrachten, in dem, wenn a > b, die Bestimmung von zwei solchen ganzen Zahlen m und n verlangt wird, das 16. Die allgemeine Lehre von den Proportionen. 143 a>nc>mb. Das wird dadurch erreicht, dass man die Forderung mit den folgenden vertauscht, die nach Definition 4 erfiillbar sind: m b > c und m(a b) > c, (n 1) c < m b <C n c, woraus folgt, dass nc <^m a. Die Satze 9 und 10, die die Umkehrungen von 7 nnd 8 sind, werden antithetisch bewiesen. In 14 wird mit Hiilfe der vorhergehenden Satze bewiesen, dass wenn a : b = c : d, # = c mit sich bringt, dass b = d. In 15 wird mit Hiilfe von 12 bewiesen, dass m a : m b = a : b. Die Satze 16 19 enthalten folgende Umformungen der Proportion a : b = c: cL Aus dieses erhalt man a : c = b : d, a:b = (a c) : (6 d). (16) (17) (18) (19) 16 und 17 werden mit Hiilfe von Definition 5 be wiesen; daneben werden bei Satz 16 die beiden vorher gehenden Satze benutzt. In Satz 17 wird aus der gegebenen Proportion abgeleitet, dass, fiir alle Werte von m und n, m a = (m + n) b mit sich bringt, dass m c = (m + n) d, woraus folgt, dass m(a b)==nb mit sich f iihrt, dass m(c d)=n d. 144 Die griechische Mathematik: 18 und 19 werden der erstere antithetisch aus 16 und 17 abgeleitet. Eine Umformung vermisst man jedoch, namlich die- jenige in b : a~ d : c. Da cliese ausdriicklich im Beweise fur 20 angewandt wird, so hat man sie in einem Zusatz zu Satz 7 suchen wollen, was jedoch misslich 1st, da in 7 nur die Rede von dem Fall ist, wo b = d. Deshalb haben einige Herausgeber den Zusatz nach Satz 4 verlegen wollen. Die Sache ist von keiner grossen Bedeutung, da die Umformung eine unmittelbare Folge von Definition 5 ist. Die Satze 20 23 enthalten die wichtige Lehre von zusammengesetzen Verhaltnissen. 22 sagt aus: wenn a : b = d : e und b : c = e :/, so folgt, dass a : c = d :/. Als Vorbereitung auf den Beweis wird in 20 bewiesen, dass nach den Voraussetzungen die Bedingung a = c, woraus nach 8 folgt, dass d: e = a : b = c : b =f: e, nach 9 und 10 mit sich bringt, dass d=f. Da nun die ge- gebenen Proportionen sich nach 4 umformen lassen in und so muss auch ma: nb md:ne n b : p c = n e : pf, ma=pc mit sich fiihren, dass md=pf. 16. Die allgemeine Lehre von den Proportioned 145 Der Satz 23, der aussagt, dass, wenn a : b = e :/ und b : c = d : e auch a : c = d :/ 1st, wird auf dieselbe Weise bewiesen und 1st in derselben Weise durch 21 vorbereitet. In diesen Satzen wird gesagt, dass das Verhaltnis a : c aus den Verhaltnissen a : b und b : c zusammengesetzt sei. Fassen wir das antike Verhaltnis als eine moderne Zahl auf, so ergiebt sich, dass das aus den beiden Ver haltnissen zusammengesetzte Verhaltnis dasselbe ist, was man jetzt ein Produkt nennt. Obgleich den Verhalt nissen, die zusammengesetzt werden, bestimmte Fonnen beigelegt werden, da das Hinterglied des einen das Vorder- glied des anderen sein soil, so iibt das dennoch keine Beschrankung auf. die Zusammensetzung von Verhaltnissen aus. Aus der geometrischen Darstellung in VI, 12 ergiebt sich namllch auch, dass jedes Verhaltnis sich so um- formen lasst, dass eines von seinen beiden Gliedern einen gegebenen Wert erhalt. In VI, 23, wo bewiesen wird, dass das Verhaltnis zwischen zwei Parallelogrammen von gleichem Winkel aus den Verhaltnissen der Seiten zu sammengesetzt ist, sieht man denn auch, dass man den letzteren die Formen a : b und b : c giebt, um sie zusammen- zusetzen. Wenn wir dieses hier schon mit beriicksichtigen, so enthalten die Satze 22 und 23 vollstandige Beweise fur die Behauptungen, die man jetzt folgendermassen aus- driicken wiirde: Ein Produkt ist bestimmt durch seine Faktoren, und die Reihenfolge der Faktoren ist gleichgiiltig. Die Alten besassen also zwei verschiedene Darstel- lungen von dem, was man jetzt unabhangig davon, ob lie Faktoren rational oder irrational sind, ihr Produkt 10 146 Die griechische Mathematik -. nennt, narnlich die eben geschilderte und die in der geo- metrischen Algebra benutzte durch Rechtecke. Dass es wirklich im wesentlichen dasselbe ist, was auf diese bei- den Arten dargestellt wird, sieht man aus dem eben an- gefiihrten 23sten Satze des 6ten Buches. Die Darstellung durch zusammengesetzte Verhaltnisse verbindet einen wesent lichen Vorteil mit ihrer grosseren Umstandlichkeit. Wah- rend die geometrische Algebra gewohnlich nur Produkte aus zwei Faktoren behandelt, die als Rechtecke dargestellt sind, und man sich in den Raum begeben muss, um Produkte aus drei Faktoren als Parallelepipeda dargestellt zu erhalten, so lasst sich ein Produkt aus einer beliebigen Anzahl von Faktoren als ein aus diesen zusammengesetztes Verhaltnis darstellen. Giebt man den Faktoren die Formen a : b, b : c, c: d, d: e, so wird das daraus zusammengesetzte Verhaltnis a : e ; dies wird ausdriicklich in Satz 22 ausgesprochen. Ein Beispiel fur den allgemeinen Gebrauch, den die Griechen von zusammengesetzten Verhaltnissen machten, haben wir bereits gehabt in der Umwandelung der Auf- gabe von der Wiirfelverdoppeiung in die Bestimmung von zwei mittleren Proportionalen. Die fortlaufende Proportion a : x = x : y = y : b der Alten driickt also ganz dasselbe aus, was man nun ausdriicken wiirde durch a /a\ 3 b /x\ 5 r = I ~ ) oder ~ = ( ~ ) b \x/ a \a/ Auf dieselbe Weise werden auch hcihere Potenzen ausgedriickt als Verhaltnisse zwischen dem ersten und letzten Gliede einer fortlaufenden Proportion, d. h. einer solchen, deren Glieder eine geometrische Reihe (Quotienten- reihe) bilden. 16. Die allgemeine Lehre von den Proportionen. 147 Dass man auch zu Euklids Zeiten in dieser Bezie- hung welter war, als sich unmittelbar aus seinem 5ten Buch ergiebt, das sieht man aus IX, 35, wo eine Be- stimmung von der Summe der Glieder einer geometrischen Reihe gegeben wird. In unserer Sprache wiirde die darin enthaltene Untersuchung folgendermassen ausgedriickt werden: Wenn b a c b d c d a so ist i = a b c a-\-b + c Der Satz wird indessen nicht nur ausgesprochen von einer Summe aus drei aufeinander folgenden Gliedern, deren Betrachtung Euklid im Beweise fur ausreichend gehalten hat. Da dieser allein auf Satze des 5ten Buches aufgebaut ist, so ist er allgemeingultig, wenn auch Eu klid fur den Augenblick ihn nur deshalb mitnimmt, weil er in dem folgenden zahlentheoretischen Satz Verwendung fiir den Satz hat, dass 1 4- 2 + 2 2 -f- . . . 2* = 2" +1 1. Wir miissen um so viel grosseres Gewicht auf diese Darstellung von Produkten und Potenzen legen, als sie bis in die neuere Zeit hinein die Grundlage geblieben ist fiir solche algebraische Untersuchungen, die auf Allgemein- heit Anspruch machten und sich nicht auf rationale Zahlen beschrankten. Der Satz V, 24 sagt aus: wenn a: c d:f md b : c = e :/, folgt, dass (a + b) : c = (d + e) :/; lieser Satz ist nahe von derselben Art wie diejenigen sind, lie den Satzen iiber zusammengesetzte Verhaltnisse voran- 10* 148 Die griechische Mathematik . gehen; er kann aber erst hier semen Platz finden, well der Satz 22 dazu benutzt wird, urn aus den beiden ge- gebenen Proportionen, nach Umkehrung der Verhaltnisse in der zweiten (Bildung der reciproken Werte), abzuleiten, dass a : b = d : e, wonach sich mit Hiilfe von 18 ergiebt, dass (a+b):b = (d+e):e. Eine neue Zusammensetzung der Verhaltnisse (nach 22) fiihrt dann zu der Proportion, deren Richtigkeit bewiesen werden soil. Die erstgenannte Anwendung von Satz 22 wird dadurch interessant, dass sie zeigt, dass die Divi sion von Verhaltnissen keine neuen und besonderen Satze verlangt. Der Satz 25 sagt aus, dass, wenn vier Grossen pro portional sind, die Summe aus der grossten und kleinsten grosser ist als die Summe der beiden anderen; dieser Satz wird durch 19 bewiesen. Ein besonderer Fall, der hier jedoch nicht erwahnt wird, ist der, dass die Mittel- grb sse zwischen zwei Grossen (arithmetisches Mittel) grosser ist als ihre mittlere Proportionate (geometrisches Mittel); dies wird in VI, 27 durch geometrische Algebra bewiesen und liefert den Diorismus fur Gleichungen zweiten Grades. Zwar ist die im 5ten Buche gegebene Lehre von den Proportionen, trotz der geometrischen Veranschaulichung, vollkommen allgemein und auf alle Arten von Grossen anwendbar; aber sie bedurfte einer Erganzung, die nach der Weise der Alten geometrisch werden musste. Die Existenz der Verhaltnisse geht aus den Definitionen her- vor, sobald man nur Grossen hat, die nach Definition 4 Verhaltnisse bilden konnen. Indessen ist, wie oben be- riihrt, ein Beweis erforderlich fiir die Existenz einer sol- 16. Die allgemeine Lehre von den Proportioned 149 chen Grosse, die in Verbindung mit einer gegebenen ein Verhaltnis von gegebenem Werte bildet, und diese Exi- stenz wird durch geometrische Konstruktion einer vierten Proportionale bewiesen. Diese geometrische Erganzung zu der Lehre von den Proportionen findet sich im 6ten Buehe, das zugleich die wichtigsten Anwendungen dieser Lehre auf die Geo- metrie enthalt, namentlich auf ahnliche Figuren, sowie ihre Kombination mit der geometrischen Algebra. Das wichtige Ziel, das durch diese Kombination erreicht wird, ist die geometrische Darstellung und Losung von Glei- chungen 2ten Grades, in denen a? 2 mit einem Koefficien- ten behaftet ist. Wenn dieser Koefficient a rational war, so verstanden die Alten wohl, wie wir gesehen haben (S. 61), die Gleichung in eine solche mit der Unbekann- ten a x und ohne Koefficienten des quadratischen Gliedes umzuformen. Wenn der Koefficient dagegen irrational ist und selbst durch eine Strecke dargestellt werden muss, so reicht die gewohnliche geometrische Algebra mit zwei Dimensionen nicht mehr aus. In Satz 1, wo bewiesen wird, dass Dreiecke und Parallelogramme von derselben Hohe sich wie die Grund- linien verhalten, findet die euklidische allgemeine Defini tion von der Gleichheit von Verhaltnissen zweckmassige Verwendung. Da gleiche Grundlinien gleiche Flachen- inhalte ergeben, so fuhrt eine unmittelbare Anwendung dieser Definition zu dem allgemeinen Satze, ohne dass es notig ware, wie es in modernen Lehrbiichern geschieht, den Fall, wo die gleichartigen Grossen kommensurabel sind, nachher zu dem allgemeinen zu erweitern. Nach diesem Satze folgen in 2 und 3 die Satze iiber parallele Transversalen im Dreieck und iiber die Teilung einer Dreiecksipte durch die Halbierungslinie des gegen- uberliegenden Winkels. Darauf folgen in 4 7 die Haupt- 150 Die griechische Mathematik: satze iiber ahnliche Dreiecke ; diese werden bewiesen durch Konstruktion eines Dreiecks, das deni einen gegebenen ahnlich und dem anderen kongruent wird. Sie werden sofort (in 8) auf ein rechtwinkeliges Dreieck angewandt und auf die beiden Dreiecke, worin dieses durch die Hohe auf die Hypotenuse geteilt wird. 9 13 enthalten die Teilung einer Strecke in gleiche oder proportionale Teile, sowie die Konstruktion der drit- ten Proportionale (d. h. der vierten zu a, b und b), der vierten und der mittleren Proportionale. Die letzte Kon struktion ist dieselbe, die schon in II, 14 auf Grundlage der geometrischen Algebra angewandt wurde zur Bestim- mung der Seite eines Quadrates, das einem gegebenen Rechteck gleich war. Darauf kommen in 1423 die Satze iiber das Ver haltnis zwischen den Flacheninhalten von Figuren. Den Hauptsatz 23 iiber die Flacheninhalte gleichwinkeliger Parallelogramme haben wir schon besprochen. Im Be- weise (19) dafiir, dass das Verhaltnis ahnlicher Dreiecke - wie wir sagen - - gleich dem Quadrate des Verhalt- nisses zwischen zwei homologen Seiten ist, wird das Ver haltnis a : b zwischen diesen beiden, um mit sich selbst zusammengesetzt werden zu konnen, auf die Form b : c gebracht, so dass das quadratische Verhaltnis a : c wird. Die Satzgruppe enthalt auch noch (in 16) den Satz, dass in einer Proportion das Rechteck aus den ausseren Glie- dern gleich demjenigen aus den inneren Gliedern ist. Am Schlusse des Buches werden demnachst in 28 und 29 die durch Hiilfe der Proportionslehre verallgeniei- nerten Flachenanlegungen behandelt. Eine von der Proportionslehre unabhangige Verallgemeinerung besteht darin, dass die Rechtecke mit Parallelogrammen von einem beliebig gegebenen Winkel vertauscht werden; da aber diese letzte Verallgemeinerung ohne Einfluss ist auf die 16. Die allgemeine Lehre von den Proportioned 151 B M reometrisch-algebraische Bedeutung dieser Aufgaben, so rollen wir von ihr absehen und hier nur von Rechtecken sprechen. Die Aufgaben, von denen die Rede ist, sind dann folgende: An eine gegebene Strecke (a) eine gegebene Flache (B) als ein solches Rechteck (mit der Hohe a?) anzulegen, dass das fehlende (28) oder iiberschies- sende (29) Rechteck einem gegebenen (mit den Seiten c und d) ahnlich wird. Die Auflosungen werden dieselben, die wir aus II, 5 und 6 fur die Falle abgeleitet haben (S. 46 49), wo die fehlenden oder iiberschiessenden Figuren Quadrate sein sollen, ausgenommen, dass die friiheren Quadrate jetzt mit Rechtecken vertauscht werden, die den gegebenen ahnlich sind. Die Ahnlich- keit tritt iiberdies dadurch deutlich hervor, dass eine Diagonale der ahnlichen Rechtecke auf eine und dieselbe Gerade fallt. Die erweiterten algebraischen Anwendungen, die sich jetzt erreichen lassen, erkennt man aus der fol- genden algebraischen Darstellung der Aufgaben und der Umlegungen von Figuren, wodurch sie gelost werden, namlich : c -\- CL wo wir durch die moderne Benutzung der Vorzeichen nur eine zweimalige Darstellung haben verrneiden wollen. Um x zu finden, kommt es darauf an das Rechteck _c ^ 2 d und der Differenz oder Summe der bekannten Flachen ^^--- Y c \2 + d X ) zu konstruieren, das dem gegebenen ahnlich, 152 Die griechische Mathematik: J / \ f j c \A / Q und B gleich sein soil. Hierzu dient, wenn B als eine gegebene geradlinige Figur vorausgesetzt wird, die Aufgabe 25, die bereits bei den Pythago reern erwahnt wurde: Eine Figur zu konstruieren, die einer gegebenen geradlinigen Figur gleich und einer anderen ahnlich ist. Die Aufgabe 28 verlangt als Diorismus, dass M 1 - oder dass die gegebene Flache B nicht grosser ist als ein Rechteck iiber der Halfte der gegebenen Strecke a, das dem gegebenen Rechteck cd ahnlich ist. Dieser Diorismus ist der Aufgabe auf gewohnliche Weise hinzu- gefugt, aber seine Notwendigkeit ist in dem vorhergehenden Satze 27 durch dieselbe Umlegung bewiesen, die in 28 benutzt wird. Er wurde, wie schon friiher bemerkt (in unserem 11 ten Abschnitt) unmittelbar aus der Analyse hervorgegangen sein, die der synthetischen Darstellung in 28 entspricht. Wenn das Rechteck cd mit einem Quadrat vertauscht wird, so sagt der Diorismus aus, dass ein Quadrat grosser ist als ein Rechteck von derselben Seitensumme (ein Resultat, das, wie schon bemerkt, auch aus V, 25 folgt). Satz 30 enthalt die stetige Teilung einer Strecke. Die Konstruktion wurde schon einmal in II, 11 (S. 52) angegeben und stiitzte sich da auf II, 6; nun stiitzt sich dieselbe Konstruktion auf Satz VI, 29, der eine Verall- gemeinerung von II, 6 ist. Der Grund fur die Wieder- holung ist derselbe wie bei der Konstruktion der mittleren Proportionale, dass namlich die Aufgabe nun durch die Lehre von den Proportionalen anders ausgedruckt wird als friiher (Teilung nach ausserem und mittlerem Ver- haltnis). 16. Die allgemeine Lehre von den Proportionen. 153 Satz 31 enthalt die Erweiterung des pythagoreischen Lehrsatzes auf beliebige ahnliche Figuren uber den Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks. Durch diesen Satz, der von Euklid personlich herrlihren soil, lasst sich die Subtraktion und Addition von Figuren bei den Flachen- anlegungen in 28 und 29, wenn B als dem Rechteck c d ahnlich gegeben oder ihm ahnlich geniacht ist, mit Hulfe eines rechtwinkeligen Dreiecks ausfiihren. In 33, dem letzten Satze des Buches, wird bewiesen, dass Kreisbogen und die darauf stehenden Centri- und Peripheriewinkel proportional sind. Wie man sieht, enthalten das 5te und 6te Buch die notwendige Grundlage fur eine exakte und vollkommen allgemeine Behandlung solcher Aufgaben, die in unserer Algebra von Gleichungen des ersten und zweiten Grades abhangig sind, durch die Lehre von den Proportionen und durch diese in Verbindung mit geometrischer Alge bra. Dass man wirklich diese Grundlage benutzt hat, das ergiebt sich aus den vorliegenden weitergehenden Arbeiten, wie aus der geometrisch-algebraischen Behand lung der Lehre von den Kegelschnitten bei Apollonius und aus einer grossen Menge von den Untersuchungen, die uns Pappus aufbewahrt hat. Dass man sich sogar ausdrucklich fur solche algebraische Arbeit riistete, erkennt man aus verschiedenen Satzen in Euklid s Data, die eine Menge Aufgaben von der angefuhrten Art und in den angefiihrten Formen nennen, deren Losung zweck- massigerweise wahrend der fortgesetzten analytischen Ar beit als so bekannt betrachtet wird, dass es geniigt, die neuen Aufgaben darauf zurackzufuhren. Was wir als eine Gleichung ersten Grades mit all- gem einen Koefficienten schreiben wiirden, das wird in den Data der allgemeinen Giiltigkeit wegen als eine Pro portion ausgedruckt. Um nur ein Beispiel statt vieler zu 154 Die griechische Mathematik: nennen, so sagt Satz 15 der Data aus: Wenn man gegebene Grossen .zu jeder von zwei Grossen addiert, die in einem gegebenen Verhaltnis stehen, so stehen entweder die Sum- men selbst in dem gegebenen Verhaltnis, oder der tJber- schuss der einen liber erne gegebene Grosse steht in dem gegebenen Verhaltnis zu den anderen. Das heisst soviel, dass x bestimmt wird durch die Proportion (a-\-m x) : (b + n ) b. Die erste der -genannten Alternative!! driickt aus, dass x Null werden kann, namlich wenn m : n = a : b. Ein negatives x wird dadurch vermieden, dass man die Gleichung mit der folgenden (a -\- m) : (b -\- n x) = a:b vertauscht. Wir haben bereits friiher angefiihrt (S. 107), dass die Data Aufgaben enthalten, die sich unmittelbar auf Flachen- anlegungen zuruckfuhren lassen. Als Beispiel fur solche Satze der Data, die Bekanntschaft mit Aufgaben verraten, die mehr indirekt von Gleichungen zweiten Grades ab- hangen, seien hier 85 und 87 genannt: Wenn zwei Strecken unter einem gegebenen Winkel ein Parallelogramm von gegebener Grosse einschliessen, und die Summe oder Diffe- renz der Quadrate iiber diesen Strecken gegeben ist, so sind die Strecken auch gegeben. Man kannte mit anderen Worten (unter geometrischer Form) die Losungen der Glei chungen =b. 17. Kommensurable Grossen; Euklid VII IX. 155 17. Kommensurable Grossen und ihre Behandlung durch Zahlen; Euklids 7, 9, Buch, Im 7ten Buche wird eine Einheit eingefiihrt, wo- durch die Grossen, die sie misst, durch ganze Zahlen ausgedriickt warden. In diesem und den beiden folgen- den Biichern werden dann ganze Zahlen, sowie ihre Ver- haltnisse und andere Verbindungen zwischen ihnen be- handelt. Im 7 ten Buche begegnen wir fiir ganze Zahlen solchen Satzen iiber Proportionen, die im 5ten Buche bereits auf allgemeingultige Weise bewiesen sind. Zur Er- klarung dessen dient der Umstand, dass die allgemein gultige Proportionslehre des 5ten Buches ziemlich neu und deshalb noch nicht geniigend entwickelt war, um auf alien den Gebieten, die sie in der Wirklichkeit um- fasst, zu Grunde gelegt zu werden. Dadurch ist uns die Proportionslehre des 7ten Buches uberliefert worden als eine Probe von der alteren Behandlungsweise, bei der noch keine Riicksicht auf die Moglichkeit genommen wurde, dass die Glieder der Verhaltnisse inkommensurabel sein konnen. Dass die Lehre von den Verhaltnissen zwischen ganzen Zahlen als einbegrifien in der bereits entwickelten all- gemeineren Lehre nicht einfach fortgelassen werden konnte, beruht darauf, dass bei den ganzen Zahlen auch noch andere Riicksichten zu nehmen waren, namentlich auf Fragen nach der Teilbarkeit und auf die Reduktion von Zahlenverhaltnissen auf die moglichst kleine Zahl. Das zeigt sich sofort dadurch, dass fiir Zahlen eine neue Definition der Proportion alitat gegeben wird, nam- a c lich in Def. 20. Nach dieser ist = , wenn a und c o a itweder dieselben Vielfachen, oder derselbe aliquote Teil 156 Die griechische Mathematik : oder dieselben aliquoten Teile von b und d sind, d. h. wenn gleichzeitig a = m . und c = m . . Was die Gleich- heit der Verhaltnisse betrifft, so enthalt diese Definition allerdings nichts anderes, als was schon in der 5ten De finition des 5ten Buches embegriffen ist; indessen wird man doch bald sehen, dass durch die Art und Weise, wie sie gebraucht wird, eine nicht unwichtige Vorausset- zung hineingebracht wird. In den Satzen 1 3 werden die bekannten Regeln fiir die Bestimmung des grossten gemeinschaftlichen Maasses aufgestellt und bewiesen. Direkt wird bewiesen, dass man ein gemeinschaftliches Maass erhalt, und antithetisch, dass man das grosste erhalt. In 4 wird bewiesen, dass man, wenn a und b ganze Zahlen sind und / ihr grosstes gemeinschaftliches Maass, immer schreiben kann a = mf, b = nf und dadurch a = m . . Ist a << b, so wird m ]> 1, n > 1. Durch diese Bestimmung werden m und n relativ prim. Priift man nun auf der Grundlage dieser Bestim- a c mung, ob nach Definition 20 T-^-TI so bringt man zu- gleich die Voraussetzung hinein, dass, wenn es der Fall ist, in c = m . der letzte Faktor eine ganze Zahl ist, dass n n also n, wenn es in einem Produkt m . d aufgeht und relativ prim gegen den einen Faktor m ist, in dem anderen Fak tor d aufgehen muss. Dieser Fundamental satz der Zahlen- theorie ist also bereits in die Voraussetzungen hinein- gelegt, und es ist folglich nicht von grosser theoretischer Bedeutung, wenn Euklid spater auf der Grundlage von diesen mehrere darin einbegriffene Satze beweist, wie in 30 den Satz, dass eine Primzahl, die in einem Produkt aufgeht, in einem der Faktoren aufgehen muss. Die er- 17. Kommensurable Grossen; Euklid VII IX. 157 wahnten Voraussetzungen sind namentlich in Satz 20 be- d nutzt, der aussagt, dass, wenn = und c und d so o d klein wie moglich sind, c in a und d in b aufgeht; dieser Satz bildet ein wichtiges Glied in der Beweisfiihrung, durch die man zu Satz 30 gelangt. Wie bekannt benutzt man in einem wirklichen Beweise fur den genannten Fundamentalsatz den Umstand, dass, wenn a und b relativ prim sind, k der grosste gemeinschaftliche Faktor fiir k a und k b ist, ein Satz, der aus den Regeln fiir die Bestimmung des grossten gemeinschaftlichen Faktors folgt, der aber von Euklid nicht mitgenommen wird. Was man bei Euklid vermisst, das ist ein Beweis dafiir, dass die in 4; beschriebene Umformung von a in m . die einzige ist, fiir die in und n relativ prim sind. Aus dem Gesagten ergiebt sich allerdings, dass Eu klid den Grand fiir die Lehre von den ganzen Zahlen nicht so tief legt wie den fur die Geometric und fiir die Lehre von den allgemeinen kontinuierlichen Grossen; die Sorgfalt aber, mit der im iibrigen die zahlreiche Reihe von wesentlich theoretischen Satzen dargestellt und be- griindet wird, zeugt dennoch sowohl von einem richtigen Blick dafiir, dass auch die Arithmetik einer exakten Be- handlung bedarf, als auch von einer Benutzung derjenigen Operationen, auf deren Theorie soviel Miihe verwandt wird. Die drei arithmetischen Biicher haben jedoch keine so grosse und grundlegende Bedeutung fiir die Mathema- tik bis zu unseren Tagen erhalten wie die vorhergehenden und Teile von den folgenden; deshalb wollen wir uns hier mit ganz wenigen Bemerkungen iiber ihren ferneren [nhalt begniigen. Die Lehre von den Verhaltnissen im 7ten Buch wird der Hauptsache nach eine Darstellung der wichtigsten allgemeinen Satze, die bei der Rechnung mit Briichen 158 Die griechische Mathematik: benutzt werden. (Deshalb haben wir auch im Gegensatz zu unserer Wiedergabe des 5ten Buches die Verhaltnisse als Briiche geschrieben). Die fortlaufenden Proportionen, die im 8ten und 9 ten Buche behandelt werden, sind, wie wir bereits er- wahnt haben, die antike Form fur geometrische Reihen, hier rnit ganzen Gliedern. Die Verhaltnisse zwischen Gliedern einer solchen Reihe mit verschiedener Stellzahl sind die antike Form fiir die verschiedenen Potenzen von ganzen Zahlen und Brlichen. Einzelne Satze iiber Wurzeln entstehen durch Einschaltung von mittleren Pro- portlonalen. Die bedeutendsten zahlentheoretischen Satze, die er- reicht werden, sind die Satze 20 und 86 des 9ten Buches. Im ersten wird die Unendlichkeit der Reihe der Prim- zahlen dadurch bewiesen, dass das Produkt der ersten Primzahlen -f- 1 entweder eine hohere Primzahl ist oder eine solche als Faktor enthalt. Der zweite sagt aus, dass das Produkt (1 + 2+ 2 2 4- ... + 2").2 W , wenn der erste Faktor eine Primzahl ist, eine voll- kommene Zahl wird, d. h. eine solche, die gleich der Summe aller ihrer Faktoren ist. Die Richtigkeit ist leicht dargethan, da - wie bereits fruher (S. 147) erwahnt wurde - - die dazu notwendige Summation von geome- trischen Reihen in Satz 35 dargestellt ist. 18, Inkommensurable Grosser) ; Euklids lOtes Buch. Wenn wir bei der Besprechung des lOten Buches, des umfangreichsten der Elemente, auch nicht sehr ins Einzelne gehen, so geschieht das nicht etwa, weil die durin niedergelegte Arbeit, die von Theatet begonnen 18. Inkommensurable Grossen; Euklid X. 159 uncl von Euklid vollendet 1st, zu wenig bedeutend sein sollte um unsere voile Aufmerksamkeit zu verdienen. Im Gegenteil riihrt die Schwierigkeit, die sich uns trotz der sorgfaltig durchgefiihrten Bearbeitung entgegenstellt, wenn wir uns einen Uberblick iiber den Inhalt verschaffen wollen, davon her, das es eine beschwerliche Aufgabe ist ohne irgendwelche Zeichensprache zwischen den in diesem Buche klassificierten irrationalen Grossen zu unterscheiden. Dass das Buch dennoch, obgleich man lange Zeit nachher die daraus entnommenen Klassifikationen angewandt finden kann, nicht eine so anhaltende historische Bedeutung hat gewjinnen konnen wie vieles andere bei Euklid, hat sei- nen Grand darin, dass weiterhin die Zeichensprache, auch schon auf friihen Stufen ihrer Entwickelung, einen viel einfacheren Uberblick iiber die verschiedenen Arten irra- tionaler Grossen gewahrte. Auch wir wollen uns hier damit begniigen mit Hiilfe der Zeichensprache Auskunft dariiber zu geben, welches die Grossen sind, die klassifi- ciert werden, ohne uns um die Benennungen zu bekum- mern, wodurch dies erreicht wird. Was diese angeht, so will ich nur, um direkten Misverstandnissen bei Lesern Euklid s vorzubeugen, darauf aufmerksam machen, dass er, wenn er von rationalen Grossen spricht, damit nicht nur solche meint, die mit der Einheit kommensurabel sind, sondern auch solche, deren Quadrate es sind, die also nur in der Potenz kommensurabel sind mit der Einheit. Das Wort Einheit wird hier jedoch nicht so wie in zahlentheoretischen Biichern gebraucht, sondern eine willkiirlich gewahlte Grosse, die als rational betrachtet wird, spielt in diesem Zusammenhange dieselbe Rolle wie eine Einheit. Uber Kommensurabilitat uncl Inkommensurabilitat vergewissert man sich, wie schon fruher erwahnt (S. 55), durch direkte Versuche das grosste gemeinschaftliche Maass 1(50 Die griechische Mathematik : zu bestimmen. Die Inkornmensurabilitat wird damn er- kannt, dass diese Operation sich bis ins Unendliche fort- setzen lasst, wahrend die successive!! Reste bis ins Un endliche oder unter jede gegebene Grenze abnehmen. Dieses Abnehmen bis ins Unendliche wird mit derselben wissenschaftlichen Strenge genommen wie jede Unendliche Annaherung bei den Alten. Das geschieht auch hier mit Hiilfe der 4ten Definition des 5ten Buches, die in Satz 1 dahin urngeformt wird, dass man, indem man von einer gegebenen Grosse mehr als die Halfte subtrahiert, und von jedem folgenden Reste wiederum mehr als die Halfte, schliesslich zu einer Grosse gelangen kann, die unter jeder gegebenen Grenze liegt. Mit diesem Satz als Ausgangs- punkt werden zuerst einige allgemeine Untersuchungen irrationaler Grossen, ohne Riicksicht auf ihre Entstehung, vorgenommen, und ebenso Untersuchungen von hieraus gebildeten neuen irrationalen Grossen. Dann kommen besondere Untersuchungen iiber Quadratwurzeln, darunter auch die friiher beriihrten Untersuchungen iiber diejenigen Falle, in denen diese sich als rational ergeben, nament- lich iiber rationale rechtwinkelige Dreiecke. Die Formen fiir irrationale Grossen, die ferner aufgestellt werden, sind vierte Wurzeln aus rationalen Grossen und Ausdriicke von der Form p + V P 2 , VjpM-~2l>i V^ V^ sowie die Quadratwurzeln aus diesen Ausdriicken, oder richtiger, wie wir an einem Beispiel sehen werden, ge- wisse Umformungen dieser Quadratwurzeln in Summen oder Differenzen. Die Glieder der letzteren werden durch Gleichungen von der Formen a? 2 -\- z/ 2 = a, x . y = b, wo a und b schon selbst eine gegebene Form haben, bestimmt. Ausser den Definitionen der verschiedenen Klassen irrationaler Grossen besteht die Arbeit, welche Euklid hier ausgefiihrt hat, im wesentlichen in Beweisen dafiir, dass die gebildeten Grossen irrational und im allgemeinen 18. Inkommensurable Grossen; Euklid X. 161 unter einander verschieden sind. Das letztere muss mit einem ausdrucklichen Hervorheben der besonderen Falle verbunden werden, in denen ein Ausdruck von einer der Formen sich auf eine einfachere Form reducieren oder sich aus Ausdriicken von einfacheren Formen zusammen- setzen lasst. Hierher gehort die bekannte Umformung des doppelt irrationalen Ausdrucks "I/- -}-/ p2 _ ^2 in einen einfach irrationalen. Diese Umformung wird in 54 und 91 beziehungsweise fiir -f- und vorgenommen. Dieselbe Transformation wird dann in 57 und 94 an- gewandt, um den Ausdruck y~ _|_ -J "2 _ j~, wo q kein Quadrat ist, umzuwandeln in 2 Auf diese Form fiihren die Gleichungen, die in 39 und 76 dazu dienen, die sogenannte grossere und kleinere irrationale Grosse darzustellen. Die Opera- tionen, wodurch diese und ahnliche Umformungen vor genommen werden, werden allerdings in der Form der geometrischen Algebra dargestellt, sind aber sachlich die- selben, die man jetzt in der algebraischen Zeichensprache ausdriicken und zur Losung der entsprechenden Glei chungen anwenden wiirde. 19, Elemente der Stereometrie; regulare Polyeder; Euklids lltes und 13tes Buch, Indem Euklid so im lOten Buche Gelegenheit findet, eine recht weitgehende algebraische Fertigkeit in der Be- handlung solcher Aufgaben zu zeigen, die jetzt durch wiederholte Losung von Gleichungen zweiten Grades be 11 162 Die griechische Mathematik: handelt werden, stellt er namentlich die Mittel her um diejenigen Grossen zu benennen, zu denen ihn die Be- stimmung der Seiten und Kanten bei regularen Polygonen und Polyedern fiibrt. Ehe er im 13ten Buche hierzu ge- langt, muss er zuerst im llten Buche die ersten Elemente der Stereometrie darstellen. In den ersten Satzen, die liber die Lage von Geraden nnd Ebenen gegen einander handeln, wird man sofort dieselben Satze und Beweise antreffen, die sich in mo- dernen Lehrbuchern finden. Neben den Satzen muss Euklid hier wie in der ebenen Geometric Konstruktionen mitnehmen, da durch diese die notwendigen Beweise fur die Existenz der betreffenden Figuren gefuhrt werden. Da Konstruktionen durch Ebenen nicht in der Weise vor- bereitet sind wie Konstruktionen durch Geraden es in den Postulaten des ersten Buches waren, so werden die Konstruktionen so weit moglich auf planimetrische zuriick- gefiihrt. So wird eine Senkrechte auf eine Ebene von einem Punkte A ausserhalb dieser dadurch in 1 1 gefallt, dass man zuerst von A eine Senkrechte A D an eine be- liebige Gerade B C der Ebene zieht und dann von A eine Senkrechte auf diejenige Gerade der Ebene, die im Fusspunkte D der ersten Senkrechten senkrecht auf B C steht. In 12 erhalt man die Senkrechte in einem Punkte einer Ebene dadurch, dass man zuerst von einem ausser halb liegenden Punkte eine Senkrechte auf die Ebene fallt und dann zu dieser eine Parallele durch den gegebe- nen Punkt zieht. Besonders werden solche Satze mitgenommen, die spater Anwendung finden konnen bei Untersuchungen und Konstruktionen von Parallelepipeden und Polyedern, so in 20 und 21 die bekannten Satze iiber die Seiten einer dreiseitigen oder einer beliebigen konvexen Ecke. 19. Stereometrie; Euklid XI und XIII. 163 Demnachst wird die Konstruktion einer dreiseitigen Ecke mit gegebenen Seiten in 22 vorbereitet und in 23 aus- gefuhrt. Das geschieht dadurch, dass man auf den Schen- keln dieser Winkel gleiche Stiicke abschneidet, dann aus den Seiten, die in den so entstandenen gleichschenkeligen Dreiecken diesen Winkeln gegeniiberliegen, ein Dreieck konstruiert und um dieses Dreieck einen Kreis beschreibt; der Mittelpunkt dieses Kreises ist dann die Projektion des Scheitelpunktes der gesuchten Ecke. Die Moglichkeit der Konstruktion, wenn die Seiten den in 20 und 21 gestellten Bedingungen geniigen, wird sorgfaltig bewiesen und dadurch dargethan, dass diese Bedingungen ausrei- chend sind. Im iibrigen handelt das Buch namentlich von Pa- rallelepiden und von den Verhaltnissen zwischen den Grossen von solchen, und schliesst mit der Bestimmung des Inhaltes eines dreiseitigen Prismas. Die Beweise f in die Inhaltsbestimmungen leiden iibrigens unter dem Mangel in den geometrischen Voraussetzungen iiber stereometrische Grossen, den wir friiher (S. 130) besprochen haben. Im 12ten Buche kommt unter anderem die Bestim mung des Inhaltes einer Pyramide vor, iiber die wir spater in Verbindung mit den iibrigen Bestimmungen, die im 12ten Buche mittels des Exhaustionsbeweises ausgefuhrt werden, genauer berichten wollen. Die iibrige Fortsetzung ler Stereometrie folgt im 13ten Buch, das die Bestimmung ler 5 regelmassigen Korper enthalt, sowie die Bestimmung ler Grosse ihrer Kanten, wenn der Durchmesser der um- ?hriebenen Kugel gegeben is?. Hierzu sind zunachst inige geometrisch-algebraische Hiilfssatze erforderlich, so- tie eine volLstandigere Bestimmung der Seiten regularer 5 olygone als diejenige ist, die die Konstruktion der Poly- >ne im 4ten Buch unmittelbar giebt. 11* 164 Die griechische Mathematik: Die ersten Satze lassen sich in der Zeichensprache der jetzigen Algebra folgendermassen ausdriicken: Wenn x und y die Abschnitte der stetig geteilten Strecke a sind, und x > y, so ist 1. x -{-- = -/5 (2 ist die Urnkehrung des Satzes 1.) 3- I + HfVi 4. a 2 -f-^ 2 = 3a? 2 5. a 2 == ^( a _f_^ Hieraus wird in 6 geschlossen, dass x und y unter die Art von irrationalen Grossen gehoren, die im lOten Buche den Namen Apotomen erhalten haben. Darauf folgen einige Satze iiber die Seiten regelmas- siger Fiinfecke, Sechsecke und Zehnecke. Unter diesen ist in 10 ein eleganter Beweis dafiir beachtenswert, dass von den drei genannten Vielecksseiten die erste Hypote nuse, die beiden anderen Katheten eines rechtwinkeligen Dreiecks sind. In 11 wird dann auf Grundlage geome- trischer Betrachtungen eine Berechnung der Fiinfecksseite vorgenommen, wenn der Durchmesser d des umbeschriebe- nen Kreises gegeben ist. Euklids eigene Bestinimung fiihrt geradezu dahin, dass die Seite auf die Weise be- rechnet werden muss, die wir durch den Ausdruck -^ I/ -/5 angeben, aber da Euklid die Mittel fehlen einen solchen Ausdruck aufzustellen, so begniigt er sich damit den Satz auszusprechen, dass die Fiinfecks seite, wenn d rational ist, irrational wird von der Form, die er im lOten Buche kleinere Irrationale genannt hat, und seine wirkliche Bestimmung als einen Beweis fur diese Behauptung zu gestalten. Dass der Beweis so 19. Stereometrie; Euklid XI und XIII. 165 weitlaufig wird, beruht darauf, dass ausdrucklich nach- gewiesen werden muss, dass die doppelte Irrationalitat sich nicht aufheben lasst, denn in solchem Falle wurde die irrationale Grosse zu einer anderen Klasse gehoren. In 12 wird die Dreiecksseite bestimmt, und in 13 wird ein regulares Tetraeder konstruiert und gezeigt, dass die Kante k gleich d V| ist, wenn d den Durchmesser der umbeschriebenen Kugel bedeutet. In 14 wird ein regulares Oktaeder konstruiert und nachgewiesen, dass k=d}/^. In 15 wird ein regulares Hexaeder konstruiert und nachgewiesen, dass k = d^^. In 16 wird ein regulares Ikosaeder konstruiert und durch Ausfuhrung der wirklichen Berechnung gezeigt, dass die Kante eine kleinere Irrationale ist. In 17 wird ein regulares Dodekaeder konstruiert und durch Ausfuhrung der wirklichen Berechnung bewiesen, dass seine Kante unter die irrationalen Grossen gehort, die Apotomen genannt werden. 18 zeigt an einer und derselben Figur die Konstruk- tionen der verschiedenen Kanten. Diese Figur wird be- nutzt um sie unter einander zu vergleichen. Die Konstruktionen zeigen, dass die 5 regularen Polyeder wirklich existieren. Im Schlusssatze des Buches wird der Beweis hinzugefiigt, dass sie die einzig mog- lichen sind. Die meisten Ausgaben von Euklid enthalten noch ein sogenanntes 14tesBuch, das von dem etwas spateren [athematiker Hypsikles herruhrt, und ein gewiss viel jiingeres 15tes Buch. Man hat sie als Anhange zum luklid aufgefasst, weil sie ebenso wie dessen letztes 5uch von regularen Polyedern handeln. Das Buch des iypsikles ist in der That eine weitergehende Behand- lung dieses Gegenstandes. Als Beispiel fur die darin Die griechische Mathematik: enthaltenen Satze mag der angefiihrt werden, dass die um die Seitenflachen ernes regularen Ikosaeders und Do- dekaeders beschriebenen Kreise gleich gross werden, wenn die beiden Polyeder in dieselbe Kugel beschrieben sind. Als Specialuntersuchung gehort dies Buch eigentlich gar nicht unter die Elemente, aber es ist ein hiibsches Bei- spiel fiir die Untersuchungen, mit denen sich die Mathe- matiker der alexandrinischen Zeit beschaftigten. Nach der Vorrede bildet es die Fortsetzung ahnlicher Unter suchungen, die von dem grossen Geometer Apollo nius herriihren. In diesem Zusammephange wollen wir auch noch eine andere Arbeit nennen, die sich an die Untersuchung regularer Polyeder angeschlossen hat, namlieh Archi medes Bestimmung von halbregularen Polyedern, d. h. von solchen, die von regularen Polygonen verschiedener Art begrenzt werden. In einer Arbeit, die verloren ge- gangen ist, von der uns aber Pappus berichtet, fand Archimedes, dass es 13 solcher Korper giebt. 20, Der Exhaustionsbeweis; Euklids 12tes Buch. Wesentlich dieselben Mittel, durch welche er in der Lehre von den Proportionen eine exakte Behandlung auch von solchen Grossen erreichte, die sich nur naherungs- weise durch rationale Zahlenverhaltnisse bestimmen lassen, brachte Eudoxus auch in An wen dung fiir die exakte Be stimmung solcher Grossen, die als Grenzwerte fiir eine unendliche Annaherung entstehen, und fiir das Operieren mit ihnen. Die Methode, die er erfand urn diese Grenz werte sicher zu stellen ohne direkten Gebrauch von dem, damals von den Mathematikern in den Bann gethanen, Unendlichkeitsbegriffe zu machen, hat so bestimmte For- 20. Der Exhaustionsbeweis ; Euklid XII. 167 men, dass sie ihren eigenen Namen verdient. Wir wollen den Namen gebrauchen, den man ihr im 17ten Jahr- hundert gegeben hat, und sie den Exhaustionsbeweis nennen. Dieser wird auf der Voraussetzung aufgebaut, die in der 4ten Definition des 5ten Buches aufgestellt ist, oder gewohnlich mehr unmittelbar auf dem daraus ab- geleiteten Satz 1 des lOten Buches, dass man, wenn man von einer Grosse die Halfte oder rnehr als die Halfte wegnimmt und diese Operation eine hin- reichende Anzahl von Malen wiederholt, schliess- lich zu einer Grosse gelangen kann, die kleiner ist als irgendwelche gegebene Grosse derselben Art. (In der modernen Sprache: Lim a . /5 . y . . . = 0, wenn a, ?...<). Wir wollen den Exhaustionsbeweis kennen lernen aus seiner ersten Anwendung bei Euklid, wo er in XII, 2 benutzt wird um zu beweisen, dass die Flachen zweier Kreise sich wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten. Im vorhergehenden Satz 1 ist bewiesen, dass ahnliche einbeschriebene . Polygone sich wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten. Man kann dann, wenn man sich kurz ausdriicken will, sagen, dass der Beweis fiir 2 darin besteht, die Kreise als Grenzen fiir solche Polygone zu betrachten. Die Zuverlassigkeit dieses Grenziiberganges wird durch den Exhaustionsbeweis gewahrleistet. Die hierzu dienende Anwendung von X, 1, welche erst im Beweise selbst vorkommt, lauft in diesem Falle darauf hinaus, dass man in einen Kreis ein Polygon mit so vielen Seiten beschreiben kann, dass die Differenz zwischen diesem und dem Kreise kleiner wird als irgendwelche 3gebene Grenze. Die Dreiecke, die man bei einer Ver- loppelung der Seitenzahl von den Segmenten abzieht, ms denen diese Differenz besteht, sind namlich halb so 168 Die griechische Mathematik: gross wie Rechtecke, die diese Segmente ganz enthalten, also selbst grosser als die Halfte der Segmente. Um nun, wenn A und B die Kreise, a und b ihre Radien sind, zu beweisen, dass A:B=a 2 :6 2 , nimmt man an, dass Um zu prufen, ob es dann moglich ist, dass C < B, beschreibt man in A und B ahnliche, regulare Polygone A und B* mit so vielen Seiten, dass B B f < B C, also B > C. Dann miisste man haben das ist aber unmoglich, da A >> A, aber C <C B . Der Fall, wo C > B, wircl auf den vorhergehenden zurlickgefiihrt, da man aus C > B wiirde ableiten kon- nen, dass &2 :a * = C:A = B:D, wo D < A. Es ist klar, dass derselbe Beweis iinmer, wenn vari- ierende Grossen A und H die Grenzwerte A und B haben, und das Verhaltnis A : B einen konstanten Wert hat, benutzt werden kann um darzuthun, dass das Ver haltnis A : B denselben Wert hat. Wenn im besonderen A = B , so giebt das A = B. Die Alten stellen jedoch nicht, so wie man es in der modernen Lehre vom Un- endlichen thun wiirde, diesen Satz ein fiir allemal auf, denn das wiirde ebensoviel sein, als wenn sie solche Be- griffe wie unendliche Annaherung erklaren und dadurch anerkennen wollten; vielmehr wiederholen sowohl Eu- klid wie spater Archimedes dieselben Beweisformen jedes einzelne Mai, wo sich Verwendung dafiir findet. 20. Der Exhaustionsbeweis; Euklid XII. 169 Bereits in Satz 5, in dem bewiesen wird, dass zwei dreiseitige Pyramiden von derselben Hohe sich wie die Grundflachen verhalten, hat Euklid Gelegenheit die an- gefiihrte Beweisfiihrung zu wiederholen, nachdem er in 3 und 4 bewiesen hat, dass die Voraussetzungen fiir ihre Anwendbarkeit vorhanden sind. Das geschieht dadurch, dass eine dreiseitige Pyramide, wie in nebenstehender Fi- gur, durch die Ebenen EFG, EGIHund E H K, die K durch die Mitten von 3 oder 4 Kanten gelegt sind, zer- legt wird in zwei ihr ahnliche Pyramiden von halb so grossen linearen Dimensionen, und in zwei Prismen, von denen sich mit Hiilfe der Satze des vorhergehenden Buches jigen lasst, dass sie gleich gross sind, und von denen das eine dieselbe Hohe und Grundflache hat wie eine der kleinen Pyramiden. Teilt man nun wieder jede von den kleinen Pyramiden auf dieselbe Weise, und fahrt 170 Die griechische Mathematik: man damit fort, so wird man auf diese Weise als Nahe- rungswerte fur die Pyramide die Summe der 2 ersten, der 4 folgenden, der 8 folgenden u. s. w. Prismen er- halten. Man sieht, dass die Prismen, die man jedesmal, wenn man zu einer neuen Annaherung iibergeht, von der Pyramide fortnimmt, mehr als die Halfte von dem be- tragen, was iibrig bleibt; die beiden kleinen Pyramiden, die bei der Teihing einer Pyramide entstehen, sind nam- lich kleiner als die beiden Prismen, da sie sich so legen lassen, dass sie nur Teile von diesen ausmachen. Hat man nun zwei Pyramiden, A mid B, von der- selben Hohe, und benutzt man als Naherungswerte fur diese die Prismensummen A und B 1 , die dadurch gebildet werden, dass man bei beiden Pyramiden gleich weit in der Teilung gegangen ist, so kommt es (in 4) nur darauf an zu zeigen, dass A : B f gleich dem Verhaltnis zwischen den Grundflachen (Fund G) ist. Das ergiebt sich, wenn wir fiir die beiden Pyramiden die Summen der beiden ersten Prismen u l und v l nennen, die der 4 bei der fol genden Teilung entstehenden u% und v 2 , die der 8 nach- sten u 3 und v 3 u. s. w., durch den Beweis, dass F: G = u 1 : V-L = U 2 :v 2 =u 3 : v 3 . . . = A : B . Der Exhaustionsbeweis liefert dann in 5, dass A:B=F:G. Die Bedeutung des hier benutzten Verfahrens erkennt man am besten, wenn man beachtet, dass der Satz 3 die Bedingungen liefert, die nach X, 1 gewahrleisten, dass A = u l -f- u 2 -|- u 3 -f- u. s. w. bis ins Unendliche. Diese Betrachtung ruft den Wunsch hervor, die kon- vergente Reihe genauer zu untersuchen. Man sieht nun leicht, und teilweise wird das auch von Euklid in XII, 4 benutzt, dass jedes von den beiden gleich grossen Prismen 20. Der Exhaustionsbeweis; Euklid XII. 171 in u, zweien von den 4 gleich grossen Prismen in u 2 ahnlich ist, und so fort, woraus sich ergiebt, dass u 2 = 1 u lt u 3 = J u 2 u. s. w., oder dass i 0> wenn w ein Prism a bedeutet von derselben Hohe und Grundflache wie die Pyrarnide P. Fur die Richtigkeit dieses Satzes lasst sich leicht ein Exhaustionsbeweis fiihreii. Dieses Verfahren wendet Euklid allerdings nicht an. Wenn wir es nichtsdestoweniger fur wert gehalten haben, es hier anzufiihren, wo wir nicht nur die Verfahrungsarten Euklids, sondern uberhaupt die der Alten kennen lernen wollen, so geschieht das deshalb, weil Archimedes wirklich, wie wir bald erwahnen werden, ganz die- selbe Summation einer unendlichen Reihe an- wendet um die Flache eines Parabelsegmentes zu finden. Statt dieser Summation wendet Euklid in Satz 7 die bekannte Teilung eines dreiseitigen Prismas in drei Pyramiden an, um den Inhalt der dreiseitigen Pyramide zu finden. Es ist iiberflussig, beim Ubergange zu mehr- seitigen Pyramiden, sowie beim Ubergange von Prismen und Pyramiden zu Cylindern und Kegeln zu verweilen; der letztere wird mit Hiilfe des Exhaustionsbeweises voll- zogen. Schwieriger ist der in 18 hergestellte Beweis dafiir, dass zwei Kugeln sich wie die Kuben der Radien ver- halten, denn hier kann man nicht so einfache Naherungs- werte bilden wie bei den Kreisflachen. Als Vorbereitung lafiir wird die Aufgabe (17) gelost: in eine Kugel ein ^lyeder zu beschreiben, das eine kleinere koncentrische lugel ganz umschliesst. Diese Aufgabe wird folgender- mssen gelost. In einen grossten Kreis der grosseren Kugel (wir wollen ihn Aquator nennen) wird ein regulares 172 Die griechische Mathematik : Polygon von gerader Seitenzahl (2 n) so beschrieben, dass es den in derselben Ebene liegenden grossten Kreis der kleineren Kugel ganz umschliesst. Darauf wird in den Aquator der grossen Kugel ein regulares Polygon von doppelt so vielen Seiten (4 n) beschrieben. Durch dessen Ecken und den Pol des Aquators werden neue grosste Kreise (Meridiane) gelegt, welche vom Schnittpunkt mit dem Aquator an in ebenso viele Teile (4 n) wie der Aquator geteilt werden. Die Teilpunkte werden dann Eckpunkte des gesuchten Polyeders sein, dessen Seitenflachen Tra peze und Dreiecke werden, von denen die Dreiecke um die Pole herum liegen. Aus Euklids vollstandigem Be- weise geht hervor, dass er diese Losung hat geben wollen, wenn es auch nicht diese, sondern eine andere unrichtige Losung ist, die in dem nun vorliegenden Texte dem Be- weise vorangeht. Hier hat man allerdings nicht eine Reihe Naherungs- werte fiir die Kugeln, aber der Exhaustionsbeweis lasst sich dennoch wie friiher fuhren. Sind namlich A und B die gegebenen Kugeln, a und b ihre Radien, und ist C eine zu B koncentrische Kugel bestimmt durch die Glei- chung A: C=a 3 :6 3 , so kann man, wenn C < B, in B ein Polyeder B be- schreiben, das C ganz umschliesst, und in A ein diesem ahnliches Polyeder A . Diese werden dann ebenso be- nutzt wie die Grossen, die wir in dem friiher gefiihrten Exhaustionsbeweise A und B genannt haben. Um zu voller Klarheit iiber den logischen Wert des Exhaustionsbeweises zu gelangen, wird es niitzlich sein, ihn mit modernen Arten der Betrachtung zu vergleichen. Wenn auch die Alten solche Ausdriicke wie Grenzwert einer unencllichen Annaherung durchaus vermeiden, so 20. Der Exhaustionsbeweis ; Euklid XII. 173 sind es dennoch, wie schon angefiihrt, in der That solche Werte, die man durch den Exhaustionsbeweis bestimmt. Es ist sogar der exakte Grenzbegriff, der der ganzen Untersuchung zu Grunde gelegt wird, da verlangt wird, dass die (endliche) Annaherung so weit soil gebracht werden konnen, dass die Abweichung des Naherungswertes vorn Grenzwerte kleiner wird als jede gegebene Grosse. Der Exhaustionsbeweis ist ein exakter, antithetischer Be- weis fur die Eindeutigkeit dieser Bestimmungsart, oder dafiir, dass zwei Grossen, die auf diese Weise Grenzen fiir dieselben Naherungswerte werden, gleich gross sind. Er ist ein notwendiges Glied in jeder vollstandigen Infini- tesimaluntersuchung, und zudem ist er nichts anderes als ein solches Glied, weshalb man sagen kann, dass da, wo es einen Exhaustionsbeweis giebt, auch eine Infinitesimal- untersuchung vorhanden ist, namlich die, die zu dem Resultat fiihrt, dessen Richtigkeit hinterher bewiesen wird. Die Innnitesimaluntersuchungen, die man bei den alten Autoren da findet, wo sie den Exhaustionsbeweis be- nutzt haben, lassen sich auch auf bestimmte von den infmi- tesimalen Methoden zuruckfiihren, die man jetzt anwendet. So kann man sagen, dass nicht nur die Pyramiden bei Euklid XII, 5 und das Parabelsegment bei Archimedes, sondern auch die Kreise im Satze XII, 2 durch konver- gente Reihen bestimmt sind, und Archimedes benutzt, wie wir sehen werden, solche Summen von unendlich vielen unendlich kleinen Grossen, die wir jetzt bestimmte Integrale nennen. Der Exhaustionsbeweis macht die An- rendung von diesen vollkommen exakt. Die Alten gehen jedoch in den iibeiiieferten Schriften so ganz darin auf liese Exaktheit in jedem einzelnen Falle sicher zu stellen, dass kein Raum dafiir bleibt diejenigen Methoden, die sie benutzen um die Resultate zu fin den, iiber den 174 Die griechische Mathematik: augenblicklichen Bedarf hinaus zu entwickeln und andere neue Methoden zu bilden. Als im 17ten Jahrhundert die Infmitesimalunter- suchungen namentlich im Anschluss an Archimedes Schriften wieder aufgenommen wurden, kam es haupt- sachlich darauf an, nicht nur seine Begriindung der Re- sultate zu verstehen, sondern zugleich zu sehen, wie diese und neue sich fin den liessen, also Methoden hierfiir zu entwickeln. Man fuhr jedoch fort die nach und nach gewonnenen Resultate zum grossen Teil entweder durch wiederholte Anwendungen des Exhaustionsbeweises sicher zu stellen, oder ihnen doch Zutrauen zu verschaffen durch die Bemerkung, dass dieser Beweis sich wiirde benutzen lassen. So verfuhr z. B. Fermat, und man fuhr sogar darnit fort, nachdem die Differential- und Integralrech- nung durch Newton und Leibnitz begriindet worden war. Als man sich allmahlich mehr in die Benutzung der Methode zur Auffindung neuer Resultate vertieft und sich im Umgehen mit unendlich kleinen Grossen Routine erworben hatte, vergass man jedoch oft die logische Sicher- stellung, die der Exhaustionsbeweis zu geben bestimmt war. Man betrachtete unendlich kleine Grossen als hin- reichend definiert durch ihren Namen, und es konnte wohl vorkommen, dass einer sich soweit vergass, eine Grosse als durch eine unendliche Reihe definiert zu be- trachten, ohne sich von ihrer Konvergenz iiberzeugt zu haben. Erst in unserem Jahrhundert haben die Forderungen nach Exaktheit, denen die Alten durch den Exhaustions beweis geniigten, wieder voile Anerkennung gefunden. Man erfiillt sie eben dadurch, dass man fur die Existenz und Eindeutigkeit der Grenzwerte solche Beweise fiihrt, die im wesentlichen mit dem Exhaustion sbeweise zu- sammenfallen. Nur fiihrt man diesen jetzt - - und dass 20. Der Exhaustionsbeweis; Euklid XII. 175 man das kann, deuteten wir bereits bei der ersten An- wendung des Exhaustionsbeweises an ein fiir alle- mal oder wendet ihn doch nur an bei der Behandlung so allgemeiner BegrifTe, wie es die Summe einer unend- lichen Reihe oder ein bestimmtes Integral sind, wahrend man ihn im Altertum fiir jede einzelne Anwendung wieder- holte. Eine nicht unwesentliche Formverschiedenheit, die allerdings die Stringenz der Schlusse unberiihrt lasst, aber von dem verschiedenen Ausgangspunkt herriihrt, ist jedoch vorhanden zwischen der Behandlung dieser Fragen im Altertum und in der Gegenwart. Sie trat bereits hervor, als im allgemeinen die Rede war von der Kontinuitat der Grossen. Das Vorhandensein dieser wurde von den Alten unmittelbar vorausgesetzt durch die geometrisch dar- gestellten Grossen in Euklids vier ersten Biichern, und erst hinterher lernt man im 5ten Buche arithmetische Mittel kennen, die sich auch benutzen lassen um Grossen zu vergleichen, die nicht kommensurabel sind. Nun da- gegen stellt man vielmehr diese arithmetische Grossen- bestimmung an die Spitze und wendet sie erst nachher an auf die mehr empirischen, kontinuierlich variierenden Grossen. Ebenso wird man jetzt oft den konvergenten arithmetischen Naherungsprocess, durch den die Flache einer ebenen Figur, z. B. eines Kreises, oder ein Volumen, z. B. einer Pyramide, bestimmt wird, voranstellen und als Definition fiir Flacheninhalt oder Volumen benutzen. Die Alten dagegen betrachteten jede ebene Flache und jedes Volumen als definiert durch die allgemeinen Grossen- iome, die wir in Euklids erstem Buche kennen gelernt laben. So wurde der Satz, class der Kreis grosser ist Is jedes einbeschriebene und kleiner als jedes umbeschrie- me Polygon, eine unmittelbare Folge des 8ten Axiomes. LUS den Axiomen des ersten Buches wurden die Nahe- 176 Die griechische Mathematik: rungsprocesse abgeleitet, die damals fur die Bestimmungen angewandt wurden und jetzt fur die Definitionen ange- wandt werden. Die Ubereinstimmung besteht darin, dass man damals ebenso wie jetzt sichere Beweise fiir die Kon verge nz dieser Processe verlangte. Die allgemeinen Grossenaxiome reichen indessen nicht aus, wenn es darauf ankommt die Lange einer krummen Linie oder den. Inhalt einer krummen Flache zu bestim- men. Deshalb halt man es jetzt fiir besonders notwendig, diese BegrifTe durch eben den Naherungsprocess zu defi- nieren, durch den die Grossen faktisch bestimmt werden. Es zeigt sich, dass wenigstens Archimedes fiir die hier beruhrte Schwierigkeit ein offenes Auge gehabt hat. Er sucht ihr nicht abzuhelfen durch formelle Definitionen der genannten Begriffe, sondern statt dessen stellt er nach Weise der Alten ausdrucklich die Voraussetzungen auf - postuliert sie , die er ausser den allgemeinen Voraussetzungen iiber Grossen in den Naherungsprocessen, wodurch die Grossen bestimmt werden, und in den Be- weisen fiir die Konvergenz dieser Processe anwendet. Diese Voraussetzungen werden als Postulate zu seiner Schrift iiber die Kugel und den Cylinder aufgestellt. Sie sagen aus, dass 1) die gerade Linie der kurzeste Weg zwischen zwei Punkten ist; 2) dass von zwei Linien zwischen denselben Punkten, die ihre Konvexitat nach derselben Seite wenden, die aussere die grossere ist; 3) dass eine ebene Flache kleiner ist als eine krumme von demselben Umkreis; 4) dass von zwei krummen Flachen mit demselben (ebenen) Umkreis, die ihre Konvexitat nach derselben Seite wenden, die aussere die grossere ist. 20. Der Exhaustionsbeweis ; Euklid XII. 177 Es 1st offenbar ein Missverstandnis, wenn man zu- weilen in dem ersten von diesen Postulaten aus seinem ^usammenhang herausgerissen eine Definition der jraden Linie hat sehen wollen. Vielmehr dient dieses und das folgende zur Definition der Lange einer krummen Linie, die beiden letzten zur Definition des Inhaltes einer krummen Flache. Dass diese indirekten Definitionen ausreichend sind, zeigt sich dadurch, dass sie sich .wirklich fiir die Bestimmungen verwerten lassen. Dagegen enthalten 2 und 4, die sicheiiich nieht ganz entbehrt werden konnten, etwas mehr als streng notwendig ist. Nachdem wir nun auch hier die allgemeinen Prin- cipien kennen gelernt haben, die Archimedes benutzte um seine infinitesimalen Bestimmungen mittels des Ex- haustionsbeweises sicher zu stellen, konnen wir uns im Folgenden damit begniigen die Zerlegungen, wodurch die Bestimmungen ausgefiihrt wurden, und die dadurch er- reichten Resultate anzugeben, ohne dass es notig ware auf die Einzelheiten der strengen Beweisfiihrung einzu- gehen. 11. Infinitesimale Bestimmungen bei Archimedes, Obgleich die ausserordentlichen Verdienste des Ar chimedes sich auch auf anderen Gebieten zeigen, die im Teil schon beriihrt sind oder spater erwahnt werden >llen, so tritt uns seine schopferische Kraft dennoch vor illem entgegen sowohl in den infinitesimalen Unter- luchungen, fiir die Eudoxus schon eine so zuverlas- dge Grundlage geschafTen hatte, als auch in der Lehre om Gleichgewicht, von der man vor Archimedes keine exakte Behandlung kennt. In diesen Untersuchungen hat er vielfach Gelegenheit sich ausser mit der elemen- 12 178 Die griechische Mathematik: taren Mathematik auch mit der Lehre von den Kegel- schnitten vertraut zu zeigen, so vertraut, dass er sogar Schnitte an solchen Flachen behandeln kann, die durch Umdrehung von Kegelschnitten entstanden sind. Da wir jedoch iiber die griechische Lehre von den Kegelschnitten am liebsten im Zusammenhange reden wollen, so wollen wir in unserer sonstigen Besprechimg von Archimedes Arbeiten nur jedesmal die Eigenschaften der Kegelschnitte erwahnen, die er gerade benutzt, ohne vorlaufig zu unter-. suchen, woher er sie kennt. Wir wollen unsere Mitteilungen iiber Archimedes infinitesimals Untersuchungen mit der. Schrift iiber die Quadratur der Para be 1 beginnen, weil wir in dieser Schrift aasnahmsweise erfahren, wie Archimedes von Anfang an zu seinem Resultat gelangt ist, und weil dies Resultat naturgemass den Anstoss zu den damit verwandten Untersuchungen in anderen Schriften gegeben haben kann. Archimedes nennt den Weg, auf dem er zuerst die Flache des Segmentes gefunden hat, das von einem Pa- rabelbogen und seiner Sehne begrenzt wird, mechanisch, weil er sich auf die Satze von statischen Momenten und vom Schwerpunkt des Dreiecks stiitzt, die in seinem Buche iiber das Gleichgewicht ebener Figuren, das spater be- sprochen werden soil, dargestellt warden. Die Untersuchung lasst sich kurz folgendermassen wiedergeben: Nimmt man die Sehne A C (deren Lange wir a nennen wollen) zur Abscissenaxe und den durch den einen Endpunkt A der Sehne gehenden Parabeldurchmesser A G zur Ordinatenaxe, bezeichnen ferner x und y die Koordinaten eines Punktes E der Parabel, rj l die der Abscisse x entsprechende Ordi- nate ZL der Tangente CG im anderen Endpunkt der Sehne, dann ist was Archimedes zuerst aus den da- mals bekannten Satzen iiber die Parabel ableitet - a . if = x . y l . 21. Infinitesimale Bestimmungen bei Archimedes. 179 Die Ordinate y^ hat deshalb in der Lage, die sie wirklich einnimmt, dasselbe Moment mit Bezug auf die Linie A G, wie die Ordinate y haben wiirde, wenn man sie parallel rnit sich selbst nach C verlegte. Durch eine Teilung der Figur in Streifen mittels Parallelen zur Ordinatenaxe und durch eine Anwendung des Exhaustionsbeweises, die am ehesten einer vollstandigen Begriindung des Satzes ent- sprechen wiirde, dass a\ ydx = ( y l xdx, y o */ o >eweist Archimedes dann, dass das Moment des in C ingebrachten ganzen Parabelsegmentes mit Bezug auf A G lasselbe ist wie das Moment des Dreiecks A C G in seiner latiirlichen Lage. Da nun der Abstand des Schwerpunktes les Dreiecks A C G von A G ein Drittel von demjenigen les Punktes C ist, so wird das Segment ^ vom Dreieck 12* 180 Die griechische Mathematik: A C G oder des Dreiecks, das von der Sehne und den Tangenten in ihren Endpunkten begrenzt wird. [Bei der genaueren Ausfuhrung hiervon denkt Archimedes sich die Parabel in dem an der en Endpunkt eines gleicharmigen Hebels mit dem Unterstiitzungspunkte in A aufgehangt]. Ungeachtet der strengen Durchfiihrung dieses Beweises fiigt Archimedes dennoch einen ausserordentlich hub- schen geometrischen Beweis hinzu. 1st A E B F C das Segment und BD der Durchmesser, der die Sehne A C htilbiert, so wird zuerst das Dreieck ABC in das gegebene Segment beschrieben, darauf die Dreiecke A E B und BFC in die abgeschnittenen Segmente, entsprechende Dreiecke in die neuen Segmente u. s. w. Dann ergiebt sich leicht, dass jedes Dreieck (wie A E B) in einer neuen Reihe von Dreiecken gleich | eines Dreiecks (wie ABC) in der vorhergehenden Keihe ist. Da in jeder neuen Reihe doppelt so viele Dreiecke wie in der vorhergehenden sind, so erhalt man Segment ABC = (l + l+ (\Y + ..*.] A A B C Der Beweis wird - - wie in unserer Besprechung von Eu- klids 12tem Buche beriihrt wurde als ein Exhaustion beweis durchgefiihrt. 21. Infinitesimale Bestimmungen bei Archimedes. 181 Wahrend Archimedes geometrische Quadratur der Parabel faktisch auf der Summation einer unendlichen Reihe beruht, haben wir in unserer Wiedergabe der me- chanischen Bestimmung das Integralzeichen benutzt urn eine Zerlegung in Stiicke, die samtlich gleichzeitig bis ins Unendliche abnehmen, zu bezeichnen. Archimedes Be- handlung kann hier jedoch nicht eine Integration genannt werden, sie dient im Gegenteil dazu, eine Integration zu vermeiden, da sie iiur die vorliegende Untersuchung auf eine andere zuriickfiihrt, deren Resultat vorher schon ohne Integration gefunden war, namlich auf die Bestimmung des Schwerpunktes eines Dreiecks. Von wirklichen Integrationen lasst sich dagegen reden in den Schriften iiber die Spiral en und iiber Konoide und Spharoide. Archimedes stellt dort namlich Satze auf, die genau unseren Formeln f C x dx = *J und entsprechen, und wendet diese auf unter sich verschiedene geometrische Bestimmungen an, die man jetzt mit Ausnahme der bei jeder einzelnen Frage wiederholten Anwendung des Exhaustionsbeweises auf dieselbe Weise mitHiilfe der angefiihrten Integralformeln ausfiihren wiirde. Diese Satze, von denen der erste in der Einleitung zu der Schrift iiber Konoide und Spharoide angefiihrt wird, der zweite in einem Zusatz zu Satz 10 iiber die Spiralen, sind folgende: r h* < (2 /O 2 + (8 182 Die griechische Mathematik: Der erste ergiebt sich unmittelbar durch eine Summa tion der Glieder einer arithmetischen Reihe (Differenz- reihe), die sicher schon lange bekannt gewesen 1st. Der zweite beruht auf einer im Hauptsatz 10 ausgefiihrten Summation der betreffenden Reihe. Archimedes findet, dass 3 [h 2 + (2 ti)* + (3 h)* + . . . + (n /O 2 ] = (TI + 1) (n h) 2 + h (h + 2 h + 3 h -f . . . + n h). Der Beweis, in dem h, 2 h u. s. w. durch Strecken dargestellt werden, lasst sich, wenn wir h als Einheit be- trachten und die gesuchte Summe der Quadrate s nennen, folgendermassen wiedergeben: (n-f l)n = n* + [(!)+ 1] + [(n 2) + 2] 2 + . . . + [2 + (n 2)] +. [1 + (n !)] + n* ==2.*+2.(n l)-f 4(n 2)+6.(n 3)-f ... + 2(n l).l. Addiert man hierzu (n + n 1 + n 2 -f . . . + 1), so erhalt man 2 s + n -f 3 . (n 1) + 5 . (n 2) -f . . . + (2 n 1) . 1. Dass diese Grosse genau gleich 3 s ist, geht aus der Summation der folgenden Gleichungen hervor, deren Rich- tigkeit aus der Formel fiir die Summe der Glieder einer Differenzreihe folgt: n^=:n-{-2(n l + n 2 + . . . + 1) (n l)8=n l + 2(n 2 + n 3.+ .-. + 1) (n 2) 2 = n 2 4- 2 (n 3 -f- n 4 -f- . . . -f 1) Diese Summation ist ein wertvolles algebraisches Nebenprodukt von Archimedes Untersuchung. 21. Infmitesimale Bestimmungen bei Archimedes. 183 Die Anwendung, die Archimedes hiervon in seiner Schrift liber die Spiralen macht, 1st die Berechnung eines Sektors einer archimedischen Spirale r = a . $. Die Flache eines solchen ist /#! ! P I r 2 d & = --- I J # 2 a J r wird also durch die letzte der beiden angefiihrten Inte- grationen gef unden. Archimedes bestimmt das Ver- hiiltnis zu einem Kreissektor mit dem Radius r, und erreicht dies durch Teilung des Winkels f & l $ und dadurch zugleich der Sektoren, durch Konstruktion von Kreissektoren, die von Spiralsektoren eingeschlossen werden und diese umschliessen, durch Vergleichung mit diesen Kreissektoren, und durch Anwendung des Exhaustions- beweises. Als Konoide werden teils Umdrehungsparaboloide bezeichnet, teils Umdrehungshyperboloide mit zwei Netzen, von denen jedoch nur das eine benutzt wird. Spharoide sind Umdrehungsellipsoide. In der Schrift iiber diese Arten von Flachen bestimmt Archimedes das Volumen von Segmenten, die von einer solchen Flache und einer beliebigen Ebene begrenzt werden. Archimedes ist im- stande die BeschafTenheit eines willkiirlichen ebenen Schnittes an einer solchen Flaohe zu ermitteln und seine Axen mit Hiilfe der Abschnitte zu bestimmen, die seine Ebene auf dem zugehorigen Durchmesser der Flache ab- schneidet. Er hat ferner die Flache einer Ellipse gef unden, was leicht durch Vergleichung von Figuren geschieht, die in die Ellipse und in einen Kreis iiber ihrer einen Axe ils Durchmesser beschrieben werden. Die Volumen bestim- mungen werden dann auf eben die Integrationen zuriick- ;fiihrt, die Archimedes, wie wir gesehen haben, in einer anderen Form kannte. 184 Die griechische Mathematik: Die beiden angefiihrten Schriften sind ausser durch die darin enthaltenen Flachen- und Volumenbestimmungen auch noch in anderer Beziehung merkwiirdig. So liefert die Schrift iiber Konoide und Spharoide, wie sich schon aus dem Angefiihrten ergiebt, uns Aufklarungen iiber Archimedes Bekanntschaft mit den Kegelschnitten. In der Schrift iiber die Spiralen finden sich einige friiher erwahnte Einschiebungen. Zur Hauptaufgabe dieser Schrift gehort ausser der Flachenbestimrnung auch noch eine andere infinitesimale Aufgabe, namlich die Be- stimmung von Tangenten an die Spiralen. Dazu benutzt Archimedes, selbstverstandlich unter der gebiihrenden Kontrole mittels des Exhaustionsbeweises, dasselbe infini tesimale Dreieck, das jetzt fiir die Bestimmung von Tan genten an Kurven benutzt wird, die in Polar-Koordinaten ausgedriickt sind. Als Resultat ergiebt sich, dass die Polarsubtangente r . $ wird. Die Subtangenten in den Endpunkten der verschiedenen ganzen Umlaufe der Spi ralen erhielten -- wie wir friiher (S. 78) beriihrt haben - fiir Archimedes ein besonderes Interesss dadurch, dass sie geradlinige Darstellungen von Kreisperipherien sind. Die wichtigste integrationsahnliche Bestimmung, die wir Archimedes verdanken, diirfte jedoch seine Bestim mung der Kugeloberflache sein. Das Verfahren 1st, wenn auch in einer anderen Form, ungefahr dasselbe, das in unseren elementaren Lehrbuchern benutzt wird, und fiihrt, in Ubereinstimmung mit dem Titel des Werkes, nament- lich dahin, dass Kugelzonen und die entsprechenden Stiicke der Mantelflache des umbeschriebenen Cylinders gleich gross sind. Von da aus gelangt man jedoch leicht zu anderen Bestimmungsformen und gleichfalls zu der Bestimmung des Volumens von Kugel, Sektor und Seg ment. Da Archimedes ebensowenig wie Euklid irgend- 21. Infinitesimals Bestimmungen bei Archimedes. 185 welche Einheit einfiihrt, so bestehen diese letzten Bestim mungen in der Konstruktion von Cylindern und Kegeln, die den gesuchten Raurngrossen gleich sind. Im zweiten Buch derselben Schrift werden (ausser der eben genannten Bestimmung der Volumina von Seg- menten) verschiedene Aufgaben liber die gesuchten Raum- grossen behandelt, darunter diejenige, durch eine Ebene eine Kugel in zwei Segmente zu teilen, die in einem ge- gebenen Verhi-ltnis stehen. Die Losung hangt wie bekannt von einer Gleichung dritten Grades ab. Auf eine solche fiihrt auch Archimedes die Aufgabe zuriick, indem er ihr folgende Form giebt: Eine Strecke D Z, auf der die Punkte B und T gegeben sind, so durch einen Punkt X zu teilen, dass DB*:DX*=XZ: T Z. D B ist hier der Durchmesser 2 r der Kugel, auf dessen Verlangerung BZ=r abgetragen ist, DX ist die Hdhe des einen Segmentes, und wenn dieses sich zu dem anderen verhalten soil wie m:n, so ist TZ=- M r. m -\- n Archimedes verspricht diese Gleichung spater zu losen und hebt fur den Augenblick nur hervor, dass der Bedingung fiir die Moglichkeit, welche die Gleichung ver- langt, genugt wird durch die vorliegende Aufgabe iiber die Kugel. Ein Grand fiir diesen Aufschub - - der leider dazu gefiihrt hat, dass die Auflosung in dem vorliegenden Text fehlt mag darin gelegen haben, dass Archimedes in demselben Buche mehrfach Verwendung fiir dieselbe Gleichung hatte. Der letzte (9te) Satz des Buches sagt namlich aus, dass das grosste von den Kugelsegmenten, die eine gegebene krumme Oberflache haben, eine Halb- Die griechische Mathematik; kugel 1st. Der Beweis, der hierfiir gefiihrt wird, der iibrigens in dem iiberlieferten Text nur unvollstandig 1st, lasst deutlich erkennen, dass er erst gemacht 1st, nachdem das Resultat auf anderem Wege gefunden worden war. Eine wirkliche Ableitung des genannten Satzes hatte da- gegen einen natiirlichen Platz in demselben Zusatz finden konnen, den Archimedes mit Bezug auf die Kugel- teilung versprochen hatte. Bin solcher Satz iiber ein Maximum, wie dieser 9te, kommt namlich stets bei den Griechen als Diorismus zu einer Aufgabe vor. Dieser hat im gegenwartigen Falle darauf ausgehen miissen ein Kugelsegment zu finden, dessen Volumen und krumme Oberflache gegeben waren, und diese Aufgabe lasst sich eben mittels der oben genannten Gleichung losen. Nun findet sich wie gesagt der versprochene Zusatz nicht in dem iiberlieferten Text selbst, aber man nimnit an, dass er in einem anderen alten Manuskript enthalten gewesen ist, das von Eutokius, dem Kommentator des Archimedes, gefunden und im Auszuge wiedergegeben ist. In diesem Manuskript wird die Gleichung des Ar chimedes mit Hiilfe von Kegelschnitten gelost, und aus der Gleichung werden solche Bestimmungen der Moglich- keit abgeleitet, dass ihre Anwendung auf die Aufgabe, ein Kugelsegment von gegebenem Volumen und gegebener krummer Oberflache zu finden unmittelbar den Satz 9 ergeben wiirde. Eben diese Losung soil spater mitgeteilt werden, da sie eines der besten iiberlieferten Beispiele dafiir ist, wie die Alten die sogenannten raumlichen Aufgaben behandelten. Dass die Bestimmung der Kugeloberflache in reichem Maasse Veranlassung zu weiteren Untersuchungen giebt, hat sich also sofort in Archimedes Schrift zu erkennen gegeben. Anwendungen in der Praxis oder auf andere Wissenschaften, wie die Geographic, liegen auch nahe. 21. Infinitesimale Bestimmungen bei Archimedes. 187 Diese Umstande mogen dazu beigetragen haben, dass Archimedes diese Bestimmung unter seinen Arbeiten am hochsten stellte. Ein geniigender Grund hierfiir lag jedoch schon in dem Umstande, dass es ihm gelungen war, den Inhalt einer nicht abwickelbaren krummen Flache zu einer Zeit zu berechnen, wo sogar die Berech- nung von ebenen Flachen und von Ranminhalten so wenig entwickelt war. Und wie wenige Flachen kennen wir nicht heutigen Tages, deren Inhalte sich auf leidlich iibersichtliche Weise darstellen lassen! Nach Archimedes Wunsch setzte man auf sein Grab ein Monument, das eine Kugel mit einem umbe- schriebenen Cylinder enthielt. Dies fand und erneuerte Cicero anderthalb Jahrhundert spater, als er Quastor auf Sicilien war. 22, Archimedes Lehre vom Gleichgewicht, Die Regeln fur das Gleichgewicht eines ungleich- armigen Hebels sind lange vor Archimedes Zeit bekannt gewesen, aber bei ihm findet man die erste wirkliche Be- E A D griindung. Wir konnen seinen Gedankengang kurz fol- gendermassen wiedergeben. A und C seien die Angriffs- punkte der Gewichte P und Q, und der Punkt B sei luf A C derartig bestimmt, dass AB:BC=Q:P. Dann ist der Hebel, auf dessen eigenes Gewicht keine Riicksicht genommen wird, im Gleichgewicht, wenn er in 188 Die griechische Mathematik: B unterstiitzt wird. Der Beweis wird dadurch gefiihrt, dass man den Hebel in einem Punkte D so teilt, dass und auf seiner Verlangerung E und F so bestimmt, dass EA = AD und CF=DC. Man kann dann, ohne die Gleichgewichtsverhaltnisse zu andern, das Gewicht von P gleichmassig liber ED, und das von Q gleichmassig liber DF verteilen, wodurch das ganze Gewicht P+ Q gleich massig liber EF verteilt wird. Wegen der Symmetrie findet dann Gleichgewicht statt, wenn EF im Mittel- punkte B unterstiitzt wird. Im ersten Buche seiner Schrift liber das Gleich gewicht ebener Figuren fiihrt Archimedes einen solchen Beweis ohne jedoch eine kontinuierliche Verteilung zu benutzen. Er behandelt zuerst den Fall, wo P und Q kommensurabel sind und sich also auf Punkte mit glei- chen Abstanden verteilen lassen, und geht darauf mittels des Exhaustionsbeweises zu dem Fall liber, wo P und Q inkommensurabel sind. Er hat wie gewohnlich ausdriick- lich die Voraussetzungen aufgestellt, auf denen der Beweis aufgebaut wird, und das sind hier die Bedingungen fur Gleichgewicht oder fiir den Mangel an Gleichgewicht bei einem gleicharmigen Hebel. Mit Rlicksicht auf das Fol- gende werden auch noch die Voraussetzungen aufgestellt, dass die Schwerpunkte ahnlicher Figuren homologe Punkte sind, und dass der Schwerpunkt einer Figur, deren Kon- vexitat sich liberall nach aussen wendet, auf die Figur selbst fallen muss. Wenn die Beweise dafiir, dass der Schwerpunkt eines Dreiecks der Schnittpunkt seiner Medianen ist, mit denen das Buch schliesst, uns jetzt unnotig weitlaufig vorkommen, so beruht das darauf, dass sie auf den ausdriicklich aufgestellten Voraussetzungen haben aufgebaut werden miissen. 22. Archimedes Lehre vom Gleichgewicht. 189 Wir haben bereits gesehen, wie Archimedes die >atze iiber Gleichgewicht benutzt hat um die Flache eines Parabelsegmentes zu finden. Spater hat er im zweiten Buche der Schrift iiber das Gleichgewicht ebener Figuren den Schwerpunkt eines Parabelsegments gefunden. Dieser Bestimmung liegt der Satz zu Grande, dass die Schwerpunkte verschiedener Parabelsegmente ihre Durch- messer nach demselben Verhaltnis teilen miissen. Das wird bewiesen durch dieselbe Teilung der Parabelsegmente in unendlich viele Dreiecke, die in seiner geometrischen Bestimmung der Flache des Segmentes 1 (vergl. die Figur S. 180) benutzt wurde. Der unbekannte Wert des kon- stanten Verhaltnisses lasst sich nun finden durch Zer- legung des Segmentes A B C in das Dreieck ABC und zwei neue Segmente. Die dabei entstehende Gleichung ersten Grades lost Archimedes unter geometrischer Form. Es ergiebt sich, dass Archimedes noch einen Schwerpunkt kennt, namlich denjenigen eines beliebigen Segmentes eines Umdrehungsparaboloids. Dieser kann nicht auf dieselbe Art gefunden worden sein wie der Schwerpunkt des Parabelsegmentes, sondern seine Bestim mung muss unter der einen oder anderen Form zuriick- gefiihrt worden sein auf die bereits erwahnten, von Ar chimedes gekannten Integrationen, von denen sie in der That abhangt. Archimedes selbst giebt uns keine Auf- klarung dariiber, wie er diesen Schwerpunkt kennen ge- lernt hat, aber er nennt und benutzt ihn zu wiederholten Malen im 2ten Buche seiner Schrift iiber Korper, die auf einer Fliissigkeit schwimmen. 1 Der Schluss des Beweises 1st indessen im 7ten Abschnitte des iiberlieferten Textes durch ein offenbares Missverstandnis von einem spateren Herausgeber auf ahnliche Segmente eingeschrankt worden. 190 Die griechische Mathematik: Im ersten Buche dieser hydrostatischen Schrift wird der bekannte Hauptsatz iiber das Gleichgewicht ganz oder teilweise eingtauchter Korper, der den Namen das archi- medische Princip erhalten hat, aufgestellt und begriindet. In diesem Buche nimmt Archimedes sogar einen so allgemeinen Standpunkt ein, dass er die Kugelgestalt der Erde und die Richtung der Schwere gegen ihren Mittel- punkt hin beriicksichtigt. Im letzten Satze des Buches behandelt er die Aufgabe, die Gleichgewichtslage eines teilweise eingetauchten Kugelsegmentes zu finden; leider aber sind wesentliche Teile dieser Untersuchung verloren gegangen. Dass Archimedes nicht ohne weiteres und nur aus Griinden der Symmetric schliesst, dass es keine anderen Gleichgewichtslagen giebt als diejenige, bei der die Axe des Segmentes lotrecht steht, lasst sich vermuten aus der vollstandigeren Behandlung, der er im 2ten Buche die Aufgabe unterwirft, die Gleichgewichtslagen eines Seg mentes zu finden, das von einem Umdrehungspara- boloid durch einen senkrecht zur Axe gelegten Schnitt abgeschnitten wird. Bei dieser Untersuchung wird der Wasserspiegel jedoch als eben vorausgesetzt ; bei ihr be- nutzt er die Schwerpunkte auch von solchen Segmenten, die durch schief zur Axe stehende Ebenen abgeschnitten werden. Archimedes statische Werke bilden die Grundlage sowohl fiir die theoretische Mechanik wie fiir die prak- tischen Anwendungen der Mechanik. Dass er es selbst in solchen Anwendungen weit brachte, wissen wir aus vielen Berichten des spateren Alterturns, wo man es besser verstand die sichtbaren Resultate zu bewundern als die wissenschaftliche Arbeit. Eine unmittelbare Benutzung des archimedischen Princips ist seine Benutzung des spe- cifischen Gewichtes um die Zusammensetzung von Metall- 22. Archimedes Lehre vom Gleichgewicht. 191 gemischen zu bestimmen (Hiero s Krone ). Er soil Apparate konstruiert haben um durch geringe Kraft grosse Massen zu bewegen. Die Wasserschnecke riihrt von ihm her. Besondere Bedeutung erhielt seine mechanische Ge- schickliohkeit durch die wahrend der Belagerung von Sy- rakus konstruierten Kriegsmaschinen ; unter diesen 1st jedoch die Anwendung des Brennspiegels, um die romische Flotte anzuziinden, eine Fabel, wenn es auch keineswegs unmoglich ist, dass er parabolische Brennspiegel erfunden hat. Mit grosser Bewunderung nannte man im Altertum ein von ihm konstruiertes mechanisches Planetarium. 23, Die Lehre von den Kegelschnitten vor Apollonius. Wir haben bereits (S. 87) bei unserer Erwahnung des delischen Problems, sowie bei der Konstruk- tion von zwei mittleren Proportionalen angefiihrt, dass dieses Problem von Menachmus, dem Schiller des ludoxus, gelost wurde mittels der Schnittpunkte zwischen swei von den Kurven die er als Schnittkurven zwischen einem Umdrehungs- kegel und einer Ebene darstellte. In Ubereinstimmung hiermit wird berichtet, dass Menachmus die Kegelschnitte Eunden habe. Zugleich weiss man, dass man zu ihrer [erstellung bis zu Apollonius hinauf eine Ebene ge- )rauchte, die senkrecht auf einer Erzeugenden der Kegel- le stand, wodurch Ellipsen, Parabeln und Hy- >erbeln die Namen Schnitt des spitz winkeligen, -echtwinkeligen und stumpfwinkeligen Kegels jrhielten. Hieraus darf man jedoch nicht schliessen, dass 192 Die griechische Mathematik: Menachmus und die Mathematiker bis zu Apollonius ein Verfahren besessen batten, das besonders zu der Be- stimmung von Eigenschaften solcher Schnitte fiihrte, die senkrecht auf einer Erzeugenden standen, und nicht mit derselben Leichtigkeit benutzt werden konnte um nach- zuweisen, dass anders belegene Schnitte ganz dieselben Eigenschaften besassen. Von einem solchen Verfahren ist uns keine Spur in der griechischen Mathematik auf- bewahrt, und es diirfte, wenigstens was die Ellipse und Hyperbel betrifft, schwierig sein ein solches Verfahren zu zu erfinden. Die Sache lasst sich indessen folgendermassen erklaren. Fur die Bestimmung der beiden mittleren Proportionalen liessen sich die Kurven verwenden, die durch die oben genannten Gleichungen definiert werden. Eine solche Definition musste indessen von dem Postulat begleitet sein, dass die Kurven wirklich existierten, oder mit anderen Worten, dass die durch diese Definition bestimmten Punkte kontinuierlich aufeinander folgten. Das Postulat konnte vermieden werden, wenn sich eine, auf friihere Postulate gegriindete, Konstruktion der Kurven angeben liess, ja in diesem Falle wiirde es sogar unstatthaft gewesen sein, neue Postulate aufzustellen. Die von Me nachmus gefundene Konstruktion besteht eben in der Bestimmung der Kurven als Schnitte an Kreiskegeln : die Kontinuitat der Kegelfiache ist dann sichergestellt durch diejenige der Leitkurve, des Kreises, und die Kontinuitat der Schnittkurve wiederum durch diejenige der Kegelflache. Fiir diese Verwendung ist jede Erzeugung als Schnitte an Kegeln gleich gut, ja um sich zu versichern, dass eine Kurve mit bestimmten Konstanten sich wirklich als Schnitt an einem Kegel erzeugen lasst, ist es sogar am bequemsten, wenn man eine gleichartige Losung dieser Aufgabe hat. Dass dann namentlich die Losung, bei der 23. Die Lehre von den Kegelschnitten vor Apollonius. 193 man zugleich die Kegelflache gerade und die Schnittebene senkrecht auf einer Erzeugenden sein lasst, zweckmassig sein kann, ergiebt sich leicht, wenn wir zuerst parabo- lische Schnitte betrachten, die als Schnitte am rechtwinke- ligen Kegel hervorgebracht sind. T sei der Scheitelpunkt einer solchen, KTC ein Axenschnitt, GPH die Spur eines parallel zur Grundflache gelegten Schnittes, y das f* ,/ \p \H / If/ \ \ X V Stuck, welches zwischen P und der Kegelflache auf einer Geraden abgeschnitten wird, die in P senkrecht auf der Ebene der Figur steht. Dann ist, wenn AP.TK, jr Schnitt, der in A P senkrecht zur Ebene der Figur errichtet wird, wird dann, wenn AP x und 2 AL=p, dargestellt durch In tJbereinstimmung mit dieser Konstruktion wird der halbe Parameter-^- noch von Archimedes das Stuck bis zur Axe genannt, namlich vom Scheitelpunkt A der Parabel bis zur Axe des Kegels. Man sieht also, dass Menachmus eben die Losung derjenigen Aufgabe erhielt, die vorlag: eine Kurve mit der CTrleichung |/ 2 = J p# als Schnitt an einem Kegel dar- zustellen. Es kam nur darauf an, den Kegel gerade sein 13 194 Die griechische Mathematik: zu lassen, den Schnitt senkrecht zu einer Erzeugenden zu legen und dafiir zu sorgen, dass das Stuck bis zur Axe ~ wurde. 2i Dieselben Vorteile erreicht man durch die entspre- chende Darstellung der Ellipse und Hyperbel als Schnitte, die senkrecht auf der Erzeugenden ernes spitzwinkeligen oder stumpfwinkeligen Umdrehungskegels stehen. Wir wollen dafiir dieselben Bezeichnungen benutzen wie in der umstehenden Figur, und nur zugleich durch A den Schnittpunkt von A P mit der anderen Erzeugenden T C der Figurebene bezeichnen, oder fiir die Hyperbel, den Schnittpunkt mit der Verlangerung der TC iiber T hin- aus. Dann findet man, wenn A P=x, PA 1 =x lt wenn ferner wie friiher das Stuck bis zur Axe oder AL = ^ 2i der halbe Parameter ist, und wenn A A ^ = 2 a, Diese Bestimmung (durch die Axengleichung) ist gerade diejenige, welche die altesten griechischen Geometer in der einen oder anderen Form (ihre Bestimmung kommt // 2 p der Gleichung = ^- am nachsten) der Untersuchung xx l 2 a der Ellipse und Hyperbel (je nachdem x -f- x 1 = 2 a, oder a? L a? =2 a) zu Grunde legen. Da die Konstanten der Kurve auf einfache Weise in der Figur dargestellt sind, so hat man in der That eine gute und bestimmte Me- thode diese Kurven als Schnitte an Kegeln darzustellen, also zu zeigen, dass sie fiir alle Werte der Konstanten Kegelschnitte sind. Hierbei wird jedoch vorausgesetzt, dass diese Kurven vorher bekannt gewesen und - - selbstverstandlich unter 23. Die Lehre von den Kegelschnitten vor Apollonius. 195 geornetrischer Form durch die angefiihrte Gleichung dargestellt worden sind. Was die Ellipse betrifft, so deutet verschiedenes hierauf; es kann dann sehr nahe gelegen haben, sie als Cylinderschnitt zu betrachten. Die Hyperbel, und namentlich die gleichseitige, hat sich, wie schon angefiihrt, als verwendbar fur die Konstruktion von zwei mittleren Proportionalen gezeigt, aber freilich durch eine andere Gleichung bestimmt, namlich durch diejenige, wodurch sie auf ihre Asymptoten bezogen wird. Die Verwendbarkeit fiir die Konstruktion der beiden mittleren Proportionalen hat dann eine gute Veranlassung gegeben, urn zu untersuchen, ob die Kurve nicht etwa eine auf anderem Wege bekannte Kurve, z. B. ein Kreis, sein konne - - die ursprungliche Bestimmung durch die Mittel, iiber die man verfiigte, namentlich durch die geo- metrische Algebra, umzuformen. Die Umformung in die Axengleichung hat dann gerade fiir dieses Hiilfsmittel ziemlich nahe gelegen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Asymptotengleichung und der Darstellung als Kegelschnitt ist aber kaum bekannt gewesen. Das, was durch senkrechte Schnitte auf der Erzeu- genden eines Umdrehungskegels erreicht wurde, war also das Mittel, jede Parabel, Ellipse oder Hyperbel als Schnitt eines Umdrehungskegels darzustellen. Selbstverstandlich sah man zugleich, dass urngekehrt a lie derartig aii- gebrachten Schnitte Parabem, Ellipsen und Hyperbeln sind. Es hat zugleich unmoglich der Aufmerksamkeit entgehen konnen, dass die besondere Lage durchaus gar keine Rolle bei dieser umgekehrten Bestimmung spielt. Jedenfalls hat dieselbe Bestimmungsmethode sich als an- wendbar gezeigt, sobald man iiberhaupt Veranlassung fand nach anders belegenen Schnitten zu fragen. Das finden wir bestatigt in Archimedes Schrift iiber Konoide und Spharoide. Bereits die Einleitung zu dieser Schrift zeigt, 13* 196 Die griechische Mathematik: dass man sogar vor seiner Zeit wenigstens alle elliptischen Schnitte an geraden Kegeln kannte, und im Verlaufe seiner eigenen Untersuchungen werden sogar gewisse ellip- tische Schnitte an schiefen Kreiskegeln betrachtet, nam- lich solche, die senkrecht auf der Symmetrieebene des Kegels stehen. Archimedes lost die Aufgabe, die nach unserer Ausdrucksweise heissen wiirde: Bestimmung der cirkularen Schnitte an einer Kegelflache zweiter Ordnung mil bekannten Hauptschnitten. Da Archimedes bei den vorliegenden Aufgaben keine Verwendung fur hyper- bolische Schnitte hat, die auf die angefuhrte Weise liegen, so darf man aus seinem Schweigen nicht schliessen, dass er sie nicht gekannt habe. Archimedes erhalt sogar Gelegenheit uns das Hiilfs- mittel kennen zu lehren, wodurch man die planimetrische Bestimmung ebener Schnitte an Kreiskegeln fand. Die Figur moge diejenige sein, in der der Kegel von seiner Symmetrieebene geschnit- ten wird (oder, wenn der Kegel gerade ist, ein be- liebiger Axenschnitt), T L und TK die in dieser Ebene liegenden Erzeugen- den, LK die Spur der kreisformigen Grundflache. Die Beschaffenheit des ebe- nen Schnittes, der in NN l projiciert wird, ergiebt sich dann durch folgenden planimetrischen Hiilfssatz: wenn die Geraden NN 1 und M M, welche die festen geraden Linien L T und TK in M und N, und in M l und N lt sowie sich selbst in P schneiden, ihre Richtungen nicht 23. Die Lehre von den Kegelschnitten vor Apollonius. 197 PM.PM l verandern, so ist PAT Constant oder gleich k. JL J.\ . JT -/V -I 1st nun MM l die Spur eines der Grundflache parallelen Schnittes, und y das Stuck, welches von der in P proji- cierten Geraden zwischen P und der Kegelflache abge- schnitten wird, so ist |/ 2 = PM . PM l = fc . P TV . PN lt und das ist eben die Eigenschaft, durch die wir eine Ellipse oder Hyperbel charakterisiert haben. Der hier benutzte planimetrische Satz wird als be- kannt vorausgesetzt, ist also gewiss auch vor Archimedes benutzt worden um die Eigenschaften der Kegelschnitte abzuleiten. Er gilt nach dem sogenannten Potenzsatz, den wir spater besprechen werden und der dem Archi- .medes bekannt war, auch wenn die Punkte M, N y M^ und N l auf einem beliebigen Kegelschnitt liegen. Archi medes konnte deshalb in der angefiihrten Schrift iiber Umdrehungsflachen zweiter Ordnung ebene Schnitte an diesen auf ganz dieselbe Weise bestimmen. Wenn wir angenommen haben, dass die Entdeckung des Menachmus wesentlich darin bestand, dass Parabel, Ellipse und Hyperbel sich als Kegelschnitte darstellen liessen, so haben wir damit die Annahme verbinden miissen, dass diese Kurven wenigstens teilweise vorher untersucht worden waren, namentlich in Verbindung mit dem delischen Problem und auf Grundlage der Eigen schaften, die jetzt durch ihre einfachsten Gleichungen dargestellt werden. Diese Annahme wird in hohem Grade durch den Umstand unterstiitzt, dass es in alien weiter- gehenden Untersuchungen bei griechischen Schriftstellern die planimetrischen Haupteigenschaften sind und nicht die Darstellung als Kegelschnitte, die der Untersuchung zu Grunde gelegt werden. Sie tragt auch dazu bei zu 198 Die griechische Mathematik: erklaren, dass die Lehre von den Kegelschnitten gleich nach Menachmus sich so rasch bei den Griechen ent- wickeln konnte, wie es der Fall war. Das Interesse fur diese Lehre musste dadurch wachsen, dass man bald wahrnehmen musste, dass die Kegelschnitte sich nicht nur wie von Menachmus fiir die Konstruktion der beiden mittleren Proportionalen verwenden liessen, sondern auch bei der Losung von vielen anderen Aufgaben, die man vergebens mil Hiilfe von Zirkel und Lineal zu losen ver- sucht hatte. Zu dem Behufe musste man die Kegelschnitte als geometrische Orter benutzen, als raumliche Orter , wie man sie damals nannte. Das Gewicht, das man auf eine solche Anwendung legte, zeigt sich dadurch, dass das alteste Werk iiber Kegelschnitte, das angefiihrt wird, den Titel raumliche Orter hatte. Es riihrte von einem Mathematiker Aristaus her, der ein alterer Zeit- genosse von Euklid war. Dass der Titel dieses verlorenen Werkes wirklich eine besondere Bedeutung hatte und nicht nur ein Name fiir die Lehre von den Kegelschnitten im allgemeinen war, geht daraus hervor, dass die bald nach- her erschienenen Biicher iiber Kegelschnitte von Euklid die raumlichen Orter des Aristaus erganzen und nicht vertreten sollten. Man fuhr sogar fort diese Schrift neben den Kegelschnitten des Apollonius, welche diejenigen des Euklid vollstandig verdrangten, zu studieren und zu benutzen. Der Gebrauch, den Aristaus wahrscheinlich von den Kegelschnitten gemacht hat, und den man in weiter- gehendem Maasse gemacht hat, als die Lehre von den Kegelschnitten durch Euklid und Apollonius weiter entwickelt worden war, wird sich am besten verstehen lassen, wenn wir aus dem grossen Werk des Apollonius gelernt haben werden, wie die Alten diese Kurven iiber- haupt MSehandelten. Aus diesem Werke werden wir zu- 23. Die Lehre von den Kegelschnitten vor Apollonius. 199 gleich, wenn wir besonders darauf aufmerksam machen, welche Fortschritte man Apollonius personlich verdankt, eine Vorstellung von dem gewinnen, was bereits Euklids Darstellung enthalten haben muss. Vorlaufig wollen wir nur bemerken, dass sich aus Archimedes Schriften er- kennen lasst, dass dies nicht so ganz wenig gewesen sein kann; denn die Satze iiber Kegelschnitte, die Archi medes als bekannt voraussetzt, sind gewiss in Euklids verlorenem Werke zu finden gewesen. In diesem muss man nicht nur die bereits angefiihrte Beziehung der Kegel schnitte auf ihre Axen haben finden konnen, sowie die daran angeschlossene Bestimmung von Tangenten, konju- gierten Durchmessern und Asymptoten, sondern auch die entsprechende Beziehung auf zwei konjugierte Durchmesser, und die bereits dem Menachmus bekannte Beziehung auf die Asymptoten; endlich auch den soeben erwahnten Potenzsatz. 24. Die Kegelschnitte des Apollonius, Aus Apollonius grossem Werke liber die Kegel schnitte kennen wir hauptsachlich die Lehre der Alten von den Kegelschnitten, so wie wir ihre elementare Geo metric aus Euklid kennen. Von Apollonius 8 Bii- chern iiber Kegelschnitte sind uns jedoch nur 7 erhalten geblieben, die 4 ersten auf Griechisch, die 3 letzten durch eine arabische tJbersetzung. Die 4 ersten Biicher ent halten das, was man die Elemente der Lehre von den Kegelschnitten nennt, das heisst die zusammenhan- gende Darstellung der Haupteigenschaften der Kegel schnitte, die man zum Ausgangspunkt nehmen muss so- wohl fur die Anwendung der Lehre von den Kegelschnitten auf die Losung von Konstruktionsaufgaben mittels raum- 200 Die griechische Mathematik: licher Orter, als auch fiir weitergehende besondere Unter- suchungen einzelner, die Kegelschnitte betreffender Fragen. Die folgenden Biicher dagegen entbalten hierher gehorige Specialuntersuchungen. Das fiinfte Buch, das iiber Nor- malen an die Kegelschnitte handelt, 1st zugleich das vollstan- digste erhaltene Beispiel fiir die Anwendung der Kegel schnitte auf Konstruktion, namlich auf die Konstruktion von Normalen, die von einem gegebenen Punkte ausgehen, und fur die an eine solche Konstruktion angeschlossene feinere theoretische Untersuchung. Die allgemeine Kenntnis, welche die Alten von den Kegelschnitten hatten, lernen wir jedoch zunachst und vor all em aus den vier ersten Biichern kennen. Bei diesen wollen wir deshalb so lange venveilen, dass wir nicht nur einen Uberblick iiber das zu geben vermogen, was die Alten iiber die Kegelschnitte wussten, sondern es auch verstandlich machen, dass sie wirklich Mittel besassen um so weit zu gelangen. Zunachst miissen wir dann sehen, wie im ersten Buehe die Grundmauer aufgefuhrt wird. Geschieht dies auch mit einem anderen Ausgangspunkt, als der von Apollonius Vorgangern benutzte war, so sind doch, wie sich aus seinen Vorreden ergiebt, die einzelnen Satze, aus denen diese Grundmauer zusammengefiigt ist, zum grossen Teile dieselben, die auch seine Vorganger kannten und anwandten. Was die Hyperbel betrifft, so zeigt sich jedoch in diesen Satzen der bedeutende Fortschritt, dass Apollonius, wenn er auch die beiden Aste der Hy perbel zusammengehorende Hyperbeln nennt, dennoch diese Aste als eine einzige Kurve behandelt, und dadurch die Gleichartigkeit in den Satzen iiber Ellipse und Hyperbel erreicht, die nur auf diesem Wege mog- lich ist. Der neue Ausgangspunkt besteht darin, dass Apol- 24. Die Kegelschnitte des Apollonius. , 201 lonius, statt Schnitte zu betrachten, die von Ebenen in einer bestimmten Lage an Umdrehungskegeln hervor- gebracht werden, sofort beliebige ebene Schnitte an beliebigen Kreiskegeln betrachtet. Das Verfahren, welches benutzt wird um eine solche planimetrische Eigen schaft an diesen Schnitten abzuleiten, dass sie der weiteren Untersuchung der Kurven zu Grunde gelegt werden kann, ist eine Verallgemeinerang desjenigen, das wir Archi medes haben benutzen sehen um Schnitte senkrecht zur Symmetrieebene des Kegels zu untersuchen ; dadurch wird aber die planimetrische Eigenschaft auch allgemeiner. Es wird dann nicht rnehr diejenige, die dadurch aus- gedriickt wird, dass man den Kegelschnitt auf eine von seinen Axen und die halben zugehorigen Sehnen als Ordi- naten bezieht, sondern diejenige, die man auf ahnliche Weise erhalt, indem man den Kegelschnitt auf einen be liebigen Durchmesser und dessen Sehnen bezieht. Das muss man festhalten, wenn man den rechten Uberblick liber den Gang des Buches erhalten will. Von den unter- suchten Kurven ist es anfangs nur bekannt, dass sie diese Eigenschaft besitzen in Bezug auf einen einzelnen Durchmesser und ein dazu gehoriges Sehnensystem, das im allgemeinen einen schiefen Winkel mit dem Durch messer bildet. Erst im weiteren Verlaufe der Darstellung sieht man, dass sie dieselbe Eigenschaft besitzen in Be zug auf unendlich viele Durchmesser, und am Schlusse des Buches werden endlich solche Durchmesser kon- struiert, die senkrecht auf ihren Sehnen stehen, und gezeigt, dass die Kurven, wenn man sie auf diese bezogen hat, sich als Schnitte in Umdrehungskegel hineinlegen lassen. Erst dann ist die Identitat der von Apollonius behandelten Kurven mit den bereits fruher bekannten Kegelschnitten vollkommen dargethan. Diese letzten Resultate machen also das Ziel aus, 202 Die grieChische Mathematik: das Apollonius wahrend der Auffiihrung des ganzen ersten Buches vor Augen gehabt hat. Wahrend des Aufbaus 1st er jedoch teils genotigt gewesen, teils hat er sich die Gelegenheit dazu verschafft, viele Eigenschaften der Kurven darzustellen, die in den spateren Biichern zur Verwendung gelangen konnen, oder die es an und fur sich wert sind, dass man sie kennen lernt. So wird die Lehre von den Tangenten und ihrer Bestimmung mit- genommen als Einleitung zu der, fiir den Hauptzweck des Buches notwendigen, Lehre von den Durchmessern zu parallelen Sehnensystemen. Will man sich eine Vorstellung von den benutzten Arten des Verfahrens machen, so geschieht das am besten durch Vergleichung mit der, in der jetzigen analytischen Geometric gebrauchlichen, algebraischen Umformung der Gleichungen in die neuen Formen, die man durch 24;. Die Kegelschnitte des Apollonius. 203 Beziehung auf neue Koordinatensysteme erhalt, oder uber- haupt mit den algebraischen Operationen der ana- lytischen Geometrie. Diese werden nur von Apollonius mit Hiilfe der geometrischen Algebra dargestellt. Die Brauchbarkeit dieser hierfiir wird man am besten er- kennen, wenn man die geometrische Form sieht, unter der Apollonius diejenigen Gleichungen fiir die Kegel schnitte darstellte, die er aus ihrer Lage auf dem Kegel ableitete. In diesen Gleicbungen werden sie, wie schon gesagt, auf einen Durchmesser und die dazu gehorigen halben Sehnen als Ordinaten bezogen. A B sei ein Durch messer 2 a einer Ellipse oder Hyperbel, C D die Half te einer dazu gehorigen Sehne. Dass dann das Quadrat CD 2 in einem konstanten Verhaltnis - zu dem Produkt 2a AC.CB stehen soil, das findet seinen Ausdruck dadurch, dass man in A und C auf A B die Senkrechten A E und CF errichtet, und auf der ersten AE=p abtragt. 3t dann F der Schnittpunkt zwischen CF und BE, so mss das Quadrat iiber CD dem Rechteck A F gleich sein ; denn C F ist dann eben - . C B. Die Hiilfsfigur 204 Die griechische Mathematik: rriacht also den geometrisch-algebraischen Apparat aus, durch den man dasselbe darstellt, was wir, wenn C D = y und AC = x, ausdriicken wiirden durch die Gleichung Man sieht, dass die dargestellte Grundeigenschaft dieselbe 1st, die man vor Apollo nius kannte (und die man deshalb mit Unrecht das Theorem des Apollo nius nennt). Die Darstellungsform stimmt durchaus mit den gewohnlichen Formen der geometrischen Algebra iiberein. Sie hat jedoch eine besondere Bedeutung dadurch erhalten, dass sie den neuen Benennungen zu Grunde gelegt 1st, die Apollonius den Kegelschnitten geben musste, nach- dem die Bestimmungsmethode, an welche die alten Be- zeichnungen sich anschlossen, aufgegeben war. Die Fi- gur, die benutzt wird, ist namlich dieselbe wie diejenige, welche, entsprechend der Umformung der Gleichung in * - ausdriickt, dass das Quadrat y 2 an die Strecke AE=p so angelegt ist, dass die Seiten des mangelnden oder uberschiessenden Rechtecks sich wie p : 2 a verhalten (vergl. Euklids 6tes Buch). In Ubereinstimmung mit den bei der Auflosung der Gleichungen zweiten Grades benutzten Bezeichnungen wird die dargestellte Kurve selbst Ellipse oder Hyperbel genannt, je nachdem dasRechteck E F mangelt oder iiberschiesst. Ist weder ein tJberschuss noch ein Mangel vorhanden, so hat man eine einfache Anlegung des Quadrates y 2 an p. Die Kurve y 2 =px hat dann denselben Namen Parabel bekommen, wie die einfache Flachenanlegung. 24. Die Kegelschnitte des Apollonius. 205 Man sieht, dass die geometrische Algebra hier genau dieselben Dienste leistet, wie die Algebra in der spateren analytischen Geometric. Wie wir jetzt die Grundeigen- schaft einer Kurve durch eine algebraische Gleichung ausdriicken, so wird sie bei Apollonius durch eine Figur dargestellt. Dadurch dass diese Hiili sfigur recht- winkelig zur Abscissenaxe gezeichnet 1st, auch wenn die Ordinaten diese unter schiefen Winkeln schneiden, erhalt sie eine gewisse Unabhangigkeit von der Figur, bei deren Untersuchung sie benutzt werden soil. Ebenso wie die algebraische Gleichung der Kurve vom zweiten Grade mit Bezug auf x ist, ebenso wird die Hulfsfigur dieselbe, die in den Elementen zur Darstellung und Losung einer Gleichung zweiten Grades benutzt wird. Gerade als Kurven von zweiter Ordnung haben die Kegelschnitte sich daher als so geeignet fiir die antike Behandlungsart erwiesen. Dass diese selbst der Algebra eine geometrische Form giebt, hat jedoch Veranlassung gegeben zu manchen Kombinationen des geometrischen Hiilfsmittels mit dem Gegenstande der geometrischen Untersuchung, die der analytischen Geometric ferner liegen wiirden, namentlich solange diese geometrische Fragen vollstandig in Rechen- aufgaben verwandelte. 1m Gegensatze hierzu gleicht die antike Behandlung etwas mehr der jetzt iiblichen Be- nutzung der analytischen Geometric, bei der man die geometrische Bedeutung der vorzunehmenden Umformungen nicht vergisst. Wir konnen allerdings hier nicht bis ins Einzelne die Umformungen der unter geometrischer Form dargestellten Gleichungen der Kurve verfolgen, wodurch man nach und nach zu dem Resultat gelangt, das wir als das Ziel des Buches bezeichnet haben, aber als Beispiel wollen wir doch ein Zwischenglied nennen, das eine Hauptrolle sowohl hier wie bei den weitergehenden Untersuchungen 206 Die griechische Mathematik: im 3ten Buche spielt. Ein Kegelschnitt mil dem Mittel- punkt C und den Durchmessern CE und CB wird als geometrischer Ort fur solche Punkte H betrachtet, dass das Viereck CMHT, welches begrenzt wird von diesen beiden Durchmessern, von der Linie H M, die den von CB halbierten Sehnen parallel 1st, und von der H T, die den von CE halbierten Seh nen parallel ist, einen konstanten Flacheninhalt erhalt. Fiir uns ist dieser Flachensatz allgernein giiltig, sobald wir die einzelnen Teile eines uneigentlichen Vier- ecks, wenn ein solches vorkommt, nach gewohnlichen Regeln mit Vorzeichen rechnen. Apollo nius dagegen muss ihn in mehrere verschiedene Satze zerlegen, deren Zusammenhang er jedoch offenbar vor Augen hat. Die Anwendung, die Apollonius im ersten Buche von diesem Satze macht, wird man verstehen, wenn wir darauf hin- weisen, dass der Satz zuerst aus der Gleichung abgeleitet wird, durch welche die Kurve auf den einen Durchmesser und seine Sehnen bezogen wird, und dass er darauf auf entsprechende Weise zu der Gleichung fuhrt, wodurch . Die Kegelschnitte des Apollonius. 207 die Kurve auf den anderen Durchmesser und seine Sehnen bezogen wird. Aus dem ersten Buche wollen wir noch die Be- stimmung der Tangenten erwahnen. Nach der Glei- chung der Kurve kommt es bei dieser darauf an, durch einen Punkt (a? , y } der Kurve eine Gerade so zu ziehen, dass jeder andere Punkt (a?, y] von dieser der Bedingung 11% 7/2 geniigt, worin fur die Parabel - - mit vertauscht wird. 2 d Apollonius zeigt, dass dies fiir die Ellipse und Hyperbel erreicht wird, wenn die Tangente und die Ordinate im Punkte (a? , y] den Durchmesser harmonisch teilen (die Bezeichnung harmonisch ist jedoch neueren Ursprungs). Der Beweis ist etwas zu weitlaufig, um hier wiederholt zu werden. Dagegen lasst sich der Beweis dafiir, dass eine, von einern Punkte (a? , y) der Parabel y 2 =px ge- zogene Gerade, welche die Abscissenaxe irn Punkte ( x , 0) trifft, Tangente der Parabel ist, sich etwa auf folgende Weise wiedergeben. Ist (x,y) ein Punkt dieser Geraden, so wird Da man nun durch Euklid weiss, dass die mittlere Proportionate zwischen zwei Grossen (ihr geometrisches Mittel) kleiner ist als ihr arithmetisches Mittel, oder dass x 208 Die griechische Mathematik: Wenn man recht erkennt, wie gut und vollstandig der Grund in Apollonius erstem Buche gelegt 1st, so versteht man urn so rnehr, wie er sich in mehreren von den iibrigen Biichern so hoch erheben kann, namentlich im Bten und zumteil im 5 ten Buche. Wir miissen uns hier damit begniigen, den Inhalt dieser verschiedenen Biicher in aller Kurze anzugeben. Im 2ten Buehe werden die Haupteigenschaften der Asymptoten und konjugierten Durchmesser auseinander- gesetzt. Ausser den zusammengehorenden Asten einer Hyperbel werden auch konjugierte Hyperbeln betrachtet, die in verschiedenen Winkeln zwischen denselben Asymp toten liegen und Durchmesser von gleicher Lange haben. Es werden namlich auch den Durchmessern, welche die Kurven nicht schneiden, Langen beigelegt, die in Wirk- lichkeit dieselben sind, die wir jetzt benutzen. Ausser- dem werden verschiedene Aufgaben iiber Durchmesser und Asymptoten gelost, darunter die Konstruktion von Mittelpunkt und Axen eines gegebenen Kegelschnittes, Konstruktion einer Tangente, die einen gegebenen Winkel mit dem Beruhrungsdurchmesser bildet u. s. w. Das 3te Bueh enthalt vor allem solche Satze, welche sich auf die Punkte der Kurven unabhangig von Durch messern und Axen beziehen. Der Ableitung dieser Satze wird der schon genannte Flachensatz zu Grunde gelegt, der in Wirklichkeit eine Beziehung der Kurve auf zwei nicht konjugierte Durchmesser darstellt. Man begreift, dass er auch einen guten Ausgangspunkt fiir den Beweis des auch von Archimedes gekannten Potenzsatzes ab- geben kann; denn dieser betrifft Sehnen mit gegebenen, aber willkiirlich gewahlten Richtungen. Die Hauptsatze iiber Pol und Pol are finden sich auch vor. Endlich kommt auch die Erzeugung eines Kegelschnittes durch zwei solche Geradenbiischel vor, die man jetzt pro- 24:. Die Kegelschnitte des Apollonius. 209 jektivische nennt. Die Scheitel der Biischel sind be- liebige Punkte A und C der Kurve, und die einander entsprechenden Geraden A M und C M werden dadurch bestimmt, dass sie auf den, zu den Tangenten in A und C gezogenen Parallelen die Stiicke C P und A Q abschneiden, welche ein Rechteck von konstantem Flacheninhalt bilden. Man sieht leicht, dass alle diese Satze unvollstandig und wenig ubersichtlich werden, wenn ein einzelner Hy- perbelast allein fur sich betrachtet wird. Man versteht deshalb, dass Apollonius neue AufTassung der beiden Kurvenaste namentlich seinem drittem Buche einen wesent- lichen Vorzug vor der friiheren Behandlung desselben Gegenstandes verliehen hat, selbst wenn einzelne Satze in begrenzterer Form vorher bekannt gewesen sind. Eine andere Reihe von Satzen desselben Buches ent- halt die einfachsten Bestimmungen von Tangenten ohne 210 Die griechische Mathematik: Benutzung der Beriihrungspunkte, namentlich von Tan- genten an eine Hyperbel als denjenigen Geraden, die auf den Asymptoten vom Mittelpunkt aus - - und von Tan- genten an eine Ellipse und Hyperbel als denjenigen Ge raden, die auf parallelen Tangenten vom Beriihrungs punkte aus Stucke abschneiden, die ein Rechteck von konstantem Inhalt bilden. Tangenten an eine Parabel werden als solche Geraden bestimmt, deren Schnittpunkte mit festen Tangenten gleichzeitig proportionale Strecken durchlaufen. Diese Satze erklaren das Ziel, welches zwei kleinere Schriften des Apollonius iiber den Verhaltnis- schnitt und den Flachenschnitt verfolgen. Die Auf- gaben: von einem Punkt aus eine Gerade zu ziehen, die auf zwei gegebenen Geraden von gegebenen Punkten an Stucke abschneidet, welche in einem gegebenen Ver- haltnis stehen oder ein Rechteck von gegebener Flache bilden, hat er in diesen Schriften mittels der geometri- schen Algebra gelost und - - wenigstens in der erhaltenen Schrift iiber den Verhaltnisschnitt mit einer fast pein- lichen Beriicksichtigung aller Einzelheiten diskutiert. Die Losung dieser Aufgaben mittels Zirkel und Lineal liefert in der That, gernass den erwahnten Satzen des 3ten Buches iiber die Kegelschnitte, die Bestimmung einer Tangente von einem gegebenen Punkte an einen hinlanglich be- stimmten Kegelschnitt. Noch ein bemerkenswerter kleiner Abschnitt ist in demselben dritten Buche enthalten, namlich eine el emeu- tar-geometrische Behandlung derLehre von den Brenn- punkten der Ellipse und Hyperbel. Die Lage dieser Punkte F und F 1 auf der Hauptaxe AA l ist, wie angegeben wird, dadurch bestimmt, dass das Rechteck A F. FA l gleich J ap sein muss, wo 2 a und p die Lange der Axe und des Parameters bezeichnen. Mit Hiilfe der eben genannten Bestimmung von Tangenten an die Ellipse 24. Die Kegelschnitte des Apollonius. 211 und Hyperbel ergiebt sich dann, dass das Stuck, welches die Tangenten in A und A auf einer beweglichen Tan- gente abschneiden, von F und F^ aus unter einem rech- ten Winkel gesehen wird, wonach die iibrigen Hauptsatze leicht zu erreichen sind. t)ber den Brennpunkt der Pa- rabel findet sich merkwiirdigerweise nichts bei Apollo nius. Pappus Hiilfssatze zu einer verlorenen Schrift Euklids lassen jedoch vermuten, dass dieser Punkt teil- weise wenigstens schon dem Euklid bekannt war. Im 4ten fiuche wird die grosste Anzahl (Maximum) der Schnittpunkte zwischen zwei Kegelschnitten bestimmt. Hier giebt Apollonius in der Vorrede ausdriicklich an, dass sein personlicher Fortschritt in der Bezugnahme auf beide Aste der Hyperbel besteht, ein Umstand, der hier eine Hauptrolle spielt. Bei unserer Auseinandersetzung iiber die Behandlung raumlicher Aufgaben durch die Alten werden wir genauer iiber das 5te Buch reden. Das 6te Bueh handelt teils iiber ahnliche Kegelschnitte, teils enthalt es einige Erweiterungen der im ersten Buche vor- genommenen Konstruktionen von Kegeln durch vorgelegte Kegelschnitte. Das 7te Buch enthalt eine grossere Sammlung von Ausdriicken fur gewisse Funktionen von den Langen kon- jugierter Durchmesser, von den zugehorenden Parametern u. s. w. Namentlich kommen hier die wichtigen Satze vor, dass der Inhalt desjenigen Dreiecks, welches von einem Paare konjugierter Darchmesser (die bei der Hy perbel Durchmesser konjugierter Hyperbeln sind) und der zwischen ihnen liegenden Sehne gebildet wird, konstant ist, ebenso wie die Summe oder Differenz der Quadrate von konjugierten Durchmessern. In den anderen Fallen, wo die Funktionen sich nicht als konstant erweisen, werden ihre Maximal- oder Minimalwerte gesucht. Da nun an- gegeben wird, dass das 7te Buch die Beweise fiir die 14* 212 Die griechische Mathematik: Diorismen der Aufgaben enthalt, die in dem jetzt ver- lorenen 8 ten Buch ihre Losung fanden, so miissen diese Aufgaben darauf ausgegangen sein solche konjugierte Durchmesser zu finden, fiir welche diese Funktionen ge- gegebene Werten haben. Die Ausdriicke, welche im 7 ten Buche fiir diese Funktionen gefunden sind, haben sofort die fiir die Losung der Aufgaben erforderlichen Glei- chungen geliefert. 25. Raumliche Orter und Aufgaben, Der ursprungliche Zweck der Lehre von den Kegel- schnitten bestand darin, wie wir bereits angegeben haben, geometrische Orter herzustellen, die sich bei der Losung solcher Aufgaben benutzen liessen, bei denen die Gerade und der Kreis nicht mehr ausreichten. Aufgaben, die sich mit Hiilfe der Geraden und des Kreises losen lassen, heissen ebene Aufgaben, und Gerade und Kreis heissen als geometrische Orter ebene Orter. Im spateren Alter- tum nahm man an, dass der letzte von diesen Namen der ursprungliche sei und daher riihre, dass die angefiihrten Linien urspriinglich als in einer Ebene liegend bestimmt werden. Es ist jedoch genau eben so wahrscheinlich, dass der Name eben urspriinglich solchen Aufgaben an- gehort hat, die von Gleichungen von hochstens deni zweiten Grade abhangen, also in der geometrischen Algebra in der Ebene durch Relation en zwischen Flachen dargestellt werden. Ist das richtig, so hat der Name rauniliche Aufgaben* urspriinglich solchen angehort, die von Glei chungen 3ten Grades abhangen und durch Relationen zwischen Parallelepipeden dargestellt werden. Raumliche Orter bezeichnen solche geometrische Orter, die Kegel- schnitte sind. Man darf annehmen, dass dieser Name 25. Raumliche Orter und Aufgaben. 213 daher riihrt, dass sie fiir die Losung von raumlichen Auf gaben bestimmt waren. Bereits im spateren Altertum nahm man jedoch an, dass umgekehrt der Name raum- liche Orter der altere sei und von der stereometrischen Definition der Kegelschnitte herriihre. Leider ist die Schrift des Aristaus, in der die Kegel schnitte namentlich als geometrische Orter behandelt worden sein sollen, verloren gegangen, und wir wissen nichts von spateren Werken, in denen dasselbe Ziel verfolgt ist. Da jedoch Apollonius Lehre von den Kegelschnitten denselben Gegenstand von einer anderen Seite behandelt hat, so lasst sich daraus schliessen, welche raumlichen Orter man gekannt hat oder doch leicht hat finden konnen, sobald in einer Aufgabe Verwendung dafiir war. Bereits aus Apollonius erstem Buche sieht man, dass dies nicht nur der Fall gewesen sein muss, wenn gewisse gegebene Linien sich sofort als konjugierte Durchmesser oder dergleichen ergaben. Im Flachensatze wird namlich die Kurve auf zwei nicht konjugierte Durchmesser be- zogen. Das dritte Buch fuhrt uns jedoch weiter, teils durch seinen eigenen allgerneineren Charakter, teils da- durch, dass Apollonius ausdmcklich angiebt, wozu es benutzt werden soil. Seine besondere, gewiss durch Ein- fuhrung der beiden Hyperbelaste vervollstandigte, Behand- lungsart soil namlich nach seiner eigenen Angabe den Mangeln bei der alteren Bestimmung raumlicher Orter abhelfen. Unter diesen Ortern wird ausclriicklich der Ort zu drei oder vier Geraden genannt. Der Ort zu vier Geraden ist diejenige Kurve, welche, wenn a?, i/, z und u, gemessen auf Schiefen von gegebenen Richtungen, die Abstande eines Punktes von vier festen Geraden be- zeichnen und k eine Konstante bedeutet, durch die Glei- chung x z = k y u 214 Die griechische Mathematik: dargestellt wird. Der Ort zu drei Geraden wird auf ahn- liche Weise durch die Gleichung dargestellt. Altere, nicht ganz vollstandige Beweise dafiir, dass diese Orter Kegelschnitte sind, muss Apollonius als so wohl bekannt voraussetzen, dass seine Leser, ohne dass die Beweise wiederholt wurden, sehen konnten, dass sie durch sein 3tes Buch vervollstandigt wurden. Dieses Buch muss also die Voraussetzungen vervollstandigt haben, auf denen man vorlier diese Beweise auffiihrte und auch fort- fahren sollte sie aufzufiihren. Wir, die wir die altere Bestimmung der Orter nicht kennen, konnen nur aus dem, was im Buche vorliegt, versuchen Schliisse auf diese zu ziehen. Das ist nicht so schwierig fiir den Ort zu drei Geraden. Dass ein beliebiger Kegelschnitt em sol- cher Ort ist, leitet Apollonius namlich selbst (im Ver- laufe des Beweises fiir die erwahnte Erzeugung durch projektivische Biischel) ab aus einem speciellen Falle des Potenzsatzes. Dass er auch ein Ort zu vier Geraden sein kann, lasst sich in dem Falle, wo zwei gegeniibeiiiegende Geraden, y = und a = 0, parallel sind, aus dem all- gemeinen Potenzsatz ableiten. Daes schon hierdurch viel erreicht ist, sieht man am besten durch cine Zusammenstellung mit der Darstellung eines raumlichen Ortes* durch die analytische Geometrie. Nimmt man einen Punkt dieses Ortes zum Anfangspunkt, so erhalt man eine Gleichung von der Form ax 2 -\-bxy-\-cy 2 -\- dx + ey = Q oder 25. Raumliche Orter und Aufgaben. 215 Die Kurve wird also geradezu als Ort zu vier Geraden dargestellt, von denen zwei gegeniiberliegende parallel sind. Da nun die von den Alten vorgenommene Um- legung von Flachen und Einfuhrung von Koefficienten mittels der Proportionslehre genau unserer Behandlung von Ausdriicken zweiten Grades entspricht, so wird die jetzige Darstellung einer Kurve durch eine allgemeine Gleichung zweiten Grades ziemlich genau der antiken Darstellung als Ort zu vier Geraden, von denen zwei gegeniiberliegende parallel sind, in geometrischer Trag- weite entsprochen haben. Hierauf liess sich auch der allgemeine Ort zu vier Geraden zuruckfuhren. Dass man wirklich ein Auge fur diese umfassende Bedeutung des Ortes zu vier Geraden hatte, geht aus dem Gewicht her- vor, das Apollo nius darauf legt, gerade die Behandlung dieses Ortes verbessert zu haben. Ubrigens scheint auch Euklids verlorene Schrift iiber Porismen Mittel zu sol- chen Umformungen angegeben zu haben, wie sie hier Verwendung finden konnten. Es giebt eine verlorene Schrift des Apollo nius, die man mit dem Ort zu vier Geraden in Verbindung bringen konnte, namlich die Schrift iiber den bestimm- ten Schnitt. Man weiss namlich, dass diese die Kon- struktion von Punkten auf einer Geraden enthalten hat, deren Abstande von zwei Punktepaaren derselben Geraden Rechtecke von gegebenem Verhaltnis bilden, sowie eine sorgfaltige Diskussion dieser Aufgabe. Auf diese Aufgabe wird die Bestimmung der Schnittpunkte zwischen einer Geraden und einem Ort zu vier Geraden zuruckgefiihrt, wenn alle vier Abstande parallel mit der gegebenen Geraden gerechnet werden. Fasst man die Sache so auf, so fallt die Bestimmung eines Ortes zu vier Geraden zusammen mit dem Satze iiber Involution der Schnittpunkte einer Geraden mit einem Kegelschnitte und mit den gegeniiber- 216 Die griechische Mathematik: liegenden Seiten eines einbeschriebenen Vierecks, der spater von Desargues wiedergefunden 1st und seinen Namen tragt. Sicher 1st es, dass die Schrift iiber den bestimmten Schnitt einzelne wichtige Teile der jetzigen Lehre von der Involution enthalten hat. Wie soeben angefiihrt waren raumliche Aufgaben wohl ursprunglich solche, die von Gleichungen dritten Grades abhingen und stereometrisch dargestellt wurden. Spater dagegen wurde der Name mit der Losung durch Kegelschnitte verbunden, und dadurch kam es, dass er faktisch auch solche Aufgaben umfasste, die wenn man sie auf eine Gleichung gebracht haben wiirde - von Gleichungen vierten Grades abhangig gewesen waren. Die einfachste raumliche Aufgabe, die reine kubische Gleichung, haben wir bereits in der Form der Frage nach der Multiplikation des Wiirfels kennen gelernt, und wir haben zugleich gesehen, wie die Benutzung von Kegel- schnitten sich ursprunglich an die Losung dieser Aufgabe kniipfte. Andere Beispiele sind uns begegnet in der Drei- teilung des Winkels oder in den Einschiebungen, worauf diese zuriickgefiihrt wird, und wir haben erwahnt, dass Archimedes in der Schrift iiber die Spiralen einen anderen Gebrauch von denselben Einschiebungen macht. Wie diese durch Kegelschnitte ausgefuhrt wurden, das hat uns Pappus mitgeteilt. Die wichtigsten Beispiele fur die Losung raumlicher Aufgaben durch Kegelschnitte, die wir aus den besten Tagen der griechischen Mathematik besitzen, finden sich jedoch in der uberlieferten Behandlung der Gleichung, auf welche Archimedes seine Teilung der Kugel zu- riickfubrt (vergl. S. 185), und in der Konstruktion von Normalen von einem Punkte an einem Kegelschnitt im 5ten Buche des Apollonius. Was diesen Losungen 25. Raumliche Orter und Aufgaben. 217 namentlich Interesse verleiht, 1st die Sorgfalt, mit der sowohl die Bedingungen fiir die Moglichkeit auseinander gesetzt werden, sowie auch die verschiedene Anzahl von Losungen, die man erhalt, wenn man den gegebenen Grossen verschiedene Werte beilegt. Dadurch tritt - - in voller Ubereinstimmung mit dem, was wir iiber die Be- deutung der geometrischen Konstruktion bei den Griechen gesagt haben - - deutlich hervor, dass die Konstruktion durch Kegelschnitte nicht so sehr ein Mittel - - und zwar ein sehr diirftiges ist um die gesuchten Grossen her- zustellen, sondern vielmehr ein gutes theoretisches Mittel um zu untersuchen, in welchen Fallen sie existieren. Die Bestimmungen der Maxima und Minima, die man dadurch fiir die gegebenen Grossen erhalt, sind die wirklichen und bedeutungsvollen geometrischen Satze, die das Haupt- ziel der Untersuchung bildeten. Wir haben gesehen, dass Archimedes die Kugel- teilung zuriickfuhrte auf die Gleichung DB* :DX*=XZ: T Z, wo D, B, T und Z bekannte Punkte, X ein gesuchter Punkt einer Geraden ist. In dem bereits erwahnten iiber- lieferten Manuskript, das vielleicht von Archimedes selbst herrahrt und einen Anhang zu seinem 2ten Buch iiber die Kugel und den Cylinder gebildet hat, wird diese Aufgabe auf eine Weise gelost, die wir am leichtesten in modernen algebraischen Zeichen folgendermassen wieder- geben konnen. Schreiben wir seine Gleichung in der Form und setzen wir diese beiden Quotienten gleich-, wo e y eine beliebige Gerade ist, so lassen sich x und y bestimmen 218 Die griechische Mathematik: b 2 als Schnittpunkte zwischen der Parabel x 2 = . y und G der Hyperbel (a x)y = ce. Bei den Anwendungen auf die Kugelteilung sind die Konstanten, die wir hier mit a und c bezeichnet haben, positiv, und es kommt darauf an, einen solchen Wert von x zu bestirnmen, dass < x < f a, da X zwischen D und B, denEndpunkten desKugeldurchmes&ers DB=\DZ, fallen muss. Die erhaltene Darstellung der Gleichung be- greift jedoch auf Grund der verschiedenen Lagen, die man Z und T erteilen kann, oder die man den gesuchten Punkt X einnehmen lassen kann, alle Gleichungen von der Form in sich, und die Aufgabe lasst sich so stellen, dass man alle Wurzeln mit bekommt. Wir haben hier also ein Beispiel fur das, was wir schon friiher gesagt haben, dass namlich, wenn die Griechen auch nicht unsere Benutzung der Vorzeichen kannten, die geometrische Darstellung diesen Mangel immerhin weniger fiihlbar machte. Was nun die Grenzbedingungen betrifft, so werden diese bei den einzelnen Aufgaben zum Teil darauf beruhen, ob der Punkt X auf oder neben die Intervalle fallt, welche die vorliegende Aufgabe fordert; was aber zugleich bei alien diesen Aufgaben eine Hauptsache bleibt, das ist die Erkennung der Grenzfalle, in denen die Kegelschnitte sich beriihren, zwei Wurzeln also zusammenfallen ; denn dadurch wird der tJbergang zwischen den Fallen gebildet, in denen diese beiden Wurzeln reell sind, also nach der damals geltenden Auffassung wirklich existiren konnten oder nicht. In dem aufbewahrten Bruchstiicke wird an- gegeben, dass dieser tTbergangsfall eintritt, wenn x = a, 25. Raumliche Orter und Aufgaben. 219 wenn also b z c = - r a 3 . Ist dagegen x ^ J a, so muss b 2 c <C T^y a 3 sein, was also die Bedingung fur zwei Auf- losungen wird. Dies wird leicht bewiesen mit Hiilfe der Satze iiber die Tangenten der Kegelschnitte. Soil namlich die Tangente der Parabel im Punkte P die Hyperbel be- riihren, deren Asymptoten die Geraden y = und y = a sind, so muss P die Mitte des Stiickes der Tangente sein, welches die Asymptoten abschneiden. Der Schnittpunkt >S der Tangente mit der Abscissenaxe, die Tangente im Scheitelpunkt der Parabel ist, soil ferner die Mitte zwischen P und : dem Schnittpunkt mit der Ordi- natenaxe sein. Daraus ergiebt sich, dass D Q, die Abscisse von P, gleich | DZ ist. Man iiberzeugt sich leicht, dass, wie Archimedes sagt, die fur die Moglichkeit der Losung gestellte Bedingung, & 2 c<^ 7 a 3 , wirklich bei der Kugelteilung erfiillt ist, bei der der Punkt B auf Q, und T zwischen Q und Z fallt. Man erhalt jedoch nur eine Losung, da die Punkte X auf verschiedene Seiten von B fallen wurden, und man nur denjenigen benutzen kann, der auf DB fallt. Archimedes fiihrt also seine Aufgabe tiber Kugel teilung zuriick auf eine kubische Gleichung von sehr allgemeiner Form, die, wie bereits bemerkt wurde, auch einen Beweis liefert fur den letzten Satz des zweiten Buches iiber die Kugel und den Cylinder, und die ferner Anwendung findet bei einigen von Archimedes an anderen Orten gestellten Aufgaben iiber die Bestimmung von Segmenten von Ellipsoiden und Hyperboloiden rnit gegebenem Volumen. Apollonius Bestimmung von Nor- 220 Die griechische Mathematik: malen 1st dagegen ein Beispiel fur eine Aufgabe, die di- rekt durch Kegelschnitte gelost wird ohne Aufstellung einer Gleichung. Wir wollen uns damit begniigen seine Lo- sung in der Sprache der jetzigen Algebra mitzuteilen. sei ein Punkt (a? lf 1/j) der an einen Punkt M O, y) eines Kegel- schnittes gezogenen Normalen, G der Schnittpunkt dieser Nor malen mit der Hauptaxe, und N die Projektion von M auf dieselbe Axe. Nehmen wir dann diese zur Abscissenaxe und rechnen wir, um die von Apollonius besonders behandelten Falle zusammen- zufassen, die Grossen nach moderner Weise mit Vor- zeichen, so haben wir y NG N G 1st die Grosse, die wir jetzt die Subnormale nennen, und betragt fur die Parabel ^-; dadurch verwandelt sich die gefundene Gleichung in -(! -)f-*if-0; fiir die Ellipse und Hyperbel ist die Subnormale, wenn man den Mittelpunkt zum Anfangspunkt nimmt, beziehungs- weise + a?, und dadurch verwandelt sich die Gleichung in 25. Raumliche Orter und Aufgaben. 221 In beiden Fallen wird, wenn der Punkt (a? 1 , y^} ge- geben 1st, der Punkt (a?, y) auf einer Hyperbel liegen, deren Schnittpunkte mit der gegebenen Kurve die Fuss- punkte der vom Punkte (x l} y^) ausgehenden Normalen sein werden. Diese Bestimmung der Normalen benutzt Apollo nius urn ausfiihiiich zu untersuchen, wie viele Normalen sich von den verschiedenen Punkten der Ebene ziehen lassen. Die Hauptsache ist hier diejenigen Punkte zu bestimrnen, deren entsprechende Hyperbeln die gegebene Kurve beruhren. Die von diesen Punkten gebildete Kurve bildet namlich den Ubergang zwischen den Teilen der Ebene, die so beschaffen sind, dass man von den Punkten des einen Teiles zwei Normalen mehr ziehen kann als von denjenigen des an deren. Indem Apollonius die Be- dingungen fiir die erwahnte Beruhrung sucht, findet er, wie man die Ordinate eines Punktes dieser Kurve be- stimmen kann, wenn man die Abscisse kennt. Die Kurve ist dieselbe, die man jetzt die Evolute des Kegelschnittes nennt. Indessen ist weder bei Apollonius noch bei den Alten iiberhaupt die Rede von irgend einer genaueren Untersuchung dieser Kurve, als die hier angefuhrte ist. 26, Die berechnende Geometric, Aus Archimedes Integrationen, wie wir sie genannt haben, aus Apollonius Lehre von den Kegelschnitten und aus der von den Griechen gemachten Anwendung der Kegelschnitte zur Diskussion von Aufgaben, die in unserer Mathematik von Gleichungen dritten und vierten Grades abhangen, erkennen wir, bis zu welcher Hohe die griechische Geometrie und die Mathematik in geometrischer Form sich gehoben hatten. Wir haben friiher gesehen, mit welcher Strenge man die Algemeingiiltigkeit dieser Mathematik 222 Die griechische Mathematik: sicher stellte. Wir haben indessen auch oft Gelegenheit gehabt zu erwahnen, dass man bei diesem Streben nach Algemeingultigkeit zu wenig Gewicht legte auf die Ent- wickelung der Hiilfsmittel fiir wirkliche numerische Berech- nung, durch welche die Mathematik praktische Anwendung erhalten konnte. Selbstverstandlich vernachlassigte man jedoch diese Seite der Sache nicht ganz. Man fuhr fort die geometrischen Satze, die man von den agyptischen Landmessern gelernt hatte, auf das Landmessen anzuwenden, und fiigte dazu auch die Anwendung der einfachsten von den Satzen, die man selbst fand. Es wiirde ungereimt sein anzunehmen, dass die Mathematiker, die Einsicht genug besassen um ihren Resultaten eine so allgemeingultige Form zu geben, nicht auch eben dadurch die specielle Anwendbarkeit dieser Resultate auf die numerischen Aufgaben kennen sollten, die in der Praxis vorkommen konnen. Denjenigen, welche eine so scharfsinnige Lehre von den Proportionen ausgearbeitet haben, haben die Mittel fiir die Behandlung solcher Aufgaben, die in der Praxis unter die einfache oder zusammengesetzte Regula de Tri gehoren, nicht gefehlt. Hero - - bei dem wir zugleich eines von den geometrischen Resultaten antreffen, von dessen Anwendung in der Praxis narnentlich die Rede sein konnte, namlich die Bestirnmung des Inhaltes eines Dreiecks aus seinen Seiten - hat in seinen Aufgabensammlungen Zeugnis gegeben von der numerischen Anwendung wenigstens der einfachsten planimetrischen und stereometrischen Satze und von der Auflosung von Gleichungen zweiten Grades. Das beschrankte Gebiet der Geometrie, aus dem diese Anwendungen genommen werden, und der bescheidene Grad von Genauigkeit, rnit dem Hero sich bei seinen Berechnungen begniigt, deuten jedoch darauf bin, dass 26. Die berechnende Geometrie. 223 in der That guter Grand vorhanden 1st, diese Seite der griechischen Mathematik etwas niedriger zu stellen. Es war nicht ausschliesslich der schon (S. 57 61) erwahnte Mangel an Rechenfertigkeit, der in den besten Tagen der griechischen Geometrie ihrer Anwendung auf wirklicheBerechnungen Hindernisse entgegenstellte, sondern ihre Resultate waren fur solche nicht besonders eingerichtet. Die Aufgaben werden in der Form von Konstruktionen gelost, und diese lassen sich gewiss oft in Berechnung umsetzeri, so wie man es sicher lange vor Hero gethan hat. Indessen giebt es, selbst wenn wir uns an die elementare Geometrie halten wollen, ein wichtiges Gebiet, auf dem diese Umsetzung sich nicht bewerkstelligen lasst, namlich dasjenige, wo unter den Grossen, die sich durch einander bestimmen lassen sollen, nicht bloss Strecken, Flachen und Volumina vorkommen, sondern auch Winkel. Mit anderen Worten, die Griechen besassen in der besten alexandrinischen Zeit noch keine Trigonometric, ein Mangel, dem erst die grossen Geometer und Astronomen jener Zeit abzuhelfen begannen. Bevor dies geschah, war man jedoch nicht ganz von solchen Untersuchungen aus- geschlossen, die man jetzt auf trigonometrischem Wege vornimmt. Die Satze 12 und 13 im 2ten Buche von Euklids Elementen driicken ganz dasselbe aus wie die Formel a a =62 +c 2 Zbccosa und lassen sich ebenso ganz wie diese bei alien allge- meinen Untersuchungen anwenden, bei denen der Winkel a nicht gerade in Winkelmaass gegeben ist oder in solchem auszudrucken versucht wird. Wie scharf man den Zusammenhang zwischen der Grosse von Winkeln und dem Verhaltnisse von Strecken auffasste, geht aus den Satzen in Euklids Data hervor, die aussagen, dass ein Dreieck unter gewissen Bedingungen der Gestalt nach 224 Die griechische Mathematik: gegeben 1st. Nach Satz 80 dieses Buches 1st das der Fall bei einem Dreieck, von clem ein Winkel und das Verhaltnis zwischen dem Rechteck aus den einschliessenden Seiten und dem Quadrat der gegenuberliegenden Seite gegeben sind. Die iibrigen Winkel des Dreiecks und die Verhaltnisse zwischen seinen Seiten werden also durch diese Grossen bestimmt. Im iibrigen enthalten die Data weitergehende Satze derselben Art. Fiir numerische Berechnung lassen solche Satze sich jedoch erst dann benutzen, wenn unter der einen oder anderen Form der Zusammenhang zwischen einem in Winkelmaass gegebenen Winkel und dem Verhaltnis von Strecken bestimmt 1st. Einen derarligen Zusammenhang kannte man wohl fur die wenigen Centriwinkel reguliirer Polygone, deren Seiten man konstruieren und dadurch berechnen konnte; aber teils scheint man diese Berech nung lange unteiiassen zu haben, teils war hier nur die Rede von ganz einzelnen Winkeln. Hieraus lasst sich schliessen, dass die Anwendung der Mathematik auf die Astronomic, die mit Eudoxus ihren Anfang genommeii hatte, zu Euklids Zeiten noch nicht zu sonderlich genauen Bestimmungen gefiihrt haben kann. Denn das, was man einigermassen genau beob- achten kann, sind eben Winkel, und diese verstanden die Mathematiker nicht zu gebrauchen, weshalb man dann wieder umgekehrt auf derartige Bestimmungen keinen Fleiss verwandte. Man hat sicher in der Schule des Eudoxus und namentlich in derjenigen Platos seine Gleichgiiltigkeit in dieser Beziehung auf dieselbe Weise beschonigt wie die Gleichgiiltigkeit gegeniiber der aus- fiihrlichen Berechnung von irrationellen Grossen, und gemeint, dass man sich, wenn sich bei empirischen Be stimmungen doch keine mathematische Genauigkeit er- reichen liesse, ebensogut mit einer groberen Bestimmung 26. Die berechnende Geometrie. 225 begniigen konne. Wenn man solche als Postulate auf- stellte, so kam es nur darauf an mit absoluter Sicher- heit diejenigen Resultate abzuleiten, die aus diesen einmal aufgestellten Voraussetzungen folgen. Wurde man nun auch auf diese Weise dahin gebracht das Messen von Winkeln zu vernachlassigen, so mussten dennoch Winkelgrossen sich bei den astronomischen Be- stimmungen von selbst geltend machen. Beispielsweise konnten sie sich darbieten als Verhaltnisse zwischen den Zeiten, in denen ein Bogen und der ganze Kreis bei einer gleichformigen Kreisbewegung durchlaufen werden. Ein Beispiel fiir die Art und Weise, wie man bei richtigen mathematischen Schliissen diese Art von Bestimmungen anzuwenden verstand und zugleich ein Beispiel fiir die Ungenauigkeit der darnaligen Bestimmung von Winkeln - besitzen wir in einer uberlieferten Untersuchung des Ari starch von Samos iiber Abstand und Grosse der Sonne und des Mondes. Bei dieser Untersuchung, bei der Aristarch jedoch Vorganger gehabt hat, namentlich den Eudoxus, wird teils der Radius des Erdschattens in der Entfernung des Mondes von der Erde benutzt, dessen Verhaltnis zum Radius des Mondes aus der Dauer der Verfinsterung berechnet wird, teils der Winkelabstand zwischen Sonne und Mond in dem Augenblick, wo der Mond sich genau halb erleuchtet zeigt. Wahrend irn iibrigen der Proportionslehre gemass mit Verhaltnisse n zwischen Entfernungen und Radien operiert wird, wird dieser letzte Winkel in Winkelmaass gefunden. Sein Komplement wird von Aristarch auf 3 veranschlagt, und daraus wird abgeleitet, dass der Abstand der Sonne 19mal so gross ist wie del- des Mondes, was dasselbe ist als wenn man annimmt, dass in unserer trigonometrischen Sprache sin 3 ^g. 15 226 Die griechische Mathematik: Um dahin zu gelangen, benutzt Ari starch einen Hiilfssatz, der sich trigonometrisch folgendermassen aus- driicken lasst: Wenn der Winkel ft von bis wachst, ft ft so wircl das Verhaltnis -wachsen and ^ abnehmen. sin ft tgft Diesen Satz betrachtet er als bekannt, und wir erkennen auch leicht die Verbindung zwischen ihm und alteren Untersuchungen, deren Bedeutung uns dadurch klarer wird. ft ft und - - sind namlich dem Radiusvector und der sinft tgft Abscisse der Quadrat rix (vergl. S. 77) proportional, und die angefuhrten Resultate haben sich dann natiirlich an die Untersuchung dieser Kurve angeschlossen. Zugleich wusste man aus der Bestinimung der Seiten regularer Polygone, dass sin 77 = ^ und tg = " JT- 1 oder, da \/2> , dass tg < . Hieraus erhalt man zur 5 o 1.2 Bestimmung von sin 3 oder sin n I n 1 Sm 60>10 8 ^6 > 20 . jz JT 2 5 1 mithin naherungsweise sm3 = T 1 g . Es ist beachtenswert, dass sich dasselbe Verfahren, da sinft <^ft<itgft, oder wie die Griechen es ausdriicken, da ein einbeschriebenes Polygon einen kleineren, ein um- beschriebenes einen grosseren Umfang hat als der Kreis, auf eine genahrte Bestimmung von n anwenden lasst. Danach ergiebt sich Bestimmungen dieser Art konnte man seit den Zeiten 26. Die berechnende Geometric. 227 Antiphons und Brysons (S. 69, 70) ausfiihren, denn da man die von diesen begangenen Fehler erkannte, war man auch imstande sie zu vermeiden. Die geometrischen Hiilfsmittel fur die Erreichung einer grosseren Genauigkeit, die in der Berechnung der Umfange von regularen Poly- gonen mit mehr Seiten bestehen wiirden, besass man auch zu den Zeiten Euklids. In dieser Beziehung diir- fen wir namlich nicht nur an Polygonseiten den ken, deren Irrationalitat er ausdrucklich darstellt, denn dabei beschrankt er sich auf diejenigen, die bei der Konstruk- tion regularer Polyeder, benutzt werden, und er teilt nicht alles mit, was man, nach seinem Buche und z. B. nach Aristarchs Benutzung der Seite des regelmassigen um- beschriebenen Achtecks f 2 tg \ zu urteilen, damals ver- mochte. Um jedoch wirklich die vorliegenden geome trischen Hiilfsmittel fiir eine genauere Bestimmung von jz, oder fiir eine genauere Anwendung gemessener Winkel zu benutzen, musste sich einmal das Bediirfnis nach solchen zeigen, und zweitens war grosse Energie er- forderlich um damals eine Berechnung durchzufiihren, bei der verschiedene Quadratwurzeln auszuziehen waren. Unter anderem machte sich dies Bediirfnis geltend bei der, im Vergleich mit fruheren Messungen, genaueren Bestimmung der Schiefe der Ekliptik durch Eratosthenes und bei seiner Gradmessung. Um bei diesen den Unter- schied in der Polhohe und die Entfernung von zwei Orten mit nahezu gleicher Lange fiir die Berechnung des Erddurchmessers zu benutzen, musste man eine leidlich gute Bestimmung von n besitzen. Archimedes war es, der in seiner Kreismessung die Schwierigkeiten iiberwandt, die sich einer solchen entgegen stellten. Wir wollen hier kurz iiber den Inhalt seiner Schrift berichten, in der jedoch leider keine Aufklarung dariiber enthalten ist, wie 15* 228 Die griechische Mathematik: er die grosste der vorhandenen Schwierigkeiten iiberwand, namlich die Bestimmung der Quadratwurzeln. Archimedes beginnt damit mittels des Exhaustions- beweises darzuthun, dass der Kreis denselben Inhalt hat wie ein Dreieck, das die Peripherie zur Grundlinie und den Radius zur Hohe hat. Dadurch wird die Quadratur des Kreises auf die Berechnung der Kreisperipherie zuriickge- fiihrt. Archimedes beweist, dass das Verhaltnis dieser Peripherie zum Durchmesser, also die Zahl, die in neuerer Zeit n genannt worden ist, kleiner als 3^, aber grosser als 3^ ist. Das wird dadurch bewiesen, dass selbst der Umfang des einbeschriebenen 9 Geeks grosser ist als 3^J d, und selbst der Umfang des umbeschriebenen 96ecks kleiner ist als 3^ c?, wenn wir niit d den Durch messer des Kreises bezeichnen. Zu diesem Ergebnis gelangt Archimedes dadurch, dass er aus den Verhaltnissen zwischen den Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks mit einem gewissen Winkel x die Verhaltnisse zwischen den Seiten eines rechtwinkeligen Dreiecks mit dem halben Winkel (J x) bestimmt. Wenn er die obere Grenze fiir die Peripherie sucht, so lasst er die Dreiecke mit den YVinkeln x und ^x die diesen Winkeln anliegende Kathete gemeinsam haben, und wenn er die untere Grenze sucht, die Hypotenuse; in beiden Fallen aber lasst die gefundene Relation zwischen den Verhaltnissen sich in der trigonometrischen Sprache unserer Zeit wiedergeben durch sinx ( tgx \ loder- - ). \ secx1/ l+cosx\ secx+ Diese Ubereinstimmung wird bei der Anwendung jedoch durch den Umstand verdeckt, dass bei der einen Untersuchung obere Grenzen fiir die Quadratwurzeln ge- braucht werden, zu denen der tFbergang zwischen den 25. Die berechnende Geometric. 229 Verhaltnissen verschiedener Seiten desselben rechtwinke- ligen Dreiecks (sm 2 x -f cos 2 a?= 1) Veranlassung giebt, und bei der anderen untere Grenzen, und dass diese durch verschieden gebildete Naherungswerte ausgedriickt werden. Indera Archimedes von einem rechtwinkeligen Dreieck mit dem Winkel ausgeht und wiederholt zu neuen Drei- b ecken iibergeht, findet er, dass (mit unseren trigonome- trischen Bezeichnungen fur die untersuchten Verhaltnisse) si 153 n 66 ^96 ^46731 96" 2017* und gelangt dadurch zu den oben angegebenen Grenzen fiir n. Nachdem durch Archimedes Arbeit das Eis ein- mal gebrochen war, soil A polio ni us eine noch genauere Berechnung geliefert haben. Vielleicht riihrt von ihm der Wert 3,1416 her, der im wesentlichen der Genauig- keit entspricht, die sich spater in den Sehnentafeln des Ptolemaus findet, und dem wir spater bei indischen Schriftstellern begegnen werden. Archimedes Schrift enthalt f aktisch Bestimmungen der unteren Grenzen fiir sin und der oberen Grenzen n fiir tg- fiir n = 6, 12, 24, 48, 96. Die letzte Bestim mung liefert auch eine brauchbare obere Grenze fiir , und Ari starch s Arbeit zeigt, dass man imstande war sie zu benutzen. Apollonius Bestimmung von n muss zu einer noch genaueren Bestimmung des sinus eines kleinen Bogens oder derjenigen Grosse gefiihrt haben, iiber deren Werte wir Tabellen von spateren grie- chischen Astronomen besitzen, namlich der Sehne des 230 Die griechische Mathematik: doppelten Bogens. Um eine vollstandige Tafel der Sehnen zu Vielfachen dieses kleinen Bogens zu berechnen, 1st nun welter nichts erforderlich als die Kenntnis des Satzes iiber einbeschriebene Vierecke, der jetzt der ptoleinaische genannt wird, weil Ptolemaus ihn ausdriicklich fiir die Berechnung seiner Sehnentafel anwendet, oder die Kenntnis ernes anderen Satzes, der sich auf ahnliche Weise anwenden lasst. Einen solchen hat man zu und nach der Zeit des Archimedes und Apollonius leicht finden konnen in dem Moment, wo man wirklich eine Sehnentafel wunschte, und die grosste Schwierigkeit hat auch hier darin bestanden, die zur Durchfiihrung der Arbeit notwendigen Quadratwurzeln zu berechnen; aber gerade dadurch wurde man gezwungen, die dazu dienenden Methoden zu verbessern. Wie friiher angefiihrt (S. 62) war dieser Fortschritt mit der Einfiihrung der Sexagesi- malbriiche verbunden. Die erste Sehnentafel, von der wir sichere Nachricht haben, stainmt aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und ist von dem grossen Astronomen Hipparch verfasst. Diese ist, ebenso wie eine spatere von Menelaus, ver- loren gegangen. Die Sehnentafel, die sich in Ptolemaus Almagest findet, ist uns dagegen iiberliefert und hat, da sie auf den alteren hat aufgebaut werden konnen, die grosste Volstandigkeit und Genauigkeit erhalten. Sie geht mit Intervallen von -J bis zu einem Bogen von 180. Da der sinus die Halfte von der Sehne des doppelten Bogens ist, so spielt diese Tafel dieselbe Rolle wie eine Tafel der sinus von solchen Bogen, die mit Intervallen von J bis zu 90 hinaufreichen. Der Durchmesser des Kreises wird gleich 120 gesetzt, und die Sehnen werden nach dem Sexagesimalsystem in Ganzen, Minuten und Sekunden ausgedriickt, das heisst, wie bei der Winkel- teilung, in Briichen mit den Nennern 60 und 60 2 ; das 26. Die berechnende Geometrie. 231 Verhaltnis der Sehnen zum Durchmesser wird also in Briichen mit dem Nenner 432000 angegeben. Zur Be- nutzung bei der Interpolation werden Dreissigstel der DifTerenzen zwischen den aufeinander folgenden Sehnen, den Bogendifferenzen von 1 Minute entsprechend, hinzu- gefiigt. Fur die Berechnung dieser Taf el benutzt Ptolemaus hauptsachlich den Satz iiber das einbeschriebene Viereck. Dieser lasst sich unmittelbar benutzen, um die Sehne zu der Summe oder Differenz zweier Bogen, und dadurch auch die Sehne zu dem verdoppelten und halbierten Bogen zu berechnen. Wenn man von den bekannten Sehnen ausgeht, so kann man auf diesem Wege dahin gelangen, Sehnen zu Bogen von 1^ und | zu berechnen. Aus diesen wird die Sehne zu 1 durch eine Art von Interpolation berechnet, die darauf beruht, dass das Ver haltnis zwischen Sehne und Bogen abnimmt, wenn der Bogen wachst, dass also Sehne | Sehne 1 Sehne 1^ ~r i H Fur den hier benutzten geometrischen Satz, den auch Ari starch anwandte, teilt Ptolemaus einen hubschen geometrischen Beweis mit. Nachdem die Sehne zu 1 auf diese Art gefunden ist, wird der ptolemaische Satz fur die successive Berechnung der ubrigen Sehnen benutzt. Da eine Sehnentafel dieselbe Rolle spielt wie eine Sinustafel, so kann man, wenn man will, mit Hiilfe dieser Tafel und des pythagoreischen Lehrsatzes jedes Stiick eines ebenen rechtwinkeligen Dreiecks durch zwei andere, unter denen sich eine Seite befindet, bestimmen und dadurch, wenn auch durch beschwerliche Rechnungen, die Bestimmungen ausfiihren, die in die ebene Trigono- metrie hineingehoren. Im Almagest finden sich Beispiele 232 Die griechische Mathematik: fiir verschiedene solcher Bestimmungen. Den Astronomen lag jedoch sehr viel daran, auch die spharisch-trigo- nometrischen Bestimmungen zu gewinnen. Hierzu war vor alien Dingen etwas spharische Geometric erforderlich. 27, Spharische Geometrie, Aus der Geometrie der Kugel haben wir bei Euklid nur den Satz iiber das Verhaltnis zwischen den Inhalten von Kugeln gefunden, zu dem Archimedes die exakte Bestlmmung von Oberflache und Inhalt hinzufiigte; aber dabei konnten die Astronomen nicht stehen bleiben. Nament- lich mussten sie Mittel haben um die Lage von Punkten auf der Kugel, von Sternen am Himmel, von Orten auf der Erde zu charakterisieren. Das geschieht durch Be- ziehung auf einen grossten Kreis, der auf die eine oder andere Weise als bekannt betrachtet werden darf, auf Horizont, Aquator oder Ekliptik am Himmel, Aquator auf der Erde, und diese Beziehung konnte nicht wohl von der verschieden sein, die jetzt durch die gewohnlichen spharischen Koordinaten ausgefuhrt wird. Eine solche Beziehung liegt zu Grunde, wenn Eratosthenes, um dieGrosse der Erde zu bestimmen, die Entfernung zwischen zwei Orten von derselben Lange und bekanntem Breitenunter- schiede misst, selbst wenn die Einfuhrung der Bezeich- nungen Lange undBreite erst dem Hipparch zugeschrieben wird. Im iibrigen wollen wir daran erinnern, dass die- jenige Einteilung der Kugel, die Euklid im 12tenBuche der Elernente anwendet (S. 171), genau einer Einteilung durch solche Koordinaten entspricht. Eine mehr oder weniger direkte Anwendung sphari- scher Koordinaten lasst sich benutzen um die Punkte des Himmels oder der Erde auf einer gedrechselten Kugel 27. Spharische Geometric 233 abzubilden. Das erstere 1st jedenfalls geschehen. Indessen waren die Griechen durch ihre hoch entwickelte Geometric in den Stand gesetzt die schwierigeren Aufgaben zu losen, die sich darbieten, wenn man auf zweckmassige Weise eine Kugel auf einer Ebene abbilden will. Mit Rucksicht hierauf wird es in dieser Darstellung der Geschichte der Mathematik geniigen anzufiihren, dass die Griechen ver- schiedene Anwendungen der in geometrischer Beziehung wichtigen und interessanten stereographischen Projek- tion gemacht haben. Diese besteht wie bekannt in einer Centralprojektion der Kugelflache von einem auf ihr gelegenen festen Punkt auf denjenigen grossten Kreis, der den festen Punkt zhm Pol hat, und zeichnet sich u dadurch aus, dass jeder Kreis auf der Kugel als Kreis auf die Ebene projiciert wird, und dass Winkel ibre Grosse behalten. Aus den vorliegenden Anwendungen weiss man, dass die Griechen wenigstens die erste von diesen Eigenschaften gekannt haben, die in naher Verbindung steht mit der Lehre von den beiden Systemen von Kreisschnitten an einem schiefen Kegel. Eine Bestimmung von diesen findet sich bei Archimedes, und die Lehre von den verschie- denen Schnitten an demselben Kegel wird von Apollo- nius weiter entwickelt. Die stereographische Projektion darf also wohl als eine Frucht der Lehren dieser Manner betrachtet werden. Sie fand zu den Zeiten Hipparchs An- wendung an einem Apparat, der gebraucht wurde., um aus der augenblicklichen Hohe eines bekannten Sterns die Zeit in der Nacht zu bestimmen. Dazu benutzte man zwei Scheiben, von denen die eine Projektionen bekannter Sterne enthielt, die andere Projektionen des Horizonts und parallel zu ihm gelegter Schnittkreise, beide Teile vom Sudpol des Himmels aus projiciert. Es kam darauf an, die eine Scheibe so um das Bild des 234 Die griechische Mathematik : Nordpols zu drehen, dass der beobachtete Stern auf dem seiner Hdhe entsprechenden Schnittkreise zu liegen kani. Erne andere Anwendung findet sich in der Geographic des Ptolemaus. Die griechische Geometric lieferte jedoch nicht nur die Mittel, um astronomische Bestimmungen durch solche mechanische Operationen vorzunehmen. Wir sahen soeben, dass man seit den Zeiten der grossen Geometer begonnen hatte sich mit den tabellarischen Arbeiten zu beschaftigen, die notwendig waren um derartige Aufgaben durch Be- rechnung zu losen. Gleichzeitig muss die Geometric die spharisch-geometrischen Satze hervorgebracht haben, auf denen die Anwendung der Tabellen beruht, und die in anderer Form unseren spharisch-trigonometrischen Formeln liber das rechtwinkelige Dreieck entsprechen. Diese Form lernen wir bei Ptolemaus kennen. Er benutzt dafiir einen Satz, den man nach seiner Angabe den Satz des Menelaus genannt hat. In seiner planimetrischen Ge- stalt heisst dieser Satz: Wenn eine Transversale die den Ecken A, B und C eines Dreiecks ABC gegeniiber- liegenden Seiten in D, E und F schneidet, so ist _ CE AF CD ~AE ~ " der Satz bleibt aber auch bestehen, wenn man die geraden Linien mit grossten Kreisen auf derselben Kugel vertauscht, die Strecken mit den sinus der Bogenstrecken, oder, wie Ptolemaus sagen muss, mit den Sehnen des doppelten Bogens. Wahrscheinlich ist der Satz in beiden Gestalten weit alter als Menelaus. Die planimetrische gehort durchaus unter die Gegenstande, die in Euklids Porismen behandelt wurden, und was den spharisch-geo metrischen Satz angeht, so verstand wenigstens Hip parch 27. Spharische Geometrie. 235 die Berechnungen auszufiihren, zu denen er bei Ptolemaus benutzt wird. Diese Berechnungen sind dieselben, die in der spha- rischen Trigonometrie ausgefuhrt werden durch die 4 Rela- tionen, die in einem rechtwinkeligen spharischen Dreieck zwischen den 3 Seiten oder zwischen 2 Seiten und einem Winkel stattfinden. ABC sei ein solches Dreieck mit dem rechten Winkel bei B, und D, E und F seien die Punkte, in denen der grosste Kreis mit dem Pol A die Seiten des spharischen Dreiecks schneidet. Dann ist in Gradmaass Die iibrigen Bogen der Figur sind Seiten des Dreiecks ABC oder deren Komplemente. \Vemi man nun nach einander die vier Dreiecke ABC, CDE, AFE und DBF und jedesmal den vierten grossten Kreis als Transversale betrachtet, so erhalt man eben die erwahnten vier Relationen. Erst bei spaten arabischen Schriftstellern finden wir eine Relation zwischen 2 Winkeln und eine Seite. 28, Verfall der griechischen Geometrie, Die Entwickelung der berechnenden Geometrie bei den Griechen, die wir soeben verfolgt haben, reichte uicht ganz wenig iiber den Zeitpunkt hinaus, an dem die iibrige griechische Geometrie ihren Hohepunkt erreicht hatte. In den mehr abstrakten, geometrischen und in geome- trischer Form dargestellten rein mathematischen Unter- suchungen, in deneri die Griechen besonders weit gelangten, 236 Die griechische Mathematik: konnen wir namlich eigentlich nach Apollo nius keinen Fortschritt von grosserer Bedeutung nachweisen. Das 1st indessen nicht so zu verstehen, als ob die mathematische Arbeit sofort nach ihm aufgehort hatte. Der gelegte Grund war so sicher, und die angewandten Methoden der Behand- lung so fruchtbar, dass es den Schiilern der grossen Mathematiker, so lange die Zeitverhaltnisse es zuliessen, leicht gewesen sein muss, in den angefangenen Richtungen weiter zu arbeiten. Das ist auch geschehen. Indessen ist es leicht erklarlich, dass die Ausbeute dieser Arbeit, die sich gerade dadurch, dass sie auf den einfacheren Untersuchungen der Meister aufgebaut wurde, auf weniger zugangliche und mehr specielle Gebiete erstreckt haben kann, in der nun kommenden Zeit des Verfalls weder so viel Interesse noch so viel Verstandnis hat finden konnen wie die zu Grunde liegenden einfacheren Arbeiten, und deshalb verloren gegangen ist. In der That liegen denn auch nur vereinzelte Mit- teilungen vor iiber die geometrischen Arbeiten der Nach- folger oder Zeitgenossen der grossen Geometer. Von Nikomedes und seiner Konchoide haben wir bereits gesprochen (S. 82). Von Perseus wird berichtet, dass er die sogenannten spirischen Kurven untersucht habe, die, wie man annimmt, Schnitte an der Flache waren, die durch Umdrehung eines Kreises urn eine in seiner Ebene liegende Axe erzeugt wird (Wulst). Eine einzelne von diesen Kurven ist vielleicht fruher von Eudoxus untersucht worden, der zur Darstellung der scheinbaren Bahnen der Planeten und ihrer Knotenpunkte eine Kurve, Hippopede genannt, angewandt hat, die moglicherweise dieselbe gewesen ist, die wir jetzt Lemniskate nennen. Die Cissoide des Diokles ist auch in unseren Tagen be- kannt und wird als niitzliches Beispiel fur die Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf die Geometric 28. Verfall der griechischen Geometrie. 237 benutzt. Diokles verdankt man auch eine neue Losung von Archimdes kubischer Gleichung mit Hiilfe der Kegelschnitte (vergl. S. 216). Aus der nachsten Zeit nach den grossen Geometern stammen sicherlich auch die wichtigsten der von Pappus angefuhrten Resultate, die sich nicht auf diese selbst zu- riickfuhren lassen. Einige konnen auch in den einzelnen Perioden entstanden sein, in denen das Verstandnis wieder aufleuchtete, und ein einzelnes legt Pappus sich selbst bei. Wir wollen hier einige von diesen Resultaten an- fiihren. Ausser der von Archimedes gefundenen ebenen Spiralenflache (S. 183) hat man Flachen bestimmt, be- grenzt von Spiralen, die auf entsprechende Weise auf der Kugel dargestellt werden. Archimedes Bestimmung des Inhaltes der Kugeloberflache wurde dabei zu Grunde ge- legt. Die Projektion eines ebenen Schnittes durch eine Erzeugende einer windschiefen Schraubenflache (deren Erzeugenden der Grundflache parallel sind) auf die Grund flache ist ein Quadratrix. - Pappus legt sich selbst den wichtigen allgemeinen Satz bei, dass das Volumen eines Umdrehungskorpers gleich ist dem Produkte aus der Flache, die von der Meridiankurve umschlossen wird, und dem Wege, den der Schwerpunkt dieser Flache wahrend der Umdrehung durchlauft. Dieser Satz, der nach einem spateren Wiederentdecker den Namen der Guldin* schen Regel erhalten hat, muss im iibrigen bei der von den Alten benutzten geometrischen Darstellung der fur Schwerpunktsbestimmungen notigen Integrationen sehr nahe gelegen haben. Pappus allgemeine Aufstellung desselben ist jedoch ein wirkliches Verdienst. Bei Pappus findet sich ferner eine Erweiterung des Ortes zu vier Geraden (vergl. S. 213). Fur die Bestimmung einer gewissen Kurve stellt er die Forderung auf, dass das Verhaltnis zwischen den Produkten der Abstande eines 238 Die griechische Mathematik: Kurvenpunktes von zwei Gruppen von in beliebiger An- zahl gegebenen Geraden einen gegebenen Wert haben soil. Das Verhaltnis wird in tTbereinstimmung mit Eu- klids fiinftem Buche als ein zusammengesetztes Verhaltnis dargestellt (vergl. S. 145). Pappus teilt jedoch keine Eigenschaften der Kurve mit, die liber die Definition hinausgingen. Indessen ist die Kurve ein wichtiger Aus- gangspunkt fiir Descartes analytische Geometrie ge- worden. Wie interessant auch mehrere der hier angefuhrten Resultate sein mogen, so spricbt doch der Umstand, dass sich bei Pappus neben den zahlreichen und bedeutungs- vollen Mitteilungen iiber die Arbeiten der alten Mathema- tiker, die wir bereits bei unserer Erwahnung von diesen in reichem Maasse benutzt haben, keine anderen sonder- lich neuen Satze nachweisen lassen, dafur, dass der Zeit- raum zwischen Apollonius und Pappus innerhalb der Geometrie keinen Fortschritt von bleibender Bedeutung hervorgebracht hat. Dass diese 500 Jahre dann einen bedeutenden Riickgang in der Kenntnis und dem Ver- standnis der mathematischen Schatze friiherer Zeiten mit sich gebracht haben, war zu erwarten. Das erkennt man auch deutlich aus den vielen Hiilfssatzen zu den alten Schriften, die Pappus aus" dieser Zwischenzeit aufbewahrt hat. Durch die sorgfaltige, oft kleinliche Erklarung, die diese von Einzelheiten geben, tritt es namlich deutlich hervor, wie wenig man sich den Blick fiir die Bedeutung der Gesamtheit bewahrt hatte. Wenn man nun fragt, wie ein solcher Niedergang bei einer so griindlich und reich entwickelten Wissenschaft, wie die griechische es war, moglich sein konnte, so lasst sich wohl auf die in der historischen t)bersicht genannten verschiedenen ausseren Umstande hinweisen, aber diese 28. Verfall der griechischen Geometrie 289 geben keine geniigende Erklarung. Da, wie wir bei Pappus sehen, manche altere Schriften bestandig erhalten blieben, so konnte man erwarten, dass sich durch diese die veiiorene mathematische Einsicht hatte wiedergewinnen und die unterbrochene Entwickelung hatte wiederauf nehmen lassen. Doch geschah das nicht im Altertum, und bei den Arabern und demnachst bei den Europaern der neueren Zeit musste das Studium der Schriften der Alten von einer ganz neuen Entwickelung die zugleich nach anderen Richtungen bin fruchtbar war begleitet werden, bevor man sich das, was diese Schriften enthielten, voll- kommen aneignete. Der Grund fiir einen solchen Niedergang und fur das Fehlen der Bedingungen fiir einen Wiederaufbau ist in den Mangeln zu suchen, die in den aus dem Altertum iiberlieferten Schriften selbst enthalten sind. Auf diese Mangel haben wir gelegentlich schon hingewiesen, aber wir wollen sie noch einmal zusammenstellen. Ein Mangel hangt genau mit etwas zusammen, was in anderer Beziehung unsere hochste Bewunderung hervor- gerufen hat, namlich mit der ausserordentlichen Sorgfalt, mit der man sich durch bestimmte Formen der logischen Unanfechtbarkeit versicherte. Wegen dieser wurde nam lich alles bei Seite gesetzt, was die Zuganglichkeit eiieich- tern, einen Uberblick verschaffen oder die Absichten bei den einzelnen Operationen verdeutlichen konnte. Aller- dings erhielt sich bis zu einem gewissen Grade lange das Verstandnis fiir das, was durch diese Formen erreicht wurde, und zum Teil lernte man sie nachzuahmen; aber indem man seine ganze Kraft hierauf verwandte und keine Anleitung zu einem allgemeineren Verstandnis des ganzen Zusammenhanges erhielt, blieb man bei dem Interesse fiir diese Formen und bei einer sparsamen Aneignung der einfachsten von den Eigenschaften stehen, die nun 240 Die griechische Mathematik: einmal in sie hineingelegt waren. Da diese Einzelheiten in den bewunderten Formen auftraten, so erhielten sie ein solches Geprage von Vollkommenheit, dass man den Mut zu selbstandigen Arbeiten veiiieren musste. Die Aus- beute aus solchen wiirde namlich, jedenfalls anianglich, in einer sehr viel weniger vollkommenen Form auf ge- treten sein. Mit der geometrischen Form, die die Algebra uncl die allgemeine Grossenlehre angenommen batten, war auch ein Ubelstand verbunden. Sicherlich gab diese geome- trische Form an Ubersichtliehkeit und Verwendbarkeit fiir wirkliche Ausfuhrung von algebraischen Operationen der jetzigen algebraischen Zeichensprache nicht so viel nach, wie ein moderner Leser anzunehmen geneigt sein wird. Derjenige, welcher mit dieser Art der Darstellung vertraut ist, also die Bedeutung der Figuren kennt, kann das Umlegen von ihnen und das Operieren mit ihnen mit derselben Leichtigkeit vornehmen, mit der man jetzt Buchstabenausdriicke versetzt und zusammenzieht, und ferner kann er beim mundlichen Unterricht dadurch, dass er auf die Figuren zeigt, die vorzunehmenden Operationen semen Schulern verstandlich machen. Das trug dazu bei, dass ein vollkommenes Verstandnis so lange aufrecht er- halten werden konnte, al& sich der mundliche Unterricht in Alexandria in Ruhe fortsetzen liess. Sobald aber diese Ruhe gestort wurde und die durch mundlichen Unterricht aufrecht erhaltene Tradition verloren ging, man also allein auf das Studium der sorgfaltig ausgearbeiteten Werke angewiesen war, musste ein empfindlicher Riickgang ein- treten. Die geometrische Darstellung der Algebra ist namlich nicht leicht zu lesen. Das wird verstandlich, wenn man festhalt, dass Text und Figur bis zu einem gewissen Grade jeder fiir sich auftreten mussen, 28. Verfall der griechischen Geometrie. 241 man also wahrend des Studiums von dem einen zum anderen bin und her fahren muss. Zu diesen formellen Schwachen kam nun noch eine andere, die wir schon oft genannt haben und die im wesentlichen den Inhalt selbst betraf. Die griechischen Mathematiker batten ihre wissenschaftliche Wiirde so hocb gehalten, dass sie aus ihren Hauptwerken alles aus- schlossen, was ihnen nicht vollkommen exakt erschien. Dadurch wurden, wie wir namentlich gesehen haben, als wir iiber das Auszieheii der Quadra twurzel sprachen, wirk- liche numerische Berechnungen, die in der Regel nur eine Annaherung geben konnten, ausgeschlossen und der weniger hoch geachteten Logistik zugewiesen. Damit liess man zugleich die praktischen Anwendungen fahren, die den Mathematikern batten neue Impulse geben und das Interesse fiir die Wissenschaft in den Zeiten batten wach- halten konnen, wo der Blick fiir den Wert der Wissenschaft selbst nicht mehr vorhanden war. Die schadlichen Folgen dieser Vernachlassigung der Anwendungen der Mathematik treten vielleicht am deut- lichsten hervor, wenn man ihnen die niitzlichen Folgen gegeniiberstellt, die sich dadurch ergaben, dass man sich nach einzelnen Richtungen bin solcher Vernachlassigung nicht schuldig machte. Wir haben soeben gesehen, dass die Anwendungen auf die Astronomic die Entwickelung der berechnenden Geometrie fortdauern liessen, nachdem im iibrigen ein Stillstand eingetreten .war. Zugleich sahen wir, dass man in Verbindung hiermit fortfuhr bedeutende Fortschritte in der Ausfiihrung praktischer Berechnungen zu machen. Dadurch entstand eine Vertrautheit mit den Zahlen, die sicherlich dazu beigetragen hat, die Arith- metik iiber den von den alteren griechischen Mathema tikern erreichten Standpunkt so weit hinaus zu entwickeln, wie sie uns bei Diophant entgegentritt. 16 242 Die griechische Mathematik: 29, Die spatere griechische Arithmetik; Diophant, Die allgemeine wissenschaftliche Grundlage fiir die griechische Arithmetik haben wir aus dem 7ten 9ten Buche E uk lids kennen gelernt. Wenn nun auch diese Grundlage nicht den Umfang und die wissenschaftliche Sicherheit besitzt wie der in den iibrigen Biichern gelegte Grand fiir die Geometric und die in geometrischer Form gegebene allgemeine Grossenlehre, so ist dennoch dieselbe allgemeine Form beibehalten. Obgleich die Rede von Zahlen ist, werden die Satze nicht durch Zahlenbeispiele verdeutlicht. Ohne die Behandlung vieler solcher Zahlen beispiele kann die allgemeine Theorie jedoch nicht en I- standen sein. So haben die Pythagoreer sicheiiich bereits viele Beispiele fiir die sogenannten vollkommenen Zahlen gekannt. Uber verschiedene andere Zahlenformen, nament- lich die Polygonalzahlen, mit denen man sich friihzeitig beschaftigte, haben wir bereits gesprochen, als wir die geometrische Arithmetik schilderten. Derartige Unter- suchungen sind sicherlich in friiheren Zeiten mit der praktischen Ausrechnung solcher Zahlen verbunden ge- wesen. Endlich haben wir gesehen, dass eine Klasse von zahlentheoretischen Untersuchungen friihzeitig die Auf- merksamkeit auf sich zog, namlich solche, die die An- wendung der allgemeinen Losungen der Gleichungen zweiten Grades auf numerische Gleichungen betrafen. Man unter- suchte die Bedingungen dafiir, dass Zusammensetzungen von Zahlen zu rationalen Auflosungen der quadratischen Gleichungen fiihrten, also die Bedingungen dafiir, dass gewisse Zahlengebilde Quadrate werden. Das muss in der Regel bei der Behandlung solcher Gleichungen ge- schehen, die wir jetzt unbestimmte Gleichungen zweiten Grades nennen. Wir haben auch gesehen, dass diese 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 243 sich bei der genaherten Ausziehung der Quadratwurzel aus einzelnen bestimmten Zahlen, wie 2, benutzen lassen. Indessen haben wir in der alteren griechischen Matbematik doch nur einzelne Beispiele fiir solche unbestimmte Glei- chungen gefunden; wir heben sie aber hier hervor als den Anfang einer Richtung, in der es die Griechen, wie wir bald sehen werden, spater sehr viel weiter brachten. Das Interesse, das zuerst durch den Wunsch nach ratio- nalen Losungen geweckt worden war, hat sich dann spater den unbestimmten Gleichungen selbst zugewendet. Ein Beispiel dafiir, dass man auch wahrend der alexandrinischen Zeit praktische Untersuchungen iiber gewisse Klassen von ganzen Zahlen fortgesetzt hat, liegt in dem Berichte dariiber, wie Eratosthenes die ersten Primzahlen aufgezahlt hat mit Hiilfe der Methode, die man das Sieb des Eratosthenes (cribrum Eratosthenis) nennt. Man schreibt zuerst die ganze Zahlenreihe so weit auf, als man in seiner Untersuchung gehen will, streicht darauf jede zweite Zahl, indern man mit 4 be- ginnt, jede dritte, indem man mit 6 beginnt, jede fiinfte, indem man mit 10 beginnt u. s. w. Die Zahlen, die dabei nicht ausgesiebt werden, sind Primzahlen. Man schreibt dem Archimedes eine verwickelte arithmetische Aufgabe iiber die Ochsen des Helios zu, aber vielleicht mit Unrecht. Dagegen haben wir ihn im Vorhergehenden gelegentlich eine andere zahlentheoretische Bestimmung ausfiihren sehen, fiir die er gerade Verwen- dung hatte, namlich die Bestimmung der Summe der ersten Quadratzahlen. Die so gebildeten Summen liefern ein Beispiel fiir die unter der geometrischen Arithmetik erwahnten Pyramidalzahlen, namlich fiir solche, die einer Pyramide mit quadratischer Grundflache entsprechen. Diese fiihren zugleich ohne Schwierigkeit zu der Berech- nung der iibrigen Pyramidalzahlen. 16* 244 Die griechische Mathematik: Wir sehen also, dass Nikomachus, dem wir nament- lich unser Wissen von der Bekanntschaft der Alten mit figurierten Zahlen verdanken, nicht nur mit Bezug auf die Polygonalzahlen, sondern auch auf die Pyramidalzahlen auf dem weiter bauen konnte, was von den Zeiten der grossen Mathematiker her bereits vorlag. Neben der Lehre von diesen Zahlen findet sich bei ihm eine Beobachtung, die eine Fortsetzung des bereits den Pythagoreern be- kannten Satzes iiber die Bildung der Quadratzahlen au> Summen der ersten ungeraden Zahlen darstellt. Diese besteht darin, dass sich auch jede Kubikzahl als Summe von aufeinander folgenden ungeraden Zahlen darstellen lasst. Der in der Formel 7l 3 = ( n 2_ n 4 1) 4. ( n 2 __ n _J_ 8 ) _|_ <<e _J_ (,,2 _J_ _ !) ausgedriickte allgemeine Satz scheint dem Nikomachus jedoch nicht vollstandig bekannt gewesen zu sein In Verbindung hiermit sei noch angefiihrt, dass wir durch einen viel jiingeren romischen Schriftsteller wissen, dass man im Altertum die ersten Kubikzahlen hat sum- mieren konnen, also gewusst hat, dass Dieses Resultat kann aus dem oben genannten abgeleitet worden sein. Bei einem arabischen Schriftsteller findet sich jedoch ein anderer Beweis, der durch seine geome- trische Form griechischen Ursprung verrat, und der gleich- zeitig zu dem Satze bei Nikomachus und zur Summa tion der Kubikzahlen gefuhrt haben kann. Dieser lasst sich in der Sprache der jetzigen Algebra folgendermassen wiedergeben: 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 245 (1 + 2 + . . . + n) 2 (1. + 2 + . . . + n - 1) = *(*+!) , n(n\) n +- n = n 6 : zugleich 1st aber zu beachten, dass die Differenz zwischen den beiden Quadraten nach gewohnlicher griechischer Weise als ein Gnomon dargestellt wird, der hier aus den beiden Rechtecken und n(l + 24- ... + 1) = -^ besteht. Bis gegen 300 n. Chr. finden sich jedoch nur zer- streute Beitrage zu einer weiteren Entwickelung der in den besten Zeiten der Geometric bekannten Arithmetik, und selbst von diesen Beitragen wissen wir nicht, wie friih das Mitgeteilte bekannt gewesen ist. Erst bei Dio phant von Alexandria begegnen wir etwas Neuem von grosserem allgemeinem Interesse. Sein iiberliefertes arith- metisches Werk zeigt uns Seiten der griechischen Mathe- matik, von denen wir in den uns erhaltenen Schriften der alteren Mathematiker nur die ersten und undeutlichen Anfange haben kennen lernen. Allerdings ist die theo- retische Grundlage dieses Werkes dieselbe, die wir bei Euklid gefunden haben, und freilich fallt das Ziel von Diophants interessanten Untersuchungen zusammen mit dem friiher erwahnten, aus alteren Zeiten stammenden Bestreben irrationale Grossen zu vermeiden; aber diese Untersuchungen werden von ihm in einem bis dahin un- bekannten Umfange vorgenommen. Diese befahigen ihn Beispiele fiir bestimmte Aufgaben aufzustellen, die unter stark variierenden Formen zu Gleichungen mit rationalen Losungen fiihren, und sie bringen ihn namentlich dahin 246 Die griechische Mathematik: zahlreiche unbestimmteAufgabenzu stellen, bei denen es darauf ankoinmt rationale Losungen zu finden. In seiner ganzen Darstellung fmdet sich ferner gegenuber den alteren iiberlieferten Darstellungen der grosse Unter- schied, dass er bestandig nur specielle Zahlenaufgaben behandelt und nur die zu diesen gehorenden Zahlenopera- tionen mitteilt, ohne allgemeine Satze aufzustellen. Da bei ihm nicht nur die gegebenen Zahlen rational sind, sondern auch die gesuchten rational sein soil en, so bedarf er der geometrischen Darstellung keineswegs in demseiben Maasse wie sie bei solchen Untersuchungen notwendig ist, deren Resultate auf beliebige Grossen anwendbar sein sollen, einerlei ob diese sich durch Zahlen (d. h. ratio nale Zahlen) darstellen lassen, oder nicht. Er benutzt wohl die von der geometrischen Darstellung entlehnten Benennungen, wie Rechteck fur Produkt, aber dass die behandelten Grossen doch nur Zahlen sind, das geht z. B. daraus hervor, dass die geometrische Homogenitat nicht aufrecht erhalten wird; so wird bei ihm ohne weiteres eine Seite zu einer Flache addiert. Diophant legt sogar so wenig Gewicht auf formelle Allgemeingiiltigkeit, dass er durchgehends, wenn in einer Aut gabe im allgemeinen gesagt wird, dass eine gewisse Zahl einen gegebenen Wert haben soil, dieser sofort einen bestimmten Wert beilegt; mit diesem rechnet er dann zunachst, so dass die vorgelegte allgemeine Aufgabe nur insofern gelost wird, als man aus dem gewahlten Beispiel schliessen kann, wie man im allgemeinen zu verfahren hat. Dass dies sein wirklicher Zweck ist, und dass er nur aus Mangel an einem Zeichen fur eine bekannte aber beliebige Zahl dahingebracht ist diesen bestimmten Wert ein,zufiihren, das erkennt man daraus, dass er in solchen Fallen, wo sich nicht jede Zahl benutzen lasst, dies ausdriicklich in einem Diorismus zu der betreffenden 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 247 Aufgabe auseinandersetzt 1 . DieEinfiihrung eines bestimmten Wertes wendet Diophant auch oft versuchsweise bei der betreffenden Unbekannten an. Wenn es sich dann zeigt, dass dieser nicht passt, so kann er, wenn er dem Gauge der vorgenommenen Rechnungen folgt, erkennen, welche Anderung des versuchsweise angenommenen Wertes wirk- lich zu der gegebenen Form oder dem gegebenen Werte einer anderen Grosse fuhren wiirde. Die Regel des fal- schen Ansatzes (regula falsi), die wir bereits bei den Agyptern getrofren haben, ist eine sehr einfache An wen- dung dieser Methode, aber Diophant wendet sie in weit rnehr verwickelten Fallen an. Bei den Rechnungen vor- und riickwarts, die solche Versuche erfordern, bedarf es grosser Fertigkeit im Uni- gehen mit Zahlen und im tFberblicken der mit diesen vorgenommenen Operationen. Eine solche Fertigkeit legt Diophant auch vor allem an den Tag im Gegensatz zu dem, was in den iiberlieferten Arbeiten der alten griechi- schen Mathematiker vorliegt. Diese unmittelbare Fertig keit reicht indessen nicht iiberall aus. Da die geome- trische Darstellung fortgefallen war, so bedurfte es anderer Mittel um eine unbekannte Grosse und einfache Funk- tionen von ihr festzuhalten. Das erreicht Diophant durch eine algebraische Zeichensprache. Ist diese auch nur noch eine Abkiirzung der Worte der Schrift- sprache und keineswegs zu einem wirklichen Organ fur die algebraischen Operationen bestimmt, so dient sie doch zu dem, was man zuallererst von einer Zeichensprache 1 Der allgemeinere Uberblick, den Diophant so, wie sich zeigt, an manchen Stellen gehabt hat, wo er sofort bestimmte Zahlen einfiihrt, wird in den Anmerkungen zu Wertheims neuer deutscher Ausgabe durch Einfuhrung von allgemeinen Bezeichnungen fiir diese Zahlen deutlich gemacht. 248 Die griechische Mathematik: verlangen muss: einen rascheren und bequemeren t)ber- blick zu gewahren, als man ihn (.lurch eine Darstellung in Worten erhalten kann. Die Unbekannte wird durch den Buchstaben g- be- zeichnet, der gewahlt werden musste, weil er allein kerne bestimmte Bedeutung als Zahl hatte. Ihre Potenzen bis zur sechsten hinauf werden durch Abkiirzungen der grie- chischen Worter fiir Quadrat u. s. w. bezeichnet, und iihnliche Bezeichnungen werden fiir Briiche gebraucht mit dem Zahler 1 und diesen Grossen als Nennern. So er- geben sich Bezeichnungen fiir x 6 , a? 5 , a? 4 , a? 3 , a? 2 , a? L , a?, a? 2 , as 3 , a? 4 , a? 5 , x 6 ausser einer besonderen Bezeichnung fiir Einer (also fiir a?). Mehrgliedrige Grossen, die aus den hier genannten und mit Zahlenkoefficienten nmltiplicierten Grossen zusammen- gesetzt sind, lassen sich dadurch auf eine leicht iibersicht- liche Weise aufschreiben, indem man die zu addierenden Glieder unmittelbar neben einander setzt und ein umge- kehrtes y> wie unser Minuszeichen gebraucht, und einander gleich setzen. Es werden bestimmte Regeln fiir die Multi- plikation der oben genannten Potenzen gegeben, und da durch lassen sich wieder mehrgliedrige Grossen multipli- cieren. Gleichfalls versteht Diophant aus Gleichungen neue Gleichungen dadurch zu bilden, dass er Glieder, Faktoren und Divisoren von der einen der beiden gleichen Grossen zu der anderen hiniiberbringt. Ein wesentlicher t)belstand bei dieser Zeichensprache liegt darin, dass es nur ein Zeichen fiir eine einzige Un bekannte giebt und daneben wieder besondere Zeichen fiir deren verschiedene Potenzen. Eine Erweiterung auf zwei Unbekannte wiirde eben, weil die letzten Zeichen besondere sind, 12 neue Zeichen erfordern, und an solche ist gar nicht gedacht worden. Indessen giebt, wie es so 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 249 oft zu geschehen pflegt, die Mangelhaftigkeit des Werk- zeuges Gelegenheit personliche Fertigkeit zu zeigen. Solche Fertigkeit legt Diophant an den Tag, nicht nur durch Benutzung der oben angefiihrten Versuchswerte fur die Unbekannten, die er nicht benennen kann, sondern auch auf andere Weise. Wenn in einer Aufgabe mehrere un- bekannte Grossen vorkommen, die nach verschiedenen Angaben bestimmt werden sollen, so wahlt er unter diesen Unbekannten diejenige, worauf er seine Bezeichnung - die wir hier x nennen wollen -- anwenden will, so, dass er von Anfang an die iibrigen durch diese ausgedriickt erhalten kann. Zugleich muss angefiihrt werden, class die Bezeichnungen nicht die ganze Aufgabe hindurch fest- gehalten werden. So kann eine Unbekannte da sein, die von Anfang an x genannt wird, in den folgenden Zwischen- rechnungen kann eine zweite und dritte ebenso genannt werden, und wenn man nach der Bestirnmung von diesen wieder zu der Hauptaufgabe zuriickkehrt, so wird die erste Unbekannte wieder ebenso genannt. Aus diesen Bemerkungen ergiebt sich, dass Diophant im wesent- lichen dasjenige, was wir Eliminationen nennen, im Kopf ausfiihren und in Worten darstellen musste; aber gerade dadurch erhielt er Ubung darin seine Unbekannten so zu wahlen, dass die Elimination so einfach wie moglich wurde. Man konnte glauben, dass das Fehlen von mehr Be zeichnungen fur die Unbekannten besondere Unzutraglich- keiten fiir die unbestimmten Aufgaben mit sich fiihren wiirde. Das ist jedoch nicht der Fall, denn diese laufen gewohnlich darauf hinaus, dass eine zusammengesetzte Grosse ein Quadrat sein soil oder dergleichen. Fiir die Quadratwurzel u. s. w. hieraus bedarf es dann keiner besonderen Bezeichnung. 250 Die griechische Mathematik: Diese unbestimmten Aufgaben, fiir die rationale Losungen gesucht werden, verdienen die grosste Aufmerk- samkeit in Diophants arithmetischer Arbeit. In der Regel betrachtet er es jedoch nur als seine Sache eine einzige Losung der Aufgabe zu finden, und nicht eine solche allgemeine Losung, in der alle moglichen einzelnen Losungen einbegriffen sind. Auf diese Beschrankung darf man jedoch kein zu einseitiges Gewicht legen, wenn man recht verstehen will, was Diophant mitzuteilen hat. Sie beruht namlich in der Regel darauf, dass er auch hier den Hiilf sgrossen , durch welche die Aufgabe gelost wird, sofort bestimmte Werte beilegt; er hat dann aber hier ebenso gut wie in den friiheren Fallen sehen konnen, dass man auch andere Werte der Hiilfsgrossen hatte be- nutzen konnen. Dies ausdriicklich zu erkennen zu geben findet er Gelegenheit, wenn eine auf eine gewisse Weise gebildete Grosse zu gleicher Zeit ein Quadrat sein und noch eine andere Bedingung erfullen soil. Da geniigt es nicht, der Hiilfsgrosse, die sie zu einem Quadrat machen soil, einen bestimmten Wert zu geben; diese wird dagegen selbst eine unbekannte Grosse a?, und durch diese muss Diophant dann im allgemeinen die urspriinglich gesuchten Grossen ausdriicken, um hinterher x durch die zweite ge- gebene Bedingung zu bestimmen. Von den unbestimmten Gleichungen, zu deren Losung Diophant Gelegenheit erhalt, gehoren eine grosse Menge unter die Form en y*=a*x*+bx + c (1) und y*=ax 2 +bx + c 2 . (2) Die erste wird, indem wir, um die Darstellung abzukiirzen, die jetzige Zeichensprache zu Hiilfe nehmen, dadurch ge lost, dass man y = a x -j- z setzt, die letzte dadurch, dass man y =. z x -\- c setzt ; danach lasst sich x leicht rational 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 251 durch z ausdriicken, und z kann seinerseits alle rationale!! Werte annehmen (nur diirfen diese keine Grosse negativ machen). Man sieht, dass die angewandten Substitutions!! dieselben sind, die jetzt benutzt werden um irrationale Differentiale rational zu machen. Auf die letzte der angefiihrten Gleichungsformen lassen sich die zusammengehorigen Gleichungen, oder wie Diophant sagt die doppelte Gleichung zuriickfiihren. Ja das letzte Glied braucht nicht einmal in beiden Gleichungen dasselbe zu sein, wenn es nur eine Quadratzahl ist; denn dann kann man es dahin bringen, dass es denselben Wert erhalt, indem man die eine Glei- chung mit einem Quadrat multipliciert. Der Einfachheit wegen haben wir angenommen, dass dies bereits geschehen sei. Durch Subtraktion der Gleichungen erhalt man, wenn man zugleich x durch z ausdriickt, Setzt man hierin z = t -f - b, so erhalt man und diese Gleichung ist von der oben stehenden Form (2). Durch andere ahnliche Kunstgriffe hat Diophant auch gewusst wenigstens einzelne rationale Losungen von anderen zusammengehorigen Gleichungen zu finden, die in den Formen =a* -f bx + c,\ , _>."> -J Die griechische Mathematik: einbegriffen sind, jedoch nur von solchen, bei denen gleichzeitig c und /, oder a und d Quadratzahlen sind. Da wir wie erwahnt nur durch die Behandlung einer Reihe einzelner Aufgaben erfahren, wie Diophant im ganzen verfahrt, so wird es zweckmassig sein ein Beispiel von einer solchen Aufgabe und ihrer Behandlung zu geben. In der 6ten Aufgabe des 6ten Buches wird ein solches rechtwinkeliges Dreieck gesucht, dass die Summe aus dem Inhalt und einer Seite, ausgedriickt in (rationalen) Zahlen, eine gegebene Zahl ist. Um es deutlich zu machen, wo Diophant seine Zeichensprache gebraucht und wo nicht, wollen wir bei der Wiedergabe x und x 2 statt Diophants eigenen Zeichen schreiben, wahrend die iibrigen Buch- staben Zahlen ausdriicken, von denen Diophant in ge- wohnlichen Worten spricht. Die Aufgabe lauft dann dar- auf hinaus rationale Werte von A, B und C zu fmden, die den Gleichungen A 2 + B* = C 2 und A B -f- A = a, wo a eine gegebene Zahl bedeutet, geniigen. Dieser Zahl a giebt Diophant jedoch sofort den Wert 7. Versuchs- weise wird darauf A = 3x, B=4x, C = 5 # gesetzt, wodurch der ersten gegebenen Gleichung genugt wird. Die zweite liefert dann 6 a? 2 -f 3# = 7. Die Bedingung dafur, dass diese Gleichung rationale Wur- zeln haben soil, ist die, dass | + 6 . 7 quadratisch ist. Das ist zwar nicht der Fall, aber die Rechnung mit den bestimmten Zahlen hat Diophant Gelegenheit gegeben zu sehen, wie diejenige Grosse, die ein Quadrat sein soil, aus Grossen zusammengesetzt ist, die den Seiten des Drei- 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 253 ecks proportional sind. Er erreicht also dasselbe, WHS wir erreichen wtirden, indem wir A= ax, B = px t C=yx setzen, namlich class die Bedingung, O Q a 1 , ap . ~ , -- 1 -- - 7 = einem Quadrat, die Bedingung fur rationale Losungen ist. Da es nur auf das Verhaltnis der Seiten ankommt, so kann man hier a = l setzen. Diophant wahlt dar- auf vorlaufig /? zur Unbekannten x, und als Ergebnis aus den versuchweise gewahlten Werten erhalt er dann, dass 1 + Ux--= D 2 . Nach der ersten gegebenen Gleichung soil zugleich 1 -f a? 2 = E 2 sein. Diese zusammengehorigen Gleichungen gehoren unter die oben angefiihrte allgemeine Form (4). Nachdem Dio phant hieraus die Gleichung x( x U) = E 2 D* abgeleitet hat, schliesst er, offenbar dadurch, dass er die rechte Seite in Faktoren zerlegt und setzt, dass D die halbe Differenz der Faktoren oder gleich 7 ist, und danach wird a? = 2 7 4 . Dieser letzte Wert stellt das Verhaltnis zwischen den Katheten dar. Indem darauf Diophant x eine ahnliche Bedeutung annehmen lasst wie urspriinglich, setzt er in die zweite gegebene Gleichung A = 7x, B=24x ein; daraus ergiebt sich 254 Die griechische Mathematik: 7. 12 a? 2 + 7x = l, woraus a? = J, A = j, B=6 und C= 2 /. Um eine deutlichere Vorstellung von Diophants zahlreichen Aufgaben zu geben, wollen wir noch aufs Geratewohl ein paar Beispiele auswahlen und kurze An- gaben aus seinen Losungen hinzufiigen. II, 20. Drei Quadra tzahlen von der Beschaffenheit zu finden, dass die Differenz zwischen der grossten und mittleren in einem gegebenen Verhaltnis zu der Differenz zwischen der mittleren und kleinsten steht. - Nennt man die kleinste x 2 , die mittlere (a?+#) 2 > so wird die grosste (a? -f ) a + m [(* 4- ) 2 a? 2 ]. Dass diese ein Quadrat sein soil, wird durch eine Glei- chung der oben angefuhrten Form (1) ausgedriickt. Dio- p h a n t begniigt sich mit m = 3 und a = 1 . III, 2. Drei Zahlen von solcher Beschaffenheit zu finden, dass das Quadrat ihrer Summe neue Quadrate giebt, wenn man jede der Zahlen dazu addiert. Dio- phant lasst die Summe x sein. Die Bedingungen sind dann erfiillt, wenn die Zahlen (a 2 1)# 2 , (b 2 l)x 2 und (c 2 l)x 2 sind, und wenn (a 2 l)x 2 + (6 2 I)* 2 + (c 2 I)* 2 =*, woraus sich ein rationale! 1 Ausdruck fiir x ergiebt. Dio- phant nimmt fiir a, b und c nur die Werte 2, 3 und 4. IV, 27. Zwei Zahlen von der Beschaffenheit zu finden, dass ihr Produkt, vermehrt um jede der Zahlen, ein Kubus wird. Diophant setzt die erste Zahl gleich a 3 x (und wahlt fiir a den Wert 2), die zweite gleich x 2 1, wo- durch die eine Bedingung unmittelbar erfiillt wird. Nun soil aber noch 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 255 sein. In Ubereinstimmung mit der Art und Weise, wie die unbestimmten quadratischen Gleichungen (1) und (2) gelost werden, wird diese kubische dadurch gelost, dass y = a x 1 gesetzt wird ; dadurch ergiebt sich eine Glei- chung ersten Grades zur Bestimmung von x. Wir wollen noch erwahnen, dass einzelne Aufgaben Diophant Gelegenheit geben, seine Bekanntschaft mit gewissen zahlentheoretischen Satzen zu zeigen, so mit dem Satze, dass eine Zahl von der Form (a 2 -f b 2 ) (c 2 + d 2 ) sich auf zwei Arten in die Sum me von zwei Quadraten zerlegen lasst, namlich (ac^bd} 2 + (ad+bc) 2 , und mit dem anderen, dass eine Zahl von der Form 4 n -f- 3 sich auf keine Weise in eine Summe von zwei Quadraten zerlegen lasst. Die angefuhrten Beispiele werden gezeigt haben, dass Diophant nur rationale (und selbstverstandlich positive) Losungen sucht, aber nicht eben Losungen in ganzen Zahlen. Es beruht deshalb auf einem Irrtum, wenn man unbestimmte Gleichungen ersten Grades, die sich durch ganze Zahlen sollen losen lassen, diophantische Gleichungen genannt hat. Unbestimmte Gleichungen ersten Grades finden sich allerdings bei Diophant; aber er tragt nur Sorge dafiir anzugeben, wie die eine Unbe- kannte durch die andere ausgedriickt wird, da die Ratio- nalitat von dieser diejenige der anderen mit sich bringt. Diese Aufgaben wurden fur den Herausgeber Diophants im I7ten Jahrhundert, Bachet de Meziriac, die Veran- lassung, selbstandig die Frage nach ganzen Auflosungen zu stellen und diese Aufgabe zu losen. Sie war jedoch schon friiher von indischen Schriftstellern gelost, was Bachet nicht wusste. 256 Die griechische Mathematik: Nun erhebt sich die Frage, wieviel von Diophants Arbeit von ihm selbst herriihrt, und wie alt das iibriuv 1st. Um dies zu beantworten hat man nicht viele An- haltspunkte. Wir haben hervorgehoben, dass man bereits zu der Zeit, wo die iibrige griechische Mathematik ent- stand, einzelne Aufgaben von derselben Natur behandelt hat wie diejenigen, die Diophant beschaftigen. Dass uns in den iiberlieferten Schriften nicht mehr entgegen- treten, lasst sich sehr wohl durch den Umstand erklaren, dass sie nach der Natur dieser Schriften nicht in sie hin- ein gehorten. Indessen glaube ich nicht, dass viele von Diophants Aufgaben aus dieser Zeit herstammen. Denn wir haben nicht den Eindruck erhalten konnen, dass die alteren griechischen Mathematiker die Rechenfertigkeit be- sassen, die uns bei Diophant entgegentritt. Auf der anderen Seite riihrt eine so grosse Sammlung verschieden gearteter Aufgaben, wie diejenige des Diophant, sicher- lich nicht von einem einzelnen Manne her. Deshalb liegt die Annahme am nachsten, dass die Bildung dieser Auf gaben auf einem sehr friihen Standpunkt begonnen hat, wahrscheinlich gleich nach der Entdeckung der irratio- nalen Grossen, und sich dann liber die Zeit hinaus, wo sonst die Entwickelung der griechischen Mathematik in Stillstand geraten war, fortgesetzt hat, vielleicht bis zu Diophant hinauf, der in dieser Beziehung recht wohl grosse personliche Verdienste gehabt haben kann. Dass eine solche Fortsetzung der Entwickelung bei einem ein zelnen Zweige der Mathematik hat stattfinden konnen, kann darauf beruhen, dass die hierfur wichtige Rechen fertigkeit sich nach und nach entwickelt hat, teils wegen der Bediirfnisse der Astronomic und teils durch Beriih- rung mit einem anderen Volke, den Indern. Mit diesen trat namentlich Alexandria durch seinen Handel in Ver- bindung. Wie wir sehen werden besassen namlich die 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant. 257 Inder auch bevor sie das Positionssystem, d. h. die jetzt gebrauchliche Art Zahlen zu schreiben, erfunden batten, eine grosse Fertigkeit darin Zahlen zu benennen, darzu- stellen und rnit ihnen zu rechnen. Diese Fertigkeit konnte besonders durch die Handelsverbindungen den Griechen iibermittelt werden, die damals noch einen Teil der mathe- matischen Bedingungen fur ihre Benutzung besassen. Als Gegengabe haben die Inder dann bei derselben Beriihrung einen Teil der mathematischen Resultate der Griechen empfangen. Diese haben die Inder, wie wir gleichfalls sehen werden, zu benutzen verstanden, namentlich da, wo sie sich in Zahlenoperationen umsetzen liessen, aber ohne dass sie jemals verstanden batten in die strengen theoretischen Begriindungen der Griechen einzudringen. Was im besonderen Diophants Zeichensprache betrifft, die teilweise von derjenigen abweicht, die wir bei viel jiingeren indischen Schriftstellern, deren Arbeiten uns erhalten sind, antreffen, so brauchen wir darin keine Entlehnung von Fremden zu sehen. Die Abkiirzungen, die er benutzt, miissen sich von selbst darbieten, sobald man ohne Benutzung der alteren geometrischen Darstel- lung die nach und nach gebildeten Zusammensetzungen von bekannten und unbekannten Zahlen anderen mitteilen, oder auch nur selbst festhalten will. Hat man sie ein- mal niedergeschrieben, so wird ihr grosser Nutzen als Mittel urn Uberblick zu gewinnen sich von selbst gezeigt haben. Diophants Zeichensprache braucht also gar nicht durch eine successive Entwickelung entstanden zu sein; sie kann sehr wohl von ihm selbst oder einem einzelnen Vorganger herriihren. Endlich wollen wir bereits hier einen Blick auf die Bedeutung werfen, die Diophants Arbeiten spater erlangt haben. Die numerische Beschaffenheit von Diophants bestimmten Gleichungen ersten und zweiten Grades musste 17 258 Diophant. sie denjenigen viel leichter zuganglich machen, die nicht von vornherein in die griechische Mathematik eingeweiht waren, und zwar leichter zuganglich als die abstrakten geotnetrischen Formen, in denen namentlich die Gleichun- gen zweiten Grades bei Euklid vorkoinmen, und in denen diese und Gleichungen ersten Grades in den iiber- lieferten Schriften anderer geometrischer Schriftsteller an- gewandt werden. Deshalb war es im wesentlichen Dio phant, von dem aus die griechische Algebra zu den Ara- bern verpflanzt wurde, von denen aus sie wieder beim Wiedererwachen der Wissenschaften in Europa hierher zuriickkehrte. Wieviel Einfluss Diophants Behandlung der unbestimmten Gleichungen auf diejenige der Inder, die wir bald erwahnen werden, ausgeiibt hat, weiss man nicht; arabische Schriftsteller haben in der von ihm an- gegebenen Richtung weiter gearbeitet, und in Europa nahmen zahlentheoretische Studien einen neuen Auf- schwung, als man solche nicht nur durch die Araber kennen lernte, sondern auch mit Diophants eigener Arbeit bekannt wurde. In dieser Beziehung geniigt es daran zu erinnern, class Fermat den Diophant sehr griindlich studiert hat. Die indische Mathematik. 1. Kurzer Uberblick, Wir wenden uns nun der indischen Mathematik zu, die in ganz anderen Richtungen als die griechische einen ausserordentlichen Einfluss auf die Entwickelung der Mathe matik ausgeiibt hat. Dieser Einfluss hat sich allerdings wohl am meisten durch unmittelbare Mitteilung der in dischen Rechenkunst geltend gemacht, und nur in geringem Grade durch die Schriftsteller, die wir nun erwahnen wollen. Immerhin sind es jedoch diese, denen wir die unmittelbarste Kenntnis dessen verdanken, was die indi schen Mathematiker iiberhaupt wussten und vermochten. Die Schriftsteller haben im Sanskrit geschrieben, einer Sprache, die damals schon eine tote Sprache war, die aber von den Brahmanen bei religiosen und wissenschaft- lichen Arbeiten angewandt wurde, ebenso wie spater von den Europaern das Lateinische. Die altesten von diesen Schriftstellern geben geome- trische Regeln fur die Anlage von Tempeln, die von ahn- licher Art sind wie die von den Harpedonapten im alten Agypten benutzten (S 12). In diesen Regeln treffen wir mehrere Spuren der Beeinflussung durch die grie chische Geometric, namentlich einzelne solche Umfor- mungen, die wir von der geometrischen Algebra her 17* 260 Die indische Mathematik: kennen. Im ubrigen miissen wir bei den indischen Astro- nomen die Kenntnis von denjenigen Seiten der indischen Mathematik suchen, die durchgreifende Bedeutung erlangt haben. Diese Kenntnis wird entwickelt um der Astro- nomie zur Hiilfe zu kommen, oder sie tritt gar nur gelegentlich innerhalb der Darstellung der Astronomie hervor. Das letzte gilt namentlich von einer Schrift Surya Siddhanta aus dem 4ten oder 5ten Jahrhundert n. Chr , deren Verfasser nicht bekannt ist. Aryabhatta, ge- boren 476 n. Chr., hat in ein astronomisches Werk einen mathematischen Abschnitt mit aufgenommen. Von .grosserer Bedeutung in mathematischer Beziehung sind das 12te und 18te Kapitel in einer grossen astronomischen Schrift von Brahmagupta, geb. 598. Eine vollstandigere Kenntnis der Einzelheiten der indischen Mathematik er- halten wir durch die weit jiingeren beiden mathematischen Arbeiten des Bhaskara A car} 7 a (des Gelehrten), geb. 1114, welche die Titel Lilavati (die Schone) und Vija- ganita (Wurzelberechnung) tragen. Die erstere behandelt etwa das, was wir Rechenkunst und Arithmetik nennen, der Inhalt der zweiten entspricht so ziemlich unsere Algebra. Der Name des ersten dieser Werke ist wohl so zu verstehen, dass die Rechenkunst selbst, die in den Aufgaben in sehr poetischen Ausdriicken angeredet wird, die Schone genannt wird. Diese Anrede stimmt gut zu dem poetischen Schwung, den die Aufgaben oft haben. Ubrigens giebt es eine Legende, nach der es die eigene Tochter ist, die Bhaskara durch die anziehenden Rechenaufgaben uber eine bittere Enttauschung trosten will. Wenn auch die Inder eine uralte Astronomie gehabt haben mogen, die sich vermutlich an die chaldaische angeschlossen hat, so zeigt doch bereits Surya Siddhanta 1. Kurzer Uberblick. 261 so starke Beeinflussungen entweder durch Ptolemaus oder durch altere griechische Astronomen, dass sich die moglicherweise ursprunglich indischen Bestandteile nicht mehr ausscheiden lassen. Griechischer Einfluss auf die indische Kultur - - und umgekehrt reicht gewiss zu- ruck bis auf Alexanders Zug nach Indien, und hat sich spater fortgesetzt teils durch einzelne Kolonien, teils durch die Handelsverbindungcn, fur die Alexandria ein Mittel- punkt war. Die den Griechen bekannten mathernatischen Satze und Operationen, die wir auch bei den Indern treffen, verdanken diese gewiss jenen, aber die Inder ent- wickeln darin Seiten, die eine sehr viel weiter gehende numerische Behandlung erfordern, als die Griechen bei ihrer streng theoretischen Behandlung jemals erreicht haben. Fiir eine solche Behandlung scheinen die Inder keinen Sinn gehabt zu haben, aber dafiir waren sie auch voll- standig frei von den Bedenken, welche die griechischen Mathematiker dahin brachten, die wirkliche Berechnung in Zahlen deshalb fur geringer zu halten, weil sie oft nur zu einer Annaherung fiihrt. Numerische Berechnung und die dadurch erhaltene praktische Priifung war im Gegenteil fur die Inder das wirkliche Mittel sich Satze und Methoden anzueignen, von deren eigentlicher Be- griindung sie die Bedeutung kaum vollstandig verstanden. Jedenfalls geben sie solche Begriindungen nicht in Worten wieder, sondern sie begniigen sich damit zu zeichnen und durch das Wort Siehe! auf die Figur hinzuweisen, die der wirklichen Beweisfuhrung der Griechen zu Grunde lag. Von weit grosserer Bedeutung als die Entwickelung, die verschiedene Zweige der Mathematik durch die von den Indern angewandte numerische Berechnung erfuhren, ist jedoch die Schreibung der Zahlen und die Rechen- kunst, die wir ihnen verdanken. Es ist dieselbe Schrei bung der Zahlen mit Stellenwert fur die einzelnen ZifTern 262 Die indische Mathematik: (Positionssystem), die wir heutigen Tages benutzen, und im wesentlichen dieselbe daran angeschlossene niecha- nische Ausfiihrung der Berechnungen. Leider ist nur wenig dariiber bekannt, wie dieses System sich gebildet hat, da die zur Vollendung des Systemes dienende zehnte Ziffer sich bereits in Surya Siddhanta findet. Viel alter scheint das Positionssystem jedoch nicht zu sein, wenn auch die neun ersten, eigenen Wert besitzenden Ziffern auf weit alteren Inschriften vorkommen. Etwas weitere Aufklarung iiber die friihere Behandlung der Zahlen bei den Indern lasst sich jedoch insofern in der iiberlieferten Litteratur finden, als altere Methoden Zahlen zu schreiben oft beibehalten sind, entweder aus Pietat, oder wegen der besonderen Vorteile, die durch diese Methoden des Schreibens sich darboten; auf diese Weise aber kann man nur ein sehr unvollstandiges Bild von der Vorgeschichte des Positionssystemes bei den Indern erhalten. Diesem Mangel wollen wir dadurch etwas ab- zuhelfen versuchen, dass wir der Darstellung des Positions systemes bei den Indern einen ganz kurzen tJberblick iiber dessen allgemeine Vorgeschichte als Einleitung voranschicken. Wenn wir in aller Allgemeinheit die Hiilfsmittel erwahnen, deren man sich bei der Berechnung von Zahlen vor der Erfindung des Positionssystemes, oder doch be vor dieses an den betreffenden Stellen bekannt wurde, bediente, und wenn wir unter diesen die ziemlich diirftigen Mittel beriihren, mit denen sich selbst die Griechen begniigen mussten, so werden wir jeden falls eine Vorstellung da von geben konnen, wie grosse Schwie- rigkeiten es verursacht hat zu diesein System zu gelangen. Von wie grosser Bedeutung dieses System ist, keineswegs allein als Teil der Mathematik, sondern fur die Menschheit in den alltaglichsten Dingen, bedarf keines naheren Nachweises. 2. Zahlen vor und bei den Indern. 263 2, Zahlbenennung, Zahlbezeichnung und Zahlen- rechnen vor und bei den Indern, Wenn eine Mutter einen Apfel fur jedes von ihren 7 Kindern neHmen will, so braucht sie die Zahl 7 nicht zu kennen. Ebenso wenig braucht sie zu wissen, dass 2.7 =14, um jedem Kinde zwei zu geben. Sie nimmt ganz einfach je einen oder zwei fur Hans, Louise u. s. w. Sie kommt dem Zahlenbegriffe naher, wenn sie beachtet hat, dass sie im ersten Falle einen Apfel fur jeden Finger der einen Hand und fur den ersten und zweiten Finger der andern Hand nehmen muss. Die Finger, die nichts mit den Dingen zu thun haben, von denen hier ebenso viele sein sollen, werden fiir sie dann nur Bezeichnungen fur die Anzahl von diesen. Dass die Volker sich auf diesem Wege zum Zahlen- begriffe erhoben haben, geht daraus hervor, dass sie sich fast alle um grossere Zahlen zu benennen des Zehner-, Fiinfer- (zunachst wohl nur als Durchgangsglied zum Zeh- nersystem) oder Zwanzigersystemes bedienen. Diese sind, wenn es auch lange Zeit gedauert haben mag, von seibst zu wirklichen Systemen geworden. Nachdem man alle Finger durchgezahlt hatte, oder weiter gegangen war und, wie ein Volk am Orinoco 20 ausdriickt, einen ganzen Menschen (d. h. Finger und Zehen) gezahlt hatte, hat man von vorne beginnen und dann darauf achten miissen, wie viele Zehner oder Zwanziger, und wie viele Einer man iiber diese hinaus gezahlt hatte. Dadurch sind die Zahlbildungen entstanden, die wir durch a + b x bezeichnen konnen, wo x die hohere Einheit, Zehner oder Zwanziger, bezeichnet. Wenn die Entwickelung und Benutzung der Zahlen so weit gekommen war, dass die Anzahl der 264 Die indische Mathematik: Zehner oder Zwanziger selbst 10 oder 20 iiberschritt, so hat man hohere potentielle Einheiten, 10 2 , 10 3 . . ., oder wie die alien Azteken in Mexiko 20 2 , 20 3 . . ., bilden und Zahlen von den Formen a + bx+ ex 2 +... r darstellen miissen. Wie weit man gegangen ist, hat sich dann nach dem Bedarf richten miissen. Die unbegrenzte Moglich- keit fur die Bildung hoherer Einheiten ist dagegen in der Regel erst auf einein rnehr wissenschaftlichen Stand- punkte gel tend gemacht worden, wie von Archimedes in der Sandrechnung. So sind die Zehner- und Zwanzigersysteme gebildet, das letztere zunachst wohl von Volkern, die immer, oder wie die Gronlander in ihrer Wohnung, nackt oder mit nackten Fiissen gehen. Die deutlichen Spuren des Zwan- zigersystemes, die sich in mehreren europaischen Sprachen und nicht zum wenigsten im Danischen finden, sind da gegen spateren Ursprunges und wahrscheinlich dadurch entstanden, dass die grossere Einheit, das Stieg (20 Stuck), in gewissen Fallen fiir Handel und Wandel bequem ge- wesen ist. Neben den hier genannten hoheren Einheiten hat man bei der Einteilung von Miinzen, Maassen und Gewichten oft andere benutzt, die sich aus mehr theore- tisch Griinden als bequemer erwiesen haben, wie 12=- 2 2 . 3. Ein Beispiel fiir eine noch weiter gehende Riick- sichtnahme auf derartige Griinde ist das aus Babylonien stammende Sexagesimals3 7 stem, das wir bereits erwahnt haben. Ausser Addition, Multiplikation und den ersten Potenzerhebungen, die, wenn auch unbewusst, diesen Zahlenbildungen zu Grunde liegen, hat man bei den Zahlenbenennungen auch Subtraktion benutzt, so wenn 2. Zahlen vor und bei den Indern. 265 19 im Lateinischen un-de-viginti heisst, im Sanskrit ekonavimgati (d. h. 20 1) oder nur unavimgati (d. h. mangelhaft 20). Heute gebrauchen wir, sowohl um mit den so gebil- deten Zahlen zu rechnen als um sie aufzuschreiben, ein und dasselbe Hiilfsmittel, aber so 1st es nicht immer gewesen. Zum augenblicklichen Festhalten der Zahlen, die beim Rechnen erforderlich waren, hat man zuerst dasselbe Hiilfsmittel wie beim Zahlen benutzen konnen, namlich die Finger. Die verschiedenen Einheiten wurden bei einem afrikanischen Volke dadurch festgehalten, dass ein Mensch einen Finger in die Hdhe halten musste fur jede einfache Einheit, ein zweiter fur jeden Zehner, ein dritter fiir jeden Hunderter; ein einzelner Mensch aber kann fiir denselben Zweck auf verschiedene Weise die Glieder der Finger verwenden (Fingerrechnung bei Griechen und Romern). Andere mechanische Hiilfsmittel, die man an sehr verschiedenen Stellen der Erde angewandt hat und noch anwendet, die von den alten Griechen und Romern und im Mittelalter in Europa benutzt wurden, und die auch civilisierte Volkerschaften heute noch fiir besondere Zwecke (Berechnungen beim Kartenspiel) oder als Lehrmittel in Kinderschulen benutzen, sind Rechen- bretter, einfache Rechenmaschinen und Rechenpfennige. Auf den Rechenbrettern findet sich eine Einteilung in Kolumnen fiir Einheiten derselben Art, deren Anzahl dann durch aufgelegte Steinchen oder andere Marken be- zeichnet wird. Auf den Maschinen, die in unserem Jahrhundert von asiatischen Volkern, die sie lange ge- braucht haben, nach Europa gekommen sind, sind die Kolumnen mit Saiten oder Staben vertauscht, auf denen sich Kugeln oder dergleichen verschieben lassen. Jede Kolumne oder jeder Stab kann aus zwei Unterabteilungen bestehen, von denen die eine 4 oder 5 Marken zur Be- 266 Die indische Mathemetik: zeichnung von Einheiten einer gewissen Art enthallt, die andere 1 oder 2 Marken zur Bezeichnung fiinfmal so grosser Einheiten. Von Rechenpfennigen giebt es ver- schiedene Formen um Einheiten verschiedener Art zu bezeichnen. Dass diese Hiilfsmittel sich benutzen lassen um einfache Rechnungen, Addition, Subtraktion und Multiplikation mit kleineren Zahlen auszufiihren, erkennt man leicht, und deshalb wollen wir uns mit einer Unter- suchung dariiber, wie man das an den verschiedenen Orten gemacht hat, nicht aufhalten. Man kommt unserem Zahlenrechnnen naher, wenn man die eingeteilten Kolumnen allerdings benutzt, aber statt Marken auf die Kolumnen zu legen Zahlzeichen fiir 1 9 in sie hineinschreibt. Hierzu ist nicht nur die Kenntniss der Schreibkunst erforderlich, sondern auch, da man seine Marken nun nicht rnehr mechanisch zu- sammenzahlt, zugleich das Einiiben von Tabellen (Eins und Eins, Einmaleins) oder die Benutzung geschriebener Tabellen. Man hat das Positionssystem, wenn man statt die im voraus gezeichneten Kolumnen zu benutzen, die geschriebenen Ziffern selbst diese Kolumnen bilden lasst. Dazu bedarf man eines Zeichens, das einen Platz aus- fiillt ohne selbst irgend welchen Wert zu besitzen, namlich 0. Dass die Erfindung der Null nicht ganz von selbst kam, sieht man daraus, dass das Positionssystem so lange auf sich warten liess. Im iibrigen hat sich ergeben, dass selbst, nachdem es gefunden war, eine gewisse Entwickelung dazu gehorte um es benutzen zu konnen. Nicht nur muss man, um ein System von Kolumnen gebrauchen zu konnen, worin die Zahlen hineingeschrieben werden, schreiben konnen und einige Tabellen (Eins und Eins, Einmaleins) gelernt haben, sondern man muss auch einigermassen zierlich und gleichmassig schreiben, damit die Ziffern auf ihren rechten Platz kommen, und man muss mehr im 2. Zahlen vor und bei den Indern. 267 Gedachtnis behalten, als wenn man iiberschiessende Ein- heiten hoherer Ordnung und so viele ZifEern, wie man will, in die im voraus gezeichneten Kolumnen hinein- schreiben kann. Mit Ausnahme der beiden letzten haben die hier genannten Mittel keine Anspruche an die Kenntnis der Schreibkunst gemacht. Dasselbe lasst sich sogar von den ersten Entwickelungsstufen der Zahlenschreibung selbst sagen, die nur in festen Marken statt der beweglichen Steine, Kugeln oder Rechenpfennige bestanden haben. Man hat, ganz so wie es jetzt geschieht, wenn die Einer einzeln kommen, z. B. beim Stimmenzahlen, fur jeden Einer eine Marke abgesetzt. Man hat solche Marken in neue fur 5 oder 10 zusammenfassen konnen, fur die jedoch spater selbstandigere Marken entstanden sind, ebenso wie fiir die hoheren Einheiten. Auf diese Art kommt man dann zu einer zusammenhangenden Zahl- bezeichnung wie diejenige der Romer war - - um uns an ein wohlbekanntes Beispiel zu halten . Es ist leicht zu begreifen, wie eine derartige Zahlenschreibung ent standen ist, und es wiirde leicht sein die Bedeutung einer solchen Zahlenschrift zu linden, selbst ohne irgend welche Anleitung empfangen zu haben. Die Griechen, die in alteren Zeiten, wie sich aus alten Inschriften ergiebt, die Zahlen auf ahnliche Weise geschrieben hatten, benutzen in der uns iiberlieferten Litteratur vollkommen entgegengesetzte Principien fur die Zahlenschreibung. Jede ganze Anzahl Einer, Zehner und Hunderter hat namlich ihren eigenen Buchstaben. Man schreibt fiir 1 2 3 ... 9 10 20 ... 100 200 .., a ft- y ... i x . . Q o ...; 268 Die indische Mathematik: dadurch wird beipsielsweise 803 = coy, 83:= 7*7, 833 Diese Bezeichnungsart scheint im ersten Augenblick ihres unsystematischen Charakters wegen ein Riickschritt zu sein. Nichts lasst erkennen, was gleichartig 1st. So verraten die Zeichen ft, K, o durch nichts, dass man es mit gleichviel Einheiten verschiedener Art zu thun hat. Indessen sieht man, dass die Griechen eine Zahl viel kiirzer darstellen als die Romer, und ihre Zahlbe- zeichnung darf nicht, selbst wenn sie das einzige ware, was wir von den Griechen kennten, als Zeichen einer niedrigeren Entwickelungsstufe betrachtet werden. In unseren Tagen haben viele Sprachforscher die altere An- sicht aufgegeben, dass es ein Zeichen fur die hohe Ent- wickelung einer Sprache sein solle, wenn sie wie die lateinische durch vollstandige Regeln alle Worte auf solche Formen und in solche Verbindungen mit einander bringt, dass derjenige, der noch keinen Begriff vom Zu- sammenhange hat, aus den Formen schliessen kann, wo- hin jedes Wort gehort, und sich so den Zusammenhang konstruieren kann. Etwas ganz ahnliches findet man in den Sprachen der am wenigsten entwickelten Volker. Jetzt dagegen sieht man die Vollkommenheit einer Sprache darin, dass sie mit so wenig Mitteln wie moglich, also mit der geringsten Miihe fur den Sprechenden und den Horenden ein vollkommenes Verstandnis herstellt. Hierzu gehort, dass man (wie im Englischen) solche Hiilfsmittel fur die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen den einzelnen Worten auslasst, die in Wirklichkeit uberfliissig sind. Soil das Verstandnis nicht verloren gehen, so wird dann allerdings eine genauere Kenntnis von der Sprache, z. B. von der Bedeutung der Wortstellung, ver- langt, wenn Missverstandnisse unmoglich sein sollen ; ist 2. Zahlen vor und bei den Indern. 269 aber diese Kenntnis vorhanden, so gelangt man viel rascher zum Verstandnis, als wenn man sich den Zu- sammenhang durch Betrachtung der Ubereinstimmung in Genus, Numerus und Casus, konstruieren soil. Einen ahnlichen Vorteil gewahrte das Schreiben und Lesen der Zahlen bei den Griechen gegeniiber der Weitlaufig- keit der romischen Zahlen. Die Griechen konnten die Zahlen bis 1000 nicht nur ebenso kurz schreiben wie wir, sondern fiir den, der mit den Zeichen vertraut ist, sind ihre Zahlen auch rascher zu lesen, als wenn man sich durch eine romische Zahl hindurch zahlen muss. Als Schriftzeichen fiir nicht zu grosse Zahlen diirften die griechischen also sehr gut sein. Indessen waren diese Bezeichnungen, vermutlich weil man, wo es notig war, nebenher mechanische Mittel fiir das Rechnen be- nutzte, allzu ausschliesslich nur fiir die schriftliche Mit- teilung bestimmt. Um eine Zahlenschreibung zu erhalten, die zugleich zweckmassig als Rechenrnittel und brauchbar fiir die Darstellung von unbegrenzten Zahlen war, musste man auf dem betretenen Wege wieder umkehren. Fiir eine solche Zahlenschreibung war eine Vereinigung von griechischer Kiirze mit romischer Durchsichtlgkeit erfor- derlich. Einige Annaherung hieran zeigt eine Bezeichnung, welche die Chinesen benutzen: die verschiedenen hoheren Einheiten haben jede ihr besonderes Zeichen, und ihre Anzahl wird durch dieselben Ziffern angegeben, die die einfache Anzahl von Einern bezeichnen. Wenn wir die eigenen Zeichen der Chinesen mit einer Kombination der romischen nnd unserer Zahlzeichen vertauschen, so lasst sich die Aiiwendung dieses Systemes durch die fol- genden Bezeichnungen darstellen : 833=803X3, 803 = 803, 83 = 8X3. 270 Die indische Mathematik : Einfacher wird das System, wenn man die Art der hoheren Einheit durch hinzugefiigte Marken angiebt, wie 833 = 833, 803 = 83, 83 = 83. Kiirze, Klarheit und Anwendbarkeit sind jedoch am besten im Positionssystem vereinigt. Nachdem wir hier an den am besten bekannten Bei- spielen erlautert haben, wie die Bildung von Zahlen im allgemeinen vor sich gegangen ist, und zugleich die Wege gezeigt haben, auf denen man zum Rechnen und zum Schreiben der Zahlen gelangt ist, wollen wir noch einen Blick auf das werfen, was wir in dieser Beziehung von den Indern vor der Erfindung des Positionssystem es besonderes wissen. Dass die In der sich fruh mit grossen Zahlen beschaf- tigt haben, ergiebt sich daraus, dass sie schon fruh Namen fur die decimalen Einheiten bis hinauf zu 1C 17 gebildet haben. Altes Interesse fiir grosse Zahlen verrat sich ferner dadurch, dass in Legenden von Buddha er- zahlt wird, er habe derartige Namen bis hinauf zu 10 54 gebildet, ja er habe Bildungen von noch hoheren Zahlen beabsichtigt. Hieraus und aus der Neigung der Inder zu numerischen Ubertreibung geht hervor, dass sie bereits von Alters her das besassen, was Archimedes den Griechen erst in seiner Sandrechnung brachte. In ihren Benen- nungen fiir die decimalen Einheiten fehlt es allerdings an solchen Ruhepunkten, wie wir sie in Tausend, einer Million u. s. w. haben. Das ist ein Mangel an System; aber es ist doch, wie bei der Zahlenschreibung der Griechen, ein Zeichen von Entwickelung, dass man sich durch die vielen verschiedenen Bezeichnungen iiberhaupt verstandlich machen konnte. Die bestimmte Absonderung jeder ein- zelnen decimalen Einheit weist im iibrigen auf die 2. Zahlen vor und bei den Indern. 271 Principien bin, aus denen das Positionssystem hervor- gehen sollte. Diese Principien finden sogar Anwendnng beim Aussprechen von Zahleri. So wird an einer Stelle die Zahl 1577917828 durch eine Mischung von bildlichen Ausdriicken fur Zahlen und eigentlichen Zahlen, indem mit den Einern begonnen wird, dargestellt, durch Vasu (d. i. eine Klasse von 8 Gottheiten), 2, 8, Berge (7) Form (1), Ziffern (namlich die 9), 7, Berge, Mondtage (15, d. i. ein halber Monat). Die letzte Bezeichnung ent- spricht einer zweiziffrigen mit 1 beginnenden Zahl, und dasselbe kann auch innerhalb einer auf ahnliche Weise zusammengesetzten Zahl stattfinden. Das Hersagen der Zahl geschieht auf solche Weise rascher als bei uns, wenn wir uns nicht auch etwa damit begniigen wollten, die einzelnen Ziffern der Reihe nach zu nennen. Da- gegen ergiebt sich die Misslichkeit, dass eine und die- selbe Ziffer, hier beispielsweise sowohl 7 wie 8, verschiedene Namen erhalt. Das hangt indessen mit einem Hiilfs- mittel zusammen, das angewandt wurde um sowohl Zahlen als auch mathematische Regeln im Gedachtnis zu behalten, namlich sie in Verse zu bringen, ein Mittel, das sicher- lich mit den poetischen Neigungen der Hindu in Ver- bindung stand, das aber auch praktischen Nutzen ge- wahrte. Das angefiihrte Beispiel findet sich allerdings bei Brahmagupta, als das Positionssystem also schon langst bekannt war; aber ihrer ganzen Beschaffenheit nach muss diese Art der Benennung, die fur die verschiedenen Zahlen alte, nach Ubereinkunft gebildete Namen voraus- setzt, alt sein. Da in der angefiihrten Zahl -die Null fehlt, so kann sogar dieses Beispiel selbst alt sein. Was die eigentliche Schreibung der Zahlen betrifft, so haben wir bereits bemerkt, dass die Benutzung der 9 Ziffern sich auf uralten Inschriften findet. Um hieraus 272 Die indische Mathematik: grossere Zahlen zusammenzusetzen kann man sich ernes Verfahrens bedient haben, wie es sich bis vor kurzein auf Ceylon erhalten hat. Dieses besteht darin, dass man teils wie die Griechen die 9 Ziffern durcli besondere Zeichen fur 10, 20, 30 ... 100 und demnachst Mr 1000 erganzt, teils wie die Chinesen eine gewisse Anzahl von Hunderten dadurch bezeichnet, dass man die be- treffende Ziffer vor das Zeichen fiir 100 stellt, oder man kann auch dem Princip der Chinesen ganz gefolgt sein. Ungefahr so wie diese verfahrt namlich noch Ary- abhatta. Er benutzt die Konsonanten um die Ziffern auszudriicken, und giebt durch einen hinzugefiigten Vokal an, von welcher decimalen Einheit diese Anzahl genommen werden soil. So ist ga = 3, 0i=30, ^M = 30000 u. s. w. Dadurch erreicht er eine horbare Darstellung von Zahlen, die in Verse hinein passen kann. Die Arten des Verfahrens, welche die Inder fiir das Rechnen benutzten, bevor das eigentliche Positionssystem durch Einfiihrung der Ziffer vollendet worden war, konnen sehr wohl denen geglichen haben, die man an- wandte, nachdem es zur Benutzung gelangt war; derm die Zahlen schreibung, deren man sich bediente, wird es jedenfalls deutlich gemacht haben, wieviele von jeder decimalen Einheit vorhanden waren. Unmittelbar konnen solche Arten des Verfahrens bei den uns uberlieferten Schriftstellern benutzt worden sein, wo die Bedeutung der 9 Ziffern, die man hatte, durch ihren Platz in einem im voraus eingeteilten Rahmen angegeben wird, denn in einem solchen erhalt man durchaus keine notwendige Ver- wendung fiir das Zeichen 0. Das gilt z. B. von folgen- der Form fiir die Multiplikation von 12 . 735, die auch auf grossere Zahlen angewandt wurde: 2. Zahlen vor und bei den Indern. 273 7 3 5 1 1 4 6 8820 Die Produkte der einzelnen ZifEern sind derartig in Einer und Zehner zeiiegt, dass man hinterher nur das Zusammenzahlen in der Richtung der einen Diagonale der kleinen Quadrate vorzunehmen hat. Die an das Positionssystem angeschlossenen Kechen- regeln waren bei den Indern der Hauptsache nach die- selben, die noch heutigen Tages benutzt werden. Die Abweichungen davon batten meist rein aussere Griinde. So hatte man Rechentafeln, die im Verbal tnis zu den ziemlicb grossen ZifEern, die man der Deutlichkelt wegen schreiben musste, nur klein waren; aber diese ZifEern liessen sicb leicht ausloschen und durcb andere ersetzen. Aus diesem letzten Grunde stand dem nicbts im Wege, von links nach rechts zu addieren und zu multiplicieren, wenn man nur bestandig die bereits hingeschriebenen ZifEern durch Hinzufiigen der uberschiessenden Einheiten hoherer Ordnung verbesserte. Bei Multiplikation mit einer mehrzifErigen Zahl begann man, wenn man tiichtig genug war um ein so umstandliches Aufschreiben wie das eben angefiihrte entbehren zu konnen, darnit, mit der hochsten Ziffer zu multiplicieren. Wahrend man mit der nachsthochsten rnultiplicierte, konnte man gleichzeitig das dadurch entstandene Paiiialprodukt zu dem bereits gebildeten addieren und dieses in die so gebildete Summe umandern u. s. w. Ausser Multiplikator und Multipli- kandus, welcher letztere bestandig so verschoben wurde, dass seine Einer ebensoweit nach rechts standen, wir 18 274 Die indische Mathematik: die Einer des Partialproduktes, das gerade gebildet werden sollte, enthielt die Tafel also fortwahrend nur eineZahl, die durch Addition der bereits hergestellten Partialpro- dukte gebildet war. Ein solches bestandiges Ausloschen verlangt grosse Sicherheit, da man die Mittel um etwaige Fehler zu ent- decken bestandig vernichtet. Man muss namentlich dar- auf bauen kb nnen, dass das Gedachtnis sowohl die augen- blicklich vorkomnenden Zahlen, als auch die Tabellen, die benutzt werden, festhalt. Solche Tabellen werden heutigen Tages in Indien in grossem Umfange auswendig gelernt, und in alten Zeiten ist es sicher nicht weniger der Fall gewesen. Man lernt jetzt Multiplikationstabellen auswendig, deren einer Faktor eine von den Zahlen von 1 bis 10 ist, der andere eine von den Zahlen von 1 bis 30, ja bis 100, nebst den Briichen J, , f, 1J, 2J, 3, ferner umfassende Quadrattafeln. Bei einem derartig geubten Gedachtnis ist es nicht zu verwundern, wenn die Inder auch imstande waren die jetzt sogenannte Fou- riersche Multiplikation grosserer Zahlen anzuwenden, die darin besteht sofort (kreuzweise) die Produkte von den einzelnen Ziffern der Faktoren, welche dieselbe decimale Einheit zum Produkte haben, zu bilden und zu addieren. 3, Anwendungen des Zahlenrechnens, Wir wollen nun sehen, auf welche Aufgaben die Inder ferner die numerische Rechenfertigkeit, fur welche die Bildung des Positionssystein das beste Zeugnis ist, anzuwenden vermochten, und wofiir dieses System dem- nachst das beste Hiilfsmittel wurde. Aufklarungen dar- iiber konnen wir namentlich in den zahlreichen Reclien- regeln und der reichen Sammlung von Aufgaben findrn, 3. Anwendungen des Zahlenrechnens. 275 die in Bhaskaras Lilavati enthalten sind, aber auch anderswo. So giebt bereits Aryabhatta dieselben Regeln fur das Ausziehen der Quadrat- und Kubikwurzel, die wir jetzt aus den Ausdriicken fiir (a -\- 6) 2 und (a -f 6) 3 ableiten. Von dem Inhalte unserer gewohnlichen Rechenbiicher kannten die Inder einfache und zusammengesetzte Regula de tri, Zinsrechnnng, auch mit Zinseszins, Gesellschafts- rechnung, die Mischungsregel, Regeln fiir Raummessung u. s. w. Verschiedene andere Aufgaben, die wir jetzt auf eine Gleichung bringen, werden auch nach bestimmten Rechenregeln gelost. Hierzu gehort die Regel des falschen Ansatzes (regula falsi}, die wir bei den Agyptern (S. 11) gefunden haben; bei dieser bleiben sie jedoch nicht stehen. Aus spateren arabischen Quellen wissen wir, dass sie auch die sogenannte Regel der zwei falschen Ansatze (regula duorum falsorum) benutzten. Diese dient dazu eine Aufgabe, die wenn man sie auf eine Glei chung gebracht hatte - von einer Gleichung ersten Grades von der Form abhangen wiirde, durch zwei Versuche zu losen. Geben x = a und x = ft beim Einsetzen in die linke Seite die von k verschiedenen Werte /(a) und /(/?), so wird x aus den Abweichungen k /(a) und k /(/?) nebst a und ft nach einer Rechenregel bestimmt, die sich durch die Formel _ wiedergeben lasst. Wie man sieht fallt diese Rechenregel genau mit dem zusammen, was wir jetzt einfache Interpolation nennen, und wir wissen dann, dass sie 18* 2,(> Die indische Mathematik: sich nicht nur wie bei den Indern fur exakte Berechnung verwenden lasst, wenn f(x) wirklich eine ganze Funktion vom ersten Grade wird, sondern auch fur weitergehende Annaherung, wenn a und /? bereits Naherungswerte sind. Eine derartige Anwendung treffen wir jedoch erst spater bei den Arabern und in Europa. Eine andere Rechenregel von sehr allgemeiner Be- schaffenheit ist die Re gel der Umkehrung. Diese besteht ganz einfach darin, dass man, wenn man eine Zahl finden soil, die, nachdem sie einer gewissen Reihe von Rechnungen unterworfen ist, eine bekannte Zahl darstellt, dies dadurch erreicht, dass man die letztge- nannte Zahl alien umgekehrten Rechnungen in uin- gekehrter Reihenfolge unterwirft. Im ubrigen werden verschiedene specielle Regeln auf- gestellt, die wir durch Auflosen von Gleichungen ersten oder zweiten Grades mit einer oder mehreren Unbekannten finden wiirden, und die die Inder, wie wir bald sehen werden, ebenso hatten finden konnen. Das gilt z. B. von den Rechenregeln iiber DifTerenz- und Quotienten- reihen, bei denen nicht allgemeine Relationen aufgestellt werden, in denen man die verschiedenen Grossen als Unbekannte betrachten kann, sondern bei denen beson- dere Regeln mitgeteilt werden urn jede einzelne von den Grossen zu berechnen, wenn die ubrigen bekannt sind. In Lilavati werden sie ohne Beweis mitgeteilt. Dasselbe gilt von verschiedenen anderen Regeln, die wir lieber im nachsten Abschnitt als Zeichen fiir die zahlentheoretischen Kenntnisse der Inder mitnehmen wollen. Dagegen diirfen wir die Rechenkunst der Inder nicht verlassen ohne einige Proben von den Formen zu geben, in die sie ihre Beispiele fiir die Anwendung ihrer ver schiedenen Rechenregeln kleiden. 3. Anwendungen des Zahlenrechnens 277 Eine rein numerische Anwendung der erwahuten Methode der Umkehrung 1st das folgende Beispiel: Schones Madchen mit den funkelnden Augen! (das 1st Lilavati). Du, die Du die richtige Methode der Um kehrung kennst! Nenne mir die Zahl, die mit 3 multi- pliciert, um | des Produktes vermehrt, dividiert durch 7, vermindert um des Quotienten, multipliciert mit sich selbst, vermindert um 52, durch Ausziehen der Quadra twurzel, Addition von 8 und Division mit 10 eine 2 giebt. Eine Aufgabe die sich durch die einfache Regel des i alschen Ansatzes losen lasst, ist folgende: Ein funftel eines Bienenschwarms setzt sich auf eine Kadambablume, ein Drittel auf eine Silindhablume, das Dreifache von der DifTerenz zwischen diesen beiden Zahlen ist auf eine Kutajablume geflogen, und eine einzelne Biene ist in der Luft umhergeflogen, angezogen vom Dufte eines Jasmins und eines Pandanus. Nenne mir, schones Madchen, die Anzahl der Bienenl Eine quadratische Gleichung wird in folgender Ge- stalt dargestellt: Mitten im Kampfe ergriff Prit has rasender Sohn eine Anzahl Pfeile um Carna zu toten. Die Halfte ge- brauchte er zu seiner eigenen Verteidigung und das Vier- fache der Quadratwurzel gegen die Pferde. 6 Pfeile durchbohrten den Kutscher Salya, 3 andere spalteten den Sonnenschirm und zerbrachen die Standarte und den Bogen, und Carnas Haupt wurde von einem Pfeil durch- bohrt. Wie viele Pfeile hatte Arjuna (Prit has Sohn)? Das folgende soil, was nicht leicht zu wissen ist, ein Beispiel fur umgekehrte Regula de tri sein: Wenn eine Sklavin von 16 Jahren 32 Nishkas kostet, was kostet dann eine von 20 Jahren? Als Unterlage fur diese Berechnung wird nur ange- 278 Die indische Mathematik: fiihrt, das der Wert lebender Geschopfe sich nach dein Alter richtet. Etwas niichterner sind folgende Beispiele fur zu- sammengesetzte Regula de tri: 30 Balkan von 12 und 16 Zoll Dicke und Breite und 14 Fuss Lange kosten 100 Nishkas; was kosten dann 14 Balken von 8 und 12 Zoll Dicke und Breite und 10 Fuss Lange? Wenn es 8 Drachmen kostet die ersten Balken eine Meile fortzuschaffen, wie viel kostet es dann die letzten Balken 6 Meilen fortzuschaffen? Selbst hier wiirde es in der Praxis nicht imrner aus- gemacht sein, ob Proportionalitat stattfindet zwischen Preis und Grosse des Balkens oder der Menge von dem, was fortgeschafft werden soil. Man kann also durchgehends sagen, dass die Beispiele aus Interesse und zur Einubung der Berechnung gemacht seien. Diese wenigen Beispiele zeigen, wie verschieden die Gebiete sind, denen die Aufgaben entnommen werden; bei anderen werden bald eine Anzahl von Blumen, bald ein Zinsfuss, bald eine geometrische Grosse gesucht. Gerade die reichen Einkleidungen verraten die Freude, die man am Aufstellen und Losen von Aufgaben hatte. In Ubereinstimmung hiermit schliesst ein Schriftsteller des 7ten Jahrhunderts seine Arbeit mit folgenden Worten: Wie die Sonne durch ihren Glanz die Sterne iibertrifft, so wird der Einsichtsvolle den Ruhm anderer verdunkeln, wenn er in der Volksversammlung algebraische Aufgaben vorlegt, und noch mehr wenn er sie lost. 4, Algebra und Zahlentheorie; Geometric, Wir wenden uns nun zu der Algebra, die bei Bhaskara namentlich in seiner Vijaganita oder 4. Algebra und Zahlentheorie; Geometric. 279 Wurzelberechnung behandelt wird, von der man sagen kann, dass sie ein mit Beweisen verbundenes Rechnen sei. Diese Beweise werden jedoch keineswegs mit grie- chischer Strenge gefiihrt und bestehen im wesentlichen darin, dass die Aufgaben hier auf eine Gleichung ge- bracht sind, deren Losung auch in der That eine Be- griindung fiir die Richtigkeit der Rechnungen giebt, die zur Auflosung fiihren. Dadurch erfahrt man teilweise, wie die in Lilavati gegebenen Rechenregeln gefunden sein konnen. Die indische Algebra stimmt mit derjenigen Dio- phants darin iiberein, dass sie sich von der geometrischen Darstellung frei gemacht hat und die Zahlen nur als solche behandelt. Fiir Diophant als Griechen ergab sich indessen hieraus die Forderung, dass die Grossen, die aus der Rechnung hervorgingen, Zahlen, d. h. rationale Zahlen sein sollten. Wenn auch die Inder wegen ihrer weniger feinfiihligen Logik kein Bedenken trugen ohne weiteres die Rechenregeln von rationalen auf irrationale Zahlen zu iibertragen, so gab dennoch eben dieser Um stand ihren Operationen einen weit grosseren Umfang. Statt der in geometrischer Form gehaltenen Urnformungen irrationaler Grossen bei Euklid treffen wir daher bei den Indern das Rechnen mit irrationalen Zahlen. Sie kannten Regeln um Briichen rationale Nenner zu geben und - - was Euklid in geometrischer Form ausfuhrt - um doppelte Irrationalitat aufzuheben. Sie wussten sogar, dass V 16 + Vl20 + V72 + V60 + V48 + V40 + ein Beispiel, das jedoch wahrscheinlich durch die um- gekehrte Rechnung gebildet worden ist. 280 Die indische Mathematik: Auch in anderer Beziehung uberschritten die Inder die Grenzen, die ein vorsich tiger Grieche sich setzen musste. Da die Griechen durchaus nicht den Begriff negative Grossen* aufgestellt batten, so mussten sie da- fur sorgen, dass die Grossen, die gleich gesetzt wurden, sicher positiv waren, und wenn eine gestellte Aufgabe von selbst zu einem negativen Resultat fiihrte, so musste auch der Griecbe, der die Bedeutung hiervon erkannte, sofort diese Erkenntnis benutzen um die Form der Auf gabe so zu verandern, dass nach der entsprechenden positiven Grosse gefragt wurde. Die rechnenden Inder nahmen die Rechnungen und ihre Resultate mehr so, wie sie sich von selbst darboten. Sie kummerten sich nicht darum, in wie weit eine Grosse auf der einen Seite des Gleichheitszeichen wirklich positiv oder negativ war, und wenn eben die gesuchte Grosse negativ wurde, so haben sie allerdings oft eine solche Wurzel verworfen, oft aber auch verstanden sich dadurch mit ihr abzufinden, dass sie sie als Schuld bezeichneten. Sie haben auch, wenn auch zunachst nur zur Benutzung bei Behandlung der einzelnen Glieder in Rechnungen mit mehrgliedrigen Grossen, Regeln aufgestellt far dass Rechnen mit Grossen, die mit Vorzeichen versehen sind. In Verbindung hier- mit erkannte man, das eine Quadratwurzel mit doppeltem Vorzeichen gerechnet werden muss, und deshalb legte man einer Gleichung zweiten Grades zwei Wurzeln bei. Wurde die eine von diesen negativ, so wurde sie jedoch in der Regel verworfen. Ein anderer Beweis fur eine gliickliche Deutung ist eine vorkommende richtige Erklarung von . Indessen trifft man auch auf ganz unrichtige Anwendungen von derartig gebildeten Grossen. 4. Algebra und Zahlentheorie; Geometrie. 281 Was die analytischen Hiilfsmittel der Inder betrifft, so benutzten sie wie Diophant Zeichen, die in Wirk- lichkeit Abkiirzungen von Wortern waren, um gesuchte Grossen und ihre Potenzen darzustellen ; sie gingen aber welter als jener, da sie gleichzeitig rnehrere verschiedene Unbekannte bezeichnen konnten. Das thaten sie, indem sie jeder von diesen eine verschiedene Far be beilegten, deren Namen sie dann auch abkurzten. Diese Erweiterung der Zeichensprache gab auch Veranlassung zur Erweite rung der Rechnungen mil den Grossen, die durch diese Zeichensprache dargestellt wurden. Diese verbesserten Hiilfsmittel erwiesen sich den Indern niitzlich bei ihrer Behandlung von bestimrnten Gleichungen mit einer oder mehreren Unbekannten ; aber auf diesem Gebiete treffen wir dennoch nichts anderes als das, was auch die Griechen denen sie gewiss die Losung der Gleichungen zweiten Grades verdankten - behandeln konnten. Etwas Neues treffen wir dagegen auf dem Gebiete der unbestimmten Gleichungen. Dieses Neue besteht namentlich darin, dass die Inder sich hier nicht wie Diophant mit rationalen Losungen begniigten, sondern Losungen in ganzen Zahlen ver- langten. Dadurch erhalten sie bereits Gelegenheit sich mit unbestimmten Gleichungen ersten Grades zu be- schaftigen. Um eine solche Gleichung durch ganze Zahlen zu losen, benutzten die Inder ungefahr dieselben Rechnungen, die entstehen, wenn man jetzt die Aufgabe durch Kettenbruche lost. Da die Regeln ohne Beweis gegeben werden, so wissen wir nicht, wie sie gefunden sind, und wollen deshalb nur bemerken, dass man leicht zu ihnen gelangen kann, ohne solche Begriffe, wie Ketten bruche und ihre Naherungswerte aufzustellen. Zunachst 282 Die indische Mathematik: 1st es einleuchtend, dass man durch Multiplikation mit c die Losungen der Gleichung ax by = c aus den Losungen der Gleichung ax by = 1 ableiten kann. 1st in dieser letzten Gleichung a > b, und erhalt man bei der Division von a durch b den Quotienten q und den Rest r, so wird , r x 1 y = qx- ; * /yj 1 eine solche Bestimmung von x, dass - - = z eine gauze Zahl wird, hangt dann von einer Gleichung mit einfacheren Koefficienten ab. Bei der Reduktion kommen genau dieselben Zahlen vor, wie wenn man das grosste gemeinschaftliche Maass sucht, und das Verfahren ist fortzu- setzen, bis man zu einem Koefficienten 1 gelangt. Das Ein- setzen hinterher fallt zusammen mit der Berechnung der Naherungswerte eines Kettenbruches. Indessen beschaftigte man sich nicht nur mit einer einzigen Gleichung mit zwei Unbekannten, sondern auch mit Gleichungen mit mehr Unbekannten. Die Aufgaben gehen oft darauf aus eine Zahl zu finden, die, durch ver- scldedenen gegebenen Zahlen dividiert, gegebene Reste giebt. Moglicherweise riihren diese Aufgaben urspriinglich von den Chines en her, bei denen man eine alte Regel fur ihre Auflosung gefunden hat. Oft betreffen sie die Bestimmung der astronomischen Perioden, nach denen eine Gruppe von Erscheinungen aufs neue zusammentrifft, was Veranlassung zu Verfinsterungen u. s. w. geben kann. Die Langen eben dieser Perioden, die den grie- chischen Astronomen bekannt waren, geben wohl noch 4. Algebra und Zahlentheorie; Geometne. 283 nur Veranlassung zu homogenen Gleichungen. Wenn z. B. na ch der Zeit gefragt wird, die sowohl eine ganze Anzahl von Tagen, a?, als auch eine ganze Anzahl von Jahren, t, enthalt, wenn 30 Jahre = 10960 Tage, so wird 10960/ = 80* Oder Fragt man dagegen, wann das in Rede stehende Zusammentreffen wirklich eintritt, so erhalt man voll- standige unbestimmte Gleichungen ersten Grades. Fehlen beispielsweise -- Tage, bis der Tag zu Ende ist, und n q Jahre, bis das Jahr zu Ende ist, und soil der Augenblick, wo Tages- und Jahreswechsel zusammenf alien, nach f x -\ -- } Tagen = (l -j- ) Jahren eintreffen, so mnss man haben 10980 * = 30 Bhaskara vereinfacht jedoch die Frage durch die Annahme, die sich immer mit einer gewissen Annahe- rung erreichen lasst, dass in den Briichen die Nenner q= 10960 und rc = 30 sind. Die Gleichung xy-\-ax-{-by = c wird leicht da- durch gelost, dass man sie in umformt, worauf es nur darauf ankommt, c -\- ab in ein Produkt von ganzen Faktoren zu zerlegen. Grossere Schwierigkeiten haben die Inder iiberwunden bei der Behandlung von unbestimmten Gleichungen, die mit Bezug auf jede der Unbekannte vom zweiten Grade sind. Von diesen suchen sie nicht nur wie Diophant, 284 Die indische Mathematik: durch . den sie gleichwohl in diese Fragen eingefiihrt sein konnen, rationale, sondern ganze Auflosungen. Namentlich beschaftigten sie sich mit Gleichungen von der Form y a = aa? +&, (1) auf die sich auch andere unbestimmte Gleichungen zweiten Grades reducieren lassen. Um eine Vorstellung von der Art mid Weise ihrer Behandlung zu geben, will ich hier ihre Losung der besonders wichtigen Gleichung yt^axt + l (2) mitteilen. Wir beginnen mit einem Verfahren, das von dem- jenigen Diophants verschieden ist, und sich zur Bildung einer unbegrenzten Anzahl rationaler Losungen benutzen lasst. Man bildet zuerst die Gleichungen aus denen sich b l und b 2 bestimmen lassen, wenn man x iy y\> X 2 un d Iti beliebig wahlt. Reduciert man die Gleichungen auf b l und b 2 und multipliciert sie mit einander, so erhalt man (oa? 1 a? 2 + tj l ?/ 2 ) 2 a(x l y^ +^ 2 y l ) 2 = b 1 b 2 also eine dritte Gleichung worin b 3 = b l b 2 , x 3 =x l y z + x z y lt (4) y 3 = ax l x 2 +y 1 y 2 Lasst man die beiden Gleichungen (3) identisch sein, so ergiebt sich 4. Algebra und Zahlentheorie; Geometric. 285 oder und damit hat man eine rationale Losung der Gleichung (2). Sucht man nun dadurch weiter zu kommen, dass man fur x l und y^ willkurlich gewahlte Werte einsetzt, so kann man oft erreichen, dass die gefundenen Werte von x und y ganze Zahlen werden. Im besonderen sind die Falle zu beachten, in denen man bereits erreicht hat, dass 6 = +l oder +2. 1st b = 1 , so kann man auf diesem Wege aus einer Losung von (2) eine neue ableiten, und darauf so viele wie man will. 1st b = 1 oder +2, so wird (5) auch eine Losung von (2) in ganzen Zahlen geben ; denn fiir b == + 2 ist y 1 * = ax 1 *2, also wird ax^ -f y^ = 2 ax^ _ 2 gerade. Zugleich ergiebt sich aus (4), dass die Kenntnis einer Losung von (2) gestattet, aus einer Losung von (1) unendlich viele Losungen abzuleiten. Gelingt es nun nicht fiir einen gegebenen Wert von a durch Versuche irgend eine Gleichung von der Form (1) zu bilden, wo & = +! oder +2, so benutzt man die sogenannte cyklische Methode um den Wert von b zu reducieren. Es sei eine Gleichung, in der b i bereits so klein ist, wie man es durch Versuche erreichen kann, die darin bestehen konnen, dass man einen Naherungswert von ya sein *i lasst. x l und b-^ enthalten dann keinen gerneinsamen Faktor, denn ein solcher wiirde quadratischer Faktor auf 286 Die indische Mathematik: beiden Seiten des Gleichheitszeichen sein, und durch Ver- kiirzung \viirde man eine einfachere Gleichung derselben Art erhalten. Man setzt nun b l woraus sich x 2 und z als ganze Zahlen bestimmen lassen. Man wahlt diejenigen, die z* a so klein wie nioglich machen. Setzt man dann = b 2 , so ist einmal b 2 eine ganze Zahl, und zweitens ax 2 2 -\-b 2 eine neue Quadratzahl z/ 2 2 . Diese Dinge lassen sich leicht be- weisen, aber die indischen Schriftsteller beweisen weder dieses, noch dass man wirklich auf diese Weise zu b 1 gelangen kann. Das letztere, zu dessen theoretischer Begriindung die Inder sicher die erfordeiiiche mathe- matische Einsicht nicht besassen, hat erst La grange, der selbst dieselbe Losung wiedergefunden hat, bewiesen. Indessen hat die grosse Zahlenfertigkeit der Inder sich dadurch zu erkennen gegeben, dass ihre numerischen Versuche sie zu einer vollkommen richtigen Methode ge- fiihrt und dahin gebracht haben, durch Anwendungen Vertrauen zu ihrer allgemeinen Brauchbarkeit zu gewinnen. Neben solchen zahlentheoretischen Methoden wie die im Vorhergehenden geschilderte besassen die Inder ver- schiedene zahlentheoretische Satze, unter diesen z. B. den folgenden: Die Grossen sind beide Quadrate. Wir wollen hier gleichfalls anfiihren, das die Inder die Formeln fiir die Anzahl der Permuta- 4. Algebra und Zahlentheorie; Geometrie. 287 tionen und Kombinationen, und, wie die Griechen, fur die Summen der Quadrate und Kuben der ersten Zahlen cler Zahlenreihe kannten und anwendeten. Bei der Geometrie der Inder langer zu verweilen bietet sich keine Veranlassung. Die meisten von den Satzen, die sie kannten, verdanken sie gewiss den Grie chen, aber die auf diesen aufgebaute Berechnung trieben sie oft welter, als diese gethan haben. Ein Satz bei Brahmagupta hat ein gewisses Aufsehen erregt, namlich eine Erweiterung von Heros Dreiecksformel auf Vierecke. So wie der Satz dasteht, sieht er aus, als ob der Inhalt eines beliebigen Vierecks durch \/(s a) (s b)(s c)(s d) dargestellt werden solle, worin a, b, c und d die Seiten, und s ihre halbe Surnme bedeutet. Bereits Bhaskara nahm die Sache so, und halt sich dann mit Recht iiber den Fehler auf, der in der Annahme liegt, dass ein Viereck durch seine Seiten bestimmt sein sollte. In Wirklichkeit beschaftigt Brahmagupta sich jedoch nur mit zwei bestimmteu Klassen von einbeschriebenen Vierecken, fiir welche der Satz ja richtig ist, aber es ist moglich, dass er sich von dieser Begrenzung, die bei der Angabe der Resultate nicht ausgesprochen wird, keine Rechenschaft abgelegt hat. Die Klassen von Vierecken, die er behandelt sind teils gleichschenkelige Trapeze, teils einbeschriebene Vierecke mit senkrecht auf einander stehenden Diagonalen. Eine Veranlassung, die indessen nicht bei Bramagupta hervortritt, konnen die Inder gehabt haben sich mit den letztgenannten Vierecken zu beschaftigen, namlich ihre Trigonometrie, in der sie nicht wie Ptolemaus Sehnen- tafeln sondern Sinustafeln benutzten. Ist namlich der Durchmesser des Kreises gleich 1, und betragen zwei zu- sammenstossende Bogen C 2x und 2y, so sieht man, dass die Seiten des Vierecks sin x, siny, cosx und cosy sind, und dass die Diagonalen sich beziehungsweise in die 288 Indische Geometric. Abschnitte sin x cos y und sin y cos x, und in die Ab- schnitte sin x sin y und cos x cosy teilen. Die Figur ist also wahrscheinlich diejenige gewesen, die man zur Be- stimmung von sin (x -f- y) benutzt hat. Die Sinustafeln, die sich in Surya Siddhanta finden, gehen jedoch nur hinunter zu Intervallen von 3|, wahrend die Sehnentafeln des Ptolemaus Sinus tafeln mit einem Intervall von J entsprechen. Sind diese Tafeln - - wie so vieles andere vom Inhalte dieses Buches - - griechischen Ursprunges, so miissen sie aus Werken herriihren, die alter sind als diejenigen des Ptolemaus; dann stammen sie vielleicht von den Astro- nomen in Alexandria, die im Gegensatz zu Hipp arch und seiner Schule Sinustafeln gebraucht haben konnen. Ebendaher kann vielleicht der Naherungswert - - fur 10000 7i, der sich bei Aryabhatta findet, gekommen sein, da wir wissen, dass Apollonius n genauer bestimmte als Archimedes. Dagegen deutet die willkurliche An- naherung ji = \/lQ, die sich bei Brahmagupta findet, nicht auf griechischen Ursprung, und ebensowenig finden wir griechische Vorbilder fiir eine Naherungsformel zur Berechnung der Sehne k eines gegebenen Bogens, die bei Bhaskara vorkommt, namlich &&gt;-*) worin d den Durchmesser, p die Peripherie und b die Lange des Bogens bedeutet. Das Mittelalter. 1. Allgemeine Einleitung, Im Alterturn hatten die Griechen, wie wir gesehen haben, eine Geometrie aufgebaut, welche die Raumver- haltnisse mit einer solchen Vollstandigkeit und mit sol- cher Sicherheit in alien Schliissen behandelte, dass sie vollauf ihren Platz als Wissenschaft selbst gegeniiber den strengsten Anforderungen der neuesten Zeit behaupten kann. Da die geometrischen Formen zugleich ein Mittel waren zur Darstellung allgemeiner kontinuierlicher Grossen, so enthalt diese Geometrie auch einen grossen Teil von dern, was wir jetzt reine Mathematik nennen. Unter dieser Form war die Algebra fortgefiihrt bis zur Losung von Gleichungen zweiten Grades und ihren weitergehenden Anwendungen, und bis zu einer Behandlung von Glei chungen dritten Grades, die allerdings nicht die Zuriick- fuhrung auf Wurzelgrossen enthielt, die wir jetzt die Lo sung dieser Gleichungen nennen, die aber durch Anwen- dung der Lehre von den Kegelschnitten Mittel lieferte zur Diskussion und zu einer theoretischen Untersuchung der Aufgaben, die von diesen Gleichungen abhangen. Die- selbe Methode liess sich auch auf Probleme anwenden, die von Gleichungen vierten Grades abhangen wiirden, ohne dass jedoch von irgend welch er direkten Darstellung 19 290 Das Mittelalter: solcher Gleichangen die Rede ware. Neben diesen Auf- gaben, die unter die endliche Analysis gehoren, batten die Griechen auch die Behandlung solcher Aufgaben be- gonnen, die jetzt der Integralrechnung angehoren, und wenn auch diese Behandlung nicht dahin gelangte viele einzelne Fragen zu umfassen, so wurde sie doch in For- men vorgenommen, deren grosser wissenschaftlicher Wert in der neueren Zeit um so mehr Anerkennung gewinnt, je hoher die wissenschaftlichen Anforderungen steigen. Endlich haben wir gesehen, dass die zu Anfang versaumte numerische Anwendung der Mathematik sich allmahlich unter den steigenden Anspriichen der Astronomie ent- wickelte, und bei Diophant haben wir Proben von einer eingehenden Untersuchung iiber die numerischen Bedin- gungen fiir Rationalitat kennen gelernt. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass die alte Fertigkeit der In der in der Behandlung von Zahlen sich zu einer wirklichen Rechenkunst entwickelt hatte, die dasselbe Hiilfsmittel, das wir jetzt gebrauchen, das Position ssy stem, benutzte. Durch Beriihrung mit der grie- chischen Mathematik hatte diese Rechenfertigkeit auch bei den Indern eigentliche mathematische Fortschritte herbeigefiihrt. Der bedeutendste von diesen Avar eine zweckmassige Behandlung von Fragen, die gauze Zahlen betrafen. Einige von diesen Fortschritten gehoren jedoch vielleicht erst einer Zeit an, wo neue mathematische Ar- beiten bei den Arabern begonnen waren. Um die Verdienste der Volker, zu denen die Ent- wickelung der Mathematik von den Griechen und Indern iiberging, nach Gebiihr wiirdigen zu konnen, hat man jedoch zu beach ten, wie weit die voiiiegende Form der Mathematik davon entfernt war, clen neuen Volkern be- quem zuganglich zu sein. Bei den spateren Griechen selbst hatten die auf bewahrten Werke allerdings ein Ver- 1. Allgemeine Einleitung. 291 standnis der Einzelheiten aufrecht erhalten oder doch dann und wann wiedererwecken konnen, aber sie batten nicht zu einem Uberblick gefiihrt, obne den weitergehende Arbeiten unmoglich werden. Uber die Methoden der Ar beit, die ihrerzeit zu so grossen Resultaten gefiihrt batten, geben diese Werke kerne Auskunft, und jede fruchtbare Tradition daniber war langst verloren gegangen. Man musste deshalb selbst diese oder andere Methoden der Arbeit wiederfinden, bevor von einer vollstandigen Aneig- nung des Inhaltes die Rede sein konnte; ja von manchem Resultate hat man und das auch nicht einmal immer erst erkennen konnen, dass die Griechen es besessen haben, nachdem man es selbst in einer anderen Form wieder- gefunden hatte. Wahrend dieser ganzen Wiederauffiihrung der Mathematik hat jedoch das, was von den Griechen vorlag oder was man allmahlich bei ihnen verstehen lernte, selbstverstandlich in ausgezeichneter Weise zur Fiihrung und Anleitung gedient. Die indische Rechenkunst mochte, wo die Gelegen- heit dazu sich darbot, durch ihre praktische Anwendbar- keit etwas grossere Aussicht haben durchzudringen. In- dessen hat man zu beachten, dass es auch bei dieser nicht geniigt ihre Principien kennen zu lernen, um sie rich tig wurdigen zu konnen. Wir konnen sie nicht an- wenden ohne in unserer Kindheit eine gewisse Arbeit daran gegeben zu haben, um die einfachsten Tabellen auswendig zu lernen und in ihrer Benutzung geiibt zu werden. Ihre Vorteile fielen deshalb nicht sogleich in die Augen, vielleicht am wenigsten bei denen, die bereits Arbeit darauf verwendet hatten andere Methoden des Rechnens einzuiiben. Die unmittelbarsten Erben der am Schlusse des Alter- turns vorliegenden griechischen Mathematik, der einzelnen iiberlieferten Hauptwerke und des bestandig abnehmenden 19* 292 Das Mittelalter: Verstandnisses von diesen, waren das ostromische Reich und die griechisch-katholische Kultur, die in Konstanti- nopel dieselbe Hauptstadt hatte wie dieses Reich. Ob- gleich hierzu spater solche Einwirkungen kamen, die sich von Indien herschreiben, so treffen wir in Konstantinopel dennoch im wesentlichen nur eine Fortsetzung des begon- nenen Hinsiechens. Das empfangene Pfund, namlich die noch existierenden Werke der grossen griechischen Geo meter, wurden vergraben, ohne irgend welchen Zins zu geben, aber sie liessen sich dann wieder am Schlusse des Miltelalters ausgraben und konnten dann aufs neue der europiiischen Kultur zu Gute kommen. Das geschah je- doch erst, nachdem ein Teil der Werke und neues von Verstandnis begleitetes Interesse fur sie auf anderem Wege nach Westeuropa gekommen war, namlich durch die Araber. Ein solches Pfund wurde nicht den Volkerschaften anvertraut, die durch die Volkerwanderung das tjber- gewicht in der westeuropaischen Entwickelung erhielten. Diese nahmen das Christentum an und erhielten Anteil an der romischen Kultur, aber zu dieser gehorte die Mathematik nicht. Nachdem die Romantiker ihrerzeit das westeuropaische Mittelalter mit einem in vieler Bezie- hung gewiss unverdienten Strahlenglanz umgeben haben, ist man in unserer Zeit am meisten geneigt in die ent- gegengesetzte Ausserlichkeit zu verfallen und nur von dem finsteren Mittelalter zu sprechen. Auch dieses Urteil diirfte viel unbilliges enthalten, wenn man auf den Kul- turstandpunkt Riicksicht nimmt, auf dem die meisten der betrefTenden Volkerschaften am Beginn und am Schlusse des Mittelalters standen. Was sie wirklich im Christen tum und in romischen Gesetzen und Institutionen emp- fangen hatten, das wurde namentlich in den Klostern von fleissigen Mannern mit geistigen Interessen verarbeitet 1. Allgemeine Einleitung. 293 und gereichte den Volkern durch seinen eigenen Wert und seinen kulturfordernden Einfluss zum Segen. Mathe- matik dagegen konnte man im wesentlichen nur kennen lernen durch die diirftigen Ausziige aus den praktischen Regeln Heros und der Agypter, die man den romischen Landmessern verdankte, oder, wenn es hoch kam, durch die Bruchstiicke von Euklid oder Nikomachus, welche die mehr theoretischen, aber ebensowenig wisseuschaft- lichen Nachfolger der Landmesser in Formen iiberlieferten, die Veranlassung gaben zu solchen Missverstandnissen wie dasjenige, dass figurierte Zahlen Ausdriicke fiir Flachen- inhalt sein sollten. Das Niitzlichste und Zuganglichste des von den Romern, und durch diese von den Griechen erhaltenen mathematischen Erbteils, war die Rechentafel, abacus, die ungewiss warm dahin verbessert worden war, dass die Marken oder Steine, die auf die verschiede- nen Kolumnen der Tafel gelegt wurden, nun nicht mehr gleich waren und durch ihre Anzahl die Anzahl der deci- malen Einheiten bezeichneten, zu denen die Kolumnen gehorten, sondern 9 verschiedene Zeichen enthielten, die den Zahlen von 1 bis 9 entsprachen. Alles in allem stand dieses ganze Erbteil jedoch sicher hinter dein zu- riick, welches die Agypter ihrerzeit den Griechen hinter- lassen hatten. Dass dennoch sowohl in den Klostern wie in den siideuropaischen, namentlich den italienischen Handels- stadten Empfanglichkeit fiir Mathematik vorhanden war, zeigte sich, als sie in besserer Gestalt nach Europa kam. Das geschah durch die Arab er, die sich teils ein richtiges Verstandnis der griechischen Mathematik erworben und ihr eine neue Entwickelung gegeben hatten, in der sie leichter zuganglich war als in den iiberlieferten alten griechischen Schriften, teils in reichem Maasse indische Rechenkunst mit ihr verbunden hatten. Es kostete aller- 294 Das Mittelalter: dings einige Zeit bevor die Europaer, nachdem sie durch die Kreuzziige und in Spanien und auf Sicilien mit den Arabern zusammengetroffen waren, sich die Mathematik der Araber, und durch diese einen Teil der griechischen und indischen Mathematik und Rechenkunst angeeignet hatte. Wahrend dieser Aneignung wurde jedoch der Durchbruch fur eine neue und rasche Entwickelung der Mathematik vorbereitet, der im 16ten Jahrhundert mit den grossen Fortschritten zusammenfiel, die nach anderen Richtungen bin den Beginn der neueren Zeit bezeichnen. Aus dem bier Gesagten geht hervor, dass der friiheste und bedeutendste Teil ^der mathematischen Entwickelung im Mittelalter bei den Arabern vor sich ging. Was die ausseren Bedingungen fiir diese Entwickelung betvifft, so mochte ich zuerst auf die ungeheure Geschwindigkeit auf- merksam machen, mit der die Eroberungen der Araber und demnachst der Muhaniedanismus sich liber weit- gestreckte Lander verbreiteten. Die urspriinglichen Be- wohner von diesen wurden durch die Annahme dieser Religion bald den Arabern gleich gerechnet, und die vielen Lander wurden dadurch in Verbindung mit einander ge- bracht. Zu diesen Landern gehorte Agypten, die alte Wiege der Geometric, mit Alexandrien, wo die Geometric spater zu ihrer hochsten Bliite gelangte und am langsten fortfuhr wirkliche Lebenszeichen von sich zu geben. Zu diesen gehorten auch andere Lander, die von Griechen bewohnt oder von griechischer Kultur beeinflusst waren. Die Araber uberschwemmten auch die Gegenden, die vor Zeiten der Sitz der babylonischen und chaldaischen Astr<>- nomen gewesen waren. Ferner drangen sie bis nach Indien vor und kamen dadurch in genauere Beriihrung mit der indischen Rechenkunst, als die Griechen es ge wesen waren. Dass sich auf diese Weise giinstige Gelegenheiten 1. Allgemeine Einleitung. 295 darboten um sich die ganze damals existierende Mathe matik anzueignen, geniigte jedoch noch nicht. Wir haben ja gesehen, dass die griechische Wissenschaft lange ein toter Schatz fur die Griechen selbst gewesen war, und dass die Romer, die dieselbe Gelegenheit gehabt batten wie jetzt die Araber um der griechischen Mathematik teil- haftig zu werden, und zwar zu einer Zeit, wo diese nur noch wenig von ihrer urspriinglichen Frische veiioren hatte, nicht verstanden batten diese Gelegenheit zu be- nutzen. Vielleicht war die eigentiimliche romische Kultur trotz ihrer Begrenzung zu bedeutend, als dass die Romer mit Bezug auf die schwierigeren Teilen der griechischen Wissenschaft, namentlich auf die Mathematik, so taug- liche Schiiler werden konnten, wie es einerseits die Volker der Volkerwanderung mit Bezug auf die Kultur wurden, die sie durch die Romer empfangen konnten, und wie sich andererseits nun ein in der Kultur so neues Volk wie die Araber gegeniiber den Resten der griechischen Kultur zeigte. Nicht alle arabischen Herrscher zeigten sich gegen die Wissenschaft so feindlich wie C 0rnar, der zweite Naohfolger des Propheten, es war, selbst wenn auch die wesentlichste Zerstorung der Bibliothek in Alexandria vor seiner und der Araber Zeit stattgefunden hat. Im Gegen- teil entstanden zu verschiedenen Zeiten und an verschie- denen Orten Reihen von Fiirsten, die eiiie Ehre darin setzten die Wissenschaft zu fordern, und eben dadurch glaubten ihr eigenes Ansehen zu vermehren. Von diesen soil bier nur die Reihe von Kalifen, die Abb a si den, namlich Almansur, Harun Arraschid und Almamun (754833) genannt werden, die nach Omars Geschlecht folgten und 762 Bagdad griindeten und zu ihrem Sitz erhoben. Unter diesen wurden namentlich die Elemente des Euklid und der Almagest des Ptolemaus ins 296 Das Mittelalter- Arabische iibersetzt. Spater kamen hierzu Uoersetzungen von Diophant, Hero, Archimedes und Apollonius. Ausser diesen Hauptwerken haben die Araber ein nun- mehr verloren gegangenes Werk von Hipparch iiber quadratische Gleichungen gekannt. Gleichfalls lagen friih- zeitig Ubersetzungen von indischen Schriftstellern vor, und die indische Rechenkunst fand teils durch die indische Astronomie, teils wohl durch die Handelsverbindungen Eingang bei den Arabern. Die eigentlichen mathemati- schen Fortschritte, die man den Indern verdankt, scheinen dagegen keinen Einfluss auf die Araber geiibt zu haben, die mit Recht zu den Griechen als ihren besten Lehr- meistern in wissenschaftlicher Behandlung hinauf sahen und die weniger vollstandig begriindeten Theorien, die sich von den Indern entnehmen liessen, tibersehen batten. Dass die "Obersetzerarbeit sich allmahlich bis zu den schwierigsten griechischen Werken entstreckte, ist ein Zeugnis dafiir, dass nach und nach die Entwickelung er- reicht war, die erforderlich ist urn diese zu wiirdigen und zu verstehen. Aus dem, was wir hieriiber schon fruher gesagt haben, geht hervor, dass dies nicht ohne eine be- deutende selbstandige Arbeit bei den Arabern erreicht werden konnte. Fur den Umfang dieser Arbeit, und fur den Ernst, mit dem die einzelnen Mathematiker sich zur Teilnahme daran vorbereiteten, haben wir ein Zeugnis, wenn berichtet wird, dass Diophants Ubersetzer Abul Wafa, dessen eigene Verdienste wir spater erwahnen werden, in seiner Jugend Unterricht in spekulativer und praktischer Arithmetik (d. h. Algebra und Arithmetik) bei zwei Lehrern, und in Geometric bei zwei anderen Lehrern empfing. 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 297 2, Die Arithmetik und Algebra der Araber, Es war mein Wunsch - - unter anderem durch Ver- gleichung mit den Romern - - den Wert und Umfang der mathematischen Arbeiten der Araber hervorzuheben, damit man nicht herabsetzende Schliisse aus den verhalt- nismassig wenigen positiven Resultaten ziehe, die sie iiber das bin aus, was die Griechen bereits wussten, erreicht haben. Dieser letzte Umstand 1st indessen ein Grund dafiir, dass wir uns bier nicbt so viel rnit den Arabern beschaftigen konnen, wie der Umfang ihrer Arbeiten sonst beansprucben zu konnen scheint. Freilich werden wir dazu kommen die bedeutendsten mathematischen Schrift- steller anzufiihren, aber mehr als Beispiele fur die Rich- tungen, nach denen bin die Araber im ganzen arbeiteten, als als Glieder in einer zusarnmenhangenden Darstellung der arabischen Mathematik und ihrer Entwickelung. Die Zeit liegt indessen noch nicht so weit hinter tins, wo man, aus Mangel an richtiger Auffassung von den iiberlieferten griechischen Schriftstellern und wegen ungeniigender Bekanntschaft mit der indischen Mathema tik, den Arabern die Ehre fur die von den Griechen be- griindete Algebra sowohl wie fur die Rechenkunst der Inder zuerteilte. Diese Vorstellung hat sogar einen blei- benden Ausdruck in dem Namen Algebra erhalten und in einer anderen mathematischen Benennung, A Igor i th in us, die lange Zeit von der an das Positionssystem an- geschlossenen Zahlenrechnung gebraucht wurde, aber jetzt dahin erweitert ist, dass sie von jedem System von Be- zeichnungen und Annahmen gebraucht wird, das ein me- chanisches Ausrechnen nach bestimmten Regeln gestattet. Beide diese Benennungen ruhren von einem einzelnen Mann und von einem seiner Werke her, und mit ihrer 298 Das Mittelalter: Benutzung 1st die Vorstellung verbunden gewesen, dass wir ihm erst die Algebra mid die jetzt gebrauchliche Zahlenrechnung zu verdanken haben. Dieser Mann war Muhammed ibn Musa Alchwa- rizmi, und er gehorte zu dem Kreise von Gelehrten, die cler Kalif Almamun mit t)bersetzungen, mit einer geogra- phischen Gradmessung und mit anderen wissenscbaftlichen Arbeiten beschaftigte. Das Wort Algorithmus ist ge- bildet durch Ubertragung seines Zunamens auf ein Werk von ihm iiber die Rechenkunst, in dem Regeln fur das Rechnen mit Zahlen, die nach dem Positionssy stern ge- schrieben sind, gegeben werden, ist dann weiter auf Werke iibertragen worden, die spater die indische Art zu reclmen in Europa verbreitet haben, und von da aus endlich auf diese Art zu rechnen selbst. Das angefiihrte Werk kennt man durch eine lateinische Ubersetzung, die mit den Worten Dixit Algorithmic beginnt, und worin Erkla- rungen von der Zahlenschreibung und den vier Species in ganzen Zahlen und einfachen Briichen gegeben werden. Verdoppelung und Halbierung werden als besondere Rech- nungen aufgestellt. Fur die drei ersten Rechnungsarten wird die Neunerprobe genannt. Alles wird in Worten erklart und die benutzten Beispiele werden - - wenigstens in dem iiberlieferten lateinischen Text - nicht durch mit Ziffern geschriebene Zahlen erlautert, sondern die Zahlen werden in Worten dargestellt oder mit romischen Zahlzeichen. Es fehlt die Erklarung von dem, was man bei der Subtraktion zu thun habe, wenn eine Ziffer des Subtrahendus grosser ist als die entsprechende des Minuen- dus. Nach allem diesem wird es begreiflich, dass die indische Rechenkunst durch die tJbersetzung dieses Werkes nicht sofort in Europa recht zuganglich werden konnte. Seine Entstehung bei den Arabern ist jedoch ein Zeugnis dafiir, dass die indische Rechenkunst nunmehr bekannt 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 299 war. Sie konnte sich dann mit Hiilfe dieses Buches ver- breiten, wenn es gehorig erklart wurde; der Verfasser be- zeichnet diese Art zu rechnen ausdriicklich als indisch. Ebensowenig 1st der Verfasser Schuld daran, dass man ihm spater die Begrundung der Algebra bat zuschrei- ben wollen. Er berichtet, dass Almamun ihn aufgefordert habe em kurzes Werk iiber Aldschebr und Almukdbala zu schreiben, das sich auf das Leichteste und Gebrauch- lichste in der Arithmetik und ihren praktischen Anwen- dungen beschranke. Die beiden Worte, von denen er es sogar uberfliissig findet eine Erklarung zu geben, miissen also etwas bedeuten, das im voraus in weiterem Umfange bekannt war. Nach der sprachlichen Bedeutung der Worte und dem Zusammenhange, in dem sie gebraucht werden, bedeutet das erste die Operation, Glieder, die von der einen von zwei gleichen Grossen abgezogen werden sollen, zu der anderen hinzuzulegen, so dass die beiden gleichen Grossen jede nur positive Glieder enthalten. Das andere bedeutet die Operation, Glieder derselben Art, namlich einfache Zahlen, Unbekannte und ihre Quadrate, zusammen- zuziehen. Der Name fur die erste von diesen Operationen, mit der die Behandlung der Gleichungen beginnen sollte, ist also auf die gesammte Lehre von den Gleichungen ubertragen worden. Diese Lehre und spaterhin nament- lich ihre Behandlung durch eine Zeichensprache, ja im allgemeinen die Lehre, von Operationen mit Grossen mit- tels .einer Zeichensprache hat also einen Namen be- kommen, der eigentlich einer einzelnen algebraischen Ope ration angehorte, die nicht einmal mehr auf diese Weise benutzt wird. Nun legen wir namlich keinen Wert mehr darauf lauter positive Glieder auf jeder Seite des Gleich- heitszeichens zu erhalten, so wie die Griechen, Araber und ihre nachsten europaischen Nachfolger es thaten. Wie alles, was von den griechischen Mathematikern her- 300 Das Mittelalter: riihrt, hatte diese Operation indessen einen verniinftigen Grand. Man wollte sich namlich durch diese Anordnung versichern, dass die Grossen, die man gleichsetzte, positiv waren, welchen (positiven) Wert die Unbekannte auch er- halten wiirde, denn man erkannte nur positive Grossen an. Was wir in dem erwahnten Werke finden, ist na- mentlich die Behandlung von Gleichungen zweiten Grades und die Anwendung von diesen und von Gleichungen ersten Grades. Alles wird in Worten dargestellt, indem die Unbekannte wahrend der Behandlung Wurzel oder Ding genannt wird, ihr Quadrat einfaeh Quadrat . Die Losung von Gleichungen zweiten Grades wird durch geometrische Algebra gezeigt, doch zum Teil durch andere Figuren wie bei Euklid. So wird die Gleichung durch folgende Figur gelost. An die vier Seiten des un- bekannten Quadrates x 2 werden Rechtecke mit den Hohen - angelegt. Wenn die einspringenden Ecken der dadurch gebildeten Figur durch Quadrate mit der Seite -- aus- gefiillt werden, so soil das dadurch entstandene Quadrat a a 2 mit der Seite x -\- -- den bekannten Wert b -\- haben. Z 4 Diese Form der Losung, die auch bei anderen arabi- schen Schriftstellern vorkommt, und die wenigstens eine von Euklid unabhangige Anwendung der geometrischen Algebra darstellt, kann vielleicht aus uns unbekannten griechischen Arbeiten herriihren, z. B. aus Hipparchs bereits erwahnter Schrift iiber Gleichungen. Dass das Werk jedoch keineswegs in alien Stiicken eine Bearbei- tung eines griechischen Musters darstellt, sieht man aus den Anwendungen der Gleichungen auf praktische Ver- 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 3Q1 haltnisse des Lebens, z. B. auf das den Arabern eigen- tiimliche Erbrecht. Gleichfalls muss angefiihrt werden, dass Muhammed ibn Musa ebenso wie die Inder der Gleichung x 2 -\-a 2 =bx zwei Wurzeln beilegt. Ausser dem griechischen Werte n = 2 T 2 und dem moglicherweise griechischen Werte jr = 3,1416 kennt er den indischen Wert VIG, ein Zeugnis dafiir, dass er nicht das Zahlen- rechnen allein von den Indern gelernt hat. Was die Auflosung der Gleichungen zweiten Grades betrifft, so sieht man, dass Muhammed ibn Musa nur dasselbe bringt, was sich bei griechischen Schriftstellern findet. Dass spatere Geschlechter dieses bei ihm, nicht aber immer bei den griechischen Schriftstellern, als sie von neuem bekannt wurden, haben finden konnen, beruht darauf, dass er Zahlenbeispiele zu den allgemeinen, in geometrischer Form dargestellten Losungen hinzufiigt, wah- rend Euklid sich damit begniigt diese zu geben, Hero nur einige numerische Anwendungen giebt, und Diophant die Losung, die er aufstellt, nicht beweist. Machen wir nun einen Sprung bis zu der Zeit um das Jahr 1000, so treffen wir auf zwei sehr verschiedene Behandlungen der Arithmetik und des Rechnens. Aus der einen, die von Alnasawi herruhrt, sehen wir, dass damals grosse Fortschritte in der Benutzung der indischen Rechenmethode gemacht waren und damit im ganzen in geregelter Darstellung und Behandlung von Zahlengrossen . So giebt es Bezeichnungen fur Briiche, die mit unseren ZifTern - - denn die Zahlzeichen sind nicht iiberall die- selben, wo das Positionssystem benutzt wird - - aussehen wurden wie in den folgenden Beispielen: 15 A ^ 15 i 7 ^- 7 - 11 19 302 Das Mittelalter: Da sich aus dem hier erwahnten Buche ergiebt, wie gut die indische Rechenrnethode eingedrungen und ver- standen war, so 1st es liberraschend, zu derselben Zeit und an demselben Orte ein Rechenbuch von dem bedeu- tenden Mathematiker Alkarchi entstehen zu sehen, in dem sich gar nichts von der indischen Ausfuhrung der Zahlenrechnungen findet. Dagegen werden die Zahlen in Worten mitgeteilt, und selbst weitlaufige Rechnungen werden ohne Benutzung der ZifTern ausgefuhrt. Das scheint auf einen principiellen Widerstand gegen die in dische Rechenrnethode hinzucleuten, und man hat die recht wohl annehmbare Vermutung aufgestellt, dass dieser von den scharfen Gegensatzen zwischen religiosen Sekten herriihren konne. Neben solchen Erklarungen darf man jedoch nicht unterlassen zu priifen, ob der Unterschiecl zwischen Alnasawi und Alkarchi nicht auch in dem verschiedenen Ziel, das sie sich stecken, liegen kann. Der erste hat eben die Regeln fur die einfachste praktische Ausfuhrung von Zahlenrechnungen geben wollen; der zweite dagegen hat ein wissenschaftliches Werk iiber Zahlen und die Benutzung von Zahlen schreiben wollen, und da hat er mit gutem Grunde seinen Ausgangspunkt bei den Griechen und nicht bei den Indern gesucht. Wenn er dennoch die Regula de tri der Inder mitnimmt, so giebt er ihr eine sichere Grundlage in Euklids Pro portions! ehre. Wenn er es unterlasst solche mechanische Hulfsmittel mitzuteilen, die wirklich dazu dienen konnen die vorliegenden Zahlenrechnungen zu bewaltigen, so geht er nicht einmal so weit wie Euklid, der nicht nur ganz von den mechanischen Hiilfsmitteln schweigt, die man anch zu seiner Zeit gehabt haben muss, sondern auch nicht ein einziges Zahlenbeispiel giebt. Dass Alkarchi (1< nnoch Veranlassung findet eine Anzahl griechischer Methoden des Rechnens zu erklaren, die weit hinter den 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 3Q3 indischen zuriickstehen, kann von seiner Bewunderung fiir die Griechen herriihren. Diese kann ihm ein theore- tisches Interesse fiir den Zusammenhang dieser Rechen- methoden verliehen haben, das man fiir die indischen Rechenmethoden noch nicht besass. Wie nun auch der Unterschied zwischen den beiden Schriftstellern zu erklaren sein mag, immerhin zeigt er, dass die Verschmelzung der griechischen und indischen Beitrage zu Mathematik und Rechnen Zeit erforderte. Beide Biicher zeigen jedoch zugleich, dass man jetzt beide in recht bedeutendem Umfange zu seiner Verfiigung hatte. Dass auch Alkarchi jedenfalls verstand mit Zahlen umzugehen, und zwar unter Benutzung anderer mechani- scher Hiilfsmittel als in seinem Rechenbuche zu finden sind, das geht teils aus den weitlaufigen Rechnungen her- vor, die sich immer noch in diesem Buche finden, teils aus seinem bedeutenderen algebraischen Werke Alfachri, wie es wahrscheinlich nach einer Person genannt ist. In diesem zeigt er sich als ein hervorragender Schiller von Diophant, der nicht nur in grossem Umfange dessen Untersuchungen und Beispiele wiedergiebt, sondern zu gleich selbst bedeutende Fortschritte macht. In dieser Beziehung lasst sich anfiihren, dass er Diophants Zeichen- sprache erweitert, ja sogar an einzelnen Stellen Zeichen fiir zwei Unbekannte benutzt ; dass er vollstandigere Re- geln fiir das Rechnen mit Grossen giebt, in denen eine Unbekannte vorkommt, und dass er viele andere Beispiele behandelt als diejenigen, die sich bei Diophant finden, ja dass er sich sogar auf neue Arten von unbestimmten Aufgaben einlasst. Als Beispiel hierfiir mogen die Glei- chungen angef iihrt werden ; setzt man y = mx, z = nx, so f olgt 304 Das Mittelalter: x = m 2 a = n 2 b, wo m 2 und n 2 willkiirlich gewahlte Quadratzahlen mit der Differenz a b sind. Grosseres Gewicht jedoch wollen wir auf die melir begriffsmassigen Fortschritte legen, die wir antreffen. Damit diese verstanden werden konnen miissen wir be- merken, dass Alkarchi sich nicht nur Diophants prak- tische Behandlungsmethoden angeeignet hatte, sondern dass er auch, wie er ja bereits in seiner Arithmetik ge- zeigt hatte, ein vollkommenes Verstandnis von dem hatte, was nach griechischer Denkweise fur einen Beweis erfor- derlich war. Geometrische Beweise, die ja die einzige Form fiir allgemeingiiltige Beweise waren, giebt er jedoch nur fiir Losungen von Gleichungen zweiten Grades, und selbst da bewegt er sich mit grosserer Freiheit als die Griechen, da er in einem von diesen Beweisen a? 2 und a x durch Strecken darstellt, etwas, was ein griechischer Schrifteteller in einem Beweise nur indirekte dadurch wiirde machen konnen, dass er a? 2 und a x in Rechtecke mit derselben Seite verwandelte. Er begniigt sich indessen damit die meisten Regeln durch ein einziges Beispiel zu erlautern, das zeigen soil, wie sie aus den Rechnungen selbst hervorgehen. Ja er bemerkt sogar ausdriicklich, dass man sich auf das Verstandnis der Regeln fiir alge- braisches Rechnen vorbereiten miisse durch die allgemeinen arithmetischen Regeln, die er in seinem friiherem Werke gegeben habe. Er verspricht derartige arithmetisch-alge- braische Regeln in grosserem Umfange in einem Werke zu geben, das wir nicht besitzen. An und fiir sich liegt vielleicht iiichts Neues in diesen Betrachtungen, denn das wirkliche Rechnen mit rationalen Zahlen musste auch fiir die Griechen in vielen Beziehungen das Vorbild fiir die geometrische Behandlung gewesen sein, durch die sie es dahin brachten, dass dieselben 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 3Q5 Operationen irrationale Grossen umfassten. Von grosser Bedeutung aber 1st es, dass diese Betrachtungen ausdriick- lich hervorgehoben werden. Dies zeigt sich bei Alkarchi in der Freiheit, mit der er irrationale Wurzelgrossen be- handelt. Diese werden allerdings nicht durch Zeichen dargestellt, sondern in Worten, die den Benennungen von Potenzen mit demselben Exponenten entsprechen; aber wie bei den Indern wird ausdriicklich gezeigt, wie man mit ihnen rechnen kann, namlich tells wie sie multipli- ciert und dividiert werden konnen, welchen Wert die Po- tenz auch haben mag, teils wie Quadrat- und Kubikwur- zeln addiert und subtrahiert werden konnen, wenn die Potenzen ahnliche ebene oder raumliche Zahlen sind. Die letzten Satze werden nicht dadurch bewiesen, dass rationale Faktoren mittels der ersten Satze ausserhalb des Wurzelzeichens gebracht werden, sondern durch Anwen- dung der Formeln fur (a4^b) 2 und ( + &) 3 . Wir sehen also, dass Alkarchi mit irrationalen Wurzelgrossen rechnet, oder mit anderen Worten, dass er sie auch als Zahlen auffasst. Indirekt thut er das auch dadurch, dass mehrere von seinen bestimmten Gleichungen zu irrationalen Wurzeln fiihren, dass also in den Gleichungen, die zu diesen gefiihrt haben, die Zeichen, die unserem x m entsprechen, Potenzen von irra tionalen Zahlen darstellen, wahrend Diophant stets vor- aussetzt, dass x eine rationale Zahl sein soil. Nun haben wir allerdings gesehen, dass die Inder ohne Skrupel mit irrationalen Zahlen rechneten, aber diesen ist Alkarchi wissentlich kaum gefolgt. Von Bedeutung bleibt es, dass wir hier dasselbe von einem Manne thun sehen, der von den griechischen Schriftstellern her vollkommen mit dem Begriffe des Irrationalen vertraut ist, und der durch die Weise, wie er zwischen den geometrischen Beweisen und den arithmetischen Erklarungen unterscheidet, zu erkennen 20 306 Das Mittelalter: giebt, dass er sich bewusst 1st, dass die letzteren keine allgemeingiiltigen Begriindungen liefern. Als Schiller der Griechen konnten die Araber deshalb nicht bei den arith- metischen Erklarungen stehen bleiben. Das sehen wir aus der Algebra, die uns von dem angesehenen arabischen Mathematiker Omar Alchaijami, der im 11 ten Jahr- hundert lebte, hinterlassen ist. Dieser setzt seine Erkla rungen von der Bedeutung der irrationalen Wurzelgrossen in direkte Verbindung mit den strengen griechischen Be- griffen. Er unterscheidet zwischen arithmetischen und geometrischen Auflosungen von Gleichungen. Die ersten will er nicht nur wie Diophant, und was in diesem Zusammenhange ausreichend sein wiirde rational haben, sondern auch ganz. Da sich niit diesen Grossen rechnen lasst, so ist ein arithmetischer Beweis fiir die Richtigkeit solcher Auflosungen ausreichend. Die Auflosungen der zvveiten Art konnen irrational sein, und deshalb mussen sie geometrisch dargestellt werden und verlangen einen geometrischen Beweis. Quadratwurzeln und Kubikwurzeln werden dann durch die von den Griechen her bekannten Konstruktionen von einer und zwei mittleren Proportio- nalen dargestellt. Fiir Wurzelgrossen hoherer Ordnung lasst sich, weil der Raum nur drei Dimensionen hat, keine geometrische Darstellung durchfiihren, und eine andere allgemeine Darstellung kennt Alchaijami nicht. Bei der Bildung von Potenzen hoherer Ordnung weist er dagegen in Ubereinstimmung mit Euklids Proportions- lehre auf die Bildung zusammengesetzter Verbal tnisse bin, wodurch auch indirekt eine Erklarung von dem gegeben wird, was die irrationalen Wurzelgrossen hoherer Ord nung, die wir bei Alkarchi getroffen haben, bedeuten mussen. Alchaijamis Auffassung, deren theoretische Bedeutung Alkarchi vermutlich auch anerkannt haben wiirde, ist also vollkommen griechisch. 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 397 Was die Berechnung von Wurzelgrossen betrifft, so verweist Alchaijami auf das Ausziehen der Quadrat- und Kubikwurzel bei den Indern, und fiigt hinzu, dass er selbst anderswo - - dann aber in einem . unbekannten Werk - - Regeln fiir das Ausziehen von Wurzeln mit einem beliebigen Exponenten gegeben habe. Dazu muss er sicherlich Binomialkoefficienten fiir ganze Exponenten gekannt haben, muss also mit den Regeln fiir die Bildung dieser Koefficienten bekannt gewesen sein. Er sagt, dass er das Ausziehen dieser Wurzeln nur arithmetisch gezeigt habe. Dann hatte es fur ihn auch nur Giiltigkeit, wenn es sich mit Genauigkeit ausfiihren liess. Ohne dies hat er ja nach dem Vorhergehenden dessen wirkliche Bedeu- tung sogar nur angedeutet. Indessen ist es klar, dass sowohl das Ausziehen soldier Wurzeln wie dasjenige von Quadrat- und Kubikwurzeln sich auch fiir eine genaherte Berechnung irrationaler Wurzeln benutzen lasst. Als Bei- spiel fiir die Beschaftigung mit genahertem Wurzelaus- ziehen konnen wir im iibrigen anfiihren, dass Alkarchi fiir y<2 2 4-r, wenn a die nachst kloinere ganze Zahl ist, f a -f- :- als weiteren Naherungswert angiebt. Diesen 2i CL ~j 1 Wert erhalt man, wenn man die Regel der zwei falschen Ansatze (S. 275) oder die Interpolation zwischen a und a -f- 1 anwendet. Wie verschieden die hier erwahnte Beschaftigung mit Wurzelgrossen bei Alkarchi und Alchaijami auch sein mag, so musste sie doch dazu beitragen bei den Arabern ein Problem hervorzuziehen, welches durch die griechische Behandlungsweise etwas verdeckt worden war, namlich die Losung der kubischen Gleichung durch Quadrat- und Kubikwurzeln. Wenn die Griechen sich auch moglicher- weise in alteren Zeiten mit dieser Aufgabe beschaftigt haben, so musste sie doch etwas von ihrem Interesse da- 20* 808 Das Mittelalter: durch verlieren, dass man die kubischen Gleichungen direkt durch eben dieselben geometrischen Mittel losen konnte, die gleichfalls zu einer allgemeingiiltigen Darstel- lung der Kubikwurzel dienen mussten, namlich das Dmvh- Bchneiden von Kegelschnitten. Ja wie wir gesehen haben, verschwand das Interesse dafiir, so wie Archimedes es gethan, Aufgaben auf kubische Gleichungen zuriickzu- fiihren, da man sah, dass man auch olme eine solche Zuruekfuhrung Aufgaben durch eben dieselben Hiilfsmittel losen konnte. Es gelang den Arabern nun allerdings nicht die L6- sung der kubischen Gleichung zu finden, aber das Inter esse, das sie ihr bewiesen, tritt in zahlreichen Unter- suchungen hervor. Der wichtigste Ausgangspunkt fur diese Untersuchung war teils Archimedes Aufgabe von der Kugelteilung, teils die alte Auflosung dieser Aufgabe durch Kegelschnitte (vergl. S. 217 ff.), von der man an- nimmt, dass sie von Archimedes oder doch aus seiner Zeit stammt. Da diese, wie wir gesehen haben, alle Glei chungen von der Form x 3 -fa a? 2 -\-b==0 umfasst oder doch leicht dahin gebracht werden kann sie zu umfassen, da ferner die Bedingung fiir gleiche Wurzeln ausdriicklich angegeben wird, und da man leicht entweder die allgemeine Gleichung dritten Grades auf diese Form zuriickfuhren oder sie wesentlich auf dieselbe Weise behandeln kann, so waren auf diesem Punkte be- smiders grosse wissenschaftliche Schwierigkeiten nicht /u iiberwinden. Die Araber fiihrten indessen die Untersuchung der kubischen Gleichungen insofern weiter, als sie Ein- teilungen der Gleichungen dritten Grades aufstellten, teils nach den Vorzeichen der Koefficienten, teils nach <1< -n Werten von diesen, die zu mehr oder weniger Wurzeln 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 399 fiihren. Die vollstandigste von diesen Einteilungen findet sich in C 0mar Alchaijamis Algebra. Fur den einzelnen Fall wird gezeigt, wie die Aufgabe sich durch Kegelschnitte 16 sen lasst und wie viele Wurzeln sie erhalt, d. h. posi tive Wurzeln, denn nach anderen fragen die Araber nicht. Alchaijamis Einteilung leidet jedoch an Mangeln, die davon herriihren, dass er nicht den Diorismus genau an- giebt, der bei der griechischen Behandlung die Haupt- ausbeute aus der Losung durch Kegelschnitte ist. Anderen arabischen Schriftstellern, namentlich Alkuhi, gelingt dies besser im Anschluss an das durch Eutokius iiber- lieferte Manuskript. Dadurch dass die Gleichungen dritten Grades be- stimmter hervorgezogen wurden als es in der jetzt und damals iiberlieferten griechischen Geometric der Fall war, wurden sie auch ein mehr bestimmtes Durchgangsglied fiir die Losung von anderen Aufgaben, sowohl von solchen, die von den Griechen her vorlagen, als auch von neuen. Unter den ersteren fand namentlich die Dreiteilung des Winkels eine grosse Menge von Auflosungen. So haben wir diejenige, die man wegen ihres Zusammenhanges mit den archimedischen Hiilfsatzen vielleicht dem Archi medes zuschreiben darf (S. 79), von den Arabern erhalten. Alkuhi fand auch die Losung der Aufgabe, einen Kugel- abschnitt aus seinem Volumen und seiner krummen Ober- flache zu bestimmen, und schloss daran eine Begriindung des zu dieser Aufgabe gehorigen Diorismus, den Archi medes am Schlusse des 2ten Buches iiber die Kugel und den Cylinder mitteilt (vergl. S. 185 und 2 20). Da es den Arabern nicht gelang, eine allgemeine Losung der Gleichungen dritten Grades durch VVurzel- grossen zu finden, so mussten sie, wenn praktische Be- rechnungsaufgaben auf Gleichungen dritten Grades fiihrten, sich an eben diese halten was im iibrigen ja auch 310 Das Mittelalter: jetzt noch leichtere Mittel fiir die Berechnung liefert als die Anwendung der allgemeinen Losung . Ein sehr hiibsches Beispiel fiir eine numerische Berechnung einer \Yurzel einer kubischen Gleichung ist uns erhalten ge- blieben. Sie rtihrt wahrscheinlich von dem Arzte Alkasrhi aus dem 15ten Jahrhundert her, und geht darauf aus sin 1 zu finden, der, da sin 3 bekannt ist, von einer Gleichung von der Form abhangt. Da x klein ist, so kann man es mit einer ge- wissen Annaherung gleich setzen. Fiir diese Grosse wird ein solcher Naherungswert a berechnet, dass der Divisionsrest R klein von derselben Ordnung wie a 3 wird; dann wird x = a -f- y gesetzt oder (a -f woraus /y = Da der Rest R, der von derselben Ordnung ist wie a 3 , im Vergleich zu a z y gross ist, so kann man in einer angenaherten Berechnung die Glieder im Zahler, die y enthalten, fortlassen, und man erhalt dann mit einer neuen Annaherung __a*_R S y- p- -p Dann wird in die genaue Gleichung y = b -f- z ein- gesetzt, worauf wieder z auf ahnliche Weise mit Annahe rung bestimmt wird. - - Die Briiche werden als Sexagesi- malbriiche dargestellt. 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber. 31 1 Das Ziel der hier angefiihrten Berechnung gehort unter die Trigonometrie, mit der wir uns bald beschai tigen werden; aber bevor wir die Arithmetik, Algebra und Zahlentheorie der Araber verlassen, bei denen wir bis dahin namentlich die verschiedenen allgemeinen Auffas- sungen beriicksichtigt haben, wollen wir einige Proben von den Resultaten mitteilen, die innerhalb dieser Gebiete, namentlich in der Zahlentheorie gewonnen sind. Im 9ten Jahrhundert hat Thabit ibn Kurra, im Anschluss an Euklids Bestimmung von vollkommenenZahlen (S. 158), Regeln gegeben 1 iir die Bestimmung solcher Zahlen, die die Pythagoreer befreundete Zahlen nannten, d. h. solche, von denen die eine gleich der Summe der Fak- toren der anderen ist. Die Regel lautet f olgendermassen : Sind p = 3.2"-- 1, g = 3 . 2"- 1 1, r = 9 . 2 2n ~ l 1 lauter Primzahlen, so sind 2 n .p . q und 2 n . r befreundete Zahlen. Vom IQten Jahrhundert an haben die Araber sich mit den sogenannten Zauberquadraten beschaftigt; bei diesen werden die dazu sich eignenden Zahlen so in Qua- draten zusammengestellt, dass die Summen der Zeilen, Kolumnen und Diagonalen gleich gross sind. Das alteste Beispiel fiir ein solches Zauberquadrat findet sich in einer vielleicht 4 5000 Jahre alten chine sischen Tafel; es ist 834 1 5 9 6 7 2. Die Araber bildeten auch Zauberquadrate aus den Zahlen bis 16, 25 und 36, und gaben an, dass ahnliche sich aus den Zahlen bis 49, 64 und 81 bilden liessen. Ubrigens haben indische und byzantinische Mathematiker sich auch mit demselben Gegenstand beschaftigt. 312 Das Mittelalter: Von grosserem mathematischen Interesse ist ein zahlen- theoretischer Satz, den Alchodschandi ungefahr um das Jahr 1000 fand, dass namlich die Gleichung x 3 -\- y 3 = z 3 sich nicht rational losen lasst. Bei Alkarchi trifft man die von den Griechen her bekannten Summationen von I 2 -[- 2 2 -J- 3 2 -f- . . . und 13_|_2 3 + 3 3 -f-... Mit dem Beweise fiir die erste kann er jedoch nicht fertig werden; er kennt also nicht den Beweis von Archimedes. Fiir die zweite giebt er da- gegen den Beweis, den wir anfiihrten, als wir von der Bekanntschaft der Griechen mit diesem Satze sprachen (S. 245). Dagegen bedeutet es einen wirklichen Fort- schritt, wenn der bereits genannte Alkaschi die Reihe l 4 -f-2 4 -|-3 4 -j-...-f-^ 4 summiert; als Summe giebt er an 3, Die Trigonometrie der Araber. Ein Gebiet, auf dem man den Arabern bei ihrem Vertrautsein mit griechischer Geometric und indischer Rechenkunst umfassendere Fortschritte zu verdanken hat, ist die berechnende Geometric oder die Trigonometrie, wie wir sie jetzt um so mehr nennen konnen, als die Araber wie die Inder Sinustafeln statt der Sehnentafeln des Ptolemaus benutzten. Da der Name sinus auch insofern indischen Ursprung hat, als er die richtige latei- nische Ubersetzung eines arabischen Wortes ist, das durch Entstellung des indischen Wortes fiir sinus entstanden war, so konnen die Inder allerdings Veranlassung zu dieser Anderung gegeben haben, aber die Araber haben 3. Trigonometrie der Araber. ihre Trigonometrie der Hauptsache nach nicht von ihnen gelernt. Die Anderung ist namlich ausdriicklich von dem Astronomen Albattani eingefiihrt als eine Erleichterung der vom Almagest her bekannten Berechnungsmethoden. Bei der Berechnung der Tafel karn es nun namentlich darauf an sin 1 oder sm-J zu finden, die sich ja nicht durch quadratische Gleichungen bestimmen lassen. Wir haben soeben eine von einem spateren Schriftsteller be- nutzte numerische Losung der dazu dienenden kubischen Gleichung kennen gelernt. Friiher benutzte man sowohl hier wie spater bei der Berechnung von sin 10 eine Interpolation zwischen solchen sinus, die sich durch Quadratwurzeln ausdruckeri liessen, und die im wesent- lichen von derselben Art war wie diejenige, wodurch Ptolemaus die Sehne von 1 fand. Eine solche wendet z. B. der grosse Astronom und Mathematiker Abul Wafa in der zweiten Halfte des lOten Jahrhunderte an. Die Araber blieben indessen nicht bei Sinustafeln stehen, sondern Abul Wafa berechnete zugleich Tangenten- tafeln. Was die Genauigkeit der Tafeln betrifft, so gelangte man zu Sinustafeln von 10 zu 10 Minuten mit der Fehlergrenze . Abul Waf as Tangententafeln haben sogar die Fehlergrenze . Was nun die Anwendung der Tafeln betrifTt, so finden wir bereits bei Albattani die Formel cos a = cos b cos c -f- sin b sin c cos A. Im ubrigen hielt man sich der Hauptsache nach an Ptolemaus Formeln (vergl. S. 234), die fur die Be- nutzung von Sinustafeln umgeformt worden waren. Ge- wohnlich geschieht dies ohne Aufstellung eines Beweises. Beweise, die zugleich von Ptolemaus Anwendungen des sogenannten Theoremes von Menelaus abweichen 314 Das Mittelalter: finden wir bei Dschabir ibn Aflah, bekannter unter dem Nanien Geber, der im 11 ten Jahrhundert in Sevilla in Spanien lebte. Ihm gebuhrt zu gleicher Zeit die Ehre, die zu dem rechtwinkeligen spharischen Dreieck gehorenden Formeln durch eine Relation zwischen zwei Winkeln und einer Seite erganzt zu haben. Diese wird durch dieselbe Figur gefunden, die Ptolemaus benutzte, in der DEF ein grosster Kreis ist, der zum Pol den Scheitelpunkt des Winkels A in dem bei B rechtwinkeligen Dreieck ABC hat. "Das gleichfalls recht- winkelige Dreieck DEC hat namlich den Winkel C mit ABC gemeinsam, und DE = 90 A, CD i 90 a woraus folgt , dass cos A = cos a sin C. Dieser Satz heisst derGebersche. Geber ist der einzige West- _, araber, von dem zu sprechen wir Veranlassung haben. Von der westarabischen Mathematik, die sich am unmittelbarsten zu den europaischen Volker- sahaften verbreitete, wollen wir im iibrigen nur bemerken, dass die arithmetisch-algebraische Behandlung sich bei ihr mehr als bei den ostarabischen Schriftstellern von den von den Griechen herriihrenden geometrischen Formen befreite. Hiermit waren einige Erweiterungen in der Be- nutzung mathematischer Zeichen verbunden, beispielsweise die Einfiihrung eines Zeichens fiir die QuadratwurzeL Die Ehrfurcht vor den griechischen Schriftstellern dauerte jedoch bei den Westarabern fort, so dass man durch diese in Europa die griechischen Schriftsteller kennen lernte, wenn auch bedeutend langsamer, als es geschehen ware, wenn man die Ostaraber zu Lehrern gehabt hatte. Dafiir kam Rechnen, Arithmetik und Algebra in leichter 4 Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 315 zuganglichen Formen nach Europa. Die hochste Vor- stellung von der Matkematik der Westaraber erhalt man durch ihren ersten grossen europaischen Schiiler Leo nardo von Pisa: denn em wie grosses mathematisches Genie er auch selbst sein mochte, der Umfang seiner Kenntnisse zeugt dennoch auch sowohl von der Tuchtig- keit seiner Lehrer, als auch von ihrem umfassenden Wissen und ihrer genauen Bekanntschaft mit der alteren arabischen und dadurch auch mit der griechischen Mathematik. 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa, Es kann nicht unsere Absicht sein uns hier mit Einzelheiten in der bescheidenen Entwickelung zu be- schaftigen, die das von den Romern empfangene Rechnen auf dem Abacus in den Klostern erfuhr, oder mit den Wegen, auf welchen andere Mittel des Rechnens und eine bessere Mathematik als die von den Romern iiber- lieferte von den Arabern her in Europa eindrang. Wenn wir jedoch nun den grossten europaischen Mathematiker des Mittelalters, Leonardo von Pisa, etwa 1200, be- sprechen wollen, so miissen wir, um ihm den rechten Hintergrund zu geben, beriihren, wie weit man zu seiner Zeit sonst in Europa gekommen war. Damals lagen Ubersetzungen aus dem Arabischen vor von Rechenbiicherii (Algorithmen), von einer Algebra mit Gleichungen vom ersten und zweiten Grade, ja von Euklids Elementen und Ptolemaus Almagest; aber die einzelnen hand- schriftlichen Exemplare waren rein ausserlich nur ausserst wenigen zuganglich, und das wirkliche Eindringen in den Inhalt und das Vermogen ihn zu benutzen war bei 316 Das Mittelalter: diesen gewiss auch sehr begrenzt. Das algorithmische, d. h. indische Rechnen war bereits damals im Begriff etwas Verbreitung in gelehrten Kreisen an mehreren Orten zu gewinnen, wahrend andere das Rechnen auf dem Abacus benutzten, zu dessen Forderung einige Jahr- hunderte fruher Gerbert, der spatere Papst Sylvester II beigetragen hatte, und bei dem man nun wohl meistens die Zahlzeichen auf die eingeteilten Kolumnen schrieb (S. 293). Der Unterschied zwischen den beiden Rechen- methoden bestand also darin, dass die algorithmische durch Benutzung des Zeichens dieEinteilung in Kolumnen entbehren konnte. An die verschiedenen Rechenrnethoden kniipften sich iibrigens verschiedene Traditionen, darunter die fur die Algorithmiker etwas herabsetzende, dass sie dauernd dem Muhammed ibn Musa darin folgten, Verdoppelung und Halbierung als besondei*e Rechnungs- arten auszuscheiden. Dagegen batten sie den Vorzug, dass sie nicht nur wie die Abac is ten Quadratwurzelh, sondern auch Kubikwurzeln kannten. Die Algorithmiker benutzten Sexagesimalbriiche, wahrend die Abacisten zum Teil fortf uhren die vom Miintzsystem der Romer stammende Zwolfteilung zu gebrauchen. Leonardo Fibonacci, das heisst Sohn des Bo- naccio, wie man ihn oft nach dem Beinamen seines Vaters nennt, stammt aus der wichtigen Handelsstadt Pisa, wo er friihzeitig das Rechnen auf dem Abacus lernte. Auf Geschafts- (oder vielleicht Dienst-) reisen besuchte er dann Agypten, Syrien, Griechenland, Sicilien und die Provence, wobei er sich weiter in Rechenkunst und Mathematik ausbildete. Was er auf diese Weise lernte, das suchte er dem lateinischen Volksstamme durch sein umfangsreiche Werk Liber abaci zuganglich zu machen, in dem er mit iibeiiegener Tiichtigkeit zahl- reiche Beispiele so zu sagen fur alles Rechnen giebt und 4 Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 317 behandelt, auf das wir bis dahin getroffen sind: Rechnen mit ganzen Zahlen, die nach dem Positionssystem geschrie- ben sind, und mit Briichen; alle Arten kaufmannisches Rechnen; Losung von Aufgaben, die auf eine Gleichung gebracht, von Gleichungen ersten Grades abhangen wiirden, mit Hiilfe der beiden Regeln des falschen Ansatzes und der indischen Umkehrungsmethode; Differenzreihen erster und zweiter Ordnung ; Aufgaben, die von Quotientenreihen abhangen, oder die, wie diejenige liber die Vermehrung der Kaninchen, als Aufgaben iiber Zinseszinsrechnung gelost werden; zum Teil solche, die von unbestimmten Gleichungen ersten Grades abhangen -- ohne dass Leo nardo jedoch wie die Inder bestirnmte Regeln fur ihre Auflosung giebt ; Ausziehen der Quadrat- und Kubik wurzel; endlich Aufgaben, die von bestimmten und un bestimmten Gleichungen zweiten Grades abhangen. Der Name Liber abaci scheint nicht ganz dazu zu stimmen, dass Leonardo durchweg das Zahlzeichen gebraucht. Indessen weiss man, dass er selbst von vorn herein in der Benutzung des Abacus unterrichtet worden ist. Die indische Rechenkunst hat er dagegen direkt von den Arabern gelernt, und er ist ihr vielleicht kaum ein- mal in Europa begegnet, wo sie wohl nur in einzelnen geistlichen Kreisen bekannt gewesen ist. Dass er nicht ursprunglich Algorithmiker ist, ergiebt sich daraus, dass er, wie er sagt, selbst das Ausziehen der Kubikwurzel gef linden hat. Dies findet sich noch nicht bei Alkarchi, der von den bekannten arabischen Schriftstellern derjenige ist, von dem er am starksten beeinflusst zu sein scheint. Von ihm hat er eine grosse Menge Aufgaben entlehnt, die er jedoch mit Selbststandigkeit behandet. Es stimmt auch zu Alkarchis angenaherter Berechnung einer Quadratwurzel (S. 307), wenn Leonardo eine weitere Annaherung an eine Kubikwurzel, von der die Anzahl 318 Das Mittelalter: cler Ganzen bereits gefunden 1st, durch die Regel der zwei falschen Ansatze bestimmt. 1st |/a 4- r die gesuchtc Kubikwurzel imd sind a die darin enthaltenen Ganzen, -** so wird der Naherungswert a -f- ; . Leonardos Darstellung ist im Liber abaci durchweg von wirklichen Beweisen in geometrischer Form begleitet. Dasselbe ist der Fall mit seiner Practica geometrica, die unter anderem auch Anziige aus den damals aussiTst wenig bekannten stereometrischen Biichern Euklids ent- halt. Seine Beweise sind oft verschieden von denjenigen Euklids. Dadurch dass er iiberhaupt Beweise giebt, weiclit er nicht nur von den geometrischen Arbeiten ab, die damals in Europa entstanden, sondern auch von vielen arabischen Schriftstellern. In den hier genannten Schriften rnacht Leonardo in klarer Form, die selbststandige Aneignung und freie Be- handlung verrat, die wichtigsten vorher bekannten arith- rnetischen, algebraischen und elemental geometrischen Satze zuganglicher als sie durch Ubersetzung werden wiirden, und erlautert namenlich die ersten durch zahl- reiche Beispiele. Sein eigenes Vermogen bedeutende Schwierigkeiten zu iiberwinden tritt dagegen am besten hervor in seinen Losungen von einigen Aufgaben, die ihm in Gegenwart Kaiser Friedrichs II vom Philosophen des Kaisers, Magister Johannes von Palermo, gestellt wurden. Die eine von diesen lief darauf hinaus eine Quadratzahl zu finden, die, um die Zahl 5 vermehrt oder vermindert, neue Quadratzahlen giebt, oder die Gleichungen 7 y _ y -x -- v a rational zu losen, wenn a 5. Die Gleichungen (1) waren fruher von arabischen Mathematikern behandelt worden, 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 319 und diese batten gefunden, dass sowohl a? 2 -f- a wie x 2 a Quadratzahlen sind, wenn x = m^-^n 2 , a = 4mra(m 2 n 2 ). Diese Resultate ergeben sich iibrigens leicbt ausDiophants gewohnlicher Behandlung von doppelten Gleichungen (S. 251 ; siehe auch die erste Aufgabe S. 254) in Verbin- clung mit Euklids Bestimmung von rationalen rechtwinke- ligen Dreiecken. Leonardo gelangt auf einem etwas ver- schiedenen Wege zu deriiselben Resultat, indem er den Satz benutzt, dass die Quadratzahlen Summen der ersten ungeraden Zablen sind. Dernnachst kommt es darauf an m und n so zu bestimmen, dass 41 o o \ mn[m* n*) einen gegebenen Wert erhalt, im vorliegenden Falle 5. Leonardo beweist zuerst, dass Zahlen von dieser Form, wenn m und n ganze Zahlen bedeuten, durch 24 teilbar sind. Um womoglich Gleichungen zu erhalten, die sich in ganzen Zahlen losen lassen, muss man also die gegebenen Gleichungen mit einem solchen Quadrat multiplicieren, dass das neue a durch 24 teilbar wird. Leonardo multipliciert mit 12 2 und findet, dass 5.12 2 =4.5.4(5 + 4)(5 4), won ach 41 2 + 5.12 2 Quadratzahlen werden. Die gesuchten Quadrate findet man dann durch Division mit 12 2 ; es . 41V . /49V smd und /31V (w In seiner sehr allgemein angelegten Untersuchung findet Leonardo Gelegenheit eine allgemeine Bestimmung von der Summe der ersten ungeraden Quadratzahlen bis zu einer gewissen Grenze hinauf zu geben. Leonardos Losung bringt also mehr als wonach er gefragt ist. 320 Das Mittelalter: Erne andere der gestellten Aufgaben verlangt x aus der Gleichung a? 3 + 2 a? 2 + 10^ = 20 zu bestimmen. Leonardo findet zuerst, dass x zwischen 1 und 2 liegt, also keine gauze Zahl sein kann. Darauf weist er nach, dass x kein rationaler Bruch sein kann, und auch keine von den irrationalen Grossen, die Eu- klid in seinein lOten Buche aufstellt. Den Inhalt dieses scbwierigen Buches, das er studierte um darin eben moglicherweise Fprmen fiir exakte Ausdriicke fiir die Wurzeln der vorgelegten Gleichung zu finden, hat Leo nardo vollkommen richtig verstanden, wenn er auch, wie er sagt, Zahlen an die Stelle der in geometrischer Form dargestellten allgemeinen Grossen setzt. Da die Wurzel nun keine Grosse von bekannter Form ist, so muss Leonardo sich damit begniigen einen Naherungswert zu suchen. Diesen driickt er in Sexagesi- malbruchen aus und findet x = 1 22 1" 42 " 33 7 ^ 4 V 40 VI , em Resultat, das nur etwa um 1^ VI zu gros ist. Leo nardo sagt nicht wie er es gefunden hat. Gewiss ist er auch keiner bestimmten vorgeschriebenen Methode gefolgt, sondern er hat wie es ein geiibter Rechner heutzutage auch thun wiirde nach und nach die Korrektionen zu den bereits gefundenen Werten gepriift, die bei Beriick- sichtigung aller vorliegenden Urnstande fiir die zweck- massigsten angesehen werden mussten. Um solche Ver- suchswerte zu finden, hat er die Regel der zwei falschen Ansatze besessen, die er, wie aus seinen Berechnungen von Kubikwurzeln hervorgeht, als Interpolation zu benutzen verstand. Als guter Rechner hat er iibrigens auch ver standen den Nennern in den durch diese Methode be- 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 321 stimmten Korrektionen solche Abmndungen zu geben, dass seine Methode mehr derjenigen von Viet a geglichen hat, oder wie man sie gewohnlich nennt, der Newtonschen Methode zur angenaherten Berechnung der Wurzeln einer algebraischen Gleichung. Diese Methode 1st im iibrigen nur eine Erweiterung derjenigen, die von Leonardo be- nutzt wurde und die noch benutzt wird fur die successive Bestimmung der Ziffern in einer Quadrat- oder Kubik- wurzel, und die von den Astronomen seit Ptolemaus benutzt word en war fiir die Bestimmung der successiven Sexagesimalbruche einer Quadra twurzel. Es ist vor kurzern nachgewiesen, dass die vorgelegte Gleichung so gewahlt ist, dass man, wenn man wahrend der Rechnung Sexa gesimalbruche benutzt und die successiven Korrektionen mit einigem Geschick wahlt, verhaltnismassig sehr rasch den angegebenen Wert mit seiner kleinen Abweichung vom wahren Werte erreicht. Nach dieser letzten Bemerkung muss Leonardo die Ehre fiir die grosse Annaherung vielleicht mit demjenigen teilen, der die Aufgabe gestellt hat. Moglich ist es, dass dies auch Leonardo ist, der in Veranlassung der feierlichen Vorstellung vor dem Kaiser den Magister Johannes inspiriert haben kann; aber dieser, der selbst von Sicilien war und den fiir arabische Wissenschaft interessierten Kaiser begleitete, kann auch die Aufgabe von arabischen Mathematikern erhalten haben. Da auch Leonardo ein Schiiler der Araber war, so erkennt man, dass diese nun die mathematische Wissenschaft so weit gebracht batten, dass das Ausrechnen eines so feinen Naherungswertes die Krafte eines hervorragenden Rechners nicht iiberstieg. Das Beispiel fiir eine ahnliche Annahe rung, das man bei einem arabischen Schriftsteller gefunden hat (S. 310), ist einige Jahrhunderte jiinger. 21 322 Das Mittelalter: Dass Leonardo von Pisa in klarer Weise das Wich- tigste und Zuganglichste der damals bei den Arabern vor- liegenden Mathematik dargestellt hatte, bedeutete indessen nicht zugleich auch, dass die Mathematik nun in den Besitz derjenigen gebracht war, die sich danach in Europu mit dieser Wissenschaft beschaftigten. Die Buchdrucker- kunst existierte nicht, und zwischen den Bearbeitern des Faches gab es keinen so lebhaften Verkehr wie ehemals zwischen den weit zerstreuten Griechen. Der damalige gelehrte Stand, die Geistlichkeit, namentlich gewisse Monchsorden, und dann die aus diesen Kreisen allmahlich entstehenden Universitaten dehnten allerdings ihre Ver- bindungen iiber die Lander hin aus, aber dieser Stand scheint lange Zeit hindurch nicht von dem beeinflusst worden zu sein, was in italienischen Kaufmannskreisen entstanden war, deren Verbindung mit dem ketzerischen Kaiser Friedrich iiberdies kaum eine Empfehlune sein konnte. Wenn wir hier von gelehrten Kreisen und Universi taten gesprochen haben, so darf man dabei nicht an solche Bildungsanstalten denken, in denen z. B. immer in etwas Mathematik unterrichtet wurde. Allerdings gab es bei den Universitaten eine Facultas artium*, an der die erforderliche Vorbildung fiir andere Studien mitgeteilt wurde, aber diese beschrankte sich in der Regel auf das Trivium (woher das Wort triviell), das Grammatik, Rhetorik und Dialektik umfasste, und vernachlassigte das Quadrwium, das Arithmetik, Musik, Geometric und Astronomic enthielt. Selbst wo man dieses mitnahm, beschrankte sich die Arithmetik auf ein wenig Rechnen. die Geometric auf eine gewisse ausserst diirftige Durch- nahme einiger Biicher von Euklid, iiber den man noch lange so wenig genau unterrichtet war, dass einige glaubten, seine Elemente waren urspriinglich arabisch geschrieben, 4 Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 323 wahrend andere meinten, dass er nur die Satze, und der griechische Herausgeber The on die Beweise geliefert habe. Indessen gingen aus diesen Kreisen dann und wann Manner hervor, die sich mit Mathematik beschaftigten. Dann aber holten sie sich, wie schon gesagt, ihre Gelehr- samkeifc nicht bei Leonardo von Pisa, sondern in einer Arithmetik und Algebra (De numeris datis) seines Zeit- genossen J or d anus Nemorarius, eines hochst ange- sehenen Mitgliedes des Dominikanerordens, dessen Ordens- general mit dem Hauptsitz in Paris er wurde. Seine Arbeit hatte und verbreitete solche Vorziige und Mangel, wie wir sie den Algorithmikern beigelegt haben. Zu diesen fiigte er selbst den wesentlichen Vorzug hinzu, uberall willkiirliche Zahlen durch Buchstaben dar- zustellen, jedoch so, dass sie in den Wortverbindungen des Textes genannt und nicht zu einer Buchstabenrech- nung zusammengestellt werden. Er hat ferner eine geo- metrische Arbeit iiber Dreiecke geschrieben, in der er auf der Grundlage von Euklids Elementen verschiedene selbstandige geometrische Untersuchungen vornimmt. Wenn nun auch namentlich die hier erwahnte Arithmetik und Algebra bedeutend hinter Leonardos Liber abaci zuriicksteht, so beweist sie andererseits doch, dass man sich auch in den gelehrten Kreisen mit der Aneignung und einer selbstandigen Bearbeitung der Mathematik beschaftigte. Diese Beschaftigung wurde an vielen Orten fortgesetzt. Mit ihr verbanden sich fortge- setzte Ubersetzungen aus dem Arabischen, spater auch aus dem Griechischen. Lenardos Schriften waren wohl auch von einigem Einfluss, teils in Norditalien selbst, wo 300 Jahre spater eine neue schopferische Mathematik sich Bahn brach, teils an anderen Orten, wo sich wahrend des genannten Zeitraumes allmahlich auch Fortschritte zeigten. Wir wollen hier jedoch nicht dieser Entwicke- 21* 324 Das Mittelalter: lung genauer nachgehen, sondern nur einzelne Beispiele fiir wirkliche Fortschritte anfiihren. Da haben wir denn aus dem 14ten Jahrhundert zwei Arbeiten des Franzosen Nicole Oresme zu nennen. Die eine ist sein Tractatus de latiludinibus formarum. Auf die Ebene iibertragen bedeuten hier die Worte Lange und Breite dasselbe wie sonst auf der Kugel, also recht- winkelige Koordinaten. Diese Benennungen werden be- sonders dadurch verstandlich, dass die Koordinaten inner- halb eines Rechtecks abgetragen werden, das seine grosste Ausdehnung in der Richtung der Abscissen (der Lange) hat. In dieser Figur wird die verschiedene Starke einer veranderlichen Naturerscheinung, z. B. der Warme, durch die Ordinaten (Breiten) mit den entsprechenden Zeiten als Abscissen (Langen) dargestellt. Auf diese Weise erhalt man eine graphische Darstellung von den Variationen der Warme in der Zeit durch eine Kurve, und es verdient bemerkt zu werden, dass schon Oresme beobachtet hat, dass die Variation am schwachsten in der Nahe der Maxima und Minima ist. Man sieht, dass die Anwendung von Koordinaten bei Oresme von anderer Natur ist als bei den alten Griechen, auf die er jedoch hinzuweisen scheint, von deren exakter, geometrisch- algebraischer Benutzung von Koordinaten zum Studieren der Kegelschnitte und zur Losung von Aufgaben er aber kaum, weder direkt noch durch die Araber, irgend welche eingehende Kenntnis gehabt haben kann. Aus dem zweiten Buche von Oresme, das den Titel Algorismus proportionum, fiihrt, wollen wir namentlich die Einfiihrung von Potenzen mit gebrochenen Ex- ponenten erwahnen und die einfachsten Regeln fur das Rechnen mit diesen. Oresme gebraucht auch eine be- sondere Bezeichnung fiir Potenzen. 4 ** schreibt er etwa 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 325 so: [I p ^j4, wo der Buchstabe p proportion, Verhaltnis, bedeutet. Die Wurzeln dieser Potenzen sind namh ch, da Euklids exakte Proportion slehre zu Grande gelegt wird, Verhaltnisse, und die Potenzen mit ganzen Exponenten werden als zusammengesetzte Verhaltnisse gebildet. Ubri- gens hat die Bildung einer Potenz mit gebrochenem Ex ponenten auf diesem Wege ein Vorbild bei den Alten, denn Archimedes zeigt, dass das Verhaltnis zwischen dem grosseren und kleineren Abschnitt, worin eine Kugel durch eine Ebene geteilt wird, grosser ist als das Ver haltnis zwischen den krummen Oberflachen anderthalb- mal genommen, d. h. dieses Verhaltnis in der Potenz J. Dadurch dass die Regeln fiir das Rechnen mit Potenzen von derselben Basis und mit ganzen Exponenten auf Potenzen mit gebrochenen Exponenten erweitert werden, wird Oresmes Arbeit ein Vorlaufer fiir das Rechnen mit Logarithmen. Das zuerst genannte Werk von Oresme wurde nach Erfindung der Buchdruckerkunst verschiedene Male her- ausgegeben, und ist gewiss auch vorher ziemlich verbreitet gewesen. Das zweite, sowie dasjenige von Chuquet, das wir jetzt besprechen wollen, sind dagegen erst vor kurzem aus historischem Interesse gedruckt worden, und scheinen keinen sonderlichen Einfluss ausgeiibt zu haben. So verrat Chuquet, der auf andere Weise, als es sein Landsmann Oresme 100 Jahre friiher gemacht hatte, das Rechnen rnit Logarithmen vorbereitet, keine Kenntnis von dessen Arbeit. Beide Arbeiten verdienen jedoch hier erwahnt zu werden, als Zeugnisse fiir das, was tiichtige Manner unter den vorhandenen Umstanden vermochten. Sie zeigen, wie weit man gekommen war. Die Arbeit von Chuquet, auf die wir hindeuteten, und die uns als Beispiel fiir eine hervorragende Arith- 326 Das Mittelalter: metik und Algebra des 15ten Jahrhunderts dienen soil, fiihrt den Titel Triparty en la science des nombres^ . Uin zunachst bei demselben Gegenstand zu bleiben, den wir bei Oresme getroffen haben, so treten gebrochene Expo- nenten indirekt in einzelnen Aufgaben auf, z. B. in der folgenden: Ein Mann reist den ersten Tag 1 Meile, den zweiten 3, den dritten 9, u. s. w., wie weit 1st er in 5 Tagen gereist? Chuquet giebt in der That die Losung, die man erhalt, wenn man voraussetzt, dass die Geschwin- digkeit kontinuierlich zunimmt nach demselben Gesetze wie von einem Tage zum anderen. In einer Aufgabe wird geradezu nach einem Exponenten, also nach einem Logarithmus gefragt: Ein Gefass hat einen Spalt, durch den tagtich ^ vom Inhalt des Gefasses entleert wird; nach Verlauf von wie viel Tagen wird die Halfte des In- haltes geleert sein? Die Losung 6^^y- T ist diejenige, die durch einfache Interpolation gefunden wird oder durch Anwendung der zwei falschen Ansatze auf die Versuchs- werte 6 und 7. Chuquet selbst ist mit dieser Annahe- rung nicht zufrieden. An einer Stelle kommt er sogar dazu, formell eine Hauptregel fur das Rechnen mit Loga- rithmen zu geben, indem er eine Reihe von Potenzen der Zahl 2 nebst den zugehorigen Exponenten aufstellt und bemerkt, dass das Produkt von zwei Zahlen der ersten Reihe diejenige Zahl derselben Reihe ist, die der Summe der zu den Faktoren gehorenden Exponenten entspricht. Wenn Chuquet sein Verstandnis von gebrochenen Exponenten nur indirekt zeigt, so treten der Exponent und negative Exponenten in semen Bezeichnungen bestimmt hervor. Bereits Diophant hatte, wie wir gesehen haben, besondere Bezeichnungen fur jede von den Grossen x~ 6 , a?~ 5 , ... 1 ... a? 5 , a? 6 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 327 und seine Rechenregeln zeigen, dass er nicht ohne Ver- standnis fur die Ubereinstimmung zwischen diesen Grossen war. Chuquet lasst diese Ubereinstimmung in der Be- zeichnung selbst hervortreten, indem er die Exponenten der verschiedenen Potenzen der Unbekannten durch em Exponentenzeichen ausdriickt, das er dem Zahlenkoeffici- enten, womit diese Potenz multipliciert werden soil, hin- zufiigt. Dieser Exponent kann positiv, Null oder negativ sein ; das letzte wird durch Hinzufiigung von m bezeichnet. So bedeutet 7 3 dasselbe, was wir jetzt 7a?~ 3 schreiben. Da Chuquet zugleich eine Bezeichnung fur die nte Wurzel hat (jedoch nur fur bestimmte Werte von n\ sowie die Zeichen p und m fur miser + un d > so sieht man, dass er imstande war eine recht ubersicht- liche Darstellung von Gleichungen und dadurch auch von denjenigen von ihren Umformungen zu geben, die man bis dahin in Worten augesdriickt hatte. Wenn Chuquet, wie wir gesehen haben, sich nicht scheut negative Grossen in seine Exponenten einzufuhren, so darf man sich nicht wundern, dass er sich ruhig darin findet, wenn Gleichungen negative Losungen erhalten, und dass er versteht sie zu erklaren. Dass eine von seinen Aufgaben in Wirklichkeit imaginare Losungen erhalt, scheint dagegen nur auf einem Irrtum zu beruhen. Indem wir Chuquet s gute Behandlung solcher Gegenstande, die wir auch von friiheren Mathematikern haben bewaltigen sehen, iibergehen, wollen wir hier nur noch anfiihren, dass er, und zwar mit dem Anspruch sie selbst gefunden zu haben, die bekannte Regel benutzt fiir die Bildung von einfachen Mittelgrossen ( "T XC l ~| zwischen zwei bekannten Grossen - - und -^. Diese ge- 328 Das Mittelalter: branch! er fur die Bildung neuer Versuchswerte fiir die genauere Losung einer Gleichung, die eine zwischen - "i und T^ ligende Wurzel hat. b 2 Solche Fortschritte wie die hier erwahnten treffen wir nicht in einem Buche, das von Chuquets Zeit- genossen Luca Paciuolo herriihrt, 1494 in Venedig gedruckt wurde und den Titel Summa de Arithmetics Geometria Proportioni et Proportionalita fuhrt. Dieses Buch bringt im wesentlichen nur das, was friiher schon zustande gebracht war, und vieles ist nicht so klar und genau dargestellt wie friiher beispielsweise von Leonardo von Pisa; aber das Gebrachte ist nach grossem Maass- stabe angelegt und auf zahlreiche theoretische und prak- tische Beispiele angewandt. Die Hauptsache aber ist, dass dieses gedruckte Buch verbreitet wurde und in den Handen der verschiedenen Manner war, die in der nachsten Zeit namentlich die Algebra weiterfiihren sollten. Diese erhielten so einen gemeinsamen Ausgangspunkt und dadurch ein gutes Mittel sich gegenseitig zu verstehen und zusammenzuarbeiten. Wahrend wir hier auf dem Gebiete der Arithmetik und Algebra im wesentlichen nur Vorbereitungen auf die grossen Fortschritte sehen, die die nachstfolgende Zeit bringen sollte, so treffen wir noch in der hier besprochenen Zeit einen Mann, der auf einem anderen Gebiete selbst nrit thatig ist, um solche Fortschritte hervorzubringen, die im Gegensatz zu denjenigen von Chuquet bleibende Bedeutung erhielten. Das ist der Deutsche Johannes Miiller, gewohnlich Regiomontanus genannt. Er ist 1436 geboren und war ein Schiiler von Peurbach, Professor in Wien, der sich grosse Verdienste um die Einfiihrung der Trigonometric des Ptolemaus und der 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 329 Araber in Europa erworben hat. Regiomontanus fiihrte ein sehr bewegtes Leben, hielt sich bald in Italien, bald in Deutschland und Ungarn auf, und bereits in einem Alter von 40 Jahren machte der Tod seiner nach grossem Maassstabe angelegten mathematischen und astronomischen Thatigkeit ein Ende. Sein Umherschweifen wirkte jedoch nicht bios storend, sondern brachte ihn mit vielen Astro- nomen und Mathematikern in Beriihrung, und in Italien hatte er Gelegenheit Griechisch zu lernen, namentlich in der Absicht Peurbachs Ausgabe von Ptolemaus Al magest fortzusetzen. Dabei machte er aus erster Hand Bekanntschaft mit anderen griechischen Mathematikern, die er sehr hoch stellte. Einer von denen, die er kennen gelernt hatte, war Diophant, und er legte sein zahlen- theoretisches Interesse, das iibrigens gewiss schon vorher durch den Verkehr mit italienischen Mathematikern ge- nahrt worden war, dadurch an den Tag, dass er eine Reihe sehr schwieriger hierher gehoriger Aufgaben stellte. Die grosste Bedeutung haben jedoch seine trigono- metrischen Arbeiten erhalten. Unter diesen wollen wir im Anschluss an das, was wir bei arabischen Astro- nomen getroffen haben und was sein Lehrer Peurbach fortgesetzt hatte, zuerst seine trigonometrischen Tabellen erwahnen. Er ist der erste, der in diesen die Benutzung des Decimalsystemes durchgefuhrt hat. Seine zuletzt aus- gearbeiteten Sinustafeln gehen von Minute zu Minute, und da er den Radius gleich 10 7 setzt, so ist die Genauig- keitsgrenze dieselbe wie in einer 7-ziffrigen Tafel, ohne dass jedoch eigentliche Decimalbriiche schon in Gebrauch gekommen waren. Die Lehre von der geometrischen Anwendung solcher Tafeln wird bei Regiomontanus zum ersten Male selb- standig dargestellt und nicht nur in der Form von Hiilfs- satzen fiir die Benutzung in der Astronomic. Den Ge- 330 Das Mittelalter danken, ein solches eigentlich trigonometrisches Werk auszuarbeiten, fuhrt Regiomontanus mit gewohnter Pietat gegen Peurbach auf diesen seinen Lehrer zuriick. Sein Buch fiihrt den Titel: De triangulis omnimodis libri quinque. Hierin werden nicht nur, wie bei den friiheren Schriftstellern, die rechtwinkeligen Dreiecke be- handelt, aus denen die iibrigen sich allerdings zusammen- setzen lassen, sondern sowohl in der Ebene wie auf der Kugel wird die Beantwortung mancher Fragen, die das schiefwinkelige Dreieck betreffen, durchgefiihrt. So hat Regiomontanus auf der Kugel gezeigt, wie die Seiten eines Dreiecks die Winkel bestimmen und umgekehrt. Die drei Jahrhunderte, die auf Leonardo von Pisa folgten, waren hauptsachlich dazu benutzt worden den Kenntnissen und Fertigkeiten, in deren Besitz er sich bereits befand, eine so allgemeine Verbreitung zu geben, dass sie den Ausgangspunkt fiir eine neue Entwickelung bilden konnten. Diese Grnndlage wurde dadurch ver- starkt, dass man nun direkte Kenntnis von den Schrift stellern des Altertums besass, denen man sie hauptsachlich verdankte, namlich von Euklid und zum Teil von Pto- lemaus, und dass man gleichzeitig begonnen hatte eine vorlaufige Bekanntschaft mit den Schriftstellern zu machen, die wahrend der folgenden Entwickelung die Fuhrung ubernehmen sollten: mit Archimedes, Apollo nius und Diophant. Eine wirklich neue Entwickelung war durch Regiomontanus auf dem Gebiete der Trigono metric begonnen worden. Von den technischen Hiili s- mitteln, welche die Algebra benutzen sollte, kannte man allgemeine Zeichen fiir -\- und , namlich p und m, und einige andere. Chuquets mehr entwickelte Zeichen- sprache zeigte, wenn sie auch nicht in allgemeinen Ge- brauch kam, dass man imstande war sich die Mittel der 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa. 331 Darstellung zu verschaffen, die erne weitergehende Ent- wickelung verlangen musste. Hierdurch war erne neue Entwickelungsperiode der Mathematik vorbereitet, die an Fruchtbarkeit nur ver- glichen werden kann mit den wenigen Jahrhunderten, in denen die griechische Mathematik ihren hochsten Stand- punkt erreichte. Diese kam zum Durchbruch, als man durch die Losung der kubischen Gleichung erkannte, dass man eine Aufgabe bewaltigen konnte, die Griechen und Araber batten liegen lassen miissen, mid dadurch ein bisher unbekanntes Vertrauen zu seinen eigenen Kraften erhielt. Mit Hiilfe der Buchdruckerkunst konnten die mannichfaltigen Arbeiten, die jetzt in den verschiedenen Landern entstanden, auf fruchtbringende Weise zusammen wirken. In der Algebra folgten auf den genannten Durchbruch rasch andere grosse Fort- schritte. Gleichzeitig lernte man es, die schwierigen griechischen geometrischen Arbeiten zu verstehen; was man hieraus lernte, das setzte man in neue Verbindung mit der Algebra, der man selbst eine neue Form gegeben hatte, und die analytische Geometric entstand. Ausserdem ging man in der stereometrischen Behandlung der Kegelschnitte viel weiter als die Alten. Man studierte die statischen Arbeiten des Archimedes und schuf selbst die Dynamik. Vom Studium Diophants gelangte man durch ganz neue Untersuchungen zu den merkwur- digsten zahlentheoretischen Satzen. Das Studium von Archimedes infinitesimalen Untersuchungen fiihrte dazu, ahnliche Untersuchungen in wachsendem Umfange selbst vorzunehmem und die dazu dienenden Methoden so zu entwickeln, dass man am Schlusse des 1 7ten Jahrhunderts eine Infinitesimalrechnung besass. Die am Schlusse des Mittelalters erwahnten Anlaufe fuhrten zu einer wirklichen Benutzung von Logarithmen. 332 Das Mittelalter: Das mag bereits hier am Ende unserer Schilderung von der Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter gesagt werden. Man wird dann verstehen, dass der Grund, weshalb wir solange namentlich bei der Mathematik des griechischen Altertums verweilt haben, nicht nur das grosse Interesse ist, das diese an und fur sich beansprucht als Glied in der Menge von Kenntnissen, die man nun am Schlusse des Mittelalters gewonnen hatte, sondern zugleich der Umstand, dass sie die Quelle ist, aus der man danach fortfuhr reiche Anregung zu schopfen zu einer Zeit, wo man gelernt hatte diesen An- regungen nachzugehen und so etwas wirklich Neues her- vorzubringen. Namen- und Saehregister, Bemerkung. Bei den haufiger vorkommende Namen und Be- griffen 1st immer nur auf die Seiten verwiesen, auf denen genauere Mitteilungen zu finden sind. Auch sind mehrmals Seiten zusammen- gezogen, wo solche Mitteilungen nur bin und wieder vorkommen. Abacisten 316. Abacus 293, 315317. Abbassiden 295. Abul Wafa 296, 313. Agrimensoren 9. Agypten 16, 259, 294. Agypter 8 14. Ahmes 10. Ahnlichkeit, 45, 113, 136, 149. Akademie 18, 20. Albattani 313. Alchaijami 306, 307, 309. Alchodschandi 312. Alchwarizmi 298. Aldschebr 299. Alexander der Grosse 23, 28, 261. Alexandria 2326, 240, 256, 261, 288, 294, 295. Alfachri 303. Algebra der Araber 297312. - Inder 260, 278-287. geometrische 38- 54, 58, 83, 90, 108, 109, 146-153, 203205, 212, 300. Algorismus proportionum 324. Algorithiniker 316, 323. Algorithmus 297, 298, 315. Alkarchi 302307, 312, 317. Alkaschi 310, 312. Alkuhi 309. Almagest 29, 230, 231, 295, 313, 315, 329. Almamun 295, 298, 299. Almansur 295. Almukabala 299. Alnasawi 301, 302. Analyse 9296, 101105. Analysis situs 139. 334 Annahmen, allgemeine 112. Ansatz, falscher 11, 247, 275, 277, 317. zwei falsche 275, 307, 317, 318, 320. 326. Antiphon 6971, 75, 227. Apagoge 98, 100, 103. Apollonius 25-28, 58, 81, 106, 166, 191, 192, 198221, 229, 233, 296, 330. Araber 293322. Archimedes 2527, 43, 58, 7882, 166-199, 216219, 227229, 243, 296, 308, 309, 325, 330. Archimedische Hiilfssatze 79, 309. Archimedisches Princip 190. Archytas 1721,8487, 91, 97. Aristarch 28, 225-227, 229, 231. Aristaus 27, 198, 213. Aristoteles 20, 21, 29, 71. Arithmetik der Araber 297312. - Griechen 32, 36, 58, 242-258. - Inder 260, 274 287. geometrische 39 44, 53, 54, 242, 243. Aritbmetische Dinge von Diophant 32. Aryabhatta 260, 272, 275, 288. Aste der Hyperbel 200, 208, 211. Astronomen, Astronomic 9, 12, 20, 21, 2730, 224, 225, 230234, 260, 288, 313. Asymptoten 195, 199, 208, 210, 219. Athen 17, 18, 21, 22. Aufgaben 92, 93, 94, 96. ebene 83, 212. I Aufgaben, raumliche 83, 86, 212. unbestimmte; s. Glei- chungen, unbest. Axengleichung 194, 195. Axiome 112, 115, 116, 119138. Babylon, Babylonier 12, 13, 37, I 58, 62. Bachet de MSziriac 255. Berechnung, numerische 30, 57, 70, 222, 224, 241, 261, 310. Beruhrungen v. Apollonius, 27. Beriihrung zwischen Kreis u. Kugel v. Demokrit 68. Beweis 23, 93, 101105; s. auch Exhaustionsb. Bhaskara Acarya 260, 275, 278, 287, 288. Bibliothek, alexandrinische 24, 31, 295. Binomialkoefiicienten 307. Bolyai 139. Brahmagupta 260, 271, 286. Breite 232. Brennpunkte 210, 211. Brennspiegel 191. Briiche 10, 55, 157, 158, 248, 298, 301, 317. Bryson 70, 227. Buchdruckerkunst 325, 328, 331. Biischel, projectivische 209. Byzantiner 311. Cauchy 130. Chinesen 269, 282, 311. Chronologie 25. Chuquet 325-330. Cissoide 236. cosinus 12. 335 Cylinder 26, 217, 309. Cylinderschnitt 195. Darstellungsform 23. synthetische, 92104. Data des Euklid 26, 48, 49, 106, 107, 153, 154, 223, 224. Decimalbruche 62, 329. Dofinitionen bei Archimedes 176 177. bei Euklid 112, 115 118, 123, 126, 130 133, 140144, 155. Demokrit 12, 17, 68. Desargues 216. Descartes 88, 238. Differenzreihen, s. Reihen, arith- metische. Dinostratus 21, 77, 78, 104. Diokles 27, 236, 237. Diophant, 32, 60, 241258, 279, 296, 303, 326, 329331. Diorismus, 99, 102, 105, 122, 148, 152, 186, 246, 309. Dodekaeder 36. Dreieckszahlen 35, 36, 42, 53. Dreiteilung des Winkels 76, 79 82, 88-91, 215, 309. Dschabir ibn Aflah (Geber) 314. Durchmesser der Kegelschnitte 201, 202, 206208. Durchmesser, konjugirte 199, 208, 211-213. Dynamik 331. Ebene 125, 132-137. Ecke, 162, 163 Eindeutigkeit 124, 125 Einfiihrung in die Arithmetik v. Nikomachus 32. Einheit 128, 155, 159. Einschiebung 27, 75, 7982, 88, 184, 216. Einteilung der Ebene 35. | Ekthese 98, 99. I Eleatische Schule 65. ! Elemente 105-108. j Elemente des Euklid 14, 25, 57, 108-114, 315. Elemente des Euklid Istes Buch 90, 91, 108, 113139. Elemente des Euklid 2tes Buch 44-54, 108, 223. Elemente des Euklid 3tes Buch 52, 108, 109, 125. Elemente des Euklid 4tes Buch 108. 109. Elemente des Euklid 5tes Buch 109, 139-149, 155, 156. Elemente des Euklid 6tes Buch 47, 48, 109, 149 153. Elemente des Euklid 7. 9tes Buch 109, 155-159, 242. | Elemente des Euklid lOtes Buch 41, 109, 158 161, 164, 167, 320, I Elemente des Euklid lltes Buch 109, 126, 130, 161-163. [ Elemente des Euklid 12tes Buch 109, 163, 166-173, 180, 232. Elemente des Euklid 13tes Buch 109, 163165. Elemente des Euklid, 14tes und 15tes Buch 108, 113, 165166. Elimination 249. Ellipse 183, 191-207. Ellipsoide 183, 219. Eratosthenes 24, 27, 28, 87, 227, 232, 243. 336 Eudemus 22, 3234, 39, 72, 73. Eudoxus 20, 21, 28, 37, 69, 70, 78, 86-89, 108-110. 140, 141, 166, 177, 224, 225, 236. Euklid 2526 und zerstreut im ganzen Buche. Eutokius 186, H09. Evolute 221. Exhaustionsbeweis 69, 78, 110. Ill, 141, 166-188, 228. Exponenten 325327. Facultas artium 322. Fehlschliisse von Euklid 26, 111. Fermat 174, 258. Fingerrechnung 265. Flachenanlegung 35, 37, 39, 45, 46, 51, 52, 150, 154, 204. elliptische, 45, 47, 98, 104. hyperbolische 45, 49, 52. krumme, 176, 184, 237. Flachensatz 206, 208. Flachenschnitt 27, 210. Friedrich II, Kaiser 318, 322. Fiinfeck, regelmassiges 6, 36, 52, 108, 109, 164. Fiinfzehneck, regelm. 108. Geber (Dschabir ibn Aflah) 314. Geodasie 25, 29. Geographie 25, 28. Geometrie, analytische, 94, 106, 202,205,214,238,331. berechnende, 221 232, 241. Geometrie, nicht euklidische 135, 139. projektivische 26, 134, 135. des Raumes 86, 237. spharische 232235. Gerade 118-126, 131-136. Gerbert 316. Gesellschaftsrechnung 275 Gleichgewicht, Lehre davon bei Archimedes 26, 177, 187191, 331. Gleichung, die doppelte des Dio- phant 251, 319 Gleichungen 1. Grades, 10, 44. 153, 275, HOC), 317. 1. Grades, unbe- stimmte, 255, 281 -283. 317. 2. Grades, 3537, 4753, 97, 107, 148-154,205,215, 280, 281, 296, 300. 301, 3U4, 318. 2. Grades, nume- rische , 54 64, 222, 242, 257. 2. Grades, reine 52. 2. Grades, unbe- stimmte 41, 5, 59, 60, 242, 243, 249-258, 283- 286, 303, 317 319 3. Grades, 82, 185, 212, 216 219, 307-310, 330, 331. 4. Grades, 216. diophantische 255 337 Gnomon 4149, 98, 99, 113, 245 Grade 12, 28. Gradmessung 25, 227, 298. Grossen, inkommensurable und ir rationale 3439, 44, 53 62, 69, 70, 110, 111, 141 158161, 250-256,279 305307, 320. kommensurable 37, 64. 155-159. negative 38, 280, 327. Grossenbegriff 127, 128. Guldin 237. Halbierung 298. Harpedonapten 12, 259. Harun Arraschid 295. Hau-Rechnung 10. Hebel 187, 188. Hermotimus 106. Hero 30, 61, 62, 222, 223, 287, 293, 296. Hiero 26. Hipp arch 28, 29, 230, 230, 233, 234, 288, 296. 300. Hippias 17, 76. Hippokrates von Chios 17, 22, 7174, 80, 84, 105. Hippopede 236. Hohenmessung durch Schatten 33. Hiilfsmittel, analytische 105108. Hiilfssatze, des Pappus 211, 238. Hydrostatik 190. Hyperbel 87, 191207, 218221. konjugierte 208, 211. Hyperbelaste 209, 211, 218. Hyperboloide 183, 219. Hypsikles 27, 108, 165. Jahrhundert, 6tes v. Chr. 15, 32, 34. Jahrhundert, 5tes, 1517, 34, 45, 67, 70, 72, 79, 82, 88. 4tes, 1823. Ikosaeder 36. Infinitesimalrechnung 331. Infinitesimaluntersuchung 63 70, 141, 166187, 331. Inhalt einer krummen Flache 176, 184, 237. Integral, bestimmtes 173, 175. Integrationen 181, 183, 189, 221. Interpolation 231, 275, 307, 313, 320, 326. Involution 215, 216. Johannes von Palermo 318, 321. Jordanus Nemorarius 323. Irrrationalitat, s. Grossen, irrat. doppelte 57, 161, 165, 279. Kegel 68. Kegelschnitte 18, 26, 27, 53, 81, 82, 87, 178, 186, 191121, 237, 308, 309, 331. ahnliche 211. Kettenbriiche 60, 281, 282. Kleinasien 15, 22. Kolumnen 266, 267, 293, 316. Combinationen 287. tonchoide 82, 236. Congruenz 113, 128-131, 136. tonklusion 101, 103. Conoide 26, 181, 183, 184, 195. Constantinopel 292. onstruktionen 5, 6, 12, 7080, 88-91, 96-103. 120, 121, 162-165, 200, 217. 22 338 Konstruktionsmittel 81. Konturen, geschlossene 133 139. Konvergenz 173176. Koordinaten, rechtwinkelige 5, 324. spharische 232. Koppernikus 28. Korper, platonische 20. die auf e. Fliissigkeit schwimmen, 26. Kreis 118125, 134. Kreisfunktionen 78. Kreismessung 26, 227. Kreisschnitte am Kegel 196, 233. Kubikwurzeln 83, 86, 275, SOS- SOS, 316, 317. Kubikzahlen 13, 43, 62, 244, 287. Kugel und Cylinder 26, 216, 219, 309. Kugeloberflache 184, 186, 237. Kugelteilung 185, 216, 218, 308. Kurven, spirische 236. Kyzikos 20, 21. Lagrange 114, 286. Landmesser, agyptische 222. romische 9, 11, 53, 293. Landmessung 29, 30, 222. Lange einer krummen Linie 176. Lange von Orten 227, 232. Latitudinibus, de, 324. Legendre 136, 137. Leibniz 174. Lehrgebaude, synthetisches 108, 114. Lemniskate 236. Leon 105. Leonardo (Fibonacci) von Pisa 315323, 328. Liber abaci des Leonardo 316 318, 322. Lilavati 260, 275279. Lineal 75, 80, 81, 97, 120, 198. Lobatschewsky 139. Logarithmen 325, 326, 331. Logistik, 29, 241. Maass, grosstes gemeinschaft- liches 55, 56, 156, 159, 282. Maxima 100, 186, 211, 217, 324. Mechanik 6, 29, 190. Mehrdeutigkeit 100, 101. Menachmus 21, 8790, 191 193, 197199. Menelaus 29, 230, 234, 313. Methode, analytische 92104, 106. apagogische 92. cyklische 285. Minima 100, 211, 217, 324. Minuszeichen 248, 327, 330. Mischungsrechnung 191 275. Mittel, arithmetisches 148. geometrisches (siehe rm ttl.) Proportionale). Moglichkeitsbedingungen 91, 96. Mondchen des Hippokrates 72 74. Muhammed ibn Musa Al- chwarizmi 298, 301, 316. Mii Her, Joh. (Regiomontanus) 328. Multiplikation, Fouriersche 274. Musik 36. Museum 24. Naherungsformeln 30, 288. Nakerungswerte 54, 56, 229, 276, 281, 282, 288, 307, 310, 320, 321. 339 Neunerprobe 298. Newton 174. 321. Nikomachus 32. 43. 236, 244. 293. Nikomedes 27, 82, 88. Xormale 200. 216, 220, 221. Null 262, 266. 271. 272. 316, 317. Oberflachenorter 26. Omar 295. Omar Alchaijami 306. Optik 26. Oresme, Nicole 324, 325, 326. Ort zu drei Geraden 213. 214. - vier 213 215, 237. Orter, ebene 106. 212. geometrische 86, 94. 97, ~ 106. 117, 198, 206, 212. raumliche 27. 128, 200, 212. Ostromer 292. Paciuolo, Luca 328. Pappus 31, 153, 166, 211, 216. 237-239. Parabel 87, 191, 195. 197, 204, 207. 218-220. Parabelsegment 171, 173, 189 Paraboloide 183, 190. Parameter 193. 194. Pentagramm 35. Periode, astronomische, 282. Peripheriewinkel auf d. Halbkreis32. Permutationen 276. Perseus 27. 236. Perspektive 26. Peurbach 328. 329, 330. Phaenomena 26. Philosophic, Philosophen 17 25. 65, 88. -T 12. 76, 226-229, 288, 301. , Planetarium 191. i Plato 1621, 35, 41, 57, 68, 87, 88, 92. 97, 224 Platoniker 88, 89. Pluszeichen 327, 330. Polare 208. Polyeder, halbregulare, 26, 166. regulare, 19, 27, 34, 36, 110-113. 161-166. Polygonalzahlen 32, 43. 242, 244. . Polygone. regulare. 69, 108, 109, 164, 224-227. , Porismen 26, 215, 234. | Positionssystem 262, 266, 270 - 273. 298. 301. 317 Postulate 112, 115126, 132-139, 162. 176. 177. 192. ; Potenz eines Punktes 52, 109. i Potenzen 146. 158. 248, 264, 305. 306, 324. 327. Potenzsatze 197, 199, 208. 214. Practica geometrica des Leonardo 218. Primzahlen 156, 158. 243. relative 156, 157. i Problem, delisches 83, 84, 191, 197. Probleme 88-91, 99, 102. 103. 104, 106, 111, 112, 120. 122 Produkt, 40, 44, 145, 146. Projektion. stereographische 233. Proportionalen, zwei mittlere, 84, 87, 88, 91. 97. 146, 191, 192, 195. Proportionen 37. 50 52, 77, 84, 108-110,128,139- 156, 302, 306, 325 arithmetische 35. fortlaufende 146, 158. 22* 340 Proportionen, geometrische, 35. harmonische, 35. Protase, 98, 99, 101. Ptolemaer 24, 31. Ptolemaus 29, 62, 229235, 261, 287, 288, 295, 312-315, 321, 328330. Ptolemaus Lagi 23. Pyramidalzahl 44, 243, 244. Pyramide 163, 169-171, 173. Pythagoras 16, 34, 36, 39, 41, 64. Pythagoreer, 17, 18, 3239, 42, 51, 64, 65, 242, 244, 311. Pythagoreischer Lehrsatz, 35, 37, 47-53, 59, 109, 113, 153. Quadratur des Kreises 6978, 91, 228. der Mondchen 72, 74. der Parabel 26178. Quadratrix 76 79, 91, 226, 237. Quadrattafeln 13, 62, 274. Qvadratwurzel 51, 5464, 110, 227230, 275, 280, 305-307, 314, 316, 317. Quadratzahlen 13, 40-43, 71, 182, 249255, 286, 287, 312, 318, 319. Quadrivium 322. Quotientenreihe, s. Reihen, geo metrische. Raumkurve 85, 86. Rechenbrett 58, 265, 293. Rechenbuch 10, 315. Rechenkunst, arabische, 298. griechische 29, 57, 58, 294. indische, 259261, 272274, 290-303, 316, 317. Rechenmaschinen 265. Rechenpfennige 265267. Rechentafeln 273. Regel des falschen Ansatzes 11, 247, 275, 277, 317. Regel der zwei falschen Ansatze 275, 307, 317, 318, 320, 326. Regel der Umkehrung 276, 277, 317. Regiomontanus (J. Miiller) 328, 329, 330. Regula de tri 222, 275, 277, 278, 302. Reihen, arithmetische 10, 36, 42 44, 182, 276, 317. geometrische, 10, 67, 146, 147, 158, 317,. unendliche 171-175, 181. Reihen von Quadratzahlen 182, 287, 312. Reihen von Kubikzahlen, 244, 287, 312. Reihen von Riquadraten 312. Resolution 99, 100, 101, 102, 107. Romer 31, 244, 265-269, 292, 295, 315, 316. Sammlungen, mathem. d. Pappus 31. Sandrechnung d. Archimedes 26, 58, 264, 270. Sanskrit 259. Satz des Ptolemaus 230, 231. Schnitt, bestimmter 27, 215. Schnitte am Kegel 196. Schnittpunkte zw. zwei Kegel- schnitten 211. zw. Kreis und Ge- 341 rade etc. 121, 125, 135. Schraubenflache 237. Schule, akademische 20. alexandrinische 15, 21. atomistische 67. eleatische 65. jonische 15. peripatetische 20, 22. Schwerpunkt 178, 188, 189, 237. Sehnentafeln 62, 229231, 287, 288, 312. Sexagesimalbruche 230, 310, 316, 320, 321. Sexagesimalsystem 12, 13, 28, 58, 62, 264 Simplicius 73. Sinustafeln 231, 287, 288, 312, 313, 329. Sokrates 18, 19. Sophismen 65, 66. Sophisten 17, 23, 69, 70, 71. Spharoide 26, 181, 183, 184, 195. Spirale, archimedische 26, 43, 78 80, 181184 spharische 237. Stammbriiche 10. Stereometrie, elementare 110, 126, 130, 161-166. Strecken, iiber inkommensurable etc. v. Demokrit 68. Subnormale 220. Substitution en 251. Suditalien 1522. Summation, siehe Reihen. Surya Siddhanta 260, 288. Symmetrie 130. Synthese 9295, 100, 101, 105, 114 Syrakus 26, 191. Tabellen 266, 274. Tangenten 184, 199, 202, 207, 209 211, 219. Tangententafel 313. Tannery, Paul 8, 73. Teilung der Figuren 26. stetige 56, 109, 152, 164. Thabit ibn Kurra 311. Thales 15, 32, 33. Theatet 19, 57, 110, 158. Theon 323. Theoreme 8891, 99, 102106, 111, 112. Transformation 98, 101103, 107. triangulis omnimodis, de 330. Trigonometric 29, 223232, 287, 311-315, 328-330. spharische 232 -235, 314. Triparly en la science etc. 326. Trivium 322. Umkehrung 276, 277, 317. Unendliche, das; s. Infinitesimal- untersuchung. Unendlichkeit d. Zahlenreihe 58. Universitaten 322. Verdoppelung 298. des Wiirfels 82-88, 91. Verfall d. griech. Geometrie 235 241. Verhaltnis s. Proportionen. zusammengesetztes 144147, 238. Verhaltnisschnitt 27, 210. Verlegungsaxiom 131137. Vieta 82. Vijaganita 260, 278. 342 Volumen 110, 183186, 237. Vorgeschichte 1. Vorzeichen 218, 280. Voraussetzungen, geometrische, des Euklid 115-131. der Geometrie 132 -139. Wasserschnecke 191. Wertheim 247. Westaraber 314, 315. Winkel 36, 119, 223227. Winkelsumme des Dreiecks 35. 113, 136138. Wulst 85, 236. Zahl als Princip der Dinge 36, 64. Zahlbenennung 263274. Zahlbezeichnung 10, 57, 58, 262 274. Zahlen, ahnliche 40, 42, 43. befreundete 36, 311. cyklische 71. ebene 40. Zahlen, ganze 3740, 60, 64, 65, 155, 255, 284286. gerade 42. raumliche 43. ungerade 41, 42. vollkommene 36, 158, 242, 311. Zahlen, iiber die, v. Demokrit 68. Zahlenrechnen 7, 30, 263278, 298. Zahlenspekulationen 13. Zahlentheorie 37, 158, 242, 243, 255, 258, 278-287, 311, 312, 331 Zauberquadrate 311. Zehnersystem 263, 264. Zeichensprache, algebraische 247, 248, 257, 281, 203, 324-327, 330. Zeno 65, 66, 67, 71. Zinsrechnung 275, 3J7. Zirkel und Lineal 75, 80, 81, 96, 120, 198. Zwanzigersystem 263, 264. Inhaltsiibersicht Seite Einleitung, 1. Vorgeschichte der Mathematik 1 2. Agypter und Babylonier 8 Die griechische Mathematik. 1. Historischer Uberblick 14 2. Die pythagoreische Mathematik 32 3. Die geometrische Arithmetik 40 4. Die geometrische Algebra 44 5. Numerische quadratische Gleichungen; Ausziehen der Quadratwurzel 54 6. Das Unendliche 64 7. Die Quadratur des Kreises . 70 8. Dreiteilung des Winkels; Einschiebungen 79 9. Verdoppelung des Wiirfels 82 10. Probleme und Theoreme; Bedeutung der geometrischen Konstruktion 88 11. Die analytische Melhode; die analytisch-synthetische Dar- stellungsform 92 12. Elemente ; analytische Hiilfsmittel 105 13. Uberblick iiber Euklids Elemente; synthetisches Lehr- gebaude 108 14. Euklids geometrische Voraussetzungen 115 15. Anmerkung iiber die Voraussetzungen der Geometric. . . . 132 16. Die allgemeine Lehre von den Proportionen ; Euklids 5tes und 6tes Buch 139 17. Kommensurable Grossen und ihre Behandlung durch Zahlen; Euklids 7. 9. Buch 155 Seite 18. Inkommensurable Grossen; Euklids lOtes Buch 158 19. Elemente der Stereometrie ; regulare Polyeder; Euklids lltes und 13tes Buch 161 20. Der Exhaustionsbeweis ; Euklids 12tes Buch 166 21. Infinitesimale Bestimmungen bei Archimedes 177 22. Archimedes Lehre vom Gleichgewicht 187 23. Die Lehre von den Kegelschnitten vor Apollonius 191 24. Die Kegelschnitte des Apollonius 25. Raumliche Orter und Aufgaben 26. Die berechnende Geometric - 221 27. Spharische Geometric 2 28. Verfall der griechischen Geometric 235 29. Die spatere griechische Arithmetik; Diophant 242 Die indische Mathematik, 1. Kurzer tfberblick 259 2. Zahlbenennung, Zahlbezeichnung und Zahlenrechnen vor und bei den Indern 263 3. Anwendungen des Zahlenrechnens 274 4. Algebra und Zahlentheorie; Geometric 278 Das Mittelalter. 1. Allgemeine Einleitung 2. Die Arithmetik und Algebra der Araber 297 3. Die Trigonometrie der Araber . . . 4. Erstes Wiedererwachen der Mathematik in Europa 315 MATH.- ST AT. \RY SEVEN DAY RESERVE BOOK Return to desk from which borrowed. This book is due on the LAST DATE stamped below. lr\ 1 il.-O 1 /-\ I , AUG181959 wv y raet 1Q7P KB 17-20m-9, 53 ( Afi!i27s4)4188 m